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Regierungskrise in Italien verzögert dringend nötige Milliardenhilfen für die Wirtschaft

Die Wirtschaft des Landes ist in der Corona-Pandemie stark eingebrochen. Nun könnten politische Querelen den erneuten Aufschwung abwürgen.

Wenn sich Italien derzeit eines nicht leisten kann, dann ist das ein lähmendes Machtvakuum: Neun Prozent Wirtschaftseinbruch, die Staatsverschuldung steigt auf das Anderthalbfache der Wirtschaftsleistung, die Unternehmen unproduktiv, Gesundheits- und Bildungssystem unterfinanziert. Doch eben in dieses Machtvakuum hat Italiens Ex-Premier Matteo Renzi sein Land nun gestoßen, als er mit seiner kleinen Partei Italia Viva die Regierungskoalition verlassen hat.

Ministerpräsident Giuseppe Conte versucht zwingend Neuwahlen zu vermeiden, spricht mit möglichen neuen Unterstützern, die ihm die Mehrheit im italienischen Parlament sichern könnten. Schon am Montagnachmittag will er sich der Vertrauensfrage in der Abgeordnetenkammer stellen, am Dienstagmorgen dann im Senat.

Renzi und seine zwei Ministerinnen hatten das Bündnis mit den Sozialdemokraten und der Fünf-Sterne-Bewegung am Mittwochabend aufgekündigt, weil sie sich nicht über die Höhe und Verwendung der europäischen Hilfsgelder, die Italiens Wirtschaft dringend braucht, einigen konnten. Die Auszahlung ebenjener Hilfen könnte sich aber jetzt erheblich verzögern.

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Auch hinter dem nächsten nationalen Corona-Hilfspaket für besonders von der Pandemie betroffene Betriebe steht nun ein großes Fragezeichen. Leidtragende wären die ohnehin schon hart getroffenen Unternehmen. Dabei hatten die Firmen nach dem starken Einbruch des vergangenen Jahres auf einen schnellen Aufschwung gehofft. Der könnte nun durch politische Querelen abgewürgt werden. Selbst das Schreckgespenst Neuwahlen spukt schon herum, das dem Land eine breite rechte Mehrheit bescheren könnte – mit der Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini als Anführer.

„Die Uhr für Italien tickt“, sagt Markus Ferber, wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament. Je später Rom einen zufriedenstellenden Aufbauplan nach Brüssel übermittele, desto länger werde es dauern, bis die Mittel in Italien ankommen – „dessen sollten sich die Verantwortlichen in der italienischen Regierung bewusst sein“.

Die Sorge in der EU über den Bruch der Koalition ist groß. „Gerade in der Pandemie ist es wichtig, dass Italien eine handlungsfähige Regierung hat“, meint der CSU-Politiker.

Schulden wachsen um 22 Millionen Euro – pro Stunde

Die politische Krise trifft Italien in einer ökonomisch höchst fragilen Phase. Das Land hat sich in mehr als zehn Jahren immer noch nicht von der Euro-Krise erholt. Selbst im Jahr 2025 dürfte Italiens Wirtschaftskraft noch nicht das Vorkrisenniveau von 2008 erreicht haben, schätzt man beim Internationalen Währungsfonds (IWF).

Die Staatsverschuldung hielt sich in den vergangenen Jahren hartnäckig bei rund 135 Prozent der Wirtschaftsleistung. Keine der Regierungen hat es geschafft, von dem riesigen Schuldenberg herunterzukommen, der mittlerweile jenseits der 2,5 Billionen Euro liegt.

Dann kam auch noch die Pandemie. Die Verschuldung wächst und wächst – derzeit um 22 Millionen Euro pro Stunde. Infolge der Coronakrise wird sie auf mehr als 160 Prozent des Bruttoinlandprodukts ansteigen, schätzt man beim IWF. Damit würde Italien bald in einer Liga spielen mit Ländern wie Eritrea und dem Libanon. In Europa übertreffen nur noch die Griechen dieses Schuldenniveau.

Die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt wurde besonders stark von Corona getroffen. Mehr als 80.000 Menschen sind schon an oder mit dem Virus gestorben. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es weltweit nur in Belgien eine noch höhere Todesrate. Die Militärfahrzeuge, die im Frühjahr massenweise Särge durch die Lombardei transportierten, haben sich für immer ins Gedächtnis des Landes eingebrannt.

Der Lockdown, den Premier Conte im März für mehr als zwei Monate verhängte, war einer der härtesten in ganz Europa – ein Produktionsstopp für die meisten Unternehmen eingeschlossen. Das produzierende Gewerbe hat sich zwar mittlerweile einigermaßen erholt und blickt optimistisch in die kommenden Monate.

Der Tourismus, der normalerweise mit Zulieferbetrieben gut 14 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, ist im vergangenen Jahr aber fast zum Erliegen gekommen. Der Industrieverband Federturismo geht allein bei Hotels von einem Umsatzrückgang von 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr aus.

