Jens Spahn untermauert in Afrika seine Ambitionen auf höhere Ämter
Jens Spahn lauert auf seine nächste Chance für einen Aufstieg. Auf einer Reise durch Afrika demonstriert er: Die deutsche Gesundheitspolitik ist ihm zu klein.
Es ist drückend heiß in Abuja. Die Moskitos sind aggressiv in der nigerianischen Hauptstadt, gerade jetzt im Oktober, zum Ende der Regenzeit. Jens Spahn, der nach eigenem Bekunden schon im heimischen Münsterland eine starke Anziehungskraft auf Mücken ausübte, sitzt dennoch draußen. Der Bundesgesundheitsminister spricht mit Firmengründern, die in einem Innovationszentrum mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit an ihren Geschäftsideen arbeiten.
Spahn zeigt sich besonders interessiert an Projekten, bei denen es um die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung geht. Das Thema treibt den Minister auch in Deutschland um. Die Ärzte vom digitalen Wandel zu überzeugen sei „ein harter Job“, sagt er.
Plötzlich meldet sich eine Frau aus der deutschen Delegation zu Wort, sie sitzt etwas abseits am Tisch. Es ist Maria Flachsbarth, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie wolle noch kurz darauf zurückkommen, woher das Geld für viele Projekte in Ländern wie Nigeria stamme. „Das ist mein Ministerium“, sagt die CDU-Politikerin. Die Firmengründer nehmen ihren Hinweis teilnahmslos hin. Hinter ihrem Gesichtsausdruck steht die Frage: Wer ist die Dame im rosafarbenen Blazer? Dann redet Spahn weiter.
Vier Tage reist der Gesundheitsminister durch das Afrika südlich der Sahara, vier Länder stehen auf dem Programm seiner ersten Delegationsreise mit einem Regierungsflugzeug. Spahns Vorgänger Hermann Gröhe flog zusammen mit Entwicklungsminister Gerd Müller nach Afrika. Aus den Ministerien heißt es, auch Spahn habe sich um eine Reise mit Müller bemüht, leider sei kein gemeinsamer Termin gefunden worden. Der Gesundheitsminister dürfte aber nicht wirklich unglücklich darüber sein, dass er das protokollarische Rampenlicht für sich allein hat.
Spahns Karriereziel ist Staatsmann, dazu gehören staatsmännische Bilder. Auch wenn er seine Ambitionen herunterspielt und als emsiger Ressortchef auftritt: Die deutsche Gesundheitspolitik ist ihm zu klein. Das wissen seine Parteifreunde. Und vermutlich fürchtet das auch Annegret Kramp-Karrenbauer.
Fast ein Jahr ist es her, seit Kanzlerin Angela Merkel nach der Landtagswahl in Hessen den Vorsitz der CDU zur Verfügung stellte. Im Dreikampf mit Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz um die Nachfolge landete Spahn auf dem letzten Platz, holte mit fast 16 Prozent der Delegiertenstimmen auf dem Parteitag im Dezember 2018 aber ein besseres Ergebnis, als ihm viele zugetraut hatten.
Kramp-Karrenbauer hat bislang als Parteivorsitzende und mögliche Merkel-Nachfolgerin im Kanzleramt nicht überzeugt, im Gegenteil. Auch ihr schlagartig gefasster Plan, entgegen vorherigen Ankündigungen doch ins Kabinett zu gehen und als Verteidigungsministerin eine zusätzliche Bühne zu bespielen, geht bislang nicht auf. Immer weniger Wähler trauen in Umfragen AKK das Amt der Regierungschefin zu. Das Kürzel stehe mittlerweile für „Absolut keine Kanzlerkandidatin“, ätzte die „Bild“-Zeitung. Der „Spiegel“ sieht Kramp-Karrenbauer „im Treibsand“. Es ist ein gefährliches Narrativ, das sich da für die CDU-Chefin aufbaut.
Kein schlechtes Wort über Kollegen
Spahn will kein schlechtes Wort über Kramp-Karrenbauer verlieren. Natürlich sind einige Dinge nicht optimal gelaufen, das weiß er auch. Zum Beispiel die Antwort auf einen Youtuber mit blau gefärbter Haartolle, der in einem klickträchtigen Internetvideo zur „Zerstörung der CDU“ aufrief.
