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Ifo-Chef Fuest warnt vor ungeordnetem Brexit: „Die Folgen werden gravierend sein“

Nicht nur die britische Regierung, auch die EU richtet mit ihrer Verhandlungsstrategie großen Schaden an, warnt Ifo-Chef Fuest im Interview. Das habe auch Konsequenzen für Deutschland.

Nach Ansicht des Ifo-Chefs birgt der Brexit mehr wirtschaftliche Risiken für die Briten als für die EU. Foto: dpa
Nach Ansicht des Ifo-Chefs birgt der Brexit mehr wirtschaftliche Risiken für die Briten als für die EU. Foto: dpa

Clemens Fuest hat eine besondere Beziehung zum Vereinigten Königreich. Der Ifo-Chef lehrte fünf Jahre Ökonomie in Oxford. Wie auch immer die quälend langen Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien ausgehen, er sieht „große Belastungen für die Konjunktur in Europa, sollte es einen Brexit ohne Einigung geben“.

Die ökonomische Lage sei ohnehin fragil – außerdem würde ein harter Brexit die politische Atmosphäre vergiften und künftige Kooperation erschweren“, sagte Fuest im Handelsblatt-Interview.

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„Ich sehe immer noch Chancen, dass es zu einer Einigung kommt, aber die werden mit jeder Woche, die verstreicht, kleiner“, warnt Fuest. Wie auch immer die quälend langen Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien am Ende ausgingen: „Die Folgen der Trennung werden gravierend sein, und uns noch lange beschäftigen“, so Fuest.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Fuest, für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Briten zum Ende des Jahres ohne Freihandelsvertrag die EU endgültig verlassen werden? Es scheint vor allem zur britischen Verhandlungsstrategie zu gehören, bis zum letzten Moment zu pokern. Die Erwartung ist, dass die andere Seite Angst bekommt und nachgibt. Das kann allerdings auch danebengehen, zumal auf EU-Seite die Schäden relativ zur eigenen Wirtschaftsleistung kleiner sind. Ich sehe immer noch Chancen, dass es zu einer Einigung kommt, aber die werden mit jeder Woche, die verstreicht, kleiner.

Wie gravierend wären die ökonomischen Schäden für beide Seiten, würde die zweitgrößte Volkswirtschaft in den Handelsbeziehungen auf WTO-Status zurückfallen, mit entsprechend hohen Zöllen?
Ein Brexit ohne Einigung würde die fragile Konjunktur zusätzlich belasten. Ein harter Brexit würde außerdem die politische Atmosphäre vergiften und künftige Kooperation erschweren. Für Deutschland war Großbritannien 2019 immer noch der Exportmarkt Nummer fünf, mit einem Volumen von 79 Milliarden Euro. Die Coronakrise beeinträchtigt die Exportnachfrage ohnehin, ein weiterer Rückgang wäre schlecht.

Gleichzeitig muss man sehen, dass es auch zu Handelsumlenkung kommt. Wenn britische Unternehmen von den EU-Märkten verdrängt werden, dürften deutsche Unternehmen sie teilweise ersetzen. Per Saldo dominieren aber die Verluste für Deutschland.

Welche Branchen wird es besonders treffen?
Die größten Verluste drohen in der Autobranche. Das kommt zu einem schlechten Zeitpunkt, denn diese Branche ist ohnehin in einer tiefen Krise.

Glauben Sie, dass die deutschen Unternehmen auf den Worst Case vorbereitet sind? Viele Unternehmen haben den harten Brexit sicherlich schon eingepreist. Die Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten, sind aber begrenzt, weil unklar ist, in welchem Umfang der Handel tatsächlich unterbrochen wird und wie die EU und das Vereinigte Königreich politisch und administrativ auf einen harten Brexit reagieren.

War der Verhandlungsstil Brüssels manchmal zu hart? Jetzt wird ja auch noch eine Klage gegen die Britten erhoben.
Es ist deutlich sichtbar, dass die EU versucht, das Vereinigte Königreich unter Druck zu setzen und beispielsweise dazu zu bringen, sich den EU-Regeln für Subventionskontrolle zu unterwerfen. Es gibt sicherlich auch viele auf europäischer Seite, die besorgt sind, ein Brexit ohne großen wirtschaftlichen Schaden könnte andere Länder verleiten, ebenfalls auszutreten. Ich halte Abschreckungspolitik für verfehlt. Wir sollten gemeinsam alles daran setzen, den Schaden zu minimieren. Das bedeutet allerdings auch nicht, dass die EU alles akzeptieren sollte, was die Briten verlangen.

