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Nein, jein, ja vielleicht

Es gibt viele inhaltliche Gründe gegen eine große Koalition. Aber das wichtigste Argument gegen Schwarz-Rot: Die SPD ist in einem desolaten Zustand.

Es ist in diesen Tagen viel daran erinnert worden, wir souverän und klug, wie entschieden und fokussiert Sigmar Gabriel eine widerwillige SPD im Jahr 2013 in die große Koalition führte. Der ehemalige Parteichef mag für viele Genossen mittlerweile ein rotes Tuch sein, doch selbst seine größten Kritiker erkennen an, dass er damals die Kunst der Führung beherrschte.

Martin Schulz, sein Nachfolger, ist der viel beliebtere Vorsitzende – sollte er allerdings von Führungskunst auch etwas verstehen, dann versteckt er dieses Talent meisterlich. Nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen wurden die Sozialdemokraten auf dem offenen politischen Felde vorgeführt - und zwar von niemand anderem als ihnen selbst.

Schulz hatte keinen Plan B für den Fall, dass das Dreierbündnis tatsächlich scheitern würde. Und als er plötzlich doch diesen Plan B entwickeln musste, tappte er umher wie im dunklen Wald. Zuerst bekräftigte er den Entschluss vom Wahlabend, in die Opposition zu gehen. Dann las der Bundespräsident die Leviten. Danach begann das fürchterlich verstockte Beidrehen unter wortreichen Bekundungen, ein Beidrehen sei ja noch kein Andocken. Nein, jein, ja vielleicht – so klingt die SPD.

Martin Schulz ist als Vorsitzender zu stark, um gestürzt zu werden und zu schwach, um zu führen. All das verheißt nichts Gutes für die nun beginnenden Sondierungsgespräche. Man sei stolz, man habe keine Angst, das war auf dem Parteitag viel zu hören. Das glatte Gegenteil ist der Fall. Die Sozialdemokratie beugt sich unter der Last der zu treffenden Entscheidungen.

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Keiner der Spitzengenossen hat einen glaubhaften Plan, wie man aus einer erneuten großen Koalition gestärkt hervorgehen könnte. Die meisten wissen außerdem, dass das inhaltliche Angebot nicht mal die Güte hat, das die Genossen an der Basis begeistern könnte. Nur deshalb wird der Bürgerversicherung, dem „Ende der Zweiklassen-Medizin“, gerade so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Da riecht wenigstens etwas nach kleiner Sozialrevolution.

Ansonsten: Sachgrundlose Befristungen abschaffen, mehr Geld für Schulen, Pflegekräfte, Polizisten und Europa. Und natürlich, auch für die Rentner. Das ist Genossenprogramm pur, hergebracht, traditionell, langweilig – ohne Esprit und Funkeln, meistens teuer und manches sogar zweifelhaft. Von spannenden Ideen wie dem individuellen Chancenkonto für Weiterbildung hingegen ist nach der Wahl so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Fortschritt, Aufbruch und Mut haben bei der SPD keine Lobby mehr. Sie hätte einer Koalition mit der Union außer ihren Stimmen nichts zu geben.

Und die Alternative? Ist auch keine echte Option. Eine Minderheitsregierung oder Tolerierung dürfte für die Union nicht in Frage kommen, blieben also Neuwahlen. Wer aber sollte dann für die SPD antreten? Noch einmal Martin Schulz, der 20-Prozent-Mann? Wohl kaum. Doch auch Andrea Nahles hat zuletzt mit ihrem Reigen an „Bätschi“-, „Kacke“- und „In die Fressse“-Sprüchen gezeigt, dass man eine makellose Ministerbilanz haben kann und dennoch (noch) nicht die Reife für eine Kanzlerkandidatur.

Blieben für die SPD Manuela Schwesig und Olaf Scholz. Schwesig müsste zunächst in Mecklenburg-Vorpommern zeigen, dass ihr nicht nur die Herzen der SPD zufliegen, sondern die der Wähler. Und Olaf Scholz – derjenige aus der Führungsriege, der am ehesten aus Kanzlermaterial ist – wurde gerade erst auf dem Parteitag mit einem 50-plus-x-Ergebnis als Parteivize gedemütigt.

Was also: Nein, jein, vielleicht doch ja? Am liebsten würde die SPD auf diese Frage überhaupt keine Antwort geben.

KONTEXT

Die SPD schlingert Richtung GroKo

Wie wahrscheinlich ist nun eine große Koalition?

Das hängt vor allem davon ab, ob Schulz genug herausholen kann in den Sondierungen in den ersten beiden Januarwochen, so dass er beim Sonderparteitag - wahrscheinlich am 14. Januar - das Ok der Basis für konkrete Koalitionsverhandlungen bekommt. Bisher sind nach Schätzungen in einzelnen SPD-Landesverbänden bis zu zwei Drittel der Delegierten gegen eine neue GroKo. Schulz will bei den Sondierungen mit der Union für einen „anderen Stil“ sorgen als bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen. „Bei uns wird es keine Balkonbilder geben, auch kein Winken.“ Intensives Twittern von Zwischenständen will er auch unterbinden.

