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Um Gasverbrauchern durch den Winter zu helfen, plädieren Frankreich, Italien, Rumänien und ein Dutzend weiterer EU-Staaten für einen europäischen Gaspreisdeckel. Damit sollen spekulative Preiskapriolen, wie sie im Sommer zu beobachten waren, verhindert werden. Doch Länder wie Deutschland und die Niederlande fürchten, dass Anbieter dann ihr Erdgas einfach anderswo verkaufen: die Welt ist groß, der Energiehunger auch.
Der Konflikt wurde in den vergangenen Wochen mit recht harten Bandagen ausgetragen, jetzt schlägt die EU-Kommission einen zeitlich begrenzten Preis-Korridor vor, um Spitzenpreise zu kappen. Außerdem könnten EU-Staaten Erdgas künftig gemeinsam einkaufen – und damit den Preis stabilisieren. Sollten sich die Energieminister der Europäischen Union am 24. November nicht einigen, müssten Mitte Dezember die Regierungs-Chefs entscheiden.
Während in den Büros der EU-Hauptstädte wie auch an den Schreibtischen von Kommission, Rat und Parlament um Schadensbegrenzung für die europäischen Energieverbraucher gerungen wird, hat sich unser Reporter-Kollege Hans von der Brelie mit seinem MoJo-Rucksack voller Kameras und Mikrofone auf den Weg zu Europas Backstuben gemacht. Denn Europas Bäcker geraten ins Schwitzen, die steigenden Produktionskosten sind der reinste Albtraum. Egal ob die kleine Familienbäckerei um die Ecke oder der Riesen-Industriebetrieb: die hohen Kosten für Gas, Elektrizität (und noch einiges mehr) sind existenzbedrohend. Eine Spurensuche vor Ort in den Niederlanden, Rumänien und Italien.
Beispiel Niederlande: ein kleiner Familienbetrieb in Delft
Das sind so die "Freuden" des Reporterlebens: Aufstehen mitten in der Nacht, ganz Delft liegt im Tiefschlaf. Ganz Delft? Nein, ein mutiger Niederländer ist – wie üblich um 3.45 Uhr nachts – unterwegs zu seinem Arbeitsplatz. Jack Van Roon. "Morgen Jack", begrüße ich den Bäcker vor der Türe seiner Bäckerei. "Wie geht’s?" Jacks Antwort hört man an, dass er sich um Fröhlichkeit bemüht, sein "Morgen, ja, ja, es geht schon…", klingt irgendwie schief. "Alles ok?", hake ich nach. Jack meint nur: "Ich bin wütend, enttäuscht, traurig. Was soll ich sagen?", dann dreht er den Schlüssel im Schloss um, wir betreten den Flur seiner kleinen Nachbarschaftsbäckerei in dem Delfter Wohnviertel.
Es ist dies das letzte Mal, dass Jack nachts seine Backstube aufschließt, das letzte Mal, dass er das Licht im schmalen Gang anknipst, das letzte Mal der Gang ins Büro, das letzte Mal der Griff zur Thermoskanne mit dem heißen Wachmacherkaffee, das letzte Mal der Griff zum Gasschalter am Backofen, das letzte Mal Vorheizen, Klappe auf, Kuchenteig einschieben, Klappe zu…
Ukraine-Krieg und Inflation, Energiekrise und Materialkostenexplosion, auf Jack stürzte dieses Jahr alles auf einmal mit unglaublicher Härte und Erbarmungslosigkeit ein: "Das Hauptproblem sind die exorbitanten Gaspreise. Irgendwann kannst Du da nicht mehr mithalten. Bislang musste ich 1400 Euro pro Monat zahlen, bald werden es 12 bis 13.000 Euro monatlich sein. Das ist das, was ich wohl für November hätte zahlen müssen. Das kann so nicht weitergehen."
Mit Jacks Weggang endet eine fast hundertjährige Geschichte. Die Bäckerei gibt es seit 1928. Damals wurden die Brote noch mit Pferdewagen ausgeliefert. Am Durchgang zwischen Lagerraum und Backstube hängt noch ein altes Hufeisen aus dieser Zeit. Sollte wohl Glück bringen...
Vor 30 Jahren übernahm Jacks Vater das Geschäft, etwas später stieg dann Jack ein. "In meinen Adern fließt Vollkornmehl statt Blut", grinst Jack, halb Spaßvogel, halb Poet. Alle in der Nachbarschaft mögen seine witzige Art, seine Sprüche – und seine leckeren Torten: "Die Menschen hier sind mit meinen Torten groß geworden. Da kommen 19-Jährige in meine Bäckerei, für die ich bereits eine Torte zu deren Geburt gebacken habe. Seit 19 Jahren bin ich nun Tortenbäcker. Für die Kinder hier habe ich Torten mit allen möglichen Bildern drauf gebacken, sogar mit Fußballspieler-Karten drauf. Das hat echt Spaß gemacht", meint Jack mit einem leicht melancholischen Unterton in der Stimme.
