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IG-Metall-Chef fordert staatliche Fonds für die Stahlindustrie – „Wir lassen uns nicht melken“

Jörg Hofmann, alter und neuer IG-Metall-Chef, spricht im Interview über Managementfehler bei Thyssen-Krupp und die Zukunft des deutschen Stahls.

Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, sieht den Staat in der Pflicht, die Wirtschaft bei der Transformation zu unterstützen. „Wir brauchen so etwas wie einen Zukunftsfonds für Stahl“, sagte Hofmann im Interview mit dem Handelsblatt. Denn allein aus den Erträgen der Stahlherstellung könnten Unternehmen wie Thyssen-Krupp die nötigen Milliardeninvestitionen in eine CO2-freie Stahlproduktion unmöglich stemmen.

„Wenn der Politik die geschlossene Wertschöpfungskette in Europa wirklich etwas wert ist, muss sie auch finanzielle Hilfe für Sprunginnovationen in der Stahlindustrie leisten.“ Der Gewerkschafter denkt dabei etwa an Stahl, der statt mit Koks mit Wasserstoff hergestellt wird.

Zur Unterstützung kleiner und mittlerer Automobilzulieferer bringt der IG-Metall-Chef einen neuen Mittelstands-Fonds ins Gespräch. Wenn bis 2030 noch Verbrennungsmotoren gebaut würden, dann sei bis dahin auch eine zuverlässige Zulieferkette unverzichtbar.

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Kleine und mittlere Zulieferer bekämen aber heute schon keine Kredite mehr, wenn die Banken nur das Wort Verbrennungsmotor hörten. „Unsere Idee ist deshalb ein staatlich garantierter Mittelstands-Fonds, der Anlegern lukrative Renditen ermöglicht“, sagte der IG-Metall-Chef.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Hofmann, Transformation und Strukturwandel sind große Themen auf Ihrem Gewerkschaftstag. Müssten Sie nicht fairerweise den Stahlwerkern von Thyssen-Krupp sagen, dass sie keine Zukunft mehr haben?
Das sehe ich überhaupt nicht. Wenn wir in Europa eine geschlossene Wertschöpfungskette erhalten wollen, ist eine heimische Stahlproduktion unverzichtbar. Für den Maschinenbau oder die E-Mobilität brauchen wir hochfeste, leichte Stähle, die extreme Qualitätsanforderungen erfüllen. Die deutsche Stahlindustrie hat hier einen Vorsprung bei den Innovationen, der aber nur gehalten wird, wenn die Unternehmen auch in neue Anlagen und Prozesstechnik investieren können.

Aber die Kunden schauen auch auf den Preis. Kann Thyssen-Krupp da wirklich mit Billiganbietern etwa aus China mithalten?
Die EU hat ja vor zwei Jahren die Einfuhr von Billigstahl begrenzt. Das Problem ist nur, dass die Importkontingente alle halbe Jahre um fünf Prozent steigen. Das trifft uns jetzt, da die Konjunktur abflacht und die Nachfrage sinkt, hart. Dadurch entsteht ein massiver Druck auf die Stahlerzeugung in Europa. Wir fordern deshalb, dass die Kontingente generell nicht erhöht werden, aber schon gar nicht bei abflauender Konjunktur.

Sie wollen einen Schutzzaun um Europa ziehen, so wie Präsident Donald Trump das in Amerika macht?
Nein, wir zielen nicht auf Abschottung, sondern auf fairen Handel. Europäischer Stahl wird unter hohen Umwelt- und Klimaauflagen gefertigt. Und die finanzielle Belastung, die der europäischen Stahlindustrie durch den Emissionshandel entsteht, muss bei Importstahl an der Grenze ausgeglichen werden. Heißt: Importierte Stähle, die größtenteils ohne große Umweltauflagen gefertigt werden, müssen so teuer sein wie unser sauberer Stahl. Wir wollen kein Dumping auf Kosten der Umwelt.

Will die EU ihre Klimaziele erreichen, muss auch Stahl irgendwann CO2-frei produziert werden. Woher soll Thyssen-Krupp das Geld für den ökologischen Umbau nehmen?
Allein aus den Erträgen der Stahlherstellung kann Thyssen-Krupp das nicht stemmen, und auch kein anderer europäischer Hersteller. Es geht hier um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir brauchen so etwas wie einen Zukunftsfonds für Stahl. Wenn der Politik die geschlossene Wertschöpfungskette in Europa wirklich etwas wert ist, muss sie auch finanzielle Hilfen für Sprunginnovationen in der Stahlindustrie leisten.

Warum ist es denn so wichtig, dass der Stahl aus Europa kommt?
Für den Industriestandort Deutschland ist eine innovative Stahlindustrie, die am Anfang der Wertschöpfungskette steht, von enormer Bedeutung. Wir haben bei der europäischen Stahlproduktion schon Abhängigkeiten von Drittstaaten, etwa bei Koks oder Erzen. Aber wenn sich der Fahrzeug- oder Maschinenbau ganz in die Abhängigkeit von außereuropäischen Stahllieferanten begeben müsste, dann würden unsere Kernbranchen am Fliegenfänger hängen.

