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Heute „Grexit“, morgen der „Brexit“?

Noch ist ein Grexit nicht vom Tisch, da droht bereits ein neues Land mit dem Austritt. Großbritannien wird in einem Referendum über den Verbleib in der EU abstimmen. Auf der diesjährigen Investmentkonferenz am Tegernsee beleuchtete Matthias Thibaut, Korrespondent von Handelsblatt und Tagesspiegel, das Thema.

„Das Wahlergebnis in Großbritannien hat uns alle überrascht“, kommentiert Matthias Thibaut gleich zu Beginn. David Camerons Mandat sei eindeutig: Nur Margaret Thatcher habe es vor ihm geschafft, nach einer Wahl mehr Sitze zu halten als davor. „Das Referendum muss nun bis zum 31. Dezember 2017 stattfinden“, so der Experte. Die Schwierigkeit für Cameron bestehe darin, dass er zwischen den Euroskeptikern seiner Partei und der EU jonglieren müsse: „Cameron muss widersprüchliche Signale senden, um alle bei Laune zu halten. Er muss hart auftreten, damit er seine Partei zusammenhält, aber auch pro-europäische Signale geben, damit sich die EU-Partner auf die Verhandlungen einlassen.“

Trotzdem müsse die EU den drohenden Austritt ernst nehmen. „Geopolitisch ist die Europäische Union auf Großbritannien angewiesen“, warnt Thibaut. Die Zukunftsfähigkeit Europas werde durch das Referendum zur Abstimmung gestellt.

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Großbritannien – ein Land mit Sonderwünschen?

Um die jüngsten politischen Entwicklungen in Großbritannien zu verstehen, müsse man weit in die Geschichte zurückblicken: Seit 1815 habe sich an Großbritannien als Staat nicht viel geändert – das sei einzigartig in der Europäischen Union. „Die Briten sind ein beharrliches Volk, prinzipientreu, aber auch flexibel“, beschreibt der Handelsblatt-Korrespondent. Ihre „Ausnahmeposition“ erklärte er mit zwei ihrer Erfindungen.

Im Jahr 1909 entwickeln die Briten den Kreisverkehr als neues Organisationsprinzip für den Verkehr. Rücksichtnahme statt roter Ampeln und starrer Regeln, Fair Play statt Kontrolle. Deregulierung sei hier das Stichwort.

Eine noch wichtigere „Erfindung“ stelle die Magna Carta dar, in Kraft getreten vor 800 Jahren. Sie stehe am Anfang der freiheitlichen Gesellschaftsordnung: Statt Willkürherrschaft Rechtstaatlichkeit. „Großbritannien wurde die erste Zivilgesellschaft von Besitzbürgern in Europa.“ Einen Gedanken trügen die Briten seither in sich: die Freiheit von Person und Besitz. Briten besäßen eine natürliche Form der Staatsskepsis: Englische Polizisten tragen daher keine Pistolen, Radarfallen werden gelb markiert und die Briten dürfen vererben was und an wen sie wollen. Zusammengefasst heiße dies: So wenig Einfluss und Kontrolle des Staates wie möglich, gerade so viel wie nötig.„Richtig glücklich hat die EU die Briten nie gemacht“, schlussfolgert Thibaut. Aus Angst vor Souveränitätsverlust hätten die Briten den Euro nicht akzeptiert. „Nun machen die Eurokrise und ihre politischen und wirtschaftlichen Folgen ihnen deutlich, wie groß die Lücke zwischen Großbritannien und der Eurozone ist – das sind zwei verschiedene Staatsphilosophien.“

Was die Briten wollen, sei ein starkes nationales Parlament und keine diktierenden EU-Organe. Großbritannien stehe für einen starken Binnenmarkt, dafür, dass der Euro nicht als einzige offizielle Währung gelte, für weltweit offenen Handel und einen Sonderschutz für das Finanzzentrum in London. Eine „ever closer union“ sei unerwünscht. Der springende Punkt ist für Thibaut jedoch die Immigration: „Die Briten wollen ihre Grenzen selber kontrollieren. Die Kritik an der Immigration wird nicht durch Ausländerfeindlichkeit angetrieben, sondern durch das rasante Bevölkerungswachstum.“ London wachse jede Woche um einen vollen U-Bahn-Zug, fast 3 Millionen EU-Bürger lebten schon im Land, im letzten Jahren hätten 100.000 zusätzliche Grundschulplätze geschaffen werden müssen, 71% der zusätzlichen Schüler seien Ausländerkinder gewesen.

„Cameron kann die ‚Outers‘ so oder so nicht zufriedenstellen. Aber wenn wir einen Grexit erleben und die Zahl der Migranten steigt, wird auch der Rückhalt der EU-Befürworter bröckeln.“ Das Zünglein an der Waage werde die Diskussion um Immigration. „Zudem sind die ‚Outers‘ von der Leidenschaft getrieben, während die Befürworter eher Angst haben vor dem was kommen mag“, erklärt der Korrespondent.

„‚Brexit‘ könnte alles ins Rutschen bringen“

Es sei denkbar, dass sich für Großbritannien nach einem Brexit nicht viel ändere. Das Land werde seine Handelsbeziehungen mit Europa weiter aufrechterhalten. Thibaut nannte eine Reihe von Indikatoren, bei denen Großbritannien Spitzenpositionen in der Welt einnimmt, wie Innovationsfähigkeit oder die Bedingungen für Unternehmensgründungen.„London ist die heimliche Hauptstadt der Welt, bis 2030 wird sie um weitere 2,3 Millionen Menschen anwachsen, schon heute leben 4.960 Superreiche in der Stadt. Großbritannien wird auch ohne EU auf absehbare Zeit ein Global Player bleiben“.

Für Europa dagegen könne ein Austritt mehr Folgen haben, als viele jetzt annehmen. Das BIP und die Bevölkerung würden sinken, der EU drohe ein enormer Reputationsverlust. Zudem könne sich die Balance innerhalb der EU verschieben: Deutschland stände als alleiniger Hegemon da, wäre aber gleichzeitig auch stärker von den Mittelmeerländern abhängig.

Wichtige Wirtschaftspartner Großbritanniens, wie die Niederlande und Irland könnten Großbritannien zudem folgen. „Damit könnte alles in Rutschen kommen.“

Cameron wolle sich dafür einsetzen, Großbritannien in der EU zu verankern und für das Land den richtigen Platz in der EU zu finden. Im Moment gebe es in den Umfragen einen zehn Prozent Vorsprung für die EU-Befürworter, aber das könne sich ändern. „Meiner Ansicht nach könnte das Referendum sehr knapp ausfallen“, prophezeit Thibaut.

(TL)