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Harris hatte die besseren Argumente, Pence blieb cool

Die Debatte der Vizekandidaten ist deutlich zivilisierter abgelaufen als die zwischen Trump und Biden. Das zeigt: Es ist tatsächlich machbar, in diesem aufgeheizten Wahlkampf über Inhalte zu sprechen.

Eigentlich ist es ein schlechtes Zeichen, wenn eine Fernsehdebatte von einem Insekt bestimmt wird. Für mehrere Minuten hatte sich beim TV-Duell zwischen Kamala Harris und Mike Pence eine Fliege auf dem Kopf des Vizepräsidenten verirrt, was das im Internet kommentierende Publikum zu teils gar guten Witzen animierte.

Man könnte das als albern und irrelevant abtun, doch die Fliegen-Episode sorgte für einen raren Moment der Leichtigkeit in der sonst so angespannten amerikanischen Tagespolitik. Und Leichtigkeit war etwas, das man nach dem Fernsehduell zwischen den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Joe Biden, das von Chaos und Attacken geprägt war, nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Und noch etwas blieb von der Debatte der Kandidaten für die Vizepräsidentschaft hängen: Es ist tatsächlich machbar, in diesem aufgeheizten Wahlkampf über Inhalte zu sprechen. Das allseits bestimmende Thema der Vizekandidatenrunde war die Corona-Pandemie, die in den USA sieben Monate nach Ausbruch noch immer nicht unter Kontrolle ist – und auch zu keinem Zeitpunkt war.

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Bidens Stellvertreterin Harris eröffnete die Debatte mit einem kraftvollen Appell gegen die Trump-Regierung. „Sie haben noch immer keinen Plan. Sie haben ihr Recht verwirkt, wieder zu regieren“, prangerte sie an.

„Können Sie sich vorstellen, was Millionen US-Bürger gemacht hätten, wenn sie die Informationen gehabt hätten, die Donald Trump hatte?“ fuhr sie fort. Im September war herausgekommen, dass Trump die Risiken der Pandemie von Anfang an bewusst öffentlich herunterspielte.

Pence ist das seriöse Gesicht der Trump-Regierung

„Was auch immer Ihre Regierung getan hat, es hat nicht funktioniert“, sagte Harris an Pence gerichtet, beide trennte eine Plexiglasscheibe. „Die 210.000 Leichen sprechen für sich. Und wegen der Inkompetenz der Regierung stehen Millionen Menschen vor dem existenziellen Bankrott.“

Die Folgen des Virus haben in den USA eine historische Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit ausgelöst, im Vergleich zum Frühjahr fehlen zehn Millionen Jobs. Am Dienstag hatte Trump die Verhandlungen mit dem US-Kongress über einen billionenschweren Stimulus einseitig aufgekündigt.

Für Trumps Vizepräsidenten war es schwer, darauf mit Fakten zu kontern. Also versuchte er es mit einem Rezept, das bei Trumps hartem Kern der Anhänger bislang funktioniert: Selbstbewusstsein verbreiten und in die Offensive gehen. „Präsident Trump verhing als erster Präsident überhaupt einen Reisebann gegen China, den Joe Biden zunächst als nutzlos verspottete“, konterte Pence.

„Es ist kein Tag vergangenen, an dem wir nicht an die amerikanischen Familien gedacht und sie in unsere Gebete eingebunden haben“, fuhr er fort. „Präsident Trump vertraut den Menschen, verantwortungsvolle Entscheidungen für sich zu treffen. Wir trauen ihnen ihre Freiheit zu. Und wir werden sehr, sehr bald eine Impfung haben“, versprach er.

  • Lesen Sie hier die Debatte im Live-Blog nach.

Biden und Harris warf er vor, das Vertrauen der Bevölkerung in einen Impfstoff zu „untergraben“. Die Demokraten hatten kritisiert, dass das Weiße Haus klinische Studien für eine Covid-Impfung im Turbotempo vorantreibe. „Sie spielen mit Menschenleben, das ist inakzeptabel“, sagte Pence.

Harris wollte das nicht auf sich sitzen lassen. „Wenn Trump mir einen Impfstoff anbietet, nehme ich ihn auf keinen Fall. Wenn Dr. Fauci das macht, bin ich die Erste, die sich impfen lässt.“ Harris spielte damit auf die Kluft zwischen dem Präsidenten und dem Chef der US-Infektionsbehörde, Anthony Fauci, an. Das Weiße Haus hatte die Kompetenzen des Topwissenschaftlers im Laufe der Pandemie drastisch beschnitten.

Im Laufe der Diskussion wurde deutlich, dass sich die Kontrahenten in Stil und Haltung immens unterscheiden. Als unerschütterlich loyaler Vizepräsident ist der 61-jährige Pence der wichtigste Mann für Trump, er braucht ihn als Bindeglied zum republikanischen Establishment im Mittleren Westen und zur Szene der Großspender.

Er ist das seriöse Gesicht der US-Regierung und bringt Kernbotschaften abseits des politischen Durcheinanders unters Volk, wie die Steuerreform und christliche Werte. Außenpolitisch fiel er mit Brandreden gegen China, aber auch gegen Deutschland auf, etwa zum 70-jährigen Nato-Geburtstag, als er minutenlang über das deutsche Verteidigungsbudget schimpfte.

Wird Harris die erste Präsidentin der USA?

Parallel bindet Pence die evangelikale Basis, die für Trumps Zustimmungswerte entscheidend ist. Pence ist tief religiös, kämpft gegen Abtreibungen und die gleichgeschlechtliche Ehe, und er hält sich nach eigenen Angaben aus religiösen Gründen nie mit einer Frau allein in einem Raum auf, es sei denn, es handelt sich um seine Ehefrau Karen.

