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Junckers Euro-Fantasien

Die Forderung von EU-Kommissionschef Juncker, den Euro auf die gesamte EU auszudehnen, zeugt von wirtschaftlicher Desorientierung. Hat der Mann denn gar nichts verstanden?

Es gibt Tage, da erlebt Europa Großes. Große Reden zum Beispiel. Heute war so ein Tag. Jean-Claude Juncker, der Chef der EU-Kommission, hielt eine große Rede – eine Rede voll mit großem Unsinn.

Wer sie liest, kommt rasch zu der Erkenntnis, dass Juncker nicht nur bar jeder ökonomischen Kenntnis ist, sondern hermetisch abgeschirmt vom Alltag der Normalbürger in der Brüsseler Echokammer lebt. Als gäbe es keine Euro-Krise, keinen Brexit und keine Zentrifugalkräfte in Osteuropa, fordert er, den Euro auf alle EU-Länder auszuweiten. Das sei nötig, „wenn wir wollen, dass der Euro den Kontinent eint statt spaltet“, sagte Juncker.

Bei der Lektüre dieses Satzes fragt man sich, ob der Verfasser beim Schreiben seiner Rede zu tief ins Glas geschaut hat. Denn wenn die vergangenen Jahre Eines gezeigt haben, dann dies: Der Euro hat Europa nicht geeint, sondern gespaltet. Statt sich dies einzugestehen und für die Rückabwicklung der Euro-Zone durch formalisierte Ausstiegsmöglichkeiten einzelner Staaten zu plädieren, will Juncker den gesamten Kontinent mit dem Euro-Krisenvirus überziehen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist nicht so, dass Länder mit unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungskraft nicht dieselbe Währung verwenden könnten. Tausende Jahre Menschheitsgeschichte, in denen Gold das allgemein akzeptierte Zahlungsmittel war, haben gezeigt, dass eine gemeinsame Währung durchaus möglich und sinnvoll ist. Das Problem ist nur: Der Euro ist kein Gold.

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Denn anders als das Edelmetall wird der Euro von einer staatlichen Instanz, der EZB, herausgegeben und durch einen Einheitszins gesteuert. Ein Einheitszins aber passt nicht zu so unterschiedlichen Ländern wie Rumänien und Deutschland. Juncker hat den Kern der wirtschaftlichen Krise, unter der Europa leidet, nicht im Geringsten verstanden.

Realitätsvergessen ist zudem sein Vorschlag, den Schengen-Raum auf alle EU-Staaten auszuweiten. Denn das bedeutete, die Grenzkontrollen auch gegenüber Bulgarien und Rumänien abzuschaffen. Es wäre der Startschuss für die ungebremste Einwanderung in die westeuropäischen Sozialsysteme. Schneller kann man den westeuropäischen Wohlfahrtsstaat nicht an die Wand fahren. Auch wenn man als Liberaler den Segnungen des Wohlfahrtsstaates kritisch gegenüber steht, so kann man nur davor warnen, ihn dem Beutezug osteuropäischer Migranten preiszugeben. Die sozialen Konflikte, die dies mit sich brächte, zerrissen jede Gesellschaft.

Mehr Offenheit sollte Europa dagegen zeigen, wenn ausländische Investoren ihr Geld auf dem alten Kontinent anlegen wollen. Genau in diesem Punkt aber will Juncker die Zugtür zur Festung Europa hochziehen. So plädiert er dafür, Unternehmensübernahmen durch ausländische Investoren, etwa aus China, in Zukunft staatlich strenger zu prüfen. Faktisch läuft dies auf die Enteignung der Aktionäre hinaus, denen der Staat im Zweifelsfall verbietet, ihr Eigentum an einen chinesischen Investor zu verkaufen. Implizit plädiert Juncker so für die schleichende Einführung des Sozialismus in Europa. Was, bitte schön, unterscheidet die EU dann noch von China, wo der Staat ebenfalls in unternehmerische Entscheidungen hinein grätscht, wenn er dies für geboten hält?

Es ist allerhöchste Zeit, zu erkennen, dass Übernahmen europäischer Unternehmen durch ausländische Investoren keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa darstellen. Denn der Zufluss frischen Kapitals ist die Basis für Produkt- und Prozessinnovationen und damit für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf dem alten Kontinent. Der Know-How-Transfer nach China, der mit solchen Übernahmen verbunden ist, beschleunigt die wirtschaftlich-technologische Entwicklung Chinas und macht das Land auf diese Weise als Absatzmarkt für europäische Produkte attraktiver.

Sperrt sich Europa hingegen gegen Investoren aus Fernost, ist mit Gegenmaßnahmen zu rechnen. Das ließe dann auch den Strom von Know-How von China nach Europa versiegen, der mit europäischen Direktinvestitionen in China verbunden ist und der die Wirtschaft hierzulande mit frischen Impulsen versorgt. Junckers Forderung nach mehr staatlicher Investitionskontrolle nutzt daher niemandem, sondern macht alle ärmer.