Doch der Minister warnt davor, sich in Personalfragen zu verlieren. Klare Meinung und scharfe inhaltliche Konturen – so müssen nach Ansicht des 39-Jährigen die großen Zukunftsdebatten geführt werden, damit die Union wieder mehr Wähler überzeugen kann. Vorbildfunktion hat der österreichische Kanzler Sebastian Kurz. Nach dessen Wahlsieg schrieb Spahn auf Twitter, der ÖVP sei „mit Mut zu Haltung, klarem Profil und dem Willen zur politischen Führung“ ein „beeindruckender Wahlerfolg“ gelungen.
Den Anspruch auf den CDU-Vorsitz meldet Spahn derzeit nicht offen an. Aber er liefert eine Jobbeschreibung für die Post-Merkel-Zeit, auf die er ziemlich gut passen könnte. Auch seine Reisetätigkeit lässt aufhorchen: Spahn fliegt in das Kosovo und nach Mexiko, um Pflegekräfte anzuwerben. Über die US-Hauptstadt Washington flog er Ende September zur UN-Generaldebatte nach New York, zurück nach Deutschland ging es im Kanzlerjet mit Merkel. Kramp-Karrenbauer musste zeitgleich mit einer eigenen Maschine zu ihrem Antrittsbesuch in die Vereinigten Staaten reisen, ihre Delegation war kurzfristig aus dem Regierungsflieger ausgeladen worden. Aus Platzgründen, so die Begründung.
Der weiße Airbus mit dem Schriftzug „Bundesrepublik“, den Gesundheitsminister nur in Ausnahmefällen nutzen können, parkt am vergangenen Freitag auf dem Rollfeld von Goma. Auf dem Flughafen der Millionenstadt stehen Hubschrauber der UN-Stabilisierungsmission, die gegen Rebellengruppen im Osten der Demokratischen Republik Kongo im Einsatz ist.
Spahn steigt die Treppe herab. Statt Hände zu schütteln, kreuzt er mit dem Empfangskomitee die Ellenbogen. „Ebola-Handschlag“ heißt die Geste, die eine Übertragung der tödlichen Viren verhindern soll. Goma liegt in dem Gebiet des afrikanischen Landes, das von der Infektionskrankheit heimgesucht wird. Seit August 2018 haben sich hier rund 3200 Menschen mit Ebola infiziert, mehr als 2100 von ihnen sind gestorben.
„Mit einem Flieger ist eine solche Infektionskrankheit auch sehr schnell etwa in Europa und Deutschland“, sagt Spahn. „Das ist der Grund, warum wir hier so stark engagiert sind.“ Der Minister hat eine finanzielle Zusage mitgebracht: Drei Millionen Euro zusätzlich will er aus seinem Etat zum Ebola-Notfallfonds der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beisteuern. Eine ehrbare Summe, allerdings unterstützt das Entwicklungshilfeministerium den Osten Kongos allein in diesem Jahr mit 50 Millionen Euro.
Vor seinem Besuch in Goma unterschrieb Spahn in Ruanda eine Absichtserklärung, um die Zusammenarbeit beider Länder bei der Ebola-Bekämpfung zu verstärken. In den kommenden Monaten sollen Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts insgesamt 600 Gesundheitsfachkräfte schulen, die wiederum Helfer im Epidemiegebiet ausbilden sollen.
In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba verspricht er eine Million Euro, um das Krisenreaktionszentrum der Afrikanischen Union (AU) für Infektionskrankheiten auszubauen. Spahns finanzielle Mittel sind begrenzt. Doch er fühlt sich zuständig. „Gesundheit kennt keine Grenzen“, sagt er. Es ist das Motto der Reise – und das Amtsverständnis des Ministers.
Spahns Konvoi bahnt sich den Weg über eine holprige Straße zur Grenze zwischen dem Kongo und Ruanda. Den Übergang in Goma passieren jeden Tag gut 50.000 Menschen. Jeder Reisende muss sich desinfizieren, Wärmekameras messen die Körpertemperatur und melden Verdachtsfälle. Die Sorge ist groß, dass das Ebola-Virus aus dem Kongo in das Nachbarland weitergetragen wird. Der Minister lässt sich die Kontrollen zeigen, umringt von Vertretern unterschiedlicher Hilfsorganisationen, Journalisten und Uniformierten.
