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Die jungen Spanier sind eine verlorene Generation

Die Coronakrise ist für die Millennials schon die zweite große Rezession in ihren jungen Karrieren. In Spanien hat das besonders gravierende Folgen – politisch wie ökonomisch.

Agustin Moreno sammelt Uniabschlüsse wie andere Trophäen. Nach einem Politologie-Studium beendet der 27-Jährige im September ein kombiniertes Jura- und BWL-Studium. Er hat eine Zeit in Italien studiert, Praktika in Mexiko und Großbritannien absolviert.

Eine Stelle findet er in Spanien damit trotzdem nicht. „Ich habe mich immer wieder beworben, aber mir wurden nur Hilfsjobs an Hotelrezeptionen oder in Restaurants angeboten“, erzählt er. „Es ist ein Teufelskreis: Entweder du nimmst schlecht bezahlte Jobs an, die nichts mit deiner Qualifikation zu tun haben. Oder du bleibst ewiger Student. Eine gute Lösung gibt es nicht.“

Es ist nicht so, dass Agustin das leichte Studentenleben so genießt. Er lebt bei seinen Eltern und ist bis auf ein Zubrot, das er sich in den Semesterferien verdient, finanziell von ihnen abhängig. „Ich habe Glück, dass meine Familie mich unterstützt, aber ich würde viel lieber arbeiten und eine eigene Wohnung haben.“

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Jetzt macht die Coronakrise seine Jobsuche noch schwieriger. Die Lösung, die Agustin dafür parat hat, ist eine weitere Trophäe: „Ich mache wahrscheinlich noch eine Zusatzausbildung zum Anwalt. Das ist immer noch besser als ein Job, in dem ich nur Fotokopien mache“, sagt er reichlich desillusioniert.

Die Geschichte von Agustin ist eine, wie sie unzählige junge Spanier erzählen könnten. Es sind Geschichten einer „verlorenen Generation“. Einer Generation, die in der Finanz- und Immobilienkrise im Jahr 2008 gerade ins Berufsleben eingestiegen ist, oder besser: einsteigen sollte.

Und jetzt erlebt diese Generation mit der Corona-Pandemie eine zweite, in ihrer Dimension kaum erfassbare Krise. Was aber bedeutet es für eine Volkswirtschaft, wenn junge Menschen, also die Zukunft, ihrer Zukunft beraubt werden? Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn junge Menschen das Gefühl haben, dass die Politik vor allem jenen dient, die schon im Arbeitsmarkt etabliert sind, und nicht jenen, die überhaupt erst reinkommen wollen beziehungsweise müssen?

Während der Finanzkrise flüchteten viele junge ausgebildete Menschen nach Deutschland, wo man ihnen das bot, was sie in ihrer Heimat nicht mehr vorfanden: eine berufliche Perspektive. In der jetzigen Krise gibt es nicht einmal mehr diese Option. Denn inzwischen ist auch in Deutschland die Lage für junge Arbeitnehmer schwierig.

Studien zeigen, dass Menschen, die in ihren ersten Berufsjahren eine schwere Rezession erleben, besonders lange und heftig unter den Folgen leiden. In Spanien ist ihre Lage wegen der ungleichen Struktur des Arbeitsmarkts besonders schwierig. Ein Großteil dieser Generation, die heute um die 30 Jahre alt ist, hat sich von der letzten Krise noch nicht erholt und steckt nun schon in der nächsten. Viele von ihnen werden in ihrem Arbeitsleben kaum den Wohlstand erreichen, der für ihre Eltern noch selbstverständlich war: mit dem Kauf einer Wohnung oder der Gründung einer Familie.

Das Grundproblem ist der duale Arbeitsmarkt

Junge Spanier gehören seit Jahrzehnten zu den Verlierern am Arbeitsmarkt: Auf dem Höhepunkt der vergangenen Krise waren 55 Prozent arbeitslos. Ein Großteil hatte zuvor die Schule abgebrochen, um schnelles Geld auf dem Bau zu verdienen.

Als die Immobilienblase platzte, standen sie auf der Straße, und die Branche erodierte. „Viele von ihnen arbeiten heute im Tourismus oder im Gastgewerbe, wo sie ebenfalls keine Ausbildung brauchen“, sagt José Ignacio Conde Ruiz von der Business-School Esade in Madrid. Genau das aber sind die Branchen, die auch in der Coronakrise am stärksten leiden. Sie stellen zudem typischerweise Saison-Verträge aus und bieten damit per se unsichere Arbeitsverhältnisse.

Zwar war die Jugendarbeitslosigkeit Ende 2019 auf 31 Prozent gesunken. Doch die Statistiken zeigen nur die halbe Wahrheit. Probleme haben in der Generation, die besser ausgebildet ist als jede zuvor, nicht nur die Ungelernten. „Junge Akademiker finden nur schwer eine Stelle, die ihren Qualifikationen entspricht und ein angemessenes Gehalt sichert“, sagt Arbeitsmarktexperte Marcel Jansen von der Autonomen Universität Madrid. Daran hat auch das starke Wachstum der spanischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren nichts geändert.

