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Heiße Verhandlungsphase zwischen EU und Großbritannien: Lenkt Johnson ein?

Die Freihandelsgespräche der EU mit Großbritannien gehen in die letzte Runde vor der Deadline. Es drohen hohe Zölle und Grenz-Chaos. Das sind die zehn wichtigsten Fragen und Antworten.

Der britische Premierminister steht in der Coronakrise unter Druck und braucht einen Erfolg in den Freihandelsgesprächen. Foto: dpa
Der britische Premierminister steht in der Coronakrise unter Druck und braucht einen Erfolg in den Freihandelsgesprächen. Foto: dpa

Deal oder No Deal? In der Europäischen Union (EU) und in London wächst die Hoffnung, dass die Brexit-Unterhändler in dieser Woche Fortschritte in den Freihandelsgesprächen erzielen.

Am Dienstag treffen sich EU-Chefunterhändler Michel Barnier und sein britisches Gegenüber David Frost zur neunten Verhandlungsrunde, die bis Donnerstag dauern soll. Am Montag tagte zudem der britisch-europäische Ausschuss, um den Streit über das Nordirlandprotokoll im EU-Austrittsvertrag beizulegen.

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Was steht in dieser Woche der Entscheidung auf dem Spiel? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Freihandelsgesprächen:

1. Worum geht es bei den Verhandlungen?

Nachdem Großbritannien die EU verlassen hat, streiten Brüssel und London um das künftige Verhältnis in Handelsfragen: Bis zum 31. Dezember gelten die europäischen Binnenmarkt- und Zollregeln für das Königreich weiter, danach droht ein harter Schnitt. Ein neues Freihandelsabkommen soll für Abhilfe sorgen.

2. Was passiert, wenn die Freihandelsgespräche scheitern?

Im Fall eines ungeordneten Austritts aus dem Binnenmarkt und der Zollunion gelten ab 1. Januar zwischen der EU und Großbritannien die Zölle der Welthandelsorganisation. Auf Importe von Autos und Autoteilen aus beiden Richtungen werden dann zum Beispiel zehn Prozent Zoll fällig, auf manche Lebensmittel mehr als 40 Prozent. Das würde die Lebenshaltungskosten auf der Insel verteuern. Aber auch der Absatz europäischer Exporteure würde voraussichtlich leiden.

Neben den Zöllen gäbe es weitere Handelsbarrieren. Wirtschaftsverbände auf beiden Seiten des Ärmelkanals appellieren daher an die Politiker, sich zu einigen.

3. Woran hakt es noch?

Die beiden Streitpunkte sind Fischerei und Staatshilfen. Die EU will möglichst hohe Fangquoten für europäische Fischer in britischen Gewässern durchsetzen. Auch fordert sie, dass London ein wirksames Kontrollsystem für Staatshilfen einrichtet, um einen fairen Wettbewerb mit dem Rest Europas zu sichern. Der britische Premierminister Boris Johnson lehnt die Auflagen zu Staatshilfen ab, weil sie aus seiner Sicht gegen das Prinzip der nationalen Unabhängigkeit verstoßen.

4. Bis wann muss es eine Einigung zum Freihandelsabkommen geben?

Johnson hat Mitte Oktober als Frist gesetzt. Zeichnet sich bis dahin keine Einigung ab, will er die Gespräche abbrechen. Barnier hat stets Ende Oktober als Deadline genannt. Die EU wird die Gespräche nicht von sich aus abbrechen. Es werde bis zur letzten Minute verhandelt, heißt es in diplomatischen Kreisen. Schließlich wolle man sich nicht von Johnson die Schuld am ungeordneten Brexit in die Schuhe schieben lassen.

5. Warum kann man nicht länger verhandeln?

Weil das Freihandelsabkommen auf beiden Seiten auch noch vor dem Jahresende ratifiziert werden muss. Am 15. Oktober treffen sich die Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel. Der nächste findet erst im Dezember statt. Das Abkommen muss auch noch vom Europaparlament abgesegnet werden. Allein schon aus logistischen Gründen muss daher eine Lösung im Oktober her. „Das Parlament braucht einfach Zeit. Das ist der Unterschied im Vergleich zum britischen Unterhaus“, heißt es im Parlament.

