Draghis Dilemma
Lange hat EZB-Chef Mario Draghi auf steigende Preise gewartet. Fast in seiner gesamten Amtszeit von über fünf Jahren hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihr selbst gesetztes Inflationsziel von etwa zwei Prozent verfehlt – und dafür Kritik einstecken müssen. Bislang galt das Verfehlen dieses Ziels und die Furcht vor einer lähmenden Deflation immer als Rechtfertigung für die ultralockere Geldpolitik der EZB.
Doch dieses Ziel wird nun auf einmal sogar leicht überschritten: Die Verbraucherpreise im Euro-Raum zogen im Februar im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 2,0 Prozent an, wie das Statistikamt Eurostat am Donnerstag in einer ersten Schätzung mitteilte. Dieser Wert wurde zuletzt im Januar 2013 erreicht. Dadurch werden Stimmen lauter, die eine Kehrtwende in der Geldpolitik der EZB fordern.
„Die Zahlen müssen Anlass sein, jetzt erste Schritte zur Normalisierung der Geldpolitik einzuleiten“, fordert Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise. Er hält eine „zügige Kehrtwende in der Geldpolitik“ für „dringender denn je“. Die Chancen dafür gelten jedoch als gering – trotz der höheren Inflation.
Insbesondere der Ölpreisanstieg sorgte für anziehende Inflation: Die Kosten für Energie legten im Februar um 9,2 Prozent zu. Dienstleistungen verteuerten sich um 1,3 Prozent. Für Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak mussten die Verbraucher 2,5 Prozent mehr bezahlen als im Vorjahresmonat.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann geht davon aus, dass die Inflation in der Euro-Zone wegen gestiegener Ölpreise sogar noch höher liegen könnte als bisher gedacht. „Die Inflation dürfte in diesem Jahr merklich über den bisherigen Prognosen liegen“, erwartet er. Für Deutschland werde eine Revision um etwa einen halben Prozentpunkt nach oben erwartet, sagte er auf einer Veranstaltung am Mittwoch. Dabei setzt er voraus, dass die Ölpreise nicht noch weiter anziehen.
Politische Unsicherheit macht Ausstieg schwerer
Trotz der höheren Inflation auch im Euro-Raum gilt es aber als unwahrscheinlich, dass die EZB ihren geldpolitischen Kurs schnell ändert. Das liegt vor allem an den politischen Risiken. Investoren haben Angst, dass bei den Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und möglicherweise Italien populistische Kräfte gewinnen könnten, die den Euro infrage stellen. Das hat dazu geführt, dass die Zinsabstände zwischen Bundesanleihen und den Staatspapieren einiger anderer Euro-Länder zuletzt deutlich gestiegen sind. Manche sprechen schon von einer Rückkehr der Euro-Krise.
Wenn die EZB ihre Geldpolitik strafft, könnte es dazu führen, dass die Zinsabstände sich noch ausweiten. In Notenbankkreisen wird deshalb nicht vor September damit gerechnet, dass man sich zu konkreten Schritten entschließt. Entscheidend für die Frage, wann die Anleihekäufe heruntergefahren werden, ist außerdem letztlich, wie nachhaltig der derzeitige Preisanstieg wirklich ist.
Bislang führt Draghi wie viele Ökonomen die anziehende Inflation vor allem auf den gestiegenen Ölpreis zurück. Derzeit macht sich dort sehr stark der sogenannte Basiseffekt bemerkbar. Zu Jahresbeginn 2016 war der Ölpreis unter 30 Dollar pro Barrel gerutscht – inzwischen notiert er bei rund 55 Dollar. Damit kostet Öl heute fast doppelt so viel wie noch vor einem Jahr, das schlägt auf die Statistik durch.
Allerdings begann der Anstieg der Ölpreise im März 2016, so dass der Basiseffekt bald nachlassen wird. Ob die EZB tatsächlich ihre Anleihekäufe reduziert, wird also davon abhängen, ob die Inflation auch in den nächsten Monaten auf einem höheren Niveau bleibt.
Bislang bleibt die Kerninflation, die um die schwankungsanfälligen Energiepreise bereinigt ist, niedrig. Sie lag auch im Februar lediglich bei 0,9 Prozent. Die Kerninflation werde zwar bald steigen, weil höhere Energiepreise auch auf Transportkosten und Preise für Pauschalreisen durchschlagen, sagt der Chefvolkswirt der französischen Investmentbank Natixis, Sylvain Broyer. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit erwartet er aber nur einen langsamen Anstieg.
KONTEXT
Zentralbanken und Negativzinsen
Japan
Satz der Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Leitzins): 0,0 Prozent
Einlagenzinssatz für Banken: -0,1 Prozent
Schweiz
Satz der Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Leitzins): -0,75 Prozent (15.01.2016)
Einlagenzinssatz für Banken: gestaffelt -0,75 Prozent
Dänemark
Satz der Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Leitzins): 0,05 Prozent
Einlagenzinssatz für Banken: -0,65 Prozent
Schweden
Satz der Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Leitzins): -0,5 Prozent
Einlagenzinssatz für Banken: -0,5 Prozent
Euro-Zone
Satz der Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Leitzins): 0,0 Prozent
Einlagenzinssatz für Banken: -0,4 Prozent