Die 55-jährige Harris repräsentiert in vielen Aspekten das Gegenteil – und soll diverse, jüngere Wählergruppen binden, die Biden womöglich nicht erreicht. Sie ist eine mächtige politische Figur der demokratischen Linken aus Kalifornien, wo sie bis 2017 als Generalstaatsanwältin arbeitete. Im US-Senat profilierte sie sich in den Ausschüssen für Justiz, innere Sicherheit und Haushalt, vor allem über pointierte, messerscharfe Fragen in Anhörungen.

Sie ist erst die dritte Frau, die in der Geschichte der USA als Vizekandidatin nominiert wurde, und sie ist die erste Vizepräsidentschaftskandidatin mit Einwanderungshintergrund. Ihr Vater stammt aus Jamaika, ihre Mutter aus Indien, beide kamen Anfang der Sechzigerjahre in die USA. Im Vorwahlkampf der Demokraten, wo sie sich auf die Präsidentschaftskandidatur bewarb, schnitt sie schlecht ab, auch im laufenden Wahlkampf trat sie neben Biden in den Hintergrund.

In Demokraten-Kreisen wird ihre Kandidatur trotzdem positiv betrachtet. Denn Biden hat angedeutet, er wolle womöglich nur eine Amtszeit absolvieren, was den Weg für Harris ins Weiße Haus ebnen könnte.

Genau beobachten muss man sowohl Harris als auch Pence, denn ihre ohnehin wichtigen Rolle könnte noch wichtiger werden. Viele Vizepräsidenten kandidieren später für die Präsidentschaft, so wie es auch Biden, der Barack Obamas Stellvertreter war, tat. Und allein das Alter von Trump, 74, und Biden, 77, macht es nicht unwahrscheinlich, dass ihre Stellvertreter unter Umständen einspringen müssen.

Trump hat sich nach eigenen Angaben von seiner Corona-Erkrankung erholt, ist aber noch immer infiziert. Und sollten Biden und Harris die Wahlen im November gewinnen, wäre Harris eben eine realistische Anwärterin auf die Präsidentschaft im Jahr 2024.

Offen darüber reden wollten die Vizes im Studio allerdings nicht. Moderatorin Susan Page erfragte mehrfach, welche Absprachen die Stellvertreter mit Biden und Trump getroffen hätten – ohne Erfolg.

Die Dynamik vor den Kameras ließ erahnen, mit welchen Strategien die beiden Lager die letzten Wochen bis zu den Wahlen prägen wollen. Harris versuchte, einen scharfen Kontrast zur Trump-Regierung zu ziehen. „Trump weiß gar nicht, was es heißt, ehrlich zu sein“, sagte sie.

Schlag auf Schlag arbeitete sie sich an allen Krisen der Trump-Regierung ab: der Russlandaffäre, dem Verfahren zur Amtsenthebung, dem „verlorenen Handelskrieg“, Trumps Aufruf zur Wahlmanipulation – und an seinem Bruch mit internationalen Partnern. „Trump hat unsere Freunde in der Nato entfremdet“, kritisierte Harris. „Er hat uns aus dem Irandeal herausgeholt. Aber stehen wir wirklich besser da? Wir standen einst an der Seite unserer Freunde und Partner, jetzt sind wir weniger sicher.“

Unter Biden würden die USA „mit Stolz ins Pariser Klimaabkommen zurückkehren“, versprach sie.

Pence ließ sich davon nicht einschüchtern. „Wir sind noch immer an der Seite unserer Partner, aber wir sind fordernd“, sagte Pence ruhig. Trump habe IS-Anführer Al-Baghdadi töten lassen und die israelische Botschaft nach Jerusalem verlegt, betonte er gelassen, um sogleich zur Innenpolitik zurückzukehren.

„Schon wieder verschweigt Frau Harris, dass sie und Joe Biden die Steuern erhöhen werden“, fuhr er fort. „Wir brauchen für amerikanische Unternehmen keine Beschränkungen und Regulierungen, die Jobs vernichten.“

Die Demokraten haben einen billionenschweren Klimaschutzplan vorgelegt, der teilweise mit einer höheren Besteuerung von Superreichen bezahlt werden soll. Trump hat die Folgen des Klimawandels mehrfach öffentlich geleugnet. Pence räumte zumindest ein, dass sich „das Klima verändert“, es gehöre aber zum Stolz der USA, die Herausforderungen „mit Innovationen anstatt mit Einschränkungen zu meistern“.

So oder so ähnlich debattierten sich die Gegner durch alle kontroversen Themen, von der Besetzung des Supreme Courts bis zu den Protesten gegen Polizeigewalt. Harris hatte die stärkeren Argumente auf ihrer Seite, doch Pence hatte das Talent, pastoral über alle Krisen der Trump-Regierung hinwegzusprechen. Ein Satz wie „Sie werden amerikanische Jobs vernichten“ klang bei Pence so, als würde er die Eiskarte vorlesen.

Zwischendurch machte er es Harris schwer, ihn zu attackieren. „Ich respektiere Ihre Karriere, ich bin beeindruckt davon“, sagte er etwa. Das war ein krasser Kontrast zur Kampagne seines Chefs. Trump verunglimpft Harris in E-Mails an Millionen Unterstützer als „scheußlich“ und „Lügnerin“.

Laute Töne sind nicht der Stil von Pence, stattdessen schien er den Eindruck verbreiten zu wollen, man habe alles im Griff im Weißen Haus. Auch, wenn die Twitter-Tiraden Trumps etwas anderes vermuten lassen.

Mehr: Wie sich die USA und Deutschland unter Trump entfremdeten.