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Joe Biden und die EU: Transatlantische Problemzonen

Es ist Bidens erklärtes Ziel, das Verhältnis zu Europa zu verbessern. Doch die aktuellen EU-Strafzölle zeigen: Es gibt nach wie vor große Interessenkonflikte.

Ökonomen halten den EU-Vorstoß für strategisch äußerst unklug. Foto: dpa
Ökonomen halten den EU-Vorstoß für strategisch äußerst unklug. Foto: dpa

Die Erleichterung über den Sieg Joe Bidens ist groß in Europa. Ohne Zweifel wird es einen neuen Ton in den unterschiedlichen transatlantischen Konfliktfeldern geben, wenn der neue US-Präsident am 20. Januar in das Weiße Haus einzieht.

Aber auch eine konstruktive Haltung des Trump-Nachfolgers kann nicht darüber hinwegtäuschen: Es gibt handfeste Interessengegensätze zwischen den USA und der EU. Eine Rückkehr in die Zeit, als Amerika sich um die Sicherheit Europa kümmerte und sich die europäischen Staaten auf ihre Wirtschaft konzentrieren konnten, wird es nicht mehr geben.

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Das weiß auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Amerika ist und bleibt unser wichtigster Verbündeter, aber es erwartet von uns – und zu Recht – stärkere eigene Anstrengungen, um für unsere Sicherheit zu sorgen und für unsere Überzeugungen in der Welt einzutreten“, sagte sie am Montag, als sie Biden und seiner Stellvertreterin Kamala Harris zum Wahlsieg gratulierte.

Hier eine Übersicht über die wichtigsten transatlantischen Problemfelder.

1. Eskalation in der Handelspolitik

Es gab kaum einen Regierungschef in Europa, der den Wahlsieg Bidens nicht begrüßt hätte. Doch das hielt die EU nicht davon ab, in der Handelspolitik die Konfrontation zu suchen: Schon ab diesem Dienstag wird Brüssel Strafzölle auf amerikanische Agrar- und Industrieprodukte erheben, wegen rechtswidriger Subventionen für den US-Flugzeugbauer Boeing.

Damit verschärft die EU-Kommission in dem Konflikt die Gangart. Die US-Regierung sei leider bislang nicht bereit gewesen, ihre vor einem Jahr verhängten Zölle auf EU-Waren zurückzunehmen, sagte Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission. Die Welthandelsorganisation (WTO) hatte der EU kürzlich erlaubt, in dem Disput eigene Zölle zu erheben. „Wir unterstreichen, dass wir kein Interesse an einer Eskalation haben. Wir nutzen nur unsere Rechte“, sagte Dombrovskis.

Die Kommission hatte sich in den vergangenen Wochen mit den 27 Mitgliedstaaten und der Industrie darüber abgestimmt, welche US-Produkte nun ins Visier genommen werden sollen. Auf der Liste finden sich etwa Flugzeuge und Flugzeugteile, Baugerät, Spirituosen und Agrarprodukte wie Früchte, Nüsse und Orangensaft.

Für die Entscheidung der Kommission habe es von der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten Rückendeckung gegeben, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nach der Videokonferenz der EU-Handelsminister. Europa wolle dennoch den Amerikanern nicht die Türe zuschlagen, betonten Altmaier und Dombrovskis.

Die Gespräche über eine gütliche Lösung würden mit der amtierenden US-Regierung um Präsident Donald Trump fortgeführt. Bis zur Amtsübergabe an dessen designierten Nachfolger Biden habe man nicht warten wollen, so Altmaier. „Wir werden bis ungefähr Februar und März noch nicht genau wissen, wer in der neuen Regierung Prokura haben wird“, prognostizierte er.

Ökonomen halten den EU-Vorstoß für strategisch äußerst unklug: „Die Zölle sind jetzt das völlig falsche Signal“, warnt Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft. Die jetzige Regierung werde sicher nicht in Verhandlungen einsteigen; die neue sei noch nicht im Amt. „Man fragt sich wirklich, was damit gewonnen sein soll.“ Zumal die Kosten die Europäer tragen.

