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Katerstimmung bei der Saar-SPD

Der Machtwechsel im Saarland bleibt aus. Für SPD und Linke war es – anders als von vielen Demoskopen vorhergesagt – nicht einmal knapp. Gab es keine Euphorie oder kam sie einfach nicht in Saarbrücken an? Der Tag danach.

Gegen zehn Uhr morgens schlendert Thomas Lutze, saarländischer Bundestagsabgeordneter der Linken, Richtung Landtag. Die Sonne taucht Saarbrücken in warmes Licht, doch über Lutzes Kopf hängt eine unsichtbare Regenwolke. „Wenn man drei Prozent verliert und es doch keine rot-rote Koalition gibt, ist man schon ein bisschen enttäuscht. Feierstimmung kam gestern natürlich nicht auf“, sagt Lutze, der auch Mitglied im Landesvorstand der Partei ist. Die Linke gehört mit 12,9 Prozent erreichten Stimmen genau wie die SPD, die nur 29,6 Prozent einfahren konnte, zu den Verlieren der saarländischen Landtagswahl. Die Grünen und die FDP schafften es erst gar nicht in den Landtag.

Einige Prognosen hatten eine leichte Mehrheit für eine rot-rote Koalition vorhergesagt. Die Wahlen im kleinsten Flächenstaat der Republik galten für viele als Lackmustest für den Auftakt des Superwahljahrs 2017. Hätte es die SPD nach der Kanzlerkandidatur von Martin Schulz geschafft, die christdemokratische Regierung im Saarland zu stürzen – das wäre ein deutliches Signal für Berlin gewesen.

Doch die SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger konnte nicht liefern und verpasste ihr Ziel im Saarland deutlich. In der Geschäftsstelle der SPD-Landtagsfraktion in Saarbrücken ist die Stimmung daher kaum besser als beim Linken-Abgeordneten Lutze. Als „ernüchtert“ beschreibt Stefan Pauluhn, Fraktionsvorsitzender der Saar-SPD, seine Gemütslage. Dabei sei er durch seine bodenständige Art ohnehin davor gefeit, sich von Euphoriewellen mitreißen zu lassen. „Weil ich ein eher nüchterner Typ bin, war der Fall in die Ergebnisrealität nicht so tief“, sagt Pauluhn.

Seit 1999 ist er Mitglied der SPD-Fraktion im Saarland. Nun sitzt er in seinem Büro und überlegt, warum die CDU so viele Menschen, darunter etliche Nichtwähler, mobilisieren konnte. War es die kommunistische Angstkampagne, die die politischen Wettbewerber im Wahlkampf gespielt hatten? Bei der FDP hatte man von DDR 2.0 gesprochen. Volker Kauder, Unions-Fraktionschef im Bundestag, hatte den Sozialdemokraten vorgeworfen, sich „den Kommunisten an den Hals zu werfen“.

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„Wir hatten rot-rot ja schon einmal eine Absage erteilt“, sagt Pauluhn dazu. Er finde es grundsätzlich gut, vor der Wahl keine Koalitionsaussage getroffen zu haben und damit nicht in die Ausschließeritis gefallen zu sein. „Vielleicht“, räumt er dennoch ein, „hätten wir im Januar deutlicher machen sollen, dass die Große Koalition unsere erste Option ist“. Selbst der groß gewachsene Linke Lutze sagt dazu: „Es mag sein, dass die Aussicht, mit uns Linken zu koalieren, der SPD Probleme verursacht hat.“

Aber was wäre die Alternative gewesen? Hätte die SPD ein Monogamieversprechen Richtung CDU gegeben, hätten die Christdemokraten ihre Verhandlungsmacht ausspielen und möglicherweise schon im Wahlkampf die politischen Inhalte diktieren können. Zumindest hätte das für die Wähler so ausgesehen. Pauluhn wirkt an diesem Montag Vormittag etwas ratlos. Er glaubt, dass die Option auf Rot-Rot nötig war, um sich gegenüber der CDU zu emanzipieren. Gleichzeitig habe genau das der CDU viele Wähler zugespielt. Eine Zwickmühle, die auch für die Bundes-SPD nicht unbekannt sein dürfte.

SPD-Chef Martin Schulz beeilte sich denn auch, das Ergebnis nicht als negatives Vorzeichen für das Wahljahr 2017 zu werten. Es wäre „nicht nur falsch, sondern auch fahrlässig“, daraus Schlüsse für die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sowie für die Bundestagswahl im Herbst zu ziehen, sagte er in Berlin.

Auch für Petra Berg, die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion, sei der Abend „enttäuschend“ verlaufen. „Wir sind hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Wir haben uns etwas Besseres gewünscht und auch verdient.“ Der Amtsbonus der beliebten Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer habe der CDU geholfen, genau wie das rot-rote Schreckgespenst.