Zurück zu Thyssen-Krupp. Großaktionär Cevian geht es wahrscheinlich weniger um den ökologischen Fußabdruck oder Versorgungssicherheit – er will Gewinne machen.
Wir erleben leider, dass aktivistische Investoren mit kurzfristigen Renditeinteressen wieder auf dem Vormarsch sind, nicht nur bei Thyssen-Krupp, sondern auch bei ABB, Gea oder Osram. Insofern ist es ein großer Erfolg, dass die Arbeitnehmervertreter bei Thyssen-Krupp zusammen mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung verhindert haben, dass aus dem Erlös von Teilverkäufen eine Sonderdividende ausgeschüttet wird.

Aber wir haben Freiheit des Kapitalverkehrs. Soll die Politik auch eine Schutzmauer gegen aktivistische Investoren ziehen?
Das meine ich nicht. Wenn man eine Balance zwischen Arbeit und Kapital schaffen will, dann muss die Mitbestimmung gestärkt werden. Das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden verhindert wirkliche Mitsprache der Beschäftigten etwa bei der Frage, welche Investoren an Bord geholt oder welche Unternehmensteile verkauft werden.

Aber wo bleibt bei Ihrer Mitbestimmungsfantasie die unternehmerische Freiheit?
Unternehmerische Freiheit heißt, ein Unternehmen so zu führen, dass es sich nachhaltig gut entwickelt. Wir greifen dann ein, wenn ein Unternehmen zerschlagen oder filetiert werden soll, um kurzfristige Renditeziele zu bedienen. Denn wir lassen uns nicht melken. Unternehmerische Freiheit endet dort, wo die aus dem Eigentum entstehende Verantwortung beginnt. Das heißt, dass Unternehmen wie Thyssen-Krupp nicht einfach zum Opfer von Finanzhaien werden dürfen.

Aber für ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital im Aufsichtsrat gibt es keine politische Mehrheit.
Das ist richtig, im Moment nicht. Aber wenn wir nur Dinge für richtig halten würden, für die es aktuell politische Mehrheiten gibt, dann wäre die Programmatik der IG Metall etwas schmal.

Welche Fehler hat das Management von Thyssen-Krupp in der Vergangenheit gemacht?
Es ist nicht gelungen, eine konsistente und nachhaltige Unternehmensstrategie zu entwickeln. Das ist zugegebenermaßen bei der Eigentümerstruktur auch nicht leicht. Aber in einer Branche, wo ein Hochofen vielleicht alle 15 bis 20 Jahre mal erneuert wird, werden langfristige Strategien gebraucht, nicht ein kurzfristiges Hin und Her.

Trägt auch die EU-Kommission eine Mitschuld an der gegenwärtigen Misere, weil sie die Fusion mit Tata untersagt hat?
Das war schon eine schwierige Entscheidung. In vielen Fällen ist die EU-Kommission inzwischen zu streng, nämlich überall dort, wo sie beim Wettbewerbsrecht allein den europäischen Markt im Blick hat und nicht den Weltmarkt, was richtig wäre.

Müssen jetzt die Beschäftigten dafür büßen? Ihre Gewerkschaft sagt, dass die Grundsatzvereinbarung aus der Zeit der Fusionspläne weiter gilt. Darin werden betriebsbedingte Kündigungen als letzte Option nicht ausgeschlossen.
Das stimmt so nicht. Für den Fall der Fusion mit Tata hatten wir einen Tarifvertrag Zukunft erkämpft, der weitreichende Sicherungen bis Ende 2026 vorsah. Nach dem Scheitern der Fusion und der abgesagten Teilung der Thyssen-Krupp AG gilt die Grundsatzvereinbarung nun für den Gesamtkonzern. Für den Stahlbereich sind betriebsbedingte Kündigungen zunächst bis Ende des Jahres ausgeschlossen. Mit der neuen Stahlstrategie, die dann greift, fordern wir einen neuen Tarifvertrag.

Wird es bei Thyssen-Krupp einen neuen Anlauf für einen Zusammenschluss geben?
Stahl ist jetzt wieder Kerngeschäft bei Thyssen-Krupp. Das muss nach vorne entwickelt werden. Wir haben gerade eine extreme Bewegung in der Branche, und jedem ist klar, dass Restrukturierungen im europäischen Stahlbereich erfolgen können. Wie diese aussehen könnten, ist im Moment noch offen.

Nicht nur die Stahlbranche, auch die Autoindustrie oder der Maschinenbau stehen vor Umwälzungen durch die Mobilitätswende und die Digitalisierung. Brauchen wir staatliche Auffanglösungen, so wie beim Braunkohleausstieg?
An den Stellen, wo die Mobilitäts- und Energiewende zu Brüchen führen kann, brauchen wir auch mal staatliche Hilfe.

Ein Beispiel?
Wenn bis 2030 noch Verbrennungsmotoren gebaut werden, ist bis dahin eine zuverlässige Zulieferkette unverzichtbar. Die kleinen und mittleren Zulieferer bekommen aber heute schon keine Kredite mehr, wenn die Banken nur das Wort Verbrennungsmotor hören. Unsere Idee ist deshalb ein staatlich garantierter Mittelstandsfonds, der Anlegern lukrative Renditen ermöglicht. Und auch regional müssen wir aktiv werden.

Woran denken Sie?
Regionen wie das Saarland sind von den Umwälzungen in der Stahl- und in der Automobilzulieferindustrie doppelt betroffen. Analog zur Kohlekommission muss jetzt überlegt werden, was wir tun, wenn Arbeitsplätze wegbrechen. Und wie sich neue Jobs ansiedeln lassen.

Herr Hofmann, vielen Dank für das Interview.