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Darüber verhandeln die EU und Großbritannien heute

Möchte der Premier einen „No Deal“ abwenden, muss er das Gespräch mit der EU-Kommissionschefin nutzen. Die entscheidenden Brexit-Fragen im Überblick.

Boris Johnson steht unter Druck. Seine Bilanz in der Coronakrise ist katastrophal, die Briten zweifeln an seinem Krisenmanagement, die Wirtschaft schrumpfte im April um 20 Prozent. Zusätzlich muss der britische Premierminister nun auch beim Brexit vorankommen, wenn er dem Land einen weiteren Wirtschaftsschock Ende des Jahres ersparen will.

Am Montagnachmittag spricht Johnson in einer Videoschalte mit den Chefs von EU-Kommission, EU-Rat und Europaparlament. Er hofft, dass das Gespräch auf höchster Ebene Bewegung in die festgefahrenen Freihandelsgespräche bringt. Schließlich hatte auch vergangenes Jahr ein persönliches Treffen zwischen Johnson und dem irischen Regierungschef Leo Varadkar den Durchbruch beim Ausstiegsvertrag gebracht.

In Brüssel sind die Erwartungen dagegen gering. In den bisherigen vier Verhandlungsrunden zum Freihandelsvertrag war deutlich geworden, wie weit beide Seiten voneinander entfernt sind.

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Die Zwischenbilanz fällt ernüchternd aus, und die Zeit drängt. Hier der Überblick über die wichtigsten Fragen.

Wie sieht der aktuelle Brexit-Fahrplan aus?

Johnson hält daran fest, dass es möglich ist, bis Jahresende ein Freihandelsabkommen zu beschließen. Nach seinem Gespräch mit den EU-Spitzen sollen die Unterhändler ab dem 29. Juni einen neuen Verhandlungsspurt hinlegen. Beim Juni-Gipfel der EU-Regierungschefs dürfte der Brexit noch keine große Rolle spielen, die Runde ist mit anderen Dingen wie Corona beschäftigt.

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die im Juli beginnt, wird das Thema aber zunehmend auf die Tagesordnung drängen.

Was passiert, wenn die beschlossenen Fristen nicht eingehalten werden?

Wenn die Gespräche scheitern, treten am 1. Januar automatisch die Zölle der Welthandelsorganisation und andere Handelsschranken zwischen Großbritannien und der EU in Kraft.

Laut dem Ausstiegsvertrag müsste eine Verlängerung der Übergangsperiode bis zum 1. Juli beantragt werden. Am Freitag schloss der britische Kabinettsbürominister Michael Gove dies jedoch formell aus. Da es das letzte Treffen des bilateralen Ausschusses vor Ablauf der Frist war, sei dies „definitiv das Ende der Debatte“, sagte EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic.

Einige Beobachter sind anderer Meinung. Die Professorin Catherine Barnard von der Universität Cambridge hält eine Verlängerung im späteren Verlauf des Jahres zwar für „juristisch sehr schwierig“. Aber es sei nicht undenkbar, dass man es mit „großem Gemauschel“ doch schaffe. Sollte London es sich noch anders überlegen, würde die EU eine Verlängerung wohl auch im Herbst noch ermöglichen.

Die Regionalregierungen in Schottland, Wales und Nordirland sowie der Londoner Bürgermeister pochen weiterhin auf eine Verlängerung, um einen „No Deal“ abzuwenden, weil sie desaströse Folgen erwarten.

Ist ein Freihandelsabkommen bis Ende des Jahres realistisch?

Ohne die Verlängerung der Übergangsperiode wächst der Einigungsdruck. Angesichts der verhärteten Fronten ist es aber unwahrscheinlich, dass die Zeit ausreicht. Eine Lösung könnte darin bestehen, nur ein Rahmenabkommen zu vereinbaren, auf das eine längere Umsetzungsphase folgt. Dies käme einer Verlängerung der Übergangsperiode gleich, könnte aber anders genannt werden.

