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Merkel und Macron arbeiten besser zusammen als erwartet

Der Aachener Vertrag ist ein Jahr alt, aber die Stimmung zwischen Paris und Berlin ist gereizt. Dabei haben Bundeskanzlerin und Staatspräsident durchaus viel erreicht.

Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich begrüßt Angela Merkel, Bundeskanzlerin von Deutschland, im Pariser Schloss Elysee. Foto: dpa
Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich begrüßt Angela Merkel, Bundeskanzlerin von Deutschland, im Pariser Schloss Elysee. Foto: dpa

Mehr Schwung und mehr Gemeinsamkeit im deutsch-französischen Verhältnis sollte der Aachener Vertrag schaffen, der vor genau einem Jahr von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron unterzeichnet wurde. Der Vertrag sieht vor allem eine stärkere Einbeziehung der Bürger, mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit und eine besser abgestimmte Außen und Verteidigungspolitik vor.

Am Mittwoch werden die Ratifizierungsurkunden übergeben, sind die Formalia abgeschlossen. In einem Jahr haben die beiden Politiker überraschend viel erreicht. So haben die beiden Partner sich auf gemeinsame Richtlinien für den Export von Rüstungsgütern verständigt. Ein Thema, das jahrzehntelang für Streit gesorgt hat, wurde innerhalb weniger Monate einvernehmlich geregelt.

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Wenn in der Öffentlichkeit jedoch der Eindruck eines eher unterkühlten Verhältnisses besteht, dann liegt das an einer gewissen Gereiztheit auf beiden Seiten. Merkel sprach bei Macrons erstem Besuch in Berlin unmittelbar nach seiner Wahl im Mai 2017 noch davon, dass „Jedem Anfang ein Zauber innewohne“. Vor wenigen Wochen dagegen ließ sie durchsickern, Macron auf den Kopf zugesagt zu haben, sie habe keine Lust mehr, die Scherben aufzusammeln, die er verursache.

Gemeint war die Erregung vor allem in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU über Macrons Äußerung, die NATO sei „hirntot“. Auch der Gescholtene äußert sich mittlerweile deutlich kritischer über den Partner auf der anderen Rheinseite. Kurz nach Amtsantritt sagte er, in Europa wolle er alles gemeinsam mit den Deutschen angehen. Bei seiner Pressekonferenz im Sommer vergangenen Jahres dagegen bekannte er sich zu einer „fruchtbaren Konfrontation“ im Verhältnis mit der Bundeskanzlerin.

Die Stimmung ist schlecht, die Substanz des Verhältnisses dagegen gut, so könnte man etwas überspitzt die Lage zusammenfassen. „Wir haben in zweieinhalb Jahren mehr erreicht als im Laufe der meisten vorangegangenen französischen Präsidentschaften“, sagt ein deutscher Diplomat. In der Außendarstellung wird das Erreichte allerdings häufig verstolpert.

Beispiel Rüstungsexport-Kontrolle: Frankreich und Deutschland haben sich jetzt darauf verständigt, dass bei gemeinsamen, von der Politik betriebenen Rüstungsprojekten keine Seite der anderen bei einer Ausfuhr Steine in den Weg legt – es sei denn, es sind essentielle nationale Sicherheitsinteressen betroffen.

Erstmals gemeinsame Rüstungsvorhaben

Bei rein industriellen Rüstungsvorhaben gilt eine De-Minimis-Regel: Güter, in denen Zulieferungen von nicht mehr als 20 Prozent enthalten sind, können ohne Probleme ausgeführt werden. Allerdings gibt es eine Liste von Gütern, von Gewehren über Kanonen und Raketen bis zu Panzertürmen, die von diesem Automatismus ausgeschlossen sind.

Die Vereinbarung ist ein großer Erfolg in der Zusammenarbeit, doch sie wird in den Hintergrund verbannt, als müsste man sich dafür schämen. Erstmals reichen sich Deutschland und Frankreich auch bei großen Rüstungsvorhaben die Hand: Das Kampfflugzeug-System der Zukunft und ein Kampfpanzer werden gemeinsam entwickelt.

In der Handels- und Industriepolitik läuft es ähnlich gut, die beiden Partner stellen aber auch hier ihr Licht unter den Scheffel. Trotz der handelspolitischen Aggressivität des US-Präsidenten Donald Trump und einer traditionell größeren Nähe der Deutschen zu den USA sowie unserer stärkeren Exportabhängigkeit haben Paris und Berlin sich nicht auseinanderdividieren lassen. Im Gegenteil, in der Handelspolitik sind seit Jahrzehnten bestehende nationale Klischees und Missverständnisse ausgeräumt worden.

Den USA wurde ein Angebot für ein Handelsabkommen gemacht, in der EU haben Deutschland und Frankreich sich gemeinsam für ein weniger naives Auftreten gegenüber China eingesetzt. Chinesische Investitionen in sensiblen europäischen Branchen werden überwacht.

Gemeinsam haben sich Paris und Berlin auch für die Überarbeitung der EU Wettbewerbspolitik eingesetzt. Die soll stärker mit Auflagen statt mit Verboten arbeiten. In der Vergangenheit wurden Fusionen untersagt, bei denen man später feststellte: Dem europäischen Wettbewerb hätten sie nicht geschadet, durch das Verbot verlor Europa aber den Anschluss.

