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Kanzleramt will Schuldenbremse jahrelang aussetzen – Scholz zeigt sich offen für den Vorstoß

Helge Brauns Vorschlag einer längeren Aussetzung der Schuldenbremse stößt auch in der Union auf heftige Kritik. Solide Staatsfinanzen seien nicht verhandelbar, sagt der Chefhaushälter der Fraktion.

Um die interne Kritik an seinem Vorschlag zu besänftigen, hat Kanzleramtschef Braun noch einen anderen Vorschlag gemacht. Foto: dpa
Um die interne Kritik an seinem Vorschlag zu besänftigen, hat Kanzleramtschef Braun noch einen anderen Vorschlag gemacht. Foto: dpa

Überraschender Vorstoß aus dem Kanzleramt: Die Bundesregierung soll die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse in den kommenden Jahren weiter aussetzen und dafür das Grundgesetz ändern. Das hat Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt gefordert.

Braun, einer der engsten Berater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), verwies auf die finanziellen Belastungen infolge der Coronakrise. „Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“, so der Kanzleramtschef.

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Eigentlich hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) geplant, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Für Brauns Überlegungen zeigte sich der Vizekanzler am Dienstag jedoch offen. Es gebe mehrere Optionen, welche Antwort man im Bundeshaushalt mit Blick auf die finanziellen Herausforderungen gebe, erklärte Scholz.

Frühere Aussagen aus dem vorigen Jahr, er wolle im Bundeshaushalt 2022 die Schuldenregel wieder einhalten, wiederholte Scholz nicht. Stattdessen sagte er: „Für mich als Bundesfinanzminister ist klar: Ich lehne Kürzungen in den sozialstaatlichen Sicherungssystemen ab und werde die Investitionen weiterhin auf Rekordniveau halten, um für künftiges Wachstum und Beschäftigung zu sorgen.“

Scholz bezeichnete Brauns Vorstoß als einen „interessanten Gastbeitrag“. Der Kanzleramtschef habe darin einen Vorschlag des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aufgegriffen. „Neben vielen Vorzügen macht dieser Vorschlag hohe gesetzgeberische Eingriffe nötig, die einen breiten parteiübergreifenden Konsens voraussetzen“, erklärte Scholz offenkundig mit Blick auf die für eine Grundgesetzänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit.

Der Finanzminister verwies darauf, dass das Kabinett im Frühjahr die Eckwerte für den Haushaltsentwurf 2022 und die Finanzplanung bis 2025 beschließen werde. „Bis dahin muss klar sein, für welche Option wir uns entscheiden“, sagte Scholz. Wenn die Krise als Folge der Corona-Pandemie überstanden sei und die Weltwirtschaft wieder anziehe, „werden wir mittelfristig aus den neuen Schulden wieder herauswachsen können“.

In der Union galt die Einhaltung der Schuldenbremse im kommenden Jahr bisher als Ziel: Die Schuldenbremse sehen CDU und CSU als eine ihrer großen politischen Erfolge und haben sie bisher eisern verteidigt. Die schnelle Einhaltung der im Grundgesetz verankerten Regel galt eigentlich als Minimalziel, wenn schon die schwarze Null, also der Verzicht auf neue Schulden, nicht erreichbar ist.

Nun leitet Braun mit seinem Gastbeitrag einen finanzpolitischen Kursschwenk ein. Der Kanzleramtschef verbindet ihn mit dem Ruf nach einer Reform der Regel, die auch eine Grundgesetzänderung nötig macht.

Braun spricht sich nämlich dagegen aus, in den kommenden Jahren, wie 2020 und 2021 geschehen, die bestehende Ausnahme für Naturkatastrophen zu nutzen. Das würde ein „Tor zur dauerhaften Aufweichung der Schuldenregel“ öffnen, so der Kanzleramtschef. Denn es sei „völlig unklar“, wie lange die Pandemie eine Ausnahme von der Regel begründe.

„Erholungsstrategie für die Wirtschaft“

Braun fordert eine Neujustierung der Schuldenbremse für die Jahre nach Corona. „Deshalb ist es sinnvoll, eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der Schuldenregel vorschreibt“, schreibt Braun in dem Beitrag.

Die Schuldenbremse erlaubt dem Bund je nach Konjunkturlage einen begrenzten Verschuldungsspielraum. Im Jahr 2020 und im laufenden Jahr hatte der Bundestag für die Nutzung der Ausnahmeregel für Naturkatastrophen gestimmt. So konnte Finanzminister Scholz in 2020 ein Defizit von 130,5 Milliarden Euro machen. Für dieses Jahr plant er mit einer Neuverschuldung von rund 180 Milliarden Euro. Allerdings müssen diese Schulden nach der Regel im Grundgesetz auch wieder in den kommenden Jahren abgebaut werden. Das würde einen zusätzlichen Spardruck erzeugen.

