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Ifo-Chef Clemens Fuest: „Die Abschottung von Großbritannien hat Symbolwirkung“

Wieder einmal habe Europa nicht geschlossen agiert, kritisiert Fuest. Der Ifo-Chef mahnt, wenigstens den Güterverkehr wieder in Gang zu setzen.

„Die EU hat kein Interesse daran, dass die britische Position in den Verhandlungen sich verhärtet“, sagt der Präsident des ifo-Instituts. Foto: dpa
„Die EU hat kein Interesse daran, dass die britische Position in den Verhandlungen sich verhärtet“, sagt der Präsident des ifo-Instituts. Foto: dpa

Der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, mahnt zu mehr europäischer Geschlossenheit in der Bekämpfung von Corona und kritisiert die Abrieglung Großbritanniens. „Die Symbolwirkung der Abschottung zum jetzigen Zeitpunkt könnte deutlicher nicht sein, auch wenn sie durch die Pandemie bedingt ist“, sagte Fuest dem Handelsblatt. „Es wird einmal mehr deutlich, dass das Krisenmanagement in der Pandemie von Entscheidungen der Nationalstaaten geprägt ist.“

Wenn beispielsweise Frankreich den Zug- und Lkw-Verkehr von und nach Großbritannien anhalte, habe das Folgen für Reisende, Unternehmen und Konsumenten nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern. „Die französische Regierung wird aber vornehmlich die Interessen der eigenen Bevölkerung berücksichtigen; das gilt natürlich auch für andere Regierungen. Wir brauchen hier mehr europäische Zusammenarbeit“, so Fuest.

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Clemens Fuest hat eine besondere Beziehung zum Vereinigten Königreich. Der Ifo-Chef lehrte fünf Jahre Ökonomie in Oxford. Seit dem Brexit-Referendum 2016 setzt der 52-Jährige sich für eine möglichst enge Bindung der EU an Großbritannien ein – ökonomisch wie politisch. Auch die quälend langen Verhandlungen haben nichts geändert.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Ein mutiertes Virus taucht in England auf – und schon reagieren die kontinentaleuropäischen Länder mit Grenzschließungen, wie immer jeder für sich. Wie beurteilen Sie dieses Mal das europäische Krisenmanagement?
Es wird einmal mehr deutlich, dass das Krisenmanagement in der Pandemie von Entscheidungen der Nationalstaaten geprägt ist. Dabei besteht die Gefahr, dass die Interessen der jeweiligen Nachbarländer unter die Räder geraten.

Welche Interessen meinen Sie?
Wenn beispielsweise Frankreich den Zug- und Lkw-Verkehr von und nach Großbritannien anhält, hat das Folgen für Reisende, Unternehmen und Konsumenten nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern. Die ‧französische Regierung wird aber vornehmlich die Interessen der eigenen Bevölkerung berücksichtigen; das gilt natürlich auch für andere Regierungen. Wir brauchen hier mehr europäische Zusammenarbeit.

Leidtragender ist vor allem Großbritannien. Was bedeutet die Quasi-Abschottung durch die EU für die britische Wirtschaft?
Die britische Industrie ist stark von Zwischenprodukten abhängig, die aus der EU importiert werden. Deshalb könnte es bei einer längeren Abschottung zu Produktionsunterbrechungen kommen, was die Wirtschaftskrise vertiefen würde. Auch bei der Versorgung der Bevölkerung könnten Engpässe entstehen. Glück im Unglück ist, dass viele Firmen wegen des Brexits ohnehin mit Lieferproblemen gerechnet haben und Vorräte aufgestockt haben.

Aber hat die Blockadepolitik nicht auch Auswirklungen auf den Brexit an sich? Was bedeutet die neue Lage für die Verhandlungen?
Die Symbolwirkung der Abschottung zum jetzigen Zeitpunkt könnte deutlicher nicht sein, auch wenn sie durch die Pandemie bedingt ist. Für die Brexit-Verhandlungen sehe ich die Gefahr, dass die britische Öffentlichkeit die komplette Abschottung als unkooperatives Verhalten betrachtet und es für Boris Johnson dadurch schwerer wird, Konzessionen zu machen.

Sie glauben, dass hinter der EU-Blockadepolitik neben dem pandemischen auch ein politisches Kalkül steckt?
Nein, ich denke nicht, dass man hier aus politischem Kalkül handelt. Die EU hat kein Interesse daran, dass die britische Position in den Verhandlungen sich verhärtet. Es ist eher so, dass dies unbeabsichtigte Nebenwirkungen der Beschlüsse sind. Im Vordergrund steht, dass das in England aufgetretene mutierte Coronavirus Ängste auslöst, und keine nationale Regierung will sich vorwerfen lassen, zu spät reagiert zu haben. Dabei treten die Interessen anderer Länder in den Hintergrund.

