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Ein Jahr nach der Pleite: Thomas Cook ist nur noch ein Scherbenhaufen

Nach der spektakulären Pleite des Mutterkonzerns von Neckermann, Öger und Condor zeichnen sich schwere Versäumnisse bei den Aufräumarbeiten ab.

Die Pleite von Thomas Cook hat alleine in Deutschland 220.000 Kunden getroffen. Foto: dpa
Die Pleite von Thomas Cook hat alleine in Deutschland 220.000 Kunden getroffen. Foto: dpa

So hatten sich die Kunden von Thomas Cook ihren Urlaub im September 2019 wohl nicht vorgestellt. Ein Resort in der Nähe von Tunis hinderte Dutzende Gäste an der geplanten Abreise, auf Bali, Kuba und anderswo zwangen Hoteliers Pauschaltouristen, ihre Zimmer vor dem Abflug ein zweites Mal zu zahlen. „Es fühlt sich an, als würden wir als Geiseln gehalten“, erzählten verstörte Touristen einem TV-Sender über den Zaun ihrer Unterkunft.

An diesem Mittwoch jähren sich die Schreckensbilder zum ersten Mal. Am 23. September 2019 hatte der Reiseveranstalter Thomas Cook, der älteste Touristikkonzern der Welt, wegen einer finanziellen Schieflage in Großbritannien einen Insolvenzantrag gestellt. Zwei Tage später folgten die wichtigsten Tochtergesellschaften in Deutschland beim Amtsgericht Bad Homburg – und anschließend erfolgte die Zerschlagung.

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„Wir haben bei der deutschen Thomas-Cook-Gruppe unter sehr hohem zeitlichen Druck versucht, die noch vorhandene Substanz an neue Investoren zu übertragen“, sagt Insolvenzverwalterin Julia Kappel-Gnirs rückblickend, die für die Verwertung unter anderem der Tochter Bucher Reisen & Öger Tours verantwortlich war. „Hierdurch konnten wir viele Arbeitsplätze erhalten und Gläubigerinteressen wahren.“ Den Covid-19-bedingten Einbruch der weltweiten Reisebranche habe man nicht vorausahnen können.

So aber fällt die Bilanz ein Jahr nach dem Aus des Konzerns ernüchternd aus. Nur ein überraschend geringer Teil des Scherbenhaufens, den die Pleite des weltweit zweitmächtigsten Urlaubsanbieters hinterließ, ist bis heute beseitigt.

Wie schleppend der eingeschaltete Versicherer und Deutschlands Behörden mit der Abwicklung vorankommen, offenbarte vor wenigen Tagen eine Kleine Anfrage des Grünen-Politikers Markus Tressel im Bundestag. Von den 220.000 geschädigten Thomas-Cook-Kunden in Deutschland, so das Ergebnis, hätten bis heute erst 5000 eine volle Entschädigung erhalten.

Dem Ärgernis könnten nun sogar politische Konsequenzen für die gesamte Pauschalreisebranche folgen. „Ich halte die Vorkassezahlungen für antiquiert, für nicht mehr verantwortbar im Flug- und Reisebereich“, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Klaus Müller.

Touristen sind noch immer schlecht geschützt

Die Pleite des Mutterkonzerns von Neckermann, Öger und Condor hatte sich bereits Monate zuvor angekündigt. Zu niedrig kalkulierte Margen, eine durch den Brexit verunsicherte Kundschaft im Stammland Großbritannien und der Verzicht auf das damals lukrative Kreuzfahrtgeschäft hatten am Ende eine Finanzierungslücke gerissen, die Londons Regierung nicht mehr zu stopfen bereit war. Am Ende war es das Fehlen von 200 Millionen Pfund, das die 1841 gegründete Traditionsfirma zu Fall brachte.

Dass die Entscheidung ein halbes Jahr später womöglich ganz anders ausgefallen wäre, dürfte für Ex-Vorstandschef Peter Fankhauser heute klingen wie eine Ironie des Schicksals. Ab April 2020 nämlich öffneten plötzlich viele europäische Regierungen großzügig ihre Kassen, um die katastrophalen Folgen der Corona-Pandemie zu lindern. Nicht nur dem ertragsschwachen Touristiker FTI Reisen in München sprang der Staat helfend zur Seite, auch Marktführer Tui durfte sich aus Rettungskrediten über drei Milliarden Euro bedienen.

