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Kanzler Kurz hat Österreich in ein Corona-Versuchslabor verwandelt – und kassiert harsche Kritik

Österreichs Regierungschef hat seinen Ruf als souveräner Macher eingebüßt. In der Coronakrise agiert er zunehmen hektisch. Doch eine Alternative zu ihm gibt es derzeit nicht.

Österreichs Bundeskanzler pflegt sein Image als Macher. Dem ist er allerdings zuletzt nicht mehr gerecht geworden. Foto: dpa
Österreichs Bundeskanzler pflegt sein Image als Macher. Dem ist er allerdings zuletzt nicht mehr gerecht geworden. Foto: dpa

Warum nur hat Österreich 2020 wirtschaftlich schlechter abgeschnitten als Deutschland? Diese Frage beschäftigt derzeit nicht nur die Menschen in der Alpenrepublik, auch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ärgert sich darüber. Im vergangenen Jahr ist Österreichs Wirtschaft um 7,4 Prozent geschrumpft, Deutschland dagegen ist im Pandemiejahr mit einem Minus von fünf Prozent davongekommen.

Vor allem die Lockdown-Strategie von Kurz ist dabei in die Kritik geraten: „Das häufige Öffnen und Schließen in den vergangenen Monaten schafft keine Sicherheit“, sagt Markus Marterbauer von der Arbeiterkammer Wien. Und ergänzt: Der deutschen Regierung sei es besser gelungen, den Konsumenten Sicherheit zu vermitteln.

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Doch es gibt auch gegensätzliche Meinungen. Es sei zu einfach, bloß die österreichische Regierung für die Entwicklung verantwortlich zu machen. „Im Nachhinein hätte man es immer besser machen können“, sagt Franz Schellhorn, Chef des Thinktanks Agenda Austria.

Im November 2020 ist in Österreich früher als in anderen Ländern ein zweiter „harter“ Lockdown angeordnet worden. Kurz blieb damals nichts anderes übrig, als rasch zu handeln. Die Zahl der gemeldeten Corona-Infektionen war im internationalen Vergleich auf einen Rekordwert gestiegen. Mit dem „harten“ Lockdown wollte Kurz aber auch die Infektionsrate so weit drücken, dass die touristische Wintersaison stattfinden kann.

Doch dieser Plan ist nicht aufgegangen. Wie bereits im März 2020 fiel auch im Dezember der Skibetrieb aus. Und das ist eben mit ein Grund dafür, warum Österreich ökonomisch schlechter dasteht als das Nachbarland Deutschland. Wirtschaftlich hat der Wintertourismus in der Alpenrepublik ein relativ großes Gewicht.

In Hektik verfallen

Kurz hatte stets auf die sich verschlechternde Lage reagiert. Generell pflegt er sein Image als Macher – als jemand, der die Dinge in die Hand nimmt. Doch in letzter Zeit ist er vermehrt in Hektik verfallen. Und hat Österreich in eine Art ökonomisches Versuchslabor verwandelt. Immer wieder überraschte er mit neuen Ideen, wie man der Pandemie Einhalt gebieten und der Wirtschaft helfen könnte.

So schlug er Mitte November überraschend Massentests nach slowakischem Vorbild vor. Daran nahmen in einer ersten Phase aber nicht so viele Einwohner teil wie erhofft. Die Idee funktionierte erst, als Weihnachten näherrückte: Viele Österreicher ließen sich testen, um ihre Angehörigen nicht anzustecken.

Seither betreibt die Regierung eine Politik des „Nudging“: So durften am 8. Februar Läden und Friseurbetriebe wieder öffnen. Wer sich aber die Haare schneiden lassen will, muss vorher einen Coronatest machen. Dieser Anreiz war für Kurz endlich ein Erfolg. Derzeit werden im Land im Durchschnitt 220.000 Tests pro Tag durchgeführt – so viele wie wohl in keinem anderen Land in Relation zur Bevölkerung.

Der Politiker hofft nun, dass es mithilfe von flächendeckenden Tests bald möglich sein wird, Restaurants und Hotels zu öffnen. Aber auch in dieser Frage handelte Kurz erratisch: Zuerst sagte er, weitere Öffnungsschritte erfolgten „frühestens rund um Ostern“, dann war plötzlich schon von März die Rede.

Dieses Hin und Her ist vor allem in der Wissenschaft auf Kritik gestoßen. Der Epidemiologe Gerald Gartlehner etwa sagt, die Regierung folge in der Pandemiebekämpfung zu oft dem Prinzip von Versuch und Irrtum.

Keine Konkurrenz vorhanden

Das hat Kurz’ Glaubwürdigkeit zwar geschadet. Trotzdem gibt es keine Konkurrenten, die ihm gefährlich werden könnten. In einer aktuellen Umfrage erreichte die ÖVP einen Anteil von 37 Prozent, so viel wie bei den Wahlen von 2019.

Und auch die Wirtschaft hält zu Kurz. Als die Regierung Anfang Februar über die Aufweichung des Lockdowns beriet, zeigte sich, dass der Kanzler für sie ein offenes Ohr hat. Wissenschaftler rieten zwar dazu, den Lockdown zu verschärfen oder wenigstens zu verlängern. Aber Kurz entschied anders.

Aber so wenig Kurz die Pandemie politisch bisher geschadet hat: Mitte Februar geriet er aus heiterem Himmel in eine Angelegenheit, die ihn vollends kopflos agieren ließ. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat am 11. Februar bei Finanzminister Gernot Blümel eine Hausdurchsuchung durchgeführt: Einer der engsten Vertrauten von Kurz steht nun im Verdacht, bestechlich zu sein.

Die WKStA führt Blümel als Beschuldigten in Ermittlungen rund um den Glücksspielkonzern Novomatic. Es besteht der Verdacht der Bestechung und Bestechlichkeit. 2017 soll ein Manager des Konzerns Parteispenden angeboten haben – im Gegenzug für Hilfe angesichts drohender Steuernachforderungen im Ausland.

Blümel hatte sich zuletzt mit einer eidesstattlichen Erklärung gegen die Vorwürfe gewehrt. Darin bestreitet er Parteispenden seitens der Firma an die Wiener ÖVP, seitdem er dort Landesvorsitzender ist. Auch Kurz bestreitet, Geld angenommen zu haben.

Gleichzeitig ließ sich der Kanzler aber zu einem Angriff auf die WKStA hinreißen, der wenig souverän wirkte: „Es hat so viele Verfehlungen gegeben, dass ich glaube, dass es dort dringenden Änderungsbedarf gibt“, sagte er. Viele Richter und Anwälte empfanden das als einen Übergriff auf die Justiz.

Die Pandemie werde spätestens im Frühherbst ausgestanden sein, glauben die Österreicher. Anders dürfte es sich mit der Novomatic-Affäre verhalten: Sie wird die Regierung wohl noch länger beschäftigen.