Johnson hätte damit einen gesichtswahrenden Ausweg aus seinem Dilemma gefunden. Jegliches Abkommen müsste schon im Herbst stehen, damit anschließend noch Zeit für die Ratifizierung durch nationale und regionale Parlamente bleibt. Der britische Verhandlungsführer David Frost hatte kürzlich den September als letzten Termin angegeben, damit die Unternehmen noch ausreichend Zeit hätten, sich auf die Veränderungen zum Jahreswechsel vorzubereiten.

Was steht einer Einigung im Weg?

Johnson lehnt vor allem ab, das Land dauerhaft an die EU-Standards zu Staatshilfen, Arbeitnehmerrechten und Umweltfragen zu binden. Außerdem will London jeglichen Einfluss des Europäischen Gerichtshofs vermeiden. Die EU hingegen befürchtet, dass Großbritannien ohne gemeinsame Standards und Kontrollen den eigenen Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen würde.

Die EU will zudem alle Bereiche in einem umfassenden Vertragswerk regeln – vom Handel über den Verkehr bis hin zur Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Großbritannien hingegen bevorzugt mehrere Einzelabkommen um ein Freihandelsabkommen herum.

Der Grund: Wenn sich die beiden Seiten irgendwann bei einem Thema zerstreiten, kann sich das bei einem umfassenden Vertrag auch auf andere Bereiche auswirken. Bei mehreren Einzelabkommen wäre das nicht möglich.

Weit auseinander liegen beide Seiten auch beim Thema Fischereirechte. Der EU-Beauftragte für die Austrittsverhandlungen, Michel Barnier, betont, ohne eine Einigung über die Regelung der Fangquoten werde es kein Handelsabkommen geben.

Warum gibt die EU Großbritannien nicht einfach den gleichen Freihandelsvertrag wie Kanada?

Brexit-Hardliner sehen in dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) die optimale Regelung für die künftige Handelsbeziehung: kaum Zoll- oder Quotenvorgaben, keine Zahlungen in das EU-Budget, keine Einmischung des Europäischen Gerichtshofs und keine Vorschriften für Staatshilfen.

Aus Sicht der EU steht dieses Modell für Großbritannien wegen der geografischen Nähe aber nicht zur Auswahl. Schließlich handelt der direkte Nachbar mit der EU zehnmal so viel wie Kanada und ist eng mit der EU-Wirtschaft verflochten. Außerdem fordere Großbritannien auch viel mehr als Kanada, sagt Barnier, etwa bei der Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen und der Freizügigkeit.

Wie könnte eine Lösung im Fischereistreit aussehen?

Großbritannien will die Fangquoten in seinen Gewässern jedes Jahr neu mit der EU aushandeln – so, wie es auch Norwegen macht. Barnier hält dies für zu aufwendig, weil es um hundert verschiedene Fischarten geht. Bei Norwegen sind es nur ein Dutzend Fischarten.

Ein Kompromiss könnte darin bestehen, die Fangquoten für mehrere Jahre festzulegen. „Die EU will den Status quo, das Vereinigte Königreich will alles ändern“, sagt Barnier. Man müsse einen Mittelweg finden.

Wie gut sind Unternehmen auf den No Deal vorbereitet?

Laut dem britischen Unternehmerverband CBI sind die meisten Unternehmen „nicht im Ansatz vorbereitet“. Zudem verschärfe die Coronakrise die Situation: Besonders kleinere Firmen müssten schon wegen der Pandemie um ihr Überleben kämpfen. „Die Vorstellung, dass sie sich nun noch auf eine abrupte und chaotische Veränderung in der Beziehung zur EU vorbereiten müssen, übersteigt ihre Fähigkeiten“, sagte CBI-Chefin Carolyn Fairbairn kürzlich.

Handelsexperte Sam Lowe vom Thinktank Centre for European Reform (CER) warnt, dass selbst bei einer Einigung vor Ende Dezember die Zeit zu knapp wäre, als dass sich die Unternehmen auf die Veränderungen einstellen können. „Wenn wir das Handelsabkommen am 1. Januar umsetzen, wäre die Wirkung dieselbe, als wenn es keinen Deal gäbe.“ Deshalb müsse es einen graduellen Übergang geben.