„Orangensaft, Ketchup, Flugzeugteile und vieles mehr werden für uns in Europa teurer“, so der Ökonom. Und die Hoffnung, bisherige Importe würden durch heimische Produktion ersetzt, wird nicht eintreten, weil viele – hoffentlich zu Recht – davon ausgehen, dass am Ende doch irgendeine Einigung mit den USA stehen wird, und dann fallen die Zölle wieder weg.

Tatsächlich dürfte es nicht im Interesse Europas liegen, den Konflikt ausgerechnet jetzt, knapp zweieinhalb Monate vor der Amtseinführung Bidens zu eskalieren. Der neue US-Präsident hat sich in dem langwierigen Streit bislang nicht klar positioniert. Traditionell gelten die Demokraten aber als die größeren Protektionisten im Vergleich zu den Republikanern. Auch Biden warb im Wahlkampf mit Slogans wie „buy American“.

Grundsätzlich hoffen die Europäer aber darauf, mit dem bekennenden Multilateralisten wieder bessere Beziehungen pflegen zu können. Viele EU-Staaten hätten bei der Ministerrunde am Montag betont, so Altmaier, dass sie den Wechsel im Weißen Haus als Chance sähen, „die Handelskonflikte mit den USA zu lösen“.

Der Schritt der EU könnte Trump noch einmal nutzen, in seiner jetzigen Schwächephase Stärke zu zeigen. Bis zur Amtseinführung von Biden im Januar könnte er die amerikanischen Zölle auf europäische Produkte noch einmal drastisch erhöhen. Trump hatte bereits angekündigt, „viel härter zuzuschlagen“, wenn die EU Strafzölle verhängen sollte.

Für einen Gegenschlag besitzt der scheidende Präsident einen großen Spielraum. Die USA könnten Zölle von bis zu 100 Prozent auf EU-Waren im Wert bis 7,5 Milliarden Dollar anordnen – statt wie bislang 15 Prozent auf Flugzeugteile und 25 Prozent auf andere Güter wie beispielsweise französischen Wein, spanische Oliven oder italienischen Parmesan. Für das von beiden Seiten angestrebte Industrieabkommen jedenfalls wäre es das denkbar schlechteste Szenario.

2. Sicherheitspolitisch im Abseits

In der Verteidigungspolitik ist sich die Bundesregierung sehr bewusst, dass der neue US-Präsident wie seine Vorgänger Trump und Barack Obama von Deutschland höhere Ausgaben verlangen wird. „Wir Deutschen und wir Europäer wissen, dass wir in der Partnerschaft im 21. Jahrhundert mehr eigene Verantwortung übernehmen müssen“, sagte Kanzlerin Merkel.

Allerdings: An Ankündigungen, „mehr Verantwortung übernehmen“ zu wollen, hat es aus Deutschland in den letzten Jahren nicht gefehlt. Nur: Die Nato-Vereinbarung, nach der jeder Mitgliedstaat bis 2024 seine Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen soll, erfüllt Deutschland bis heute nicht – 2020 werden es 1,57 Prozent sein, nach 1,36 Prozent im Jahr 2019.

Zwar hat Deutschland seinen Verteidigungshaushalt seit 2014 deutlich gesteigert, allerdings hatte Merkel zuletzt stets betont, das Zwei-Prozent-Ziel erst weit nach 2024 erreichen zu können. Dabei soll es nun möglicherweise nicht bleiben, jedenfalls wenn es nach der CDU geht. Deren Außen- und Verteidigungsexperte Johann Wadephul sagte anlässlich des Wahlsiegs Bidens: „Wir müssen schlicht und ergreifend diese zwei Prozent oder zehn Prozent der Nato-Fähigkeiten liefern.“ Deutschland sei seinen Verpflichtungen für die Nato bisher nicht nachgekommen und habe damit selbst Konflikte verursacht. Das müsse man aus der Welt räumen, so Wadephul.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte bereits vor der US-Präsidentschaftswahl in einer Grundsatzrede vier konkrete Vorschläge gemacht, was Deutschland den USA jetzt anbieten müsse: erstens die Verteidigungsausgaben weiter erhöhen und zweitens ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA als Signal an den gemeinsamen Konkurrenten China. Drittens die Entlastung der USA als Welt-Ordnungsmacht durch stärkeres militärisches Engagement Deutschlands in Europas Nachbarschaft und viertens ein Bekenntnis zur deutschen Beteiligung an der atomaren Abschreckung gegenüber Russland.

