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Joe Kaeser und Roland Busch im Rede-Wettstreit – Wer hat sich besser geschlagen?

Bei der Siemens-Hauptversammlung haben der Noch-Chef und sein Nachfolger sich an die Aktionäre gewandt. Die Reden der beiden im Rhetorik-Check.

Wer ist der bessere Redner? Foto: dpa
Wer ist der bessere Redner? Foto: dpa

Für Joe Kaeser war es die Abschiedsbühne, für Roland Busch der Ort der Redepremiere: Auf der ersten digitalen Hauptversammlung der Saison 2021 präsentierten sich der scheidende und der neue Siemens-Chef zum ersten und zum vermutlich letzten Mal gemeinsam den Aktionären.

Und das unter besonderen Umständen: Vom konzerneigenen Videostudio aus verabschiedete sich Kaeser mit einem Rückblick auf das vergangene Jahr und den unter seiner Ägide erfolgten radikalen Konzernumbau.

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Zukunftsstrategie und einen Ausblick, wie der Technologiekonzern auf Profitabilität getrimmt werden soll, überließ er seinem Nachfolger.

Doch wie hat sich der 56-jährige Physiker Busch rhetorisch geschlagen? Konnte er aus dem Schatten seines Vorgängers treten, der siebenmal im alljährlichen Rednerwettkampf antrat und mit zuletzt Platz neun im exklusiven Rhetorik-Ranking des Handelsblatts und der Uni Hohenheim immerhin zu den zehn besten CEOs zählte?

Oder zündete Kaeser bei seiner Abschiedsvorstellung ein rhetorisches Feuerwerk? Anlass genug gab es ja – angesichts seines erfolgreichen Umbauprogramms Vision 2020+, das in der Abspaltung des Energiegeschäfts seinen Höhepunkt fand, und des neuen Allzeithochs der Siemens-Aktie.

Kaeser baut gekonnt an seinem eigenen Denkmal

Und tatsächlich blickte Kaeser vom Rednerpult aus auf alle Meilensteine seiner insgesamt siebenjährigen Amtszeit zurück. Um nicht überheblich zu wirken, übte er aber auch geschickt Selbstkritik und gab mit Blick auf Aufsichtsrat und Vorstandskollegen zu: „Ich habe gedrängt, und so mancher fühlte sich geschoben.“

Dabei inszenierte sich Kaeser als Bewahrer des Erbes von Unternehmensgründer Werner von Siemens, der gesagt haben soll: „Für den schnellen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.“ In dieser Tradition will Kaeser sein Motto vom „inklusiven Kapitalismus“ verstanden wissen, der nicht nur die Gewinnmaximierung verfolgen dürfe, sondern auch der Gesellschaft dienen müsse.

Dadurch, und indem er Kritisches von vor seiner Zeit wie den Compliance-Skandal ansprach, baut er gekonnt an seinem eigenen Denkmal.

Der witzige Redeschluss „Ich habe fertig“ in Anspielung auf Bayern Münchens früheren Fußballtrainer Giovanni Trapattoni dürfte beim Publikum herzliches Lachen ausgelöst haben.

Erfolg, Demut, Emotion. „Zutaten für eine große Abschiedsrede“, urteilt Tanja Faust vom European Speechwriter Network (ESN), dem neuen Kooperationspartner des Handelsblatt Rhetorik-Rankings.

Dieser internationale Redenschreiber-Verband zählt Redenschreiber von so bekannten Persönlichkeiten wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder Bundeskanzlerin Angela Merkel zu seinen Mitgliedern. Die ESN-Jury unter Leitung von Tanja Faust hat Kriterien zu Redetext, persönlichem Auftritt und Inszenierung festgelegt, nach denen sie mit ihrem Team zusätzlich zur Verständlichkeit die Gesamtdarbietung aller 30 Vorstandschefs am Ende der Saison bewerten wird.

Gestaltungsmöglichkeiten ungenutzt gelassen

Und anhand derer die Experten für Rhetorik, aber auch für Körpersprache und Präsentation künftig vor allem beurteilen, wie gut die Vorstandschefs insgesamt darin sind, ihre Botschaft rüberzubringen.

Und in dieser Hinsicht „fällt Buschs Einstand gegenüber Kaesers Vortrag ab“, konstatiert Faust. Auch, weil er Gestaltungsmöglichkeiten ungenutzt lasse. So flankierten zum Beispiel weder Projektionen noch starke Fotos seine Rede. Lediglich sein Name war eingeblendet.