Im Kanzleramt ist man offensichtlich zu der Einschätzung gelangt, dass ein solcher Defizitabbau nicht sinnvoll ist. Braun bezeichnet die längere Abweichung von der Schuldenbremse als eine „strategische Entscheidung zur wirtschaftlichen Erholung“.

Der durch die Grundgesetzänderung gewonnene Verschuldungsspielraum soll ermöglichen, finanzielle Zusatzbelastungen für Bürger und Unternehmen zu verhindern. „Um eine schnelle Erholung und einen verlässlichen Rahmen für Investitionen zu haben, ist es sinnvoll, die Sozialabgaben bis Ende 2023 zu stabilisieren und auch auf Steuererhöhungen zu verzichten“, schreibt der Kanzleramtschef.

Der Verzicht auf Steuererhöhungen ist ebenfalls ein Kernanliegen der Union – und das könnte für die Wahlkämpfer von CDU und CSU sogar noch wichtiger sein als das längere Aussetzen der Schuldenbremse. Ob es ausreicht, um die interne Kritik zu besänftigen, ist aber derzeit schwer vorherzusehen.

Brauns Vorschlag sorgt für heftige Diskussionen

Kaum war der Beitrag von Braun veröffentlicht, sorgte er in der Regierung und vor allem in der Union für Diskussionen. Sowohl in der Führung der Unionsfraktion wie auch im CDU-Vorstand hieß es, dass man im Vorfeld nicht eingebunden gewesen sei. Der Vorstoß sei nicht abgestimmt. In der Unionsfraktion wird am Dienstagnachmittag eine hitzige Debatte erwartet.

Der Chefhaushälter der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg, lehnte den Vorschlag ab: „Die Unionsfraktion im Bundestag hält an der Schuldenbremse im Grundgesetz fest. Solide Staatsfinanzen sind für die Unionsfraktion nicht verhandelbar“, sagte er am Morgen. Braun habe im Handelsblatt seine „persönliche Meinung“ geäußert.

Die Schuldenbremse habe sich bewährt, sagte Rehberg, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Sie steht für Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Ursache für die Eurokrise waren nicht zu wenige, sondern zu viele Schulden. Es ist trügerisch, die aktuell niedrigen oder negativen Zinsen als dauerhaft anzunehmen. Hohe Schulden bedeuten bei wieder steigenden Zinsen hohe Risiken für zukünftige Haushalte.“

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schrieb auf Twitter: „Die CDU bekennt sich klar zur Schuldenbremse.“ Sie habe die Grundlage dafür geschaffen, dass Deutschland in der Pandemie finanziell handlungsfähig sei und ermögliche flexibles Handeln in Notsituationen.

Ebenso hält die Ost-CDU den Vorstoß zur Aussetzung der Schuldenbremse für unnötig. Mario Voigt, der CDU-Fraktionsvorsitzende in Thüringen, sagte dem Handelsblatt: „Die Debatte um eine Lockerung der Schuldenbremse ist unnötig. Entscheidend bleibt, dass wir uns auch jenseits des aktuellen pandemischen Notstands mit soliden Staatsfinanzen die Grundvoraussetzungen für die Bewältigung künftiger Krisen erhalten.“

Der Mechanismus erlaube Ausnahmen bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. „Die aktuelle Pandemie ist so eine Störung“, so der Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in diesem Jahr. Für Voigt steht deshalb fest: „Wenn es klare Regeln für den Ausnahmefall gibt, muss man nicht das Gesamtsystem aufweichen. Die notwendigen Ausgaben bei der Bewältigung der Coronakrise machen sie nicht obsolet.“

Auch FDP-Chef Christian Lindner hat den Vorschlag von Braun heftig kritisiert. „Die Position des Kanzleramtschefs hat den Charakter einer finanzpolitischen Kapitulation“, sagte Lindner dem Handelsblatt. Die CDU warte jetzt nicht einmal mehr konkrete Zahlen für den Haushalt 2022 ab. „Sie nähert sich bei der geplanten Haushalts- und Finanzpolitik ganz gezielt der von den Grünen geforderten Schuldenpolitik an“, sagte Lindner.

Die Schuldenbremse sollte laut Lindner nicht aufgegeben, sondern im Gegenteil auf die in den Jahren vor Corona belasteten Sozialsysteme ausgedehnt werden. „Denn langfristig ist die Pandemie für die Staatsfinanzen nicht ruinöser als die Ausweitung von Subventionen und die Vernachlässigung der Wettbewerbsfähigkeit seit 2013.“ Für den FDP-Chef steht fest: „Wenn Errungenschaften in der Verfassung schon vor der Wahl aufgegeben werden, dann würde sich die Union nach der Wahl auch die Erhöhung von Steuern abhandeln lassen“.