In der SPD stoßen die Angebote zu mehr militärischem Einsatz Deutschlands allerdings auf Skepsis bis Ablehnung. Gerade im beginnenden Bundestagswahlkampf scheint es unwahrscheinlich, dass die SPD ihren Widerstand gegen höhere Rüstungsausgaben aufgeben könnte.

Im Haushaltsentwurf für 2021 sind bisher mit 46,8 Milliarden Euro 1,1 Milliarden mehr als 2020 vorgesehen. Allerdings: Viele Rüstungsprojekte für die Bundeswehr sind darin bisher nicht enthalten. Und die Haushaltspolitiker aller Parteien stehen wegen der Corona-bedingt hohen Neuverschuldung auf der Ausgabenbremse.

Im Konjunkturpaket hatte die Bundesregierung zwar kurz vor der Sommerpause versprochen, die Corona-Mehrausgaben nicht durch Kürzungen von Rüstungsprojekten ausgleichen zu wollen. Woher aber für diese mehr Geld kommen soll, steht in den Sternen.

3. Chancen bei den Technologie-Ansätzen

In Brüssel werden mit dem Machtwechsel große Hoffnungen verbunden, zu einer konstruktiven Partnerschaft im Technologiebereich zu kommen. Die EU hofft vor allem beim Plan für eine Digitalsteuer auf Bewegung durch den neuen US-Präsidenten Biden. Bislang ist das Konzept für eine Besteuerung der Digitalwirtschaft an US-Präsident Trump gescheitert.

„Die neue US-Administration muss diese Blockadehaltung aufgeben, damit wir die Unternehmensbesteuerung ins 21. Jahrhundert führen können“, sagte der Europaabgeordnete Markus Ferber, wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, am Montag. Derzeit stocken die Verhandlungen auf der Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). „Ein Flickenteppich an nationalen Regelungen wird Facebook, Google und Co. am Ende nicht weiterhelfen“, warnt Ferber.

Generell fürchten die Europäer, technologisch von den USA und China abgehängt zu werden. In Brüssel wird das als Bedrohung für die Souveränität der EU betrachtet. Deshalb wurden mehrere Initiativen gestartet, um den Rückstand aufzuholen. Derzeit arbeitet die Kommission an einem Maßnahmenpaket – intern „Digital Services Act“ genannt –, das Anfang Dezember vorgelegt worden soll, um die Marktmacht der amerikanischen Internetgiganten zu begrenzen.

Ziel der EU ist es, künftig einen faireren Wettbewerb zu ermöglichen. Damit sind Konflikte auch mit dem neuen US-Präsidenten programmiert.

Im Streit über eine härtere Gangart gegen Internetkonzerne wie Google, Facebook, Amazon oder Apple forderten Frankreich und die Niederlande notfalls sogar eine Zerschlagung der amerikanischen Digitalgiganten. Solche Eingriffe werden inzwischen auch in Washington diskutiert – und zwar über Parteigrenzen hinweg. Dennoch dürften die Amerikaner es kaum dulden, dass die Europäer ihnen beim Vorgehen gegen die Datenkonzerne zuvorkommen. Sie sehen das Schicksal der Unternehmen aus dem Silicon Valley als ihre eigene Angelegenheit an.

Teil des Plans von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist auch, eine europäische Cloud zur Datenspeicherung und -verarbeitung aufzubauen. Daten werden längst als wichtigste Rohstoffe des 21. Jahrhunderts erachtet, insbesondere für die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz werden sie benötigt.