Ab August hatte Jack für sein Bäcker-Gas keinen Festpreisvertrag mehr. Das war das Aus. Jack rechnete alles genau durch, Unkosten, Verkaufspreise, Gehälter für seine acht Angestellten. Dann beschloss er: Ich mache zu! Nach dem "Sommerhoch" bei den durchgeknallten Gaspreisen beruhigten sich diese zwar etwas, doch die kommenden Monate werden unkalkulierbar bleiben, so wie der Krieg in der Ukraine. Und Jack muss kalkulieren, Zahlen, Preise: "Ich kann ja nicht einfach alles auf den Brotpreis umlegen", meint er nüchtern, "das kauft ja sonst keiner mehr".
Niederländische Regierung hilft - aber viele fallen durchs Raster
Zwar hilft die niederländische Regierung einkommensschwachen Familien, senkte die Energie-Steuern und subventioniert manchen Verbrauchern Strom und Gas. Doch Kleinbäcker wie Jack passen offenbar in kein Hilfs-Schema – meint Jack. Immer mehr kleine und mittelgroße Bäckereien schließen – oder werden von Großbäckereien aufgekauft.
Jack bemüht sich offensichtlich, das Beste aus der Sache zu machen. "Endlich habe ich mal etwas Freizeit, neulich war ich das erste Mal seit langer Zeit mit meiner Frau abends in einem Restaurant", lacht Jack. Doch etwas später an diesem Morgen stürzt die Stimmung dann doch: "Ich fühle mich niedergeschlagen, entmutigt. Es ist hart. Du schaust zurück auf etwas, das nun ein Teil der Vergangenheit ist."
Niederländische Bäcker protestierten landesweit gegen die hohen Energiekosten, an Samstagen hieß es: Licht aus, Kerzen an. Statt elektrischer Schaufensterbeleuchtung gab es an den Wochenenden oft nur Schummerlicht aus Kerzenflammen.
Vor wenigen Tagen beschloss die niederländische Regierung solchen Bäckern, die ihre Öfen von Gas auf Strom umrüsten wollen, billige Kredite anzubieten. "Ist das denn keine Lösung für Dich", will ich von Jack wissen. "Hört sich doch vernünftig an, oder?" – Aber Jack bleibt skeptisch: "Klar, man kann auf Elektro-Öfen umstellen, aber ich hätte zweieinhalb Jahre auf das Verlegen der Starkstrom-Kabel in der Straße warten müssen. Wir waren schon dabei, uns um neue Backöfen zu bemühen, aber das wäre eine Investition von einer halben Million Euro gewesen – das hätte zu viel Unsicherheit bedeutet für meine restlichen 17 Arbeitsjahre."
Für Betriebe, die mindestens ein Achtel ihres Umsatzes für Gas ausgeben, gibt es Staatshilfe, erklärt mir Jack das System. "Die meisten Bäckereien liegen aber knapp darunter – gehen also leer aus." Je nach Betrieb lagen die Gas-Ausgaben auf den Umsatz bezogen in den Bäckereien bei drei bis vier Prozent – vor der Krise. Mit den steigenden Gaspreisen kletterte dann zwar auch der relative Anteil auf mittlerweile etwa neun Prozent, so Jack, aber das sind eben noch keine 12,5 Prozent, wie vom Gesetzgeber als Vorausbedingungen für die Gaspreisstütze gefordert.
Jack muss sich beeilen – gleich kommt der Sperrmüll-Container, er greift zum Schraubenzieher. Auch ein Hammer liegt bereit, auf dem Holztisch im Lager sogar eine Axt. Nachdem er sich mit seinen Mitarbeitern seine allerletzte Torte geteilt hat, auch der Euronews-Reporter bekommt ein kleines Stück ab, nimmt Jack seinen Laden auseinander. Die Spiegel über dem Verkaufstresen werden abgeschraubt, der hölzerne Brotkorb für Baguette in der Ecke leistet Widerstand, Jack muss energischer werden. Auf dem Boden stapeln sich bald Regalbretter, Ablagen, Glasscheiben von Verkaufsvitrinen.