Haben die Europäer überreagiert? Was wäre aus Ihrer Sicht eine angemessene Reaktion gewesen?
Von einer Überreaktion würde ich nicht sprechen, aber jetzt muss man die Lage konstruktiv managen. Beim Personenverkehr ist die Abschottung wegen des Gesundheitsschutzes unvermeidlich. Aber der Güterverkehr ist etwas anderes. Die beteiligten Länder sollten so schnell wie möglich mit Hygienekonzepten dafür sorgen, dass zumindest Lkws und Güterzüge die Grenzen wieder überqueren können, damit keine Versorgungsengpässe entstehen. Bei den Lkws könnten beispielsweise die Fahrer ausgewechselt werden, bei Zügen das Personal.

Wie ist die kontinentaleuropäische Wirtschaft betroffen von der Abschottung, und was bedeutet es für Deutschland?
Die europäische Wirtschaft wird durch die Lieferausfälle ebenfalls beeinträchtigt. Relativ zur Größe der Wirtschaft insgesamt sind die Folgen aber weniger dramatisch. Das gilt auch für Deutschland. Eine aktuelle Ifo-Studie zeigt, dass unter den schwer zu ersetzenden Importen von Zwischengütern in Deutschland nur rund fünf Prozent aus Großbritannien kommen. Großbritannien bezieht umgekehrt etwa 64 Prozent dieser kritischen Zwischengüter aus der EU, allein zwölf Prozent aus Deutschland.

Erste Virologen und auch Politiker in Deutschland fordern eine Verschärfung des Lockdowns wegen des mutierten Virus. Halten Sie das für notwendig, und falls ja, was wären die ökonomischen Folgen?
Aus wirtschaftlicher Perspektive wäre es schon wünschenswert, den Lockdown während der Weihnachtsferien zu verschärfen, damit die Chancen wachsen, im Januar die Restriktionen zu lockern. Es gibt aber andere als wirtschaftliche Erwägungen, beispielsweise den Wunsch, über Weihnachten Besuche zuzulassen. Deshalb hat man so entschieden. Letztlich sind das politische Abwägungen, die nicht wissenschaftlich entschieden werden können.

Zuletzt war von einem kräftigen Aufschwung zum Jahresbeginn in Deutschland die Rede. Sehen Sie dieses Szenario durch die neue pandemische Lage jetzt gefährdet?
Leider ja. Schon vor der Entdeckung der neuen Virusvariante war zu erwarten, dass wir bis ins Frühjahr zumindest einen Lockdown light haben werden. Deshalb haben wir beim Ifo schon Anfang Dezember die Wachstumsprognose für 2021 gesenkt. Falls das neue Virus tatsächlich die Neuinfektionen so sehr beschleunigt, dass die Lockdown-Maßnahmen verschärft und verlängert werden, könnte das Wachstum im ersten Quartal 2021 noch niedriger ausfallen. Aber man soll den Teufel nicht an die Wand malen, schon gar nicht so kurz vor Weihnachten.

Einen vergleichbaren Einbruch, wie wir ihn im Frühjahr erlebt haben, schließen Sie also aus?
Ich glaube nicht, dass sich das wiederholen wird. Insgesamt sehe ich trotz der aktuellen Infektionswelle für 2021 eine wirtschaftliche Erholung. Wenn die Restriktionen aufgehoben werden können, wird es voraussichtlich einen Konsumboom geben, weil die Menschen einiges nachzuholen haben. Und sicherlich wird sich positiv auswirken, dass die US-Regierung unter Präsident Joe Biden wieder berechenbarer sein wird. Wenn es außerdem doch noch zu einem Freihandelsabkommen mit Großbritannien käme, wäre das ein weiterer Lichtblick.

Zuletzt haben Sie gemeinsam mit einer internationalen Wissenschaftlergruppe mit einem Aufruf zu einer europäischen Strategie zur Bekämpfung der Pandemie für Aufsehen gesorgt. Was sind Ihre Vorschläge?
Wir fordern erstens, die Zahl der Neuinfektionen durch Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen entschlossen zu senken. Zweitens sollte man stärker als bisher darauf achten, dass sie dann niedrig bleiben, beispielsweise durch Aufrechterhaltung von Maskenpflicht und konsequenter Nachverfolgung von Infektionen. Drittens fehlt unseres Erachtens eine auf europäischer Ebene koordinierte Langfriststrategie, die unter anderem verhindert, dass eine Art Pingpongeffekt entsteht, bei dem Länder, die niedrige Infektionszahlen erreicht haben, wieder Infektionen aus Ländern importieren, die sich in einer Phase mit vielen Infektionen befinden.

Herr Fuest, vielen Dank für das Interview.

In Dover stauen sich die LKWs: Versorgungsengpässe in Großbritannien drohen. Foto: dpa
In Dover stauen sich die LKWs: Versorgungsengpässe in Großbritannien drohen. Foto: dpa