„Für die Briten sind die Risiken groß“

Wie sollte die künftige Beziehung denn gestaltet sein ab kommendem Jahr?
Wir sollten die umfangreichen gemeinsamen Interessen in den Mittelpunkt der Beziehungen stellen. Neben der Wirtschaft betrifft das vor allem die Sicherheitspolitik.

Was bedeutet die Trennung von Großbritannien für Sie in der langfristigen Perspektive? Ist es nicht besonders für Deutschland ein Verlust an marktwirtschaftlicher Tradition?
Großbritannien hat stets betont, dass das größte gemeinsame Interesse der EU-Länder in der Errichtung eines gemeinsamen Marktes liegt. Das entspricht auch den Interessen Deutschlands. Die negativen Folgen des Brexits für Deutschland, Europa und das Vereinigte Königreich selbst gehen aber weit darüber hinaus.

Die EU verliert etwa ein Sechstel ihrer Wirtschaftskraft und einen weitaus größeren Anteil ihres Außen- und sicherheitspolitischen Gewichts. Das Vereinigte Königreich war als wichtiges EU-Land ein Akteur mit erheblicher globaler Ausstrahlung. Das ist jetzt Vergangenheit. Das Vereinigte Königreich muss nun eine neue Rolle finden – wie erfolgreich das sein kann, wird sich zeigen.

Die Brexiteers hegten immer große Hoffnungen, den EU-Binnenmarkt durch bilaterale Freihandelsverträge mit Dritten ersetzen zu können. Das hat aber nicht funktioniert. Haben sich die Briten verkalkuliert?
Für die Briten bringt der Brexit erhebliche wirtschaftliche Risiken, mehr als für die EU. Die Vorstellung, man könnte den Handel mit der EU durch einen mit den USA oder Ländern in Asien ausgleichen, ist eine Illusion. Handel treibt man vor allem mit seinen unmittelbaren Nachbarn. Und gegenüber China und den USA ist die britische Verhandlungsposition eher ungünstig. Ob es im Königreich überhaupt politische Unterstützung für Freihandel mit dem Rest der Welt gibt, ist alles andere als sicher.

„Die Folgen werden uns lange beschäftigen“

Glauben Sie, dass es einen Brexit gegeben hätte, hätten die Politiker damals geahnt, dass uns mit der Coronakrise die tiefste Einbruch der Wirtschaft seit Jahrzehnten bevorstünde?
Es war ja letztlich die britische Bevölkerung, die sich für den Brexit entschieden hat, auch wenn einige Politiker darauf hingewirkt haben, teils mit falschen Versprechungen. Großbritannien ist wirtschaftlich schwer von der Coronakrise getroffen und kann zusätzliche Lasten durch einen harten Brexit nicht gebrauchen.

Aber die EU-Mitgliedschaft hätte den Corona-Schock für das Land kaum verringert. Im Gegenteil würden die Brexit-Befürworter dort sicher argumentieren, dass es gut ist, ausgetreten zu sein. Sonst müsste Großbritannien als relativ wohlhabendes Land die EU-Transfers zugunsten der wirtschaftlich schwächeren Länder in Europa mitfinanzieren.

Was wiegt für Sie aus deutscher langfristiger Perspektive schwerer: der Brexit oder die tiefe Krise des transatlantischen Verhältnisses, seit Donald Trump Präsident ist?
Für die EU endet mit dem Brexit eine mehr als ein halbes Jahrhundert währende Entwicklung zu immer mehr politischer Integration in Europa. Das ist gravierend, die Folgen werden uns noch lange beschäftigen, selbst wenn es gelingt, in der kleineren EU wünschenswerte Integration schneller voranzubringen. Donald Trump ist voraussichtlich ein vorübergehendes Problem, das vielleicht in ein paar Wochen, spätestens aber in vier Jahren hinter uns liegt.