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Helge Leonhardt: „DFL-Plan mit Geisterspielen ist leider nicht realistisch“

Der Fußball-Präsident aus Aue befürchtet viele Insolvenzen wegen der Coronakrise. Klubs sollten vorsorglich Kurzarbeit anmelden – auch für Spieler.

Helge Leonhardt, Präsident des Zweitligisten FC Erzgebirge Aue, befürchtet einige Pleiten in der Fußball-Bundesliga: „Wenn die Pandemie der Wirtschaft länger anhält, kann es und wird es in der Bundesliga zu Planinsolvenzen kommen“, sagt der Unternehmer im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Ich schließe nicht aus, dass einzelne Vereine, vielleicht sogar die meisten, kollabieren.“

Große Klubs könne es genauso treffen wie kleine, führt Leonhardt aus. In ihren Transfer-Verträgen mit Spielern hätten einige dringend geplante Einnahmen wie Fernsehgelder vielleicht sogar verpfändet – „wenn die dann ausbleiben, gibt es ein Bilanzproblem und einen Crash“.

Leonhardt plädiert im Handelsblatt für arbeitsmarktpolitische Hilfen: „Man sollte erst einmal vorsorglich für Manager, Mitarbeiter und Spieler sowie alle Angestellten im Verein präventiv Kurzarbeit beantragen, in einer solchen Notsituation zählt das Gleichheitsprinzip. Dann müssten auch einzelne Spitzenverdiener bereit sein, nur 6400 Euro im Monat zu erhalten, also circa 2500 netto. Das wäre ein echtes Signal.“ Man überlebe als Profispieler oder Gutverdiener auch mit erheblichen Reduzierungen gut.

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Der Fußball-Präsident aus Aue ist dafür, die laufende Bundesliga-Saison sofort abzubrechen. Der Plan der Deutschen Fußball-Liga (DFL), mit Geisterspielen ohne Zuschauer die Spielzeit zu beenden, sei Wunschdenken: „Der Plan ist leider nur nicht realistisch.“ Vielleicht könne man alle Spiele im August und September nachholen oder die nächste Saison einfach dranhängen, die Ergebnisse würden dann addiert: „Es darf keine Denkverbote geben.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Leonhardt, Sie sind als Unternehmer und Präsident eines Fußball-Zweitligisten gleich doppelt von der Corona-Krise betroffen. Wie unterschiedlich gehen Sie in diesen beiden Rollen mit der Herausforderung um?
Grundsätzlich gibt es keinen Unterschied, nur in Detailfragen. Auch der FC Erzgebirge Aue ist ein Wirtschaftsunternehmen.

Es fällt schwer, sich einen Fußballer, der vom Team und von Bewegung draußen lebt, im Home-Office vorzustellen.
Ja, klar. Aber diese Krise ist anders als die Schieflagen nach Nine-Eleven oder nach dem Finanzcrash. Da konnte man dem Gegner sozusagen immer in die Augen schauen. Jetzt haben wir einen unidentifizierten Virus als Gegenspieler. Und es gibt keinen Schuldigen, weder in der gesamten Realwirtschaft noch in der Entertainment-Industrie, zu der der Fußball gehört.

Dafür sind die wirtschaftlichen Folgen womöglich noch härter.
Man muss jetzt erst einmal die Gesundheit der Menschen in den Vordergrund stellen. Natürlich gibt es auch eine Pandemie der Wirtschaft. Wir bewegen uns in eine riesige Krise hinein, in der es zu Notverstaatlichungen großer systemrelevanter Unternehmen kommen kann. Aber in dieser Krise geht es diesmal nicht nur um „Systemrelevante“ wie Banken oder VW oder Lufthansa, sondern um alle, insbesondere den Mittelstand. Wenn ein Staudamm bricht, kann ich ihn in einem halben Jahr wiederaufbauen. Bei Corona ist es gefährlich, mit Planspielen zu operieren.

„Es ist wichtig, an Kurzarbeit zu denken“

Was bedeutet das konkret für den Fußball? Dort stehen in der Saison 2019/20 ja noch etliche Spiele der Bundesliga, des Pokals, der Champions League und der Europa League aus.
Es muss generell alles ausgesetzt werden.

Das hat sich in Ihrer Branche noch nicht bis zu jedem herumgesprochen.
In der Liga und in den Klubs haben wir viele kluge Vorstände. Niemand kann die Problemlage ignorieren. Wenn Volkswagen Werke schließt und Mitarbeiter in Kurzarbeit schickt, gibt es eine Kettenreaktion. Dann bangen auch Zulieferer, Autohäuser und auf jeden Fall die Sponsoren um ihre Existenz, womöglich auch Medien wie das TV-Unternehmen Sky. Des Weiteren werden große Dax-Unternehmen und Oligarchen, die Spitzenklubs finanzieren und daran sogar beteiligt sind, sich ebenfalls restriktiv verhalten, weil sie eigene Probleme bewältigen müssen. Deshalb ist es wichtig, an Kurzarbeit zu denken und andere Maßnahmen einzusetzen, die die Bundesregierung auflegt. Für die Wirtschaft wäre ein Unternehmensrettungsfonds ein zielführendes Signal.