Das hat vor allem strukturelle Gründe. Auf der einen Seite schützen rigide Kündigungsregeln die festangestellten Mitarbeiter besonders gut. Ein Viertel der Verträge aber ist nur zeitlich befristet und in der Regel schlecht bezahlt.

Gerade sie werden überdurchschnittlich häufig den Jungen angedient: 58 Prozent der 20- bis 39-Jährigen steckt in einem solchen „Müllvertrag“, wie die Spanier ihn nennen. Gerade in einer Krise ist das fatal, denn die befristet Beschäftigten stehen sofort auf der Straße, wenn ihre Verträge auslaufen. Die ersten Daten der Coronakrise zeigen das: Die Hälfte der rund eine Million Jobs, die in Spanien bislang der Pandemie zum Opfer fielen, war die von unter 35-Jährigen.

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez beschrieb am vergangenen Samstag die Existenz von zwei Spanien. In dem einen hätten die Menschen trotz Krise sichere Jobs und Ersparnisse. Das andere sei „ein Spanien mit Narben, die von der vergangenen Wirtschaftskrise noch offen sind“, so Sánchez. „Ein Spanien der armutsgefährdeten Familien, der Verwundbarkeit und der jungen Menschen, die, wenn sie beginnen, nach einer Krise den Kopf zu heben, unter den Folgen einer anderen leiden.“

Ich musste mich entscheiden: Zahle ich meine Rechnungen, oder suche ich einen Job in meinem Beruf?“

Víctor Valdivielso arbeitet als Gabelstaplerfahrer in einem Lager für Lebensmittel. Der 34-jährige Grafikdesigner hat unter anderem in Deutschland studiert, aber nie eine Arbeit in seinem Bereich gefunden. „Ich musste mich entscheiden: Zahle ich meine Rechnungen, oder suche ich einen Job in meinem Beruf?“, sagt er – und entschied sich notgedrungen für die Rechnungen.

Er arbeitet mit immer neuen befristeten Verträgen bei demselben Unternehmen. „Zu Weihnachten, wenn viel Arbeit anfällt, kriege ich einen Vertrag über drei oder vier Monate. In der übrigen Zeit laufen sie über eine oder zwei Wochen“, erzählt er. Mal hat er damit sieben Monate im Jahr Arbeit, mal sind es zehn.

Víctor verdient 1800 Euro – das ist viel in Spanien. Davon zahlt er seine Miete und spart in den Monaten, in denen er Arbeit hat, für die anderen. „Am Anfang war das hart, aber man gewöhnt sich daran. Ich habe kein Geld für ein Auto oder lange Urlaubsreisen und könnte auch keine Hypothek für eine Wohnung aufnehmen. Aber es hilft ja nichts – das ist das, was nach der Krise möglich ist“, sagt er.

Die Hoffnung, doch noch eine Stelle als Werbedesigner zu finden, hat er aufgegeben. „In dem Job muss man ständig auf dem neuesten Stand sein. Ich halte mich zwar auf dem Laufenden, weil ich nicht will, dass all die Zeit und das Geld für das Studium umsonst waren“, sagt er. „Aber Design ist jetzt mein Hobby, ich erledige kleine Aufträge für Freunde oder die Familie, das ist alles.“

María Rodríguez Alcázar kennt das Dilemma, aus dem viele junge Spanier nicht herausfinden. „Berufseinsteiger brauchen Erfahrung im Job und arbeiten deshalb für wenig Geld oder machen unbezahlte Praktika“, sagt die Vizepräsidentin des spanischen Jugendrats, einer staatlichen Plattform von Jugendeinrichtungen. „Die Firmen wissen das und nutzen die Lage aus.“

Nach einer Studie der Caixabank sind die Gehälter in Spanien von 2008 bis 2016 insgesamt um sechs Prozent gestiegen. Für die Jungen aber sind sie gesunken: bei den 20 bis 24-Jährigen um 15 Prozent und bei den 25- bis 29-Jährigen um neun Prozent. Das Durchschnittgehalt von jungen Spaniern lag bei der letzten Erhebung Anfang 2019 bei 933 Euro – gerade eben über dem damals geltenden Mindestlohn von 900 Euro.

Für eine eigene Familie fehlt oft das Geld

„Dieser Generation fehlt jegliche Stabilität und Sicherheit“, sagt Estaban Sánchez Moreno, Soziologe an der Complutense-Universität in Madrid. Das führt dazu, dass sie wie Agustin lange bei ihren Eltern lebt. Erst mit 30 Jahren ziehen Spanier von zu Hause aus, der EU-Durchschnitt liegt bei 26 Jahren. Und dahinter stehen nicht in erster Linie die südländischen Familienbande: Der Anteil, derjenigen, die bei ihren Eltern leben, ist seit der Immobilienkrise kontinuierlich gestiegen.