Durch die politischen Querelen könnte sich nun auch noch die Auszahlung des mittlerweile fünften Corona-Hilfspakets für besonders unter der Pandemie leidende Branchen verzögern. Die Regierung will dafür einen Nachtragshaushalt durchs Parlament bringen, rund 32 Milliarden mehr als bislang sind eingeplant, unter anderem auch für die Beschaffung weiterer Impfstoffe. Am späten Donnerstagabend stimmte das Kabinett dem Entwurf zu. Nun muss das Parlament schnell zustimmen, solange die Regierung noch steht. Experten gehen davon aus, dass eine zurückgetretene Exekutive dem Parlament solch eine große Summe gar nicht mehr abverlangen dürfte.

Die große Hoffnung ruht auf weiteren Impfstoffen

Italiens Wirtschaft ist im vergangenen Jahr stark geschrumpft. Jüngste Schätzungen gehen von einem Minus von fast neun Prozent aus. Für dieses Jahr erwarten die Ökonomen vom Statistikinstitut Istat immerhin ein Plus von vier Prozent. Allerdings soll auch die Arbeitslosenquote ansteigen, von derzeit 9,4 auf dann elf Prozent.

Mit ein Grund dafür: Im April läuft der Kündigungsstopp aus, den die Regierung am Anfang der Pandemie verhängt hatte. Immerhin der private Konsum macht optimistisch: Legten die Italiener in der Krise zunächst noch ihr Geld beiseite und trieben die Sparquote der privaten Haushalte auf zeitweise 19 Prozent, gaben sie seit September wieder mehr aus. Wobei die verschärften Corona-Regelungen im Winter vor allem wieder den Einzelhandel treffen.

Die gestarteten Corona-Impfungen machen zumindest Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Pandemie. Bis Herbst will Italien all seine Bürger immunisiert haben. Diese Rechnung geht aber nur dann auf, wenn auch die Impfstoffkandidaten von Astra-Zeneca und Johnson & Johnson noch im Sommer zugelassen werden. Das sind viele Ungewissheiten, zu denen sich nun auch noch die politische gesellt.

„Die aktuelle wirtschaftliche Situation in Italien ist ohnehin durch die Pandemie und eine Verunsicherung über die Zukunft gekennzeichnet“, meint Jörg Buck, Leiter der Deutsch-Italienischen Handelskammer in Mailand. „Was unsere Unternehmen jetzt brauchen, ist eine Strategie für den Wiederaufbauplan und dessen Umsetzung, sodass Italien mit seinen europäischen Partnern, allen voran Deutschland, zum Wachstum zurückkehren kann.“

Italien braucht die Gelder aus Brüssel dringend, um jahrzehntealte Probleme zu bekämpfen: Das Gesundheitssystem ist genauso unterfinanziert wie die Bildung. Die Produktivität der Unternehmen ist viel zu niedrig. Die Verwaltung arbeitet zu ineffizient und zu analog. Auf dem Digital Economy and Society Index rangiert Italien auf einem der hintersten Plätze, nur noch vor Rumänien, Griechenland und Bulgarien. Digitale Unterschriften sind kaum möglich, auf den Ämtern herrscht Papierkrieg.

Die Justiz arbeitet zu langsam, viele Prozesse verjähren einfach. Gleichzeitig liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei knapp 30 Prozent.

Renzi ließ Hoffnungsschimmer durchblitzen

„Ohne nationale Pläne, welche Reformen mit 200 Milliarden an EU-Geldern in Italien finanziert werden sollen, und entsprechende Kontrolle, kann kein Geld fließen“, warnt Andreas Schieder, Delegationsleiter der österreichischen Sozialdemokraten im Europaparlament.

Es sei besorgniserregend für die gesamte Union, wenn ein Land wie Italien nicht vom gigantischen Hilfsprogramm profitieren könnte – „und so beim Wiederaufbau zurückfällt“. Die unzureichenden Produktivitätsraten könnten nicht allein durch europäische Geld- und Fiskalpolitik behoben werden, mahnt der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner.

Zumindest einen Hoffnungsschimmer ließ Renzi durchblitzen, bei allem Dissens: Sobald über den Wiederaufbauplan der Regierung abgestimmt wird, würde seine Partei Italia Viva dafür stimmen. Ob Premier Conte dem alten Partner aber wirklich noch trauen kann, wird sich schon bald zeigen: Bereits am Montag soll die Verwendung der EU-Hilfen im Parlament debattiert werden.

Italien habe über Jahrzehnte bewiesen, dass es trotz regelmäßiger Regierungskrisen immer in der Lage war, EU-Gelder auszugeben, sagt der EU-Abgeordnete Körner. Doch selbst wenn das Parlament die Ausgabenliste durchwinken sollte, herrscht in Italien die Angst, dass Brüssel mitten im Vakuum nicht auszahlen könnte.

Mehr: Italien muss Neuwahlen um jeden Preis vermeiden – ein Kommentar