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Kathedrale unter Tage

Skulpturen in Rundbögen, verzierte Kronleuchter und ein Glückshund. Unter Tage öffnet sich in der Moskauer U-Bahn eine neue Welt. Von dem Gefühl, in einer fahrenden Bildergalerie unterwegs zu sein. Eine Weltgeschichte.

Ratternd fährt der blaue U-Bahnzug in die Metrostation ein. Hunderte Passagiere drängen sich aus den Waggons, während andere an ihnen vorbei wieder hineinströmen. Sie hasten über den Bahnsteig hin zu den Rolltreppen auf dem Weg entweder nach oben in die Büros oder zum Umsteigen in eine andere U-Bahn, die sie ans Ziel bringen soll. Zeit haben Moskauer generell nicht. „Selbst die Rolltreppen laufen sie hinauf“, klagt Juri, ein Student, der aus der Provinzstadt Elista in Kalmykien gekommen und daher das stete Treiben der Hauptstadt noch nicht gewohnt ist.

Und doch halten an der Station „Platz der Revolution“ viele einen Moment inne, um einem Bronzehund über die Nase zu fahren. Seit fast 80 Jahren lässt sich der Vierbeiner an der Seite eines ebenso stoisch ausharrenden revolutionären Grenzsoldaten geduldig streicheln. Inzwischen ist seine Nase schon ganz blankgerieben. Denn das Streicheln soll Glück bringen; speziell Studenten kommen vor den Prüfungen vorbei, um ihr Studienbuch an der Nase des Hunds zu reiben. Das helfe auch die schwierigste Klausur zu bestehen, so der Volksglaube.

Es ist schon Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Bauten, die den Sowjetmenschen mit ihrem Pomp die orthodoxen Kathedralen ersetzen sollten, zur Quelle eines neuen Aberglaubens geworden sind. Ironie haben die Russen übrigens auch für die gesamte 1938 eröffnete Station „Platz der Revolution“ übrig: Weil sich die Skulpturen in die Rundbögen einfügen müssen, sind sie alle entweder in sitzender oder gebückter Haltung dargestellt. Sie seien somit ein Abbild des Sowjetvolks, entweder es sitzt (im Gefängnis), oder es steht auf Knien, witzeln die Moskauer.

Doch die prächtig geschmückten Stationen der Stalin-Ära sind für viele auch ein Grund zum Stolz, sind sie inzwischen doch ebenso ein Wahrzeichen Moskaus wie der Kreml und die Basilius-Kathedrale. Die 1935 gegründete Moskauer Metro mag nicht die älteste U-Bahn der Welt sein; eine der geschichtsträchtigsten und imposantesten ist sie allemal: Marmor, Mosaiken und reichverzierte Kronleuchter. Stationen wie „Komsomolskaja“, „Kiewskaja“, oder „Taganskaja“ beeindrucken auch heute noch Besucher und ziehen viele Touristen – auch aus dem Ausland – an.
Ein Besuch lohnt sich und ist mit umgerechnet 60 Cent auch nicht besonders teuer, zumal man damit den ganzen Tag fahren kann. Besser aber nicht zur Rushhour, denn die Moskauer Metro ist weit mehr als nur ein Museum unter Tage. Pro Tag befördert sie rund neun Millionen Menschen. Nur in den asiatischen Metropolen ist der Andrang höher. Dabei arbeitet sie zuverlässiger als eine Schweizer Uhr. Seit ihrer Eröffnung war die Metro nur einen Tag geschlossen: Am 16. Oktober 1941, als es in Moskau nach dem schnellen Vorrücken der Wehrmacht zu einer Panik kam und die sowjetische Führung die Metro sogar zur Sprengung vorbereitete. Glücklicherweise ist es dazu nicht gekommen.
Denn heute würde Moskau ohne Metro kollabieren. Im Zwei- bis Dreiminutentakt fahren die Metros zu den Spitzenzeiten – und doch bleiben zu der Zeit oft viele Passagiere am Bahnsteig zurück. In den Waggons kommt bei einer Personendichte von neun Personen pro Quadratmeter, die dann am nächsten Bahnhof schiebend, stoßend und leise fluchend zum Ausgang drängen, wenig Fahrkomfort auf. Das Wort Stoßzeit bekommt eine ganz neue Bedeutung. Immerhin, auch wenn das Atmen schwer fällt, kann man bei der Enge nicht umkippen.

Am Eingang der Stationen sind Wartezeiten und Drängeleien ebenfalls vorprogrammiert und werden durch die Metalldetektoren noch verschärft. Allerdings hat Moskau in der Vergangenheit leidvolle Erfahrungen mit Terroranschlägen auch in der Metro machen müssen, so dass kaum jemand die Sicherheitsmaßnahmen in Zweifel zieht.
Andere Neuerungen der Moskauer Stadtregierung bieten mehr Komfort: So wurde nicht nur das U-Bahn-Netz in den letzten Jahren deutlich ausgebaut, sondern sogar Kunst, Kultur und Geschichte haben Einzug unter der Erde gehalten. Mit Themenzügen, die außerhalb der Stoßzeit kursieren und wahlweise dem Zweiten Weltkrieg, der Geschichte des sowjetischen Kinos oder auch der Aquarellmalerei gewidmet sind, leistet die Stadtverwaltung ihren Anteil zur Bildungsoffensive und fördert nebenbei die Laune der Reisenden. Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Gesichter erhellen und die Neugier wach wird, wenn die Passagiere merken, dass sie zufällig in eine fahrende Bildergalerie geraten sind. Hier kann die Moskauer Metro den nüchternen U-Bahnen in Deutschland vielleicht als Beispiel dienen.