Sie empfehlen den Klubs generell Kurzarbeit?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Es geht einzig und allein um Verständnis und Mentalität. Ich denke, man sollte erst einmal vorsorglich für Manager, Mitarbeiter und Spieler sowie alle Angestellten im Verein Kurzarbeit beantragen. In einer solchen Notsituation zählt das Gleichheitsprinzip. Dann müssten auch einzelne Spitzenverdiener bereit sein, nur 6.400 Euro brutto im Monat zu erhalten, also circa 2500 netto. Das wäre ein echtes Signal. Dem Verein bliebe wichtige Liquidität erhalten, das könnte rettend sein zum Überleben. Bei großen Vereinen in der Bundesliga sind das zig Millionen pro Monat.

Bei FC Erzgebirge Aue handhaben Sie es so?
Ja, erst einmal habe ich großes Vertrauen in meine Mitarbeiter und Jungs, und die zu mir. Man muss vorleben und glaubwürdig sein. Präventiv haben wir Kurzarbeit für alle beantragt. Ob wir das auch durchgehend nutzen können, wird sich noch entscheiden. Ich bin dafür, egal in welchen Varianten – und will das gnadenlos durchzuziehen. Es sind eben Notmaßnahmen für eine bestimmte Frist. Nach der Krise haben wir dann die Möglichkeit, den gesamten Fußballmarkt neu zu regulieren.

Was heißt das?
Das Kapital wird erst einmal nicht mehr im gewohnten Umfang zur Verfügung stehen. Der Markt reguliert sich dadurch von selbst. Man kann nur ausgeben, was man dann noch hat. Und das gilt europaweit. Wir gehen durch eine tiefe Rezession, aber auch darin kann man gesund bleiben – wenn man sich diszipliniert verhält und klare Regeln aufstellt.


„Es wird in der Bundesliga zu Planinsolvenzen kommen“

Einzelne Spieler, aber auch das Team von Borussia Mönchengladbach zeigen sich bereit, auf Gehalt zu verzichten.
Prima. Das ist nötig und gut. Ein erstes gutes Zeichen, das man verstanden hat, um was es geht. Aber entscheidend wird immer sein, ob man die nötige Liquidität über Monate hat. Man überlebt als Spieler oder Gutverdiener auch mit erheblichen Reduzierungen sehr gut. Die Angestellten, die weitaus weniger haben, überleben ja auch. Allerdings können Profispieler solche Einbußen wohl bei ihren Spareinlagen oder Depotbeständen leichter verkraften als andere.

Befürchten Sie mögliche Pleiten von Klubs?
Wenn die Pandemie der Wirtschaft länger anhält, kann es und wird es in der Bundesliga zu Planinsolvenzen kommen. Ich schließe nicht aus, dass einzelne Vereine, vielleicht sogar die meisten, kollabieren. Die Großen kann es übrigens genauso treffen wie Kleine. Die haben jetzt zwar noch viel Geld in der Kasse, andererseits aber sind die Kosten für Gehälter und Prämien sehr groß. Und in ihren Transfer-Verträgen mit Spielern werden einige dringend geplante Einnahmen wie Fernsehgelder vielleicht sogar verpfändet haben – wenn die dann ausbleiben, gibt es ein Bilanzproblem und einen Crash.

Malen Sie da für die Bel Etage des Fußballs mit Spitzenklubs wie FC Bayern, Borussia Dortmund, RB Leipzig, Schalke 04 und andere nicht zu schwarz?
Nein, ich möchte auf keinen Fall schwarzmalen. Ich denke immer auch positiv, reagiere aber real. Wir sitzen diesmal alle in einem Boot, egal, ob groß oder klein. Denn Fußball ist nicht systemrelevant, es kann alle treffen. Einige werden nur etwas länger durchhalten können. Wir brauchen dringend Korrekturen im Markt - und eben diese Notmaßnahmen, um die Krise zu bewältigen. Jeder muss da mitspielen, sonst gibt es keine Bundesliga mehr.

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) propagiert, die Saison mit „Geisterspielen“, also ohne Zuschauer, zu Ende bringen zu wollen. Das kollidiert doch mit Ihrer Forderung nach Abbruch.
Der Show-down hat ja gerade erst begonnen. Solange die Zahl der Verwundeten und Toten steigt, hat keiner Lust und die Nerven, an Geisterspiele zu denken. Wir sollten erst einmal den unsichtbaren Feind identifizieren, damit er beseitigt werden kann. Das hat oberste Priorität. Die Behörden haben das Sagen – und sie werden entscheiden, ob gespielt werden kann oder nicht.