6. Wie stehen die Chancen auf einen Durchbruch diese Woche?

Barnier geht mit neuer Zuversicht in die Gespräche. In Brüssel wird aufmerksam registriert, dass Johnson als Krisenmanager angesichts der steigenden Corona-Infektionszahlen und der umstrittenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unter Druck steht. Dies könne ihn dazu bringen, einem Deal zuzustimmen.

In London wird die Hoffnung geäußert, dass man Ende dieser Woche vereinbaren könne, in den sogenannten „Tunnel“ zu gehen. So wird die Endphase von Verhandlungen bezeichnet, in der beide Seiten absolute Vertraulichkeit vereinbaren, um ohne öffentlichen Druck Zugeständnisse machen zu können.

7. Was hat das britische Binnenmarktgesetz mit der Sache zu tun?

Johnson hatte die EU kürzlich mit einem Gesetzentwurf provoziert, der Teile des Nordirlandprotokolls im EU-Ausstiegsvertrag infrage stellt. Die so genannte „Internal Market Bill“ hebelt unter anderem die vereinbarten Zollkontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland aus. Da der Austrittsvertrag seit Februar rechtskräftig ist, würde das britische Gesetz gegen das Völkerrecht verstoßen. Der Vorstoß aus London hat die EU kalt erwischt. „Das haben wir nicht kommen sehen. Die Initiative kam aus dem Nichts“, sagt ein Insider.

8. Was tut die EU gegen den Vertragsbruch?

Die EU hat Johnson aufgefordert, die umstrittenen Passagen bis Ende September aus dem Gesetzentwurf zu streichen. Am Montag traf sich der britisch-europäische Ausschuss, der mit der Umsetzung des Austrittsvertrags betraut ist. Der britische Regierungsvertreter Michael Gove weigerte sich erwartungsgemäß, die Passagen zu streichen. Der EU wird daher wohl nichts anderes übrig bleiben, als rechtliche Schritte gegen Großbritannien einzuleiten. Sefcovic wiederholte die Forderung, das Gesetz bis Mittwoch zu ändern. Der Entwurf sei ein "äußerst schwerwiegender Verstoß" gegen das Völkerrecht, sagte er. "Der Austrittsvertrag soll umgesetzt und nicht neu verhandelt werden - geschweige denn einseitig geändert, missachtet oder missachtet werden". Von Sanktionen sagte er allerdings nichts.

9. Führt der Streit über das Binnenmarktgesetz zum No Deal?

Beide Seiten scheinen entschlossen, die Freihandelsgespräche trotz des Nordirland-Streits fortzuführen. Die britische Regierung hat den Gesetzentwurf nach den ersten Abstimmungen im Unterhaus auf die lange Bank geschoben – mit dem finalen Votum wird erst im Dezember gerechnet. Und die rechtlichen Schritte der EU werden sich ebenfalls Monate oder sogar Jahre hinziehen. Beobachter schätzen, dass der öffentliche Streit über den Rechtsbruch dem britischen Premier innenpolitisch genug Deckung geben könnte, um in den Freihandelsgesprächen einzulenken.

10. Was geschieht, wenn es doch nicht zu einer Einigung kommt?

In Brüssel und London gibt es Notfallpläne für den ungeordneten Brexit. Während die EU besser vorbereitet scheint, hapert es auf der britischen Seite. So warnte die Regierung vergangene Woche vor Lastwagenstaus vor dem Hafen Dover. Die IT-Systeme für die Zollkontrollen sind noch nicht einsatzbereit, auch fehlt weiterhin ein Großteil der benötigten 50.000 Zollexperten. In etlichen Branchen, darunter Luftfahrt, Pharma, Energie, Finanzen und Straßenverkehr, wird es von der EU abhängen, welche Übergangsregelungen sie einführt, um die Folgen des ungeordneten Brexits abzumildern.

Mehr: Die britische Regierung warnt vor einem Dauerstau in Dover