Immerhin: Busch präsentiert sich genauso souverän wie sein Vorgänger, während er in die Kamera spricht, lächelt ab und zu, betont natürlicher und wirkt insgesamt sympathisch.

Dazu klare Worte, kurze Sätze. Auch in Sachen Verständlichkeit punktete der jüngere Manager. Für ihn wäre in dieser Hinsicht eine Platzierung im Mittelfeld des Rankings drin, schätzt Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim.

Joe Kaeser dagegen schnitt in puncto Verständlichkeit diesmal nur unterdurchschnittlich ab. Und lag in etwa auf dem Niveau seiner CEO-Anfänge im Jahr 2014. Lange Sätze, noch dazu oft mit mehr als zwei Informationseinheiten überfachtet, bescherten Punktabzug.

Allerdings hatte Physiker Busch mit „Strategie und Ausblick“ das deutlich einfachere Thema der beiden Redner zu bewältigen. Jedoch: Wer die Entwicklung bei Siemens auch nur gelegentlich verfolgt, erfuhr von Busch nichts Neues.

Deutlich persönlichere Rede von Busch

Im Gegenteil. Seine Hebel, um Innovationskraft und vor allem die Profitabilität des Konzerns zu stärken, klingen allzu bekannt: „Kundennutzen“, „Technologie“ sowie das leicht esoterisch anmutende „Bedürfnis der Mitarbeiter zu wachsen“.

Zwar ist Buschs Rede insgesamt im Vergleich zu Kaesers Vortrag deutlich persönlicher gehalten – schließlich sollen die Zuhörer ja den neuen Topmanager kennenlernen, der künftig die Konzerngeschicke lenkt. Und sicher ist es eine interessante Anekdote, wenn Busch zum Beispiel erzählt, dass er eigentlich nach seinem Studium gar nicht zu Siemens wollte –„als meine kleine Rebellion gegen Erlangen, wo fast jeder bei Siemens arbeitet“.

„Aber wenn Busch solche Beispiele bringt, dann ein wenig holzschnittartig“, sagt Faust. Am Ende der Rede dränge sich die Frage auf: Ist es das, was man von einem künftigen Lenker eines Weltkonzerns erwartet?

Die Expertin fragt sich, ob Busch Kaeser eventuell großzügig die Bühne für den großen Abgang überlassen habe. Und möglicherweise dabei jedoch versäumt hat, selbst zu gestalten. Faust: „Klar, Busch startet gerade erst, aber sollte er dafür an dieser prominenten Stelle nicht höher zielen? Er hätte mehr Stärke zeigen, Führung beanspruchen und vor allem seine eigene Vision deutlich machen können.“

Mit der Stabübergabe bei Siemens geht der Rednerwettkampf der 30 Dax-Vorstandsvorsitzenden in seine inzwischen neunte Runde. 2020 fiel die Bewertung aus, weil sich die Voraussetzungen unterjährig aufgrund der Pandemie für die Dax-Chefs änderten und sich die Hauptversammlungen plötzlich bis Ende September zogen. Doch nun winkt sie wieder, die „Redner-Krone“.

Bereits fünfmal hintereinander war Telekom-Chef Timotheus Höttges mit zuletzt sensationellen 19,9 von maximal 20 Punkten in Sachen Verständlichkeit Sieger im Rhetorikring. Zum Vergleich: Ein Handelsblatt-Artikel erreicht zwischen zwölf und 14 Punkten.

Neue, spannende Konkurrenz

Durch das neue, komplexere Bewertungsverfahren dürfte Bewegung in das Ranking kommen. Es gibt insgesamt viel mehr Punkte in mehr Dimensionen zu holen.

Neue, spannende Konkurrenz dürfte sich zudem auch noch durch zwei weitere Newcomer im Kreis der Dax-Chefs ergeben: So löste bereits Ende 2020 Nikolai Setzer bei Continental den versierten Redner Elmar Degenhardt ab, der zuletzt Platz sechs belegte. Setzer feiert am 29. April Premiere.

Und bei Energiekonzern Eon übergibt Johannes Teyssen am 1. April den Vorsitz an seinen langjährigen Vorstandskollegen Leonhard Birnbaum. Ob der 53-Jährige die Anteilseigner für die grüne, dezentrale und digitale Energiewelt begeistern kann, muss sich zeigen.

Rhetorisch im Vergleich zum Vorgänger zu glänzen dürfte Newcomer Birnbaum dagegen nicht sonderlich schwerfallen. Schließlich rangierte Teyssen zuletzt gerade mal auf Platz 23.
Auf das neue Handelsblatt-Rhetorik-Ranking zum Ende der Saison 2021 darf man also gespannt sein.