Ein lautes Piepen dringt von der Straße her durch die halb offene Türe, der Abfuhrunternehmer bugsiert seinen knallbunt lila lackierten Laster an den Bordsteinrand. Ein paar Worte werden gewechselt, dann verschwindet Jacks Bäckerei im gefräßigen Schlund des Containers.
Ein paar Maschinen, Ausrüstungsgegenstände, Backutensilien versucht Jack zu verkaufen oder an Kollegen abzugeben. "Was halt so möglich ist", meint Jack, "aber es schließen derzeit sehr viele Bäckereien, deshalb gibt es so viel gebrauchte Bäcker-Ausrüstung auf dem Markt." Der Container ist voll, wird abgeholt. Das Ende einer kleinen Bäckerei, die es nicht ganz geschafft hat, hundert Jahre alt zu werden…
Jacks Mitarbeiter brauchen sich keine Sorgen zu machen. Einige gehen Rente, die Mehrzahl hat problemlos einen neuen Arbeitsplatz in einer anderen Bäckerei gefunden. Fachkräfte sind gesucht in den Niederlanden, in vielen Handwerksberufen. Auch für Jack beginnt ein neues Leben. Er ist jetzt nicht mehr sein eigener Boss, sondern wird als Angestellter bei einem Kollegen arbeiten. Jack freut sich trotzdem: endlich geregelte Arbeitszeiten statt Selbstausbeutung.
EU plant zusätzliche Hilfen für Gas- und Stromverbraucher
Um zu vermeiden, dass weitere Unternehmen wie Jacks Bäckerei schließen, plant die Europäische Union zusätzliche Hilfen für Gas- und Stromverbraucher. Dasselbe gilt für viele der Mitgliedstaaten. Seit Beginn der Energiekrise vor einem Jahr, wurden in den EU-Ländern fast 600 Milliarden Euro ausgegeben, um Haushalte und Betriebe bei den Energiekosten zu entlasten. Sprich: es wurde und wird geklotzt und nicht gekleckert. So richtig dicke, mit der ganz großen Finanz-Gießkanne. Was eben auch (manchmal) ein Problem sein kann, weil in der Eile die Hilfen – seien es EU-Hilfen, seien es nationale Hilfen – zu breit und nicht gezielt genug verteilt werden. Zwischendurch muss aber in dieser aufgeregten Debatte, ob genug oder zu viel geholfen, gestützt, gezahlt, gestundet wird, auch einmal angemerkt werden, dass sich der europäische Wohlfahrtsstaat, die europäische Solidarität und der europäische Zusammenhalt in dieser kritischen Lage bislang durchaus bewährt haben. Ohne die zahlreichen Hilfsprogramme hätten bereits viel mehr Geschäfte und Unternehmen dicht gemacht.
Beispiel Rumänien: eine Großbäckerei in Urlați
Zweite Station meiner Bäcker-Reise quer durch Europa: die Kleinstadt Urlați in Rumänien – eine Großbäckerei, die zusammen mit angeschlossener Mühle, Lieferbetrieb, und Exportunternehmen auf 400 Angestellte kommt. Glücklicherweise hat die Oltina-Bäckerei zwei Standbeine: Einerseits beliefert sie die gesamte Region mit frischen Backwaren, andererseits beziehen aber auch etliche europäische Supermarktketten abgepacktes Kastenbrot von Oltina. Dank der doppelten Ausrichtung auf zwei unterschiedliche Geschäftsfelder, konnte Oltina die Krise bislang recht gut meistern.
In den riesigen Werkshallen tanzt der Teig: aus großen Bottichen teilen Maschinen Klumpen ab, Förderbänder durchqueren in unterschiedliche Richtungen den Raum, es wird gewogen und geschnitten, besprüht und bepinselt, geklopft und gebacken. Vollautomatisierte Backstraßen, zwischendurch mal ein prüfender Blick des Produktionsleiters, Arbeiter füttern die Maschinen mit Teig-Nachschub, achten darauf, dass kein Brot aus der Reihe tanzt.
Auch Rumänien hilft Betrieben bei Strom und Gas. Aber nicht unbegrenzt: Großverbraucher kommen nur noch teilweise in den Genuss von Billig-Energie. Weshalb die Oltina-Bäckerei für Strom umgerechnet jetzt 50.000 statt wie bislang 20.000 Euro im Monat zahlen muss.
"Was genau ist denn das Problem mit den Strompreisen?", frage ich Bogdan Iosif, den Miteigentümer und Generaldirektor der Oltina-Bäckerei.