Doch während Finanz- und Wirtschaftsministerium in Berlin ihre „Bazooka“ abfeuerten, gerieten die Aufräumarbeiten rund um Thomas Cook ins Stocken. Das wohl ärgerlichste Versäumnis: Wer als Pauschalurlauber Anzahlungen leistet, muss im Fall einer Veranstalter-Pleite weiterhin um sein Geld bangen. Weder eine 30 Jahre alte Richtlinie der EU noch die Megapleite von Thomas Cook konnten Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) in den vergangenen zwölf Monaten dazu bewegen, eine ausreichende Absicherung der Kundengelder zu installieren.

Ein Fall wie Thomas Cook könnte sich damit schon bald wiederholen – zumal die Corona-Pandemie den Geschäftslauf der Reiseveranstalter massiv ins Stottern versetzt hat. Wie vor einem Jahr sind auch heute Pauschalreisekonzerne lediglich mit einer Summe von 110 Millionen Euro gegen mögliche Insolvenzfolgen versichert.

Das Risiko tragen nicht nur die Urlauber, sondern auch Deutschlands Steuerzahler – wie sich nach der Cook-Pleite zeigte. Nach anfänglichem Zögern sah sich die Bundesregierung im vergangenen Dezember genötigt, für die geduldete Unterdeckung geradezustehen. Voraussichtlich 263 Millionen Euro wird sie damit an die Cook-Geschädigten auszuzahlen haben.

Auch bei den Töchtern gab es Insolvenzen

Für sie wie auch für die Geldgeber bleibt die Lage dennoch verworren. Denn von der 110 Millionen Euro hohen Versicherungssumme hatte die Zurich-Assekuranz zunächst 59,6 Millionen Euro für die Rückholaktionen reserviert. Aus dem Restbetrag errechnete sich für die betroffenen Urlauber eine Entschädigungsquote von 17,5 Prozent. Die Zahlen könnten sich aber noch einmal ändern, räumte nun ein Sprecher von Zurich auf Anfrage ein. „Wir sind auf den letzten Metern, dies festzustellen“, sagte er.

Unübersichtlich bleibt die Kalkulation, weil auch Betrüger Ansprüche geltend machten. Andererseits können Ansprüche, so will es das Gesetz, noch bis zum September 2021 nachgereicht werden.

„Das nächste Versicherungsjahr beginnt am 1. November, ohne dass es eine neue, zuverlässige Regelung gibt“, warnt der Zurich-Sprecher. „Hier ist Eile geboten.“

Dass die Mangelhaftigkeit der Kundengeldabsicherung fortbesteht, lässt die Zahl der Versicherer zudem schrumpfen – und damit die Verhandlungsmacht der Reiseveranstalter.
Nachdem HDI Global vor Kurzem den Ausstieg erklärt hat, bleiben mit Zurich, Swiss Re, R+V sowie Hansemerkur nur noch vier Anbieter im Markt übrig. Wem als Veranstalter die obligatorische Versicherung abhandenkommt, wie vor drei Jahren dem Berliner Nahost-Spezialisten JT Touristik nach dem Marktausstieg von Generali, muss um die eigene Existenz bangen, falls sich keine neue findet.

Auch die Abwicklung der Thomas-Cook-Töchter in Deutschland endete – nach anfänglichen Erfolgsmeldungen – mehrfach in weiteren Insolvenzen. So sollten laut Pressemeldung der beauftragten Insolvenz-Kanzlei HWW Hermann Wienberg Wilhelm „mehr als 500 Arbeitsplätze von Thomas Cook gesichert“ werden, indem die 106 konzerneigenen Reisebüros am 19. November an den Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof gingen.

Weil der Essener Einzelhändler jedoch bald selbst in Schwierigkeiten geriet, standen auch sie nur wenige Wochen später vor der Schließung. Bis heute überlebten nur 25 Agenturen mit rund 100 Mitarbeitern, die der Wettbewerber DER Touristik übernahm.

Ähnlich erging es den 500 Mitarbeitern des Cook-Callcenters. Die „Gesellschaft für Reisevertriebssysteme mbH“ (GfR), eine nicht insolvente Tochtergesellschaft der Thomas Cook Touristik GmbH, ging kurz vor Weihnachten an den Münchener Finanzfonds LEO II. Ende Mai musste die GfR dennoch den Betrieb einstellen – als Folge der Corona-Pandemie.

Selbst die geplante Wiederbelebung der einst klangvollen Urlaubsmarken „Neckermann“, „Öger“ und „Bucher“ ist bis heute nicht in Sicht. Sie hatten die Insolvenzverwalter kurz vor Weihnachten an den türkischen Urlaubskonzern Anex veräußert, der mit ihnen neue Kunden locken wollte. „Die Marken sind nach der spektakulären Pleite verbrannt“, berichtet Marija Linnhoff vom Reisebüroverband VUSR. „Keine von ihnen spielt im Vertrieb noch eine Rolle.“