Neben den geringen Einkommen sind dafür die steigenden Mieten verantwortlich. Der Kauf eines Eigenheims – der in Spanien bislang zum klassischen Lebensentwurf gehörte – ist für viele dieser Krisen-Generation unerreichbar. 2005 lag die Eigentumsquote in Spanien bei 81 Prozent. Wer Erspartes hatte, investierte es in die eigenen vier Wände. Inzwischen ist die Quote auf 76 Prozent gefallen.

Nach einer Studie der spanischen Zentralbank hat sich der Anteil der Familien, deren Hauptverdiener jünger als 35 Jahre ist und die zur Miete wohnen, von 2011 bis 2017 auf 43 Prozent nahezu verdoppelt. Zwar wohnt auch rund die Hälfte der Deutschen nicht in der eigenen Immobilie. Doch in Spanien fressen die steigenden Mieten die geringen Einkommen auf: Der Anteil derjenigen, die mehr als 30 Prozent ihres Gehalts für die Miete ausgeben, ist in dem Zeitraum von sechs auf 14 Prozent gestiegen.

Die Zentralbank weist auf die möglichen negativen Folgen für die Familiengründung hin. Viele Spanier schieben sie vor sich her oder verzichten ganz darauf: Die Geburtenrate in Spanien ist 2019 auf den tiefsten Stand seit den 40er-Jahren gefallen. Mit dem Verzicht auf Nachwuchs lösen sich nicht nur persönliche Lebenspläne in Luft auf. Der Trend verstärkt auch die Überalterung der spanischen Gesellschaft und die wachsende Lücke in der Rentenkasse.

Die spanische Regierung, aber auch die EU sollten sich speziell um diese Generation kümmern“

Toni García ist 35 Jahre alt, hat Philosophie und Verlagspraxis studiert und seinen ersten Job 2007 in einem kleinen Buchverlag begonnen. „Ich habe damals 1000 Euro verdient und dachte, das ist o. k. für den Anfang. Doch ein Jahr später kam die Krise und hat mein Gehalt eingefroren“, erzählt er.

Nach vier Jahren reichte es ihm – er ging mit einem staatlichen Austauschprogramm ins Ausland, arbeitete zurück in Spanien als selbstständiger Lektor und Kulturmanager und heuerte 2015 im Madrider Rathaus an, in dem damals die linke Partei „Ahora Madrid“ regierte. „Der Ethik-Kodex sah vor, dass wir 40 Prozent unserer Einnahmen spendeten, aber ich habe trotzdem mehr verdient als je zuvor“, sagt er.

Dann kam sein erstes Kind auf die Welt, er nahm sich eine Auszeit und „Ahora Madrid“ verlor 2019 die Kommunalwahl. Als Vater sucht er jetzt eine Anstellung im öffentlichen Dienst. „Ich brauche mehr Sicherheit und ein regelmäßiges Gehalt, das habe ich in der Privatwirtschaft nie gefunden“, sagt er. Er hat an mehreren Ausschreibungen für Stellen in Bibliotheken oder Museen teilgenommen.

Doch die liegen nun wegen der Coronakrise auf Eis. Parallel dazu versucht er, als selbstständiger Lektor Geld zu verdienen, und hatte just im Februar endlich einige Aufträge in Aussicht. „Aber die Coronakrise hat alle Projekte gestoppt“, sagt er. Jetzt weiß er abermals nicht, wie es weitergehen soll. „Ich mache mir schon Sorgen um unsere Zukunft – wir können gar nichts planen, weil wir nicht wissen, wie es morgen weitergeht“, sagt er.

„In Spanien ist der Schaden bei der jungen Generation besonders groß. Die Lage ist für sie sehr frustrierend“, sagt Arbeitsmarktexperte Jansen. „Die spanische Regierung, aber auch die EU sollten sich jetzt speziell um diese Generation kümmern“, fordert er. „Wir brauchen einen sozialen Wohnungsbau und Programme, die den Jungen helfen, ohne die Hilfe ihrer Eltern klarzukommen.“

Eine erste grundlegende Reform hat Sánchez als Hilfe für das zweite Spanien auf den Weg gebracht: Seine Regierung führt zeitlich unbefristet eine nationale Sozialhilfe ein, die es bislang in Spanien nicht gab. Das sogenannte „minimale Lebenseinkommen“ wird ab Juni 850.000 Haushalten ausgezahlt umfasst je nach Lebenssituation zwischen 460 und 1100 Euro Hilfen pro Monat. Geplant war die Reform ohnehin, die Coronakrise hat sie beschleunigt.

Ökonom Conde Ruiz fordert zudem ein grundsätzliches Ende der befristeten Arbeitsverträge – weil sie nicht nur den Beschäftigten schadeten, sondern auch der Wirtschaft. „Sie senken die Produktivität der Unternehmen“, sagt er. „Ständig wechselnde Mannschaften sind nicht so effizient wie eingespielte Teams.“

Es gab allerdings bereits zahlreiche Vorstöße, diese Dualität auf dem Arbeitsmarkt zu beenden. Bislang vergebens.

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