Auch in der Industriepolitik ist man vorangekommen, ein Beispiel dafür sind die beiden Konsortien für die Herstellung von Batterien für Elektroautos. Ob dies letzten Endes dazu führt, dass die europäische Autoindustrie tatsächlich unabhängiger wird von asiatischen Lieferanten, die nahezu ein Monopol haben, ist noch nicht ausgemacht. Aber wenigstens haben Paris und Berlin sich in einem sensiblen Bereich auf eine gemeinsame Initiative verständigt.

Digitale Wende noch nicht erreicht

Bürgerbeteiligung und grenzüberschreitende Zusammenarbeit sind noch die Stiefkinder der Kooperation. In beiden Fällen finden jetzt die ersten Treffen statt. Das liegt nicht allein am zentralistischen Frankreich. Auch in Berlin mangelt es an Nähe zu den Regionen.

Die Wiederherstellung der seit dem Krieg unterbrochenen Bahnverbindung zwischen Freiburg und Colmar wurde lange als ein kleines regionales Projekt behandelt, nicht als eines von deutsch-französischer Bedeutung, erregt sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Das ist nicht die einzige Schwachstelle. Auch bei der digitalen Wende, bei der künstlichen Intelligenz und beim Klimaschutz, lauter Fragen, die für die Souveränität der EU ausschlaggebend sind, beteuern Frankreich und Deutschland zwar den Willen zur Zusammenarbeit, haben aber deutlich Schwierigkeiten, dies auch zu verwirklichen.

Einer der hemmenden Faktoren ist die Verstimmung zwischen den beiden Regierungen. Wäre das Verhältnis so zauberhaft, wie im Mai 2017 gehofft wurde, dann wäre man wohl weiter vorangekommen. Doch die deutsche Seite schwieg sehr lange, nachdem Macron in seiner Sorbonne-Rede vom September 2017 viele visionäre Ziele für die EU formuliert hatte.

Der Präsident trägt einen Teil der Verantwortung. Er sei „ein brillanter Architekt, aber ein enttäuschender Maurer.“ sagt Yves Bertoncini, der frühere Direktor des Delors-Institutes und heutige Chef der Europäischen Bewegung in Frankreich. Im Gespräch mit dem Handelsblatt stellt Bertoncini fest, dass es Fortschritte gebe, Macron aber „dermaßen hohe Ziele setzt, dass er zwangsläufig darunter bleiben muss und in seine eigene Falle fällt.“

Macron sei einer falschen Analyse aufgesessen, habe zu sehr auf die Reform der Eurozone und ein eigenes Budget für die Euro-Mitgliedstaaten gesetzt. Dabei habe er verkannt, wie sehr die deutsche Seite bereits unter den Präsidenten Nicolas Sarkozy und Francois Hollande über den eigenen Schatten gesprungen sei, kritisiert Bertoncini.

Aachener Vertrag könnte noch bessere Ergebnisse bringen

„Frankreich hat Fortschritte erreicht, für die Deutschland einen hohen politischen Preis gezahlt hat, nämlich das Aufkommen der AFD, während es in Frankreich keine entsprechenden politischen Kosten gab“, gibt der EU-Experte zu bedenken.

Die Metapher vom Architekten und Maurer trifft es. Macron ist gut darin, große Ziele für die EU zu formulieren, die den Bürgern einleuchten, wie etwa die Verteidigung der europäischen Souveränität sowohl auf wirtschaftlichen wie auf politischem Gebiet. Doch bei der Umsetzung hapert es.

Die Bedeutung eines Eurozonen-Budgets versteht auch in Frankreich kein Normalbürger. In Osteuropa stieß der Präsident viele Länder mit seiner Forderung nach einer restriktiven Neufassung der Entsenderichtlinie für Arbeitnehmer vor den Kopf: Wieder einmal hatten die Osteuropäer den Eindruck, die westlichen Altmitglieder der EU wollten sie aussperren.

Der erratische Stil des Präsidenten hat einiges zu Abkühlung des Verhältnisses zwischen Berlin und Paris beigetragen. Nachdem er in Frankreich das traditionelle Parteiensystem in die Luft gejagt hatte, wollte er in Europa ebenfalls Konservative und Sozialdemokraten aus den Angeln heben. Das passte schlecht zum Anspruch einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der großen Koalition in Berlin.

Auch auf andere Weise stand der Präsident sich selbst im Wege. So forderte er mehr Demokratie in der EU, brachte aber das Europaparlament gegen sich auf, weil er sich mit aller Kraft dagegen einsetzte, dass ein siegreicher Spitzenkandidat als Präsident der EU-Kommission vorgeschlagen wird.

Macrons offener Brief an die EU-Bürger, den er im Frühjahr vergangenen Jahres veröffentlicht hat, greift zwar viele richtige Themen auf. Doch in einigen Ländern wurde er wahrgenommen als ein bonapartistischer Versuch, von Frankreich aus in die Nachbarstaaten hineinzuregieren.

Ein Macron, der weniger auf große Reden und mehr auf politisches Handwerk setzt und dazu eine Bundesregierung, die nicht so schwerfällig in Gang kommt wie ein norddeutsches Kaltblut-Pferd: Mit dieser Kombination könnte der Aachener Vertrag in den nächsten Jahren noch deutlich bessere Ergebnisse bringen.