Am Montagabend werden die Saar-Genossen in ihrer Fraktionssitzung die Lage analysieren. Besprechen, was man hätte besser machen können – und wie es weitergehen soll. Anke Rehlinger führt heute im Willy-Brandt-Haus in Berlin Gespräche mit den Strippenziehern der Partei. Über den alten, neuen Koalitionspartner CDU sagt sie: „Ich gehe davon aus, dass wir uns ganz undramatisch zusammensetzen und den weiteren Fahrplan besprechen“. Bis zum 25. April soll sich der neue Landtag, in den auch die AfD mit 6,5 Prozent eingezogen ist, zusammensetzen. „Vielleicht“, macht sich eine frustrierte Mitarbeiterin der SPD-Geschäftsstelle Mut, „war ja auch einfach noch keine Wechselstimmung“.

KONTEXT

Kommentare zur Saarland-Wahl

"Times" (London)

"Das war eine Überraschung, nachdem die rivalisierende SPD in bundesweiten Umfragen um zehn Prozentpunkte zugelegt hat, seit Martin Schulz, der Ex-Präsident des Europaparlaments, ihr Kanzlerkandidat wurde. Ein landesweites Wiederaufleben der SPD bereitet Angela Merkel Kopfzerbrechen bei ihrem Versuch, nach den Wahlen am 24. September erneut Bundeskanzlerin zu werden. Hingegen ist die SPD nun im Saarland abgerutscht. Das wird auch Merkels Verbündeten in der EU Mut machen."

"La Repubblica" (Rom)

"Die Wahl und der Sieg der CDU im Saarland zeigen, dass es keinen Schulz-Faktor gab. (...) Die Wahl bestätigt grundlegend die Beliebtheit der Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und das Vertrauen der Wähler in ihre Arbeit. Aber vor allem friert es den Enthusiasmus der SPD nach dem Boom in den Umfragewerten wegen der Kanzlerkandidatur von Martin Schulz ein."

"Der Standard" (Wien)

"Die Sozialdemokraten haben nicht massiv verloren, das ist ja schon mal was. Man kennt sehr viel desaströsere Wahlabende. Doch es ist auch nicht das passiert, was viele sich erhofft haben: dass der Schulz-Effekt so groß ist und zum Auftakt des Superwahljahres gleich einmal die SPD im Saarland in lichte Höhen zieht."

"Neue Züricher Zeitung"

"Nein, es ist nicht zur Schulz-Sensation gekommen. Der als Retter der SPD von Brüssel nach Berlin gewechselte neue Parteichef vermochte zwar die Wähler stark zu mobilisieren. Doch das Gleiche ist auch auf der Gegenseite geschehen. Die Politik ist dank ihm wieder interessanter, strittiger, wichtiger geworden. Die politischen Sachfragen hat der ganz auf Emotionen und Spektakel setzende Schulz bisher aber kaum beeinflusst."

"Saarbrücker Zeitung"

"Die CDU Deutschlands hat mit Annegret Kramp-Karrenbauer einen neuen Star und die SPD mit Martin Schulz einen Hoffnungsträger, der gerade seinen ersten harten Dämpfer erhalten hat. (...) Selbst Schulz spricht von einem "Kramp-Karrenbauer-Effekt" - eine starke Form der Anerkennung durch den neuen SPD-Chef und Kanzlerkandidaten."

"Sueddeutsche Zeitung"

"Hype kommt, Hype geht. In einer Demokratie zählt nicht der Hype, sondern das Wahlergebnis. Und das bleibt für die SPD im Saarland weit hinter dem Hype zurück. Die Begeisterung für die Martin-Schulz-SPD ist in den Umfragen brausender, als sie sich im Saarland zeigt."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung"

"Jetzt machten die im Schulz-Rausch vollkommen enthemmte Sozialdemokraten die Saar-Wahl zu einem Plebiszit über die Ambitionen ihres neuen Vorsitzenden auf die Kanzlerschaft. Zugleich sollten die Saarländer über die Machtoption der SPD befinden, zusammen mit der Linkspartei die Union aus der Landesregierung zu drängen. Was für ein kapitaler Fehler!"

"Rhein-Zeitung"

"Kramp-Karrenbauer, die mit ihrem geräuschlosen und sachlichen Regierungsstil ohnehin als Merkel von der Saar gilt, rückt spätestens mit diesem Wahlabend in den kleinen Kreis der möglichen Merkel-Nachfolger auf."

"Kölner Stadtanzeiger"

"Die Sozialdemokraten müssen sich nun erst einmal fragen, was die Saarland-Wahl für den Schulz-Hype bedeutet. Die Zweifel, ob allein die Schulz-Welle die SPD im Herbst ins Kanzleramt spülen kann, werden nun wachsen."

"Der Tagesspiegel"

"Sein (Schulz) Fokus auf die Gerechtigkeit findet großes Echo bei Wahlveranstaltungen. Doch bis in die Wahlkabinen reicht der Widerhall offenbar noch nicht. Ernüchtert steht die SPD etwa so da wie vor fünf Jahren."

"Handelsblatt"

"Eines ist seit Sonntag Abend klar: Den Sekt braucht die SPD jedenfalls für die Bundestagswahl noch nicht kalt zu stellen. Neben Schulz gab es noch eine Politikerin, die nicht zur Wahl stand, aber sich als Gewinnerin fühlen kann: CDU-Chefin Angela Merkel. Die Kanzlerin ließ sich vor allem von der CSU nicht treiben und behielt mit ihrem unaufgeregten Regierungsstil Recht."