"Unser derzeit größtes Problem sind die hohen Stromkosten", meint der Manager. "Wir hätten gerne, dass uns der staatliche Ausgleichsmechanismus auch für Elektrizität zugutekommt." – So wie beim Erdgas, denn hier kommen bereits viele Betriebe in den Genuss verbilligten Industriegases für die Produktion, auch Oltina. Andererseits ist aber selbst das verbilligte Industriegas noch teurer als das Vorkrisen-Gas. Hinzu kommen explodierende Preise für Backzutaten wie Salz und Hefe. Auch Mehl ist mittlerweile doppelt so teuer wie vor Putins Angriffskrieg auf die Ukraine.
"Der Brotpreis (ab Fabrik) hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt", sagt Manager Iosif, relativiert aber sofort mit dem Hinweis, dass der Preis für Brot in Rumänien bis vor kurzem extrem niedrig gewesen sei. Gleichzeitig spürt er den Druck seitens der Angestellten, die unter der Inflation im Alltag leiden. "Um die höheren Lebenshaltungskosten auszugleichen, haben wir beschlossen, die Gehälter in einem ersten Schritt um sieben Prozent anzuheben", berichtet Iosif. "Und wir werden demnächst wohl weitere Gehaltsanpassungen durchführen."
Der Produktionsleiter führt uns durch den Betrieb. Im Erdgeschoss sind ein Dutzend Arbeiterinnen um einen Tisch versammelt, sie legen mit flinken Handbewegungen Phantasiegebäck aus Teigröllchen zusammen, die Zierbrote sind für einen bevorstehenden Kirchenfeiertag bestellt. Es riecht lecker, langsam werde ich hungrig.
Ich schließe Bekanntschaft mit Cristina, einer der Frauen am Ziergebäcktisch, und Cristinel, einem kräftigen Arbeiter mit T-Shirt der deutschen Fußballnationalmannschaft, der an einer Teigmischmaschine steht. Cristinel Constanda fing als Teenager im Betrieb an. Seit 22 Jahren ist er nun dabei. Unterbrochen nur von einem mehrmonatigen Arbeitsaufenthalt in Deutschland (daher das T-Shirt). In seine Frau Cristina verliebte er sich beim Brotbacken.
Ungelernte Arbeiter verdienen in der Branche umgerechnet 450 Euro netto im Monat, Cristinel, wegen seiner langen Betriebszugehörigkeit, liegt bei umgerechnet rund 600 Euro. Cristinel und Cristina nehmen mich in der Mittagspause mit nach Hause. Die beiden wohnen nicht weit weg, in einem Plattenbau um die Ecke.
Sparen ist angesagt
Obwohl die rumänische Regierung Privathaushalte mit einem Energie-Preisdeckel unterstützt, sparen die beiden, wo es nur geht. "Wir haben die Gas-Heizung noch nicht angemacht, wegen der Kosten, wir haben nicht genug Geld", meint Cristinel. "Wir werden versuchen, noch eine Weile ohne Heizung auszukommen." Wenn es dann irgendwann so richtig kalt wird, hilft alles nichts, dann muss die Heizung angedreht werden. Zumindest ist der Wohnblock wärmeisoliert, vor einigen Jahren gab es eine Rundumerneuerung, das zahlt sich jetzt aus – sonst wären die Heizkosten noch höher.
Wir setzen uns an den Küchentisch. Cristina kramt in Unterlagen auf dem Küchentisch, holt einige Briefe aus einem Plastikumschlag, Heiz- und Stromrechnung findet sie gerade nicht, nur die (sehr viel niedrigere) Kochgasrechnung. Aber auch die reicht, die Relationen zu verstehen: "Ich habe hier zwei Kochgas-Rechnungen, eine vom letzten, eine von diesem Jahr, derselbe Zeitraum, derselbe Monat. Im vorigen Jahr haben wir monatlich 37 Lei bezahlt, in diesem Jahr 70 Lei pro Monat, das Doppelte." Für das Paar sind es vor allem die Lebensmittelkosten, die Probleme bereiten. Um den Kühlschrank zu füllen, geben die beiden heute umgerechnet 120 Euro pro Woche aus, vor der Krise reichten 40 Euro für den Wochen-Einkauf im Supermarkt. Zahlen, die in Bezug gesetzt werden müssen zu dem in Rumänien üblichen Arbeitergehalt.
"Rechnungen, Nahrungsmittel, Kleidung, Urlaub - wir können uns mittlerweile gar nichts mehr leisten", meint Cristinel. Und seine Frau Cristina pflichtet ihm bei: "Ja, noch nicht einmal Urlaub. In diesem Jahr waren wir kein einziges Mal am Strand. Voriges Jahr sind wir für zehn Tage nach Bulgarien gefahren. In diesem Jahr können wir uns das nicht mehr leisten."