Und doch hat auch der FC Erzgebirge Aue in der letzten DFL-Mitgliederversammlung für den Plan „Geisterspiele“ gestimmt.
Weil es Wunschdenken ist, so die TV-Gelder zu sichern. Der Plan ist leider nur nicht realistisch.

Wie sollen Meister sowie Auf- und Absteiger ermittelt werden?
Man muss das von Tag zu Tag entsprechend der sich ständig veränderten Lage entscheiden. So halte ich es auch in der Krisenkommission in unseren Betrieben und im FC Erzgebirge. Die DFL wird bestimmt in der nächsten Sitzung Ende März Modelle vortragen. Man kann zig Szenarien durchspielen, zum Beispiel die nächste Saison einfach dranhängen und die Ergebnisse addieren. Dann ist 2021 Schluss nach 68 Spielen. Was am besten ist, weiß – glaube ich – heute noch keiner.

„Es darf keine Denkverbote geben“

Was wäre das beste Ergebnis der nächsten DFL-Sitzung Ende März?
Ein Beschluss, den ganzen April auszusetzen, um dann im Mai neu zu entscheiden. Und vielleicht werden wir auch im Mai pausieren, dann wird es halt Juni und Juli oder noch später. Es darf keine Denkverbote geben.

Also sind Spiele der aktuellen Saison im Oktober gut möglich?
Vielleicht kann man alle Spiele auch im August und September nachholen. Wenn unsere Zukunft wirklich am Geld von Sky hängt, muss man mit den Verantwortlichen dort reden, was machbar wäre. Es handelt sich ja um höhere Gewalt, die DFL kann nichts für Corona. Dieses Problem kann man nur im Konsens lösen.

„Aufhören ist keine Option“, hat DFL-Chef Christian Seifert verkündet.
Das stimmt nur, wenn wir den Virus in den nächsten Wochen bekämpfen können. Wenn nicht, ist Aufhören eine notwendige Maßnahme.

Die Profiligen teilen sich in einige reiche und viele weniger reiche Vereine. Schweißt eine solche Krise zusammen?
Solidarität ist die Frage nach dem, wer auf was verzichten kann. Ehe ich von „Solidarität“ spreche, muss ich erst mal die Probleme im eigenen Verein lösen. Wenn die gelöst sind, sollte man sich immer solidarisch zeigen.

Ein Plädoyer gegen den bereits diskutierten „Solidaritätsfonds“?
Ich glaube nicht, dass Bayern München jetzt an Jahn Regensburg denkt. Das wäre auch nicht zielführend. Die großen Geldsummen werden für die eigene Bereinigung und Stabilisierung gebraucht.

Stehen in der laufenden, unterbrochenen Saison wirklich 750 Millionen Euro im Feuer?
Ob es genau 750 Millionen sind, weiß ich nicht, da müssen Sie die DFL fragen. Jedenfalls braucht man das Geld. Deshalb kämpft die DFL auch so um diese Geisterspiele. Die Zeit läuft allerdings aus. Es kann daher eklig und sehr unangenehm werden.

Der Chef des europäischen Verbands Uefa nennt solche Geisterspiele „freudlos“.
Sicher, das Spiel lebt von Fans und dem Umfeld. Es lebt aber auch vom Geld, das man für Investitionen und Kostendeckung braucht.

Sind Sie in engem Austausch mit anderen Klubpräsidenten?
Eigentlich nicht, das bringt nicht viel. Es ist eine Ausnahme, dass ich heute mit Dynamo Dresden über die Lage gesprochen habe. Wir haben eine Task-Force bei uns im Verein, die ich mit meinem Kollegen Michael Voigt im Krisenmodus leite.

In der Gesellschaft ist Fußball immer wieder Tagesgespräch. Was macht die Spielpause mit der Psyche der Leute?
Es geht viel Angst herum. Das wird, so gut es geht, unterdrückt. Die Menschen brauchen Brot und Spiele, das ist wichtig für die Seele. Aber der Fußball wird zurückkommen. Bis dahin müssen wir eiserne Disziplin beweisen. Wir müssen durch dieses Tal durch. Wenn wir Licht im Dunkeln sehen, gehen wir gereinigt und als Gewinner in die Zukunft.

Wie reagieren die Menschen im Erzgebirge auf die Corona-Folgen im Fußball?
Mit totaler Loyalität. Ich bin unglaublich stolz auf mein Erzgebirge und glücklich, dass ich hier lebe. Die Fans und Mitglieder würden doppelt so viele Dauerkarten kaufen, an jedem Tag melden sich neue Mitglieder im Verein an. Das ist gelebter Patriotismus. Wir sind ein Leuchtturm. Die Leute sagen uns: „Bitte haltet durch!“