Mit Unbehagen beobachten die Sicherheitsleute des Bundeskriminalamts, wie sich bei Grenzgängern der Unmut staut, dass der Betrieb aufgehalten wird. Im Niemandsland zwischen dem Kongo und Ruanda beginnt es zu regnen. Über dem Minister und seiner Entourage entfalten sich rote, blaue und grüne Schirme. Dann spricht Spahn in die Kameras: „Man kann gerade hier an der Grenze sehen, dass Gesundheit und Migration miteinander zu tun haben. Es geht darum zu vermeiden, dass Ebola in ein anderes Land und in eine andere Region weitergetragen wird.“
Leisere Töne
Bevor Spahn gegen den ursprünglichen Willen der Kanzlerin zum Gesundheitsminister wurde, trat er als scharfer Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik auf. Im Herbst 2015 stellte sich der stellvertretende Parteivorsitzende als einer der ersten ranghohen CDU-Politiker in dieser Frage gegen Angela Merkel. Spahn beklagte eine „jährliche ungeordnete, überwiegend männliche Zuwanderung in einer Größenordnung von Städten wie Kassel oder Rostock“ und warnte davor, dass die Sorgen vieler Bürger ignoriert würden.
Als Gesundheitsminister hält er sich aus der Flüchtlingsdebatte weitgehend heraus. Stattdessen agiert er als problemlösender Ressortchef, der sich um die Personalnot in der Pflege oder die langen Wartezeiten von Kassenpatienten beim Arzt kümmert. „Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden“, wird Spahn in einer Biografie zitiert.
Der Minister legte bislang 18 Gesetz in 18 Monaten vor, auch wenn noch nicht alle vom Bundestag verabschiedet sind. Selbst Merkel stellte auf ihrer diesjährigen Sommerpressekonferenz anerkennend fest, ihr Gesundheitsminister schaffe „eine Menge weg“.
Das Flüchtlingsthema treibt Spahn aber weiter um. Auf seiner Afrika-Reise schlägt er einen Bogen von der Gesundheitsversorgung in Afrika zu den Migrationsbewegungen nach Europa. Die Hilfe sei „auch in unserem eigenen Interesse“, sagt der CDU-Politiker. Wenn es in den Heimatländern bei Arbeit, Bildung und Gesundheit eine Perspektive gebe, könne der „Migrationsdruck“ reduziert werden.
In der ruandischen Hauptstadt Kigali informiert sich Spahn beim UN-Flüchtlingshilfswerk über ein Rückführungsprogramm aus Libyen. Ruandas Präsident Paul Kagame hat sich bereit erklärt, 500 afrikanische Flüchtlinge aus libyschen Lagern aufzunehmen. Vor allem sollen unbegleitete Minderjährige und Frauen kommen, die auf die gefährliche Überfahrt nach Europa warten. Die Aufnahmelager in Ruanda sind zum größten Teil von der EU finanziert. Das Programm sei ein Vorbild, findet der Gesundheitsminister.
Die Botschaft der Bundesrepublik in Kigali hat zu den Einheitsfeierlichkeiten geladen, Ehrengast ist Spahn. Der Gesundheitsminister soll vor 600 geladenen Gästen eine Ansprache zum 3. Oktober halten, es wird eine politische Grundsatzrede. Spahn wirbt für einen „weltoffenen Patriotismus“, um die Spaltung in der Gesellschaft zu überwinden.
Er spricht über das deutsche Bekenntnis zu europäischer Integration und Multilateralismus. Und er verbindet die deutsche Verantwortung für den Holocaust mit dem Völkermord in Ruanda, bei dem 1994 bis zu eine Million Menschen getötet wurden. „Die Erfahrungen unserer beiden Länder mögen sich unterscheiden, so wie die Landschaften, in denen die Gräueltaten stattfanden: die Hügel von Ruanda, die Wälder um Auschwitz“, sagt er. „Aber was wir teilen, sind die Lehren aus diesen beiden schrecklichen Ereignissen in unseren Geschichten.“
Spahn wirkt berührt, als er diese Sätze ausspricht. Kurz vor der Feier in der Botschaft hat er die Genozid-Gedenkstätte in Kigali besucht. Seine Rede könnte Spahn noch einmal vor größerem Publikum halten. In einem anderen Amt.