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Klatsche für Jörg Hofmann bei Wiederwahl als IG-Metall-Chef

Das Wahlergebnis für den IG-Metall-Chef zeigt, dass nicht alle mit seiner bisherigen Bilanz zufrieden sind. Dabei ist Hofmann gerade jetzt als Krisenmanager gefragt.

Erhielt bei seiner Wiederwahl nur enttäuschende 71 Prozent der Delegiertenstimmen. Foto: dpa
Erhielt bei seiner Wiederwahl nur enttäuschende 71 Prozent der Delegiertenstimmen. Foto: dpa

Als Jörg Hofmann vor vier Jahren zum Ersten Vorsitzenden der IG Metall gewählt wurde, ging es Deutschland blendend. Die Arbeitslosigkeit sank kontinuierlich, die Wirtschaft wuchs um 1,7 Prozent. Die Löhne und Gehälter in der Metall- und Elektroindustrie hatten ein so hohes Niveau erreicht, dass Geld künftig nicht mehr die Hauptrolle spielen sollte: „Wir holen uns die Zeit zurück“, gab der neue IG-Metall-Boss als Losung aus und kündigte eine Arbeitszeitkampagne an. Außerdem wollte Hofmann für mehr Tarifbindung streiten und die IG Metall stärker zu einer „Mitmachgewerkschaft“ entwickeln.

An diesem Dienstag hat der 63-Jährige sich beim Gewerkschaftstag in Nürnberg für eine zweite Amtszeit zur Wahl gestellt und nur 71 Prozent der Delegiertenstimmen erhalten. Bei seiner ersten Wahl vor vier Jahren waren es noch gut 91 Prozent. Das Wahlergebnis zeigt, dass nicht alle in der IG Metall mit ihren knapp 2,3 Millionen Mitgliedern mit Hofmanns bisheriger Bilanz zufrieden sind.

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Dabei ist der Schwabe gerade jetzt als Krisenmanager gefragt. Verglichen mit 2015 geht es heute um ganz andere Fragen. Deutschland droht möglicherweise eine Rezession, Erinnerungen an den „kranken Mann Europas“ werden wach. Große Unternehmen wie Continental, Mahle oder ZF haben Stellenstreichungen oder Werksschließungen angekündigt. Branchen wie die Autoindustrie oder der Maschinenbau stecken mitten im Strukturwandel oder sind vom konjunkturellen Abschwung erfasst. Eine Krise der Stahlindustrie würde Standorten wie dem Saarland massiv schaden.

Für die IG Metall geht es heute weniger um große Zukunftspläne als um die Verteidigung des Erreichten und Beschäftigungssicherung. Überall, wo Stellenstreichungen oder Werksschließungen auf dem Plan stünden, werde seine Gewerkschaft den Widerstand organisieren, hatte Hofmann am Montag gesagt, als er seinen Rechenschaftsbericht für die zurückliegenden vier Jahre vorlegte. „Wir lassen uns unsere Zukunft nicht rauben.“

Widerstand aus dem Arbeitgeberlager

Nach zehn Jahren Wachstum falle den Arbeitgebern „beim kleinsten Abschlag auf ihre Renditeträume“ nur eines ein: „Personalabbau, Standortverlagerung, Zerschlagung von Unternehmen“. Dass seine Gewerkschaft nicht ganz unschuldig daran ist, wenn heute wieder stärker über Produktionsverlagerungen oder Stellenstreichungen geredet wird oder Unternehmen sich aus dem Tarifverbund verabschieden, sagt der IG-Metall-Chef vor den Delegierten freilich nicht.

Die Lohnstückkosten in der Metall- und Elektroindustrie sind im ersten Halbjahr um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen, bei den industriellen Arbeitskosten liegt Deutschland mit 41 Euro je Arbeitnehmerstunde um ein Drittel über dem Schnitt der Industriestaaten. Durchschnittlich 58.000 Euro verdient ein Beschäftigter in der Metall- und Elektroindustrie im Jahr.

Nicht nur wegen der gestiegenen Kosten sehen sich Hofmann und seine Mitstreiter zunehmendem Widerstand aus dem Arbeitgeberlager gegenüber. Mit dem letzten Tarifabschluss vom Februar vergangenen Jahres hat der IG-Metall-Chef sein Versprechen umgesetzt, für flexiblere Arbeitszeiten in den Betrieben zu sorgen.

Er gibt Metallern die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit zeitweise auf bis zu 28 Wochenstunden zu reduzieren und danach zur alten Arbeitszeit zurückzukehren. Eltern kleiner Kinder, Beschäftigte mit pflegebedürftigen Angehörigen oder bestimmte Schichtarbeiter können auf das neue tarifliche Zusatzgeld verzichten und stattdessen acht zusätzliche frei Tage nehmen.

Die IG Metall nimmt für sich in Anspruch, moderne Tarifpolitik zu machen und auf die Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen: „Mit dem Arbeitszeitbeschluss haben wir gemeinsam eine wichtige Erfahrung gemacht“, sagte Hofmann am Montag. „Solidarität steht nicht im Gegensatz zu individuellen Lebenslagen.“

Die Arbeitgeber hat die neue Freizeitoption aber vor erhebliche Herausforderungen gestellt – zumal die Gewerkschaft in den Betrieben den Eindruck vermittelt hat, dass es kein Widerspruchsrecht der Arbeitgeber gibt. Laut Hofmann haben 265.000 Metaller die Freizeitoption gezogen, 93 Prozent aller Anträge wurden umgesetzt.