Beispiel Italien: Traditionsbetrieb "Forno Campo de'Fiori"
Von Rumänien nach Italien. In den Gassen der italienischen Hauptstadt riecht es nach frischem Brot. Die Touristen schlafen noch. Station drei meiner "Europa-Reise der Bäcker" ist leicht zu finden, immer der Nase nach. Forno Campo de'Fiori ist eine Institution, die mittlerweile sogar in den Touristen-Reiseführern erwähnt wird. Auf dem Platz in der historischen Altstadt beginnen trotz nachtschlafender Stunde bereits einige Händler, ihre Marktstände aufzubauen, vereinzelte Rufe schallen durch die Dunkelheit. In der Häuserfassade ist ein Licht zu sehen, dahinter eine weißgekleidete Gestalt, die keine zwei Sekunden an derselben Stelle verharrt: Davide beim Brotbacken. Kurze Begrüßung, dann muss Davide weiterwalken, der Liefertermin rückt bedrohlich näher.
Nach der mittleren Reife tauschte Davide die Schulbank gegen die Backstube. Als Teenager fand er Gefallen am Handwerk. Er erinnert sich: "Die Bäckerei gehörte einem Onkel. Ich hatte keine Arbeit – und studieren wollte ich nicht. Als ich von der Schule abging, hat er mir angeboten, zu ihm zu kommen und im Sommer auszuhelfen – und schließlich bin ich am Ofen geblieben." Später wechselte er dann zum Forno Campo de'Fiori. "Ein schöner Beruf", meint Davide, "aber Du musst Opfer bringen." Nachtarbeit, unter der das Familienleben oft leidet. Und angesichts der Inflation ist die Bezahlung nicht die beste.
Alles ist teurer geworden, aber der Lohn bleibt gleich
Zwar hat die neue italienische Rechtsaußen-Regierung von Giorgia Meloni – so wie die Vorgänger-Regierung von Mario Draghi - umfangreiche Hilfspakete beschlossen, doch Davide stöhnt trotzdem unter den hohen Preisen. "Es ist alles teurer geworden, vor allem im Supermarkt. Irgendjemand treibt es auf die Spitze und profitiert von der Situation. Und am schlimmsten ist, dass nie der Lohn erhöht wird, nie, nie…“
Punkt acht öffnet die Bäckerei am Markt. Die Kunden diskutieren die Ankündigung der Regierung, Familien und Unternehmen in den kommenden Monaten mit einem 30-Milliarden-Euro-Wumms bei Strom und Gas zu entlasten. Die ersten schuldenfinanzierten Milliarden-Hilfen sollen schon bald fließen, noch in diesem Jahr.
Ich rede mit Fabrizio Rosciolo. Der Eigentümer macht sich Sorgen um seine 18 Angestellten, um seine Kunden, seinen Betrieb. Der Mann sieht müde aus, reibt sich die Augen. Wegen der irren Material- und Energiekosten musste Rosciolo bereits den Brotpreis erhöhen – um satte zwölf Prozent.
"Von einem Jahr aufs andere ist unsere monatliche Gasrechnung von 1.200 auf 5.500 oder fast 6.000 Euro monatlich geklettert – und die Stromrechnung hat sich von 1.500 auf 5.700 erhöht. Derzeit schultert dieses Unternehmen Monatsrechnungen für Licht und Gas in Höhe von rund 12.000 Euro", fasst Rosciolo zusammen. "Das sind die Zahlen, da brauche ich eigentlich nichts hinzuzufügen."
Der Mann kann alles, "Backen, Putzen, Bankverhandlungen", und ist stolz auf seinen Lebensweg. Er hat etwas geschafft, aufgebaut. Und will es behalten – wie auch seine Kunden. "Wenn wir die explodierenden Kosten jetzt komplett auf die Kunden umlegen würden, kostete das Brot vermutlich so viel wie Gold", meint er – nur halb im Scherz. "Wir haben zwei Backöfen, einer läuft mit Strom, der andere mit Gas. Den Strom-Ofen haben wir derzeit abgestellt, ansonsten wäre die Energie- Rechnung unbezahlbar."
Wenn Sie auf die Links in diesem Text klicken, finden Sie weitere Informationen zur kontroversen Diskussion um einen EU-Gaspreisdeckel. Einen sehr ausführlichen und detailliert recherchierten Überblick über die energiepolitische Reaktionen der EU-Mitgliedstaaten auf die Energiekrise finden Sie in diesem Link zur Denkfabrik Bruegel.