Auch hier wollen die Europäer der US-amerikanischen Konkurrenz nicht einfach das Feld überlassen. Von der Leyen fordert „digitale Souveränität“ für Europa ein und greift damit die Idee von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf, der mit Gaia X den Aufbau einer „souveränen Dateninfrastruktur“ vorantreibt.

Diskussionen mit einer Biden-Regierung wird es auch um die Beteiligung chinesischer Technologiehersteller wie Huawei am Aufbau der 5G-Netze geben. Die Trump-Administration hatte die Europäer vor Huawei gewarnt und eine Kampagne für „saubere Netze“ gestartet. Damit rannte sie in Brüssel offene Türen ein: Die Kommission sieht Huawei skeptisch und favorisiert die europäischen Netzausrüster Ericsson und Nokia.

Doch nicht alle EU-Staaten schließen sich dieser Haltung an, was vor allem daran liegt, dass Netzbetreiber wie Vodafone und die Deutsche Telekom stark von Huawei abhängig sind. Die Bundesregierung will in diesem Monat ihr Sicherheitskonzept für das 5G-Netz vorlegen. Eines ist klar: Auch eine Biden-Regierung wird nicht akzeptieren, dass im Herzen Europas die Infrastruktur für das Telekommunikationsnetz der Zukunft auf chinesischer Technologie beruht.

4. Hoffnungen in der Klimapolitik

Mit Biden als US-Präsident erhöhen sich ohne Zweifel die Chancen für eine ambitionierte Klimapolitik. Biden hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beizutreten, das die USA unter Trump verlassen haben.

Die Entwicklungsorganisation Germanwatch sprach von einer Zeitenwende. „Vier weitere Jahre Trump hätten bedeutet, dass eine Begrenzung der globalen Erderhitzung auf maximal 1,5 Grad kaum noch möglich gewesen wäre“, sagte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. „Nun aber kann eine völlig neue Dynamik entstehen. Dazu bedarf es allerdings nicht nur Ankündigungen, sondern auch belastbarer Umsetzungsstrategien.“

Die USA sind nach China das Land mit den zweithöchsten Emissionen der Welt. Im Wahlkampf hatte sich Biden zu dem Ziel bekannt, die klimaschädlichen Emissionen der USA bis 2050 unterm Strich auf null zu bringen. Ein Kernpunkt seines Plans für die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise sind Investitionen in eine klimafreundliche Infrastruktur in Höhe von zwei Billionen Dollar.

Aber: Ohne Mehrheit im Senat ist der Spielraum des Präsidenten für umfassende Klimagesetze begrenzt. Klimaexperten sehen dennoch Chancen etwa bei der Frage, welche fossilen Projekte noch genehmigt werden oder wie viel Spielraum klimapolitisch progressiven Bundesstaaten für ambitioniertere Regeln gelassen wird.

Auch ohne eigene Mehrheit im Senat wären Schritte zu bestimmten Aspekten der Klimapolitik denkbar, zum Beispiel zu klimafreundlichen Investitionen in Konjunkturpaketen oder zur Förderung erneuerbarer Energien, so Bals.

International könnte er darüber hinaus vor allem diplomatischen Druck auf andere Länder ausüben, ihre Klimaziele zu erhöhen. „Wir haben jetzt die Chance, die Stabilisierung des Klimas zu erreichen, indem wir die CO2-Preissysteme in den USA, Europa und China verknüpfen“, sagte Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Dafür müssten die USA allerdings erst ein CO2-Preissystem entwickeln.

Einen US-weiten Emissionshandel vergleichbar mit dem europäischen gibt es bislang nicht.

In der SPD stoßen die Angebote zu mehr militärischem Einsatz Deutschlands allerdings auf Skepsis bis Ablehnung. Foto: dpa
In der SPD stoßen die Angebote zu mehr militärischem Einsatz Deutschlands allerdings auf Skepsis bis Ablehnung. Foto: dpa