Was also bleibt von Junckers Rede? In erster Linie wohl die Erkenntnis, dass die Brüsseler „Eliten“ weder die Krise, in der Europa steckt, noch die Sorgen der Menschen verstanden haben, die zu regieren sie sich berufen fühlen. So fand der überall unüberhörbar artikulierte Wunsch der Menschen nach mehr Selbstbestimmung, nach mehr regionaler Autonomie und nach mehr Freiheit von Brüsseler Bevormundung in Junckers Rede keinen Niederschlag. Am Ende könnte Juncker mit seiner Rede die Erosion der EU daher eher beschleunigt haben statt sie zu stoppen. Beim Blick auf den Zustand der EU mag man das noch nicht einmal bedauern.

KONTEXT

Die fünf großen Baustellen der EU

Wirtschafts- und Schuldenkrise

Die Folgen des globalen Finanzbebens 2008 spalten Europa bis heute - wirtschaftlich und politisch. Während europäische Statistiker für Deutschland zuletzt auf 4,2 Prozent Arbeitslosigkeit kamen, waren es für Griechenland 23,5 Prozent. Das überschuldete Land will finanzielle Freiräume, um die Wirtschaft anzukurbeln. Bei einem Südgipfel holte sich Athen jetzt Rückendeckung von Italien und Frankreich. Nicht nur deutsche EU-Politiker fordern strikte Sparsamkeit und reagieren gereizt. Aber auch Österreichs Bundeskanzler Christian Kern meint, der Sparkurs sei die eigentliche Ursache für die zunehmend antieuropäische Stimmung.

Flüchtlingsstreit

Der Zustrom von Hunderttausenden reibt die Gemeinschaft politisch auf. Hier verlaufen die Risse nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen Ost und West. Beschlossen ist eine Verteilung von bis zu 160.000 Asylsuchenden aus den Anlandestaaten Italien und Griechenland in der EU. Erledigt waren aber bis Juli gerade einmal gut 3000 Fälle - 2213 Schutzsuchende aus Griechenland und 843 weitere aus Italien.

Die EU-Kommission drängelt, doch vor allem die Visegrad-Staaten Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen weigern sich. Stattdessen verlangen sie schärferen Grenzschutz. Das trieb nun offenbar Asselborn zu seiner Breitseite gegen die Regierung in Budapest. „Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, sagte Asselborn der „Welt“ (Dienstag). Die Grenzzäune würden immer höher. „Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge.“

Terror

Die islamistischen Anschläge in Frankreich, Belgien und zuletzt auch in Deutschland haben Lücken bei Absprachen und Austausch offenbart. Die Verunsicherung ist groß, die Forderung nach einer engeren Zusammenarbeit laut. Und es gibt Querverbindungen zum Flüchtlingsstreit: Vor allem nach den Anschlägen eines mutmaßlichen Afghanen in Würzburg und eines Syrers in Ansbach im Juli sehen sich die Gegner eines großzügigen Asyls bestätigt. EU-Ratspräsident Donald Tusk fordert jetzt eine lückenlose Erfassung aller, die in die EU einreisen.

Brexit

Die vielfältigen Krisen schwelen seit langem, doch es war das Votum der Briten für ein Ausscheiden aus der EU vom 23. Juni, das daraus eine Existenzkrise für die Union machte. Wird der Ausstieg tatsächlich vollzogen, verliert die Gemeinschaft ihre drittgrößte Wirtschaftskraft, den zweitgrößte Nettozahler und ein diplomatisches Schwergewicht im UN-Sicherheitsrat. Sie wird also kleiner und schwächer. Vor allem aber macht der Schritt EU-Gegnern allerorten Mut, auch in den Gründerstaaten Niederlande, Frankreich und Italien. Denn bei allen Sollbruchstellen scheint die EU fast gespenstisch geeint in populistischer Feindseligkeit gegen Brüssel.

Brüssel-Krise

Die simple These, die Eurokraten seien verantwortlich für alles Übel auf dem Kontinent, überdeckt einen Machtkampf der Institutionen: Was darf die EU-Kommission bestimmen? Wie viel Einfluss hat das Parlament? Und worüber entscheiden allein die Einzelstaaten? Über möglichst viel, meinen die Osteuropäer. Die Kommission solle sich zurückhalten, denn die „wirkliche Legitimität“ liege bei den Mitgliedsländern und Parlamenten, sagt Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka. Wie nervös die EU-Exekutive ist, zeigt der Streit um die Abschaffung der Roaming-Gebühren: Nach Murren aus Parlament und Mitgliedstaaten kassierte Kommissionspräsident Juncker flugs den Plan, die Streichung der Zusatzgebühren für Handytelefonate im EU-Ausland auf 90 Tage zu befristen.