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"Die Inflation ist stärker, als sie scheint"

WirtschaftsWoche: Ein von Ihrem Institut berechneter Index zeigt, dass die Vermögenspreise in Deutschland allein im ersten Quartal 2017 um 6,5 Prozent im Vorjahresvergleich gestiegen sind, also um mehr als das Dreifache der Verbraucherpreise, die man üblicherweise zur Berechnung der Inflationsrate betrachtet. Wie ist das zu erklären?

Kai Lehmann: Die Tendenz gibt es nun schon seit fast zehn Jahren. Damals haben die Notenbanken begonnen, im Zuge der Finanzkrise die Kapitalmarktzinsen stark zu senken. Ziel war natürlich, über eine höhere Inflationsrate das Wirtschaftswachstum anzuregen. Das ist bekanntlich bis heute nicht wirklich nachhaltig gelungen. Auch der Verbraucherpreisanstieg ist jetzt erst nach vielen Jahren wieder bei rund zwei Prozent. Aber die Europäische Zentralbank hält die Geldschleusen weiter offen. Das war für uns der Anlass, genauer hinzusehen, denn das viele neue Geld muss sich ja irgendwo zeigen. Also haben wir uns die Preise der Vermögen angeschaut, die in der öffentlichen Diskussion um die Geldentwertung leider viel weniger wahrgenommen werden als die Preise der Konsumgüter. Wir stellen fest, dass die Vermögenspreise seit 2009 ungebremst steigen.

Was genau erfassen Sie für Ihren FVS-Vermögenspreisindex?
Wir orientieren uns an der realen Vermögensallokation deutscher Haushalte. Die wird von der Deutschen Bundesbank mit Umfragen bei ein paar Tausend Haushalten repräsentativ erhoben. Wir haben auf Basis dieser Bundesbank-Daten sechs verschiedene Schichten der Vermögenden in Deutschland eingeteilt – von den wohlhabendsten zehn Prozent zu den ärmsten Haushalten. Erfasst wird Sachvermögen und Finanzvermögen. Zum ersten gehören Immobilien, die etwa 60 Prozent der Bruttovermögen ausmachen, außerdem Betriebsvermögen, also Firmeneigentum, und langlebige Gebrauchsgüter, wie Autos, Fernseher und Computer.

Solche Geräte stecken auch im Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes.
Ja, das überschneidet sich. Aber die langlebigen Gebrauchsgüter machen beim Vermögen nur vier Prozent aus. Dazu kommen noch Sammel- und Spekulationsgüter, wie Kunstwerke, Oldtimer, teure Weine. Auf der anderen Seite kommen dann die Finanzvermögen hinzu, die insgesamt rund zwanzig Prozent ausmachen. Das sind Spar- und Sichteinlagen auf dem Girokonto, aber auch Aktienbesitz und Rentenwerte. Auch Gold natürlich, aber das macht nur einen kleinen Anteil aus.
Indem wir die Preise all dieser Vermögenswerte anteilsmäßig gewichten, können wir die Gesamtentwicklung der Vermögenspreise nachvollziehen. Wenn wir diesen Preis auf den Wert 100 für das Jahr 2014 indexieren, sind wir heute schon bei rund 115, während wir 2009 noch bei rund 80 waren. Die 6,5 Prozent Preisanstieg in diesem Jahr sind also keine Ausnahmeerscheinung, sondern Teil eines längeren Trends.

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Also liegt der tatsächliche Kaufkraftverlust des Euro seit Jahren deutlich über der ausgewiesenen Inflationsrate?
Ja. Die Notenbank richtet ihre Geldpolitik immer an den Verbraucherpreisen aus. Sie begründet die offenen Geldschleusen damit, dass die Preissteigerungen sehr gering gewesen seien.


Passt der Verbraucherpreisindex überhaupt noch?

Ist der Verbraucherpreisindex dann überhaupt noch die passende Richtlinie der Geldentwertung für Politik und Notenbank?
Nein. Die Orientierung an den Verbraucherpreisen ist zumindest teilweise irreführend. Denn die Verbraucherpreise geben die Kaufkraftentwicklung eben nicht exakt wieder. Die Geldentwertung findet zum großen Teil nicht bei den Verbrauchsgütern statt, sondern bei den Vermögensgütern, die zu investiven Zwecken gehalten werden. Eine der Funktionen des Geldes ist schließlich auch die Wertaufbewahrung, neben der Verwendung als Tauschmittel. Wenn die Vermögenspreise wie derzeit durch die Decke schießen, dann sollte das auch in der politischen Diskussion wahrgenommen werden

Dass das nicht geschieht, könnte mit ganz handfesten politischen Interessen zu tun haben. „Die Inflation ist die Hölle der Gläubiger und das Paradies der Schuldner“, sagte André Kostolany.
Zumindest ist es ein willkommener Effekt für die verschuldeten Staaten, wenn die Inflation weniger stark erscheint, als sie tatsächlich ist, so dass die Geldschleusen weiter geöffnet bleiben können und die Schulden an Wert verlieren. Für die EZB ist es sicher auch ein Nebenziel, die Refinanzierung der Peripheriestaaten der Eurozone zu ermöglichen. Wenn eine hohe Inflation die EZB dazu zwingen würde, die Zinsen wieder anzuheben, wäre die Refinanzierungsmöglichkeit für Griechenland und andere Eurostaaten nicht mehr so gegeben wie jetzt.

Welche sozialen Auswirkungen haben die steigenden Vermögenspreise?
Das Auseinanderklaffen von Arm und Reich wird durch die im Vergleich zu den Verbraucherpreisen viel stärker steigenden Vermögenspreise befeuert. Haushalte mit hohem Immobilien- und Betriebsvermögen profitieren besonders. Die Immobilienpreise stiegen um 5,8 Prozent, Betriebsvermögen um 14,4 Prozent, Finanzvermögen um 17,6 Prozent. Sparvermögen und Rentenwerte dagegen werden nur wenig teurer. Vor allem die hohen Preissteigerungsraten bei Immobilien spielen den Vermögenden in die Karten, die in aller Regel schon Wohnimmobilien haben. Angelockt werden natürlich auch Investoren, die Immobilien als Renditeobjekt nutzen, was die Preise weiter antreibt.

Unterm Strich stiegen die Preise des Vermögens der wohlhabendsten Haushalte im jahresvergleich um 7,6 Prozent. Die Menschen aber, die über kaum Vermögen verfügen, vor allem diejenigen, die weder Betriebs- noch Immobilienvermögen haben, sind die Gekniffenen dieser unbeachteten Inflation.

Ein ähnlicher Effekt zeigt sich auch im Altersquerschnitt. Ältere Menschen haben im Schnitt mehr Vermögen als jüngere und profitieren daher. Haushalte mit Referenzpersonen zwischen 55 und 64 Jahren erleben derzeit eine Preissteigerung ihres Vermögens von 7,2 Prozent im Jahresvergleich, während 25- bis 34 Jährige mit einem Preisanstieg von 4,6 Prozent deutlich zurückliegen. Der Vermögensaufbau junger Haushalte wird durch die schnell steigenden Preise also zusätzlich erschwert.

Wird die Preissteigerung bei Immobilien weitergehen?
Ich halte das Preisniveau mittlerweile für bedenklich. Sollte die Zinswende kommen, was allerdings so bald nicht zu erwarten ist aufgrund der erwähnten Motive der Zentralbank, dürften die Immobilienpreise relativ schnell einknicken.