Wie lautet die Taktik beider Seiten?

Merkel weiß, dass Schulz ein paar „Leuchtturmprojekte“ braucht, um den Parteitag zu überstehen. Und wenn es zum Koalitionsvertrag kommt, auch noch das abschließende Votum der rund 440 000 Mitglieder. Doch CDU und CSU wollen nur über eine große Koalition reden. Schulz dagegen will auch andere Modelle „ergebnisoffen“ verhandeln - wie eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung oder eine „Kooperationskoalition“, bei der die SPD zwar Minister in die Regierung schickt, aber nur bei Kernprojekten wie dem Haushalt und Auslandseinsätzen mit der Union kooperiert. Bei anderen Themen könnten sich beide Seiten hier auch mit anderen Parteien verbünden. Als Beispiel gilt die gegen die Union durchgesetzte „Ehe für alle“.

Warum liegt hier eine große Gefahr für Schulz?

Gerade die Jusos sammeln Verbündete für ihre Kampagne #NoGroKo. Sie argwöhnen, die Parteispitze habe sich längst auf GroKo-Verhandlungen eingestellt und nähre nur noch die Illusion von anderen Optionen, um sie ruhigzustellen. Schulz hat in sein zwölfköpfiges Sondierungsteam auch den Landeschef der SPD in Nordrhein-Westfalen, Michael Groscheck, geholt. Im größten Landesverband, der fast ein Viertel der Delegierten bei dem Sonderparteitag stellt, gibt es große Ablehnung; hier wird eine Minderheitsregierung favorisiert. Hat Schulz zu wenig zu bieten, droht eine Ablehnung, dann wäre auch er als Parteichef kaum zu halten. Er argumentiert, dass die SPD auch dringend gebraucht wird, um Reformideen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für „mehr Europa“ zügig umzusetzen.

Wo deuten sich erste inhaltliche Kompromisse an?

Zum Beispiel bei einem SPD-Herzensthema, dem Rückkehrrecht von Teilzeitbeschäftigten auf Vollzeitstellen, was vor allem hunderttausende Frauen betrifft. Ziel der Partei ist es, das Leben der Menschen zu verbessern, wieder Kümmerer-Partei zu werden. „Bei gutem Willen auf beiden Seiten halte ich das für lösbar“, sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) dem „Spiegel“. Schon in der letzten Koalition sei das nur an der Frage gescheitert, ab welcher Betriebsgröße das Rückkehrrecht gelten soll. Interessant: Schulz redet auch nicht mehr über eine einheitliche Krankenkasse; viele in der SPD wollen die Flucht von Beamten und Besserverdienern in die private Versicherung stoppen. Hier könnte die Union der SPD mit Änderungen bei den Beiträgen für Arbeitnehmer entgegenkommen.

Warum tut sich die SPD so schwer?

Nach der letzten GroKo landete die SPD bei der Bundestagswahl bei katastrophalen 20,5 Prozent. Seit dem rot-grünen Wahlsieg mit Gerhard Schröder 1998 hat die SPD zehn Millionen Wähler verloren. Die AfD sitzt der ältesten demokratischen Partei im Nacken. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel lag die SPD bei der Landtagswahl bei 10,6 Prozent, die AfD bei 24,3 Prozent. Als ein Grund wird der Verlust von Profil in einer Koalition mit Merkels Union angesehen - und ein Verlust des Kontaktes zu den „kleinen Leuten“. Kaum jemand weiß, wofür die SPD heute steht - das Wahlprogramm war ein Sammelsurium vieler Vorschläge, ohne klare Idee für die Zukunft Deutschlands in Krisenzeiten. Viele Genossen fürchten auch, als Regierungspartei bleibe zu wenig Zeit für die nötige Erneuerung.

Wer sind die entscheidenden GroKo-Figuren bei der SPD?

Natürlich Parteichef Schulz, dem aber nach seinem mehrfachen Nein zu einer großen Koalition Misstrauen entgegen schlägt. Wichtig dürfte sein, ob Groschek die NRW-SPD auf GroKo-Kurs bringt, und wie viel Überzeugungsarbeit die Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles im linken Flügel übernimmt. Eine gewichtige Rolle kommt aber auch dem neuen „Parteiliebling“ Malu Dreyer zu - sie wurde gerade erst mit famosen 97,5 Prozent zur neuen SPD-Vizechefin gewählt. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin erinnert in ihrer Rolle an Hannelore Kraft 2013 vor der letzten GroKo: erst große Skeptikerin, die dann die Partei davon überzeugte, dass man es angesichts durchgesetzter Forderungen - wie 8,50 Euro Mindestlohn - machen müsse. Dreyer betont nun: „Man wird am Ende dann sehen, wie weit man mit den Inhalten kommt, darum geht es, was man bewegen kann in unserem Land. (...).“ Senkt sie am Ende den Daumen, dürfte es schwierig werden. Für Schulz beginnt die wohl schwierigste Weihnachtszeit in seiner politischen Karriere.