Ist die Grenze in Nordirland bereit?

Im Ausstiegsvertrag hatten die EU und Großbritannien vereinbart, dass der britische Landesteil Nordirland sich auch in Zukunft an Regeln des Europäischen Binnenmarkts und der Zollunion halten muss. Deswegen finden die Kontrollen des Warenverkehrs zwischen der EU und Großbritannien künftig in der Irischen See statt.

Die britische Regierung hat bisher keine Details genannt, wie die Kontrollen aussehen sollen. Die nordirischen Häfen haben noch keine zusätzlichen Kapazitäten geschaffen. Auch fehlt es an Personal. 50.000 zusätzliche Zollbeamte sind nötig, bisher wurden jedoch nicht einmal 4000 ausgebildet. „Eigenartigerweise haben wir keine 50.000 Menschen, die sich für eine Karriere im Zoll interessieren“, sagt Handelsexpertin Anna Jerzewska vom UN International Trade Centre.

Wie ist die Lage in Dover und Calais?

Der Großteil des britisch-europäischen Warenverkehrs wird zwischen dem britischen Hafen Dover und dem französischen Hafen Calais abgewickelt. Während Dover noch keine Vorkehrungen für zusätzliche Kontrollen getroffen hat, hat Calais zusätzliche Lkw-Parkplätze und Bereiche für Tiefkühlwaren und Tiere gebaut.

„Wir hatten Anfang 2019 angekündigt, dass unser Hafen bereit sein werde für die Herausforderungen eines Brexits ohne Handelsabkommen, und wir sind es tatsächlich“, sagt Jean-Marc Puissesseau, Chef der Hafenbehörde von Calais. Die britische Regierung hingegen kündigte aufgrund ihrer mangelnden Vorbereitung am Freitag an, Importgüter aus der EU zunächst nur mit einem „light touch“ zu kontrollieren.

Auch die Formalitäten sollen gestaffelt eingeführt werden: So sind ab Januar zwar Zollformulare und Zölle erforderlich, sie müssen aber erst nach spätestens sechs Monaten vorgelegt beziehungsweise bezahlt werden.

Wie kommt Großbritannien bei anderen Freihandelsabkommen voran?

Parallel zu den Gesprächen mit der EU verhandelt die britische Regierung derzeit Freihandelsabkommen mit mehr als einem Dutzend Ländern. Bisher hat sie die Hälfte der rund 40 internationalen Verträge der EU neu vereinbart. Zuletzt haben die Gespräche mit Japan begonnen. Sie sollen Großbritannien langfristig den Weg in die Transpazifische Partnerschaft (TPP) ebnen.

Die wichtigsten Gespräche laufen mit den USA. Hier gibt es jedoch kaum Fortschritt. „Ich hätte nicht mit den USA begonnen“, sagt Handelsexperte Lowe. „An dem großen Brocken beißt man sich nur die Zähne aus. Es wäre besser gewesen, erst mit Australien und Neuseeland zu üben.“

Macht die Coronakrise einen No Deal wahrscheinlicher?

Die Coronakrise setzt Johnson innenpolitisch unter Druck. Deshalb könnte er versucht sein, mit einer unnachgiebigen Haltung in den Brexit-Gesprächen bei den Wählern zu punkten. Brexit-Hardliner spekulieren darauf, dass den Wählern der negative Effekt eines ungeordneten Brexits nicht so sehr auffällt, wenn sich die Wirtschaft ohnehin im Corona-Abschwung befindet.

Ein No Deal wäre für den Premierminister politisch weniger schmerzhaft, glauben einige seiner Parteifreunde. Andere argumentieren: Gerade weil das Land vor der schwersten Rezession seit dreihundert Jahren steht, kann Johnson sich den ungeordneten Brexit am Jahresende nicht leisten. Denn er würde eine mögliche Erholung abwürgen. Auch die EU setzt darauf, dass Johnson am Ende nachgeben wird – so wie schon beim Ausstiegsvertrag.