24-Stunden-Streik als Druckmittel

Mehr noch als der komplizierte Tarifabschluss selbst hat aber die Art und Weise die Arbeitgeber erzürnt, wie er durchgesetzt wurde. Die IG Metall hatte mit erheblichen Warnstreiks Druck gemacht und dabei auch erstmals ihr neues Kampfinstrument – die 24-Stunden-Streiks – ausprobiert. Drei Millionen Ausfallstunden hat das den Betrieben in der letzten Metalltarifrunde beschert, davon allein eine Million in Bayern.

Beim Sozialpartner hat sich die Gewerkschaft damit keine Freunde gemacht und viel Porzellan zerschlagen. Hofmann, der angetreten war, die Tarifbindung zu stärken, muss sich fragen lassen, ob er hier nicht überzogen hat. Denn gerade viele kleine Unternehmen sehen sich durch die Komplexität des Abschlusses überfordert. Nicht umsonst hatte Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger vor Kurzem im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ wenig verklausuliert den Flächentarif infrage gestellt.

Der Gewerkschaft mit ihrer gut gefüllten Streikkasse – die Streikkosten beliefen sich 2018 auf mehr als 32 Millionen Euro, aber für das laufende Jahr rechnet Hauptkassierer Jürgen Kerner mit Beitragseinnahmen von 598 Millionen Euro – haben die Streiks nicht geschadet, sondern ihr eher einen Mitgliederzuwachs beschert. Die IG Metall spricht von „Organisieren im Konflikt“. Dass Juristen wie der Direktor des Zentrums für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen an der Universität München, Richard Giesen, die Rechtmäßigkeit der 24-Stunden-Streiks infrage stellt, wenn sie nicht allein der Lösung des Tarifkonflikts, sondern offen auch der Mitgliederwerbung dienen, stört die Gewerkschaft dabei nicht.

Denn die demografische Entwicklung stellt nicht nur das Land, sondern auch die IG Metall vor eine große Herausforderung. Mehr als 120.000 neue Mitglieder muss die Gewerkschaft Jahr für Jahr für sich gewinnen, um Austritte und Sterbefälle auszugleichen. Hofmann und seinen Vorgängern Detlef Wetzel und Berthold Huber ist es gelungen, die Mitgliederzahl zu stabilisieren. Zuletzt ist sie sogar wieder leicht angestiegen. In diesem Jahr sind bis zum Freitag vergangener Woche gut 85.000 Metaller neu eingetreten.

Der Gewerkschaft ist es dabei gelungen, jünger und weiblicher zu werden. Mit 230.000 Mitgliedern unter 27 Jahren versteht sie sich selbst als größte politische Jugendorganisation in Deutschland. Mehr als 50.000 Studierende sind Mitglied der IG Metall. Das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei circa 46 Jahren, der Frauenanteil bei knapp einem Fünftel – beides entspricht in etwa den Werten in den Belegschaften. Trotzdem sei es „sehr ambitioniert“, die Mitgliederzahl stabil zu halten, sagt die Zweite Vorsitzende Christiane Benner, die sich ebenso wie Hofmann und die übrigen fünf Vorstandsmitglieder an diesem Dienstag zur Wiederwahl stellt.

Unmut im Osten

Hofmann kann nicht nur tarifpolitische Erfolge wie einen Pilotabschluss in der Kontraktlogistik oder kräftige Entgeltsteigerungen im Handwerk vorweisen. Die IG Metall nimmt auch für sich in Anspruch, gesellschaftspolitische Akzente gesetzt und bei vielen Themen Druck auf die Politik gemacht zu haben – etwa, was den Aufbau einer Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität, die Batteriezellfertigung oder das Kurzarbeitergeld angeht.

Nur in einem Punkt ist der IG-Metall-Boss noch keinen Schritt weiter als bei seinem Antritt vor vier Jahren: Die Metaller in Ostdeutschland arbeiten immer noch drei Stunden länger als ihre Kollegen im Westen, für die die 35-Stunden-Woche gilt. Auch nach acht Gesprächsrunden, auf die sich Arbeitgeber und Gewerkschaft im Rahmen des letzten Tarifabschlusses geeinigt hatten, ist hier kein Durchbruch gelungen.

„Wir werden in dieser Frage nicht lockerlassen“, versprach Hofmann am Montag den knapp 500 Delegierten. Unzufriedenheit über die Arbeitszeit Ost dürfte aber nur ein kleiner Teil der Erklärung für Hofmanns schlechtes Wahlergebnis sein. Entscheidender ist wohl, dass der IG-Metall-Chef das Beharrungsvermögen in der eigenen Organisation unterschätzt hat. „Jeder weiß, dass er den Laden umkrempeln wird und dass es für eine ganze Menge Menschen in der Organisation große Veränderungen gibt“, sagt einer, der Hofmann gut kennt. „Das macht etlichen Angst.“

Wiedergewählt wurden am Dienstag neben Hofmann auch die übrigen sechs Mitglieder des siebenköpfigen Vorstands. Die Zweite Vorsitzende Christiane Benner erhielt 87 Prozent der Delegiertenstimmen, Hauptkassierer Kerner 95 Prozent.

Auch Ralf Kutzner, Wolfgang Lemb, Irene Schulz und Hans-Jürgen Urban gehören für vier weitere Jahre dem IG-Metall-Vorstand an.

Am Mittwoch wird der Erste Vorsitzende Hofmann nun sein Grundsatzreferat halten und seine Ziele für die kommenden vier Jahre erläutern. Im kommenden Frühjahr steht dann die nächste Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie an. Der alte und neue IG-Metall-Chef muss dann nicht nur Vertrauen bei den Arbeitgebern zurückgewinnen, sondern auch im eigenen Lager.

Erhielt bei seiner Wiederwahl nur enttäuschende 71 Prozent der Delegiertenstimmen. Foto: dpa
Erhielt bei seiner Wiederwahl nur enttäuschende 71 Prozent der Delegiertenstimmen. Foto: dpa