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„Hauptsache, es fließt mehr Geld in die Digitalisierung der Schulen“

Daimler-Chef Ola Källenius und ESMT-Präsident Jörg Rocholl sprechen über die Digitalisierung der Schulen, die Zukunft der Wirtschaftshochschule und Frauen in den Top-Etagen.

Daimler-Chef Ola Källenius fordert von der Politik mehr Geld für die Digitalisierung der Schulen. Technik sei jedoch nur die Basis: „Wir müssen viel mehr junge Menschen für Programmieren und Informatik begeistern“, mahnt der Schwede. „Wir reden zu viel darüber, welche Jobs die Digitalisierung vielleicht vernichtet – hier entstehen jede Menge neue Jobs.“

Zugleich verteidigt Källenius den Abbau klassischer Lehrstellen bei Daimler und anderen Dax-Konzernen: „Perspektivisch brauchen wir in traditionellen Berufen, zum Beispiel im Verbrenner-Bereich, weniger Leute.“ Und noch gebe es „leider keine Ausbildungsplätze für Softwareprogrammierer - das sollte dringend geändert werden.“

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Zugleich kündigte er an, mehr Frauen in die Top-Etagen von Daimler zu holen: Das Ziel, den Anteil weiblicher Führungskräfte bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen, „schaffen wir – und dann setzen wir uns ein höheres Ziel“.

Große Pläne hat Källenius auch für die von deutschen Konzernen getragene European School of Management and Technology ESMT in Berlin: „Die Dax-Konzerne haben die ESMT 2002 gegründet, weil wir eine Top-Businessschool mit technischer Perspektive wollten.

Sie ist in wenigen Jahren sehr weit gekommen. Das muss jetzt ausgebaut werden, in der Lehre und in der Weiterbildung“, sagte Källenius, der seit Kurzem dem Kuratorium der ESMT vorsitzt. „Wir müssen hungrig bleiben. Und wir brauchen kreative Ideen für die Finanzierung.“

ESMT-Präsident Jörg Rocholl kündigte eine inhaltliche Neuorientierung an: „Wir werden uns breiter aufstellen, indem wir Themen wie Analytics, KI, Nachhaltigkeit und innovatives Unternehmertum ausbauen.“ Über eine neue Plattform für Blended Learning will die ESMT mehr Studierende weltweit erreichen. Neben Källenius engagieren sich nun auch Telekom-Chef Timotheus Höttges, Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing und Roland Busch, Vize-Vorstandschef von Siemens.

Lesen sie hier das komplette Interview:

Herr Källenius, Herr Rocholl: Wird die Coronakrise das Land unterm Strich innovativer machen? Gibt es eine Chance auf echte Disruptionen?
Källenius: Das Auto wird ja ohnehin gerade neu erfunden, das hat Covid-19 definitiv nicht verlangsamt, sondern eher beschleunigt. Auch wir lernen, digitale Tools besser einzusetzen. Wir haben auch keine Innovationsprojekte geschoben oder gecancelt, da bleiben wir im 7. Gang.

Insgesamt hat die Wirtschaft Forschung und Entwicklung aber zurückgefahren ...
Rocholl: Ich sehe generell eine Beschleunigung, wenn auch nicht in allen Branchen. Deshalb benötigen wir eine umfassende Agenda 2040 für mehr Innovation, die jetzt die Weichen für einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbruch in unserem Land stellt. Deutschland ist vor zehn Jahren stark aus der Finanzmarktkrise gekommen, das muss uns mit Mut und Tatkraft nun wieder gelingen. Wir haben alle Voraussetzungen dafür, aber wir nutzen sie noch nicht ausreichend.

Hochschulen sind gut durch die Pandemie gekommen – viel besser als Schulen. Welche Noten geben Sie dem System insgesamt?
Källenius: Wir haben in Deutschland ein sehr robustes System, das an der Weltspitze rangiert und bekommen Top-Leute. Aber natürlich müssen wir besser werden, vor allem in der Digitalisierung. Im schulischen Umfeld sind andere Länder schon viel weiter. Natürlich brauchen wir weiter Ingenieure, aber der Bedarf an Informatikern wächst eben rasant.

Der Bund steckt sechs Milliarden Euro in die Digitalisierung der Schulen. Muss er noch mehr tun?
Källenius: Der Digitalpakt ist goldrichtig. Aber wie sie Steuergelder verteilt, muss die Politik entscheiden, Hauptsache, es fließt mehr Geld. Jedoch ist die Technik nur die Basis: Wir müssen viel mehr junge Menschen für Programmieren und Informatik begeistern. Wenn man da früher ansetzt, wächst auch der Talentpool. Wir reden zu viel darüber, welche Jobs die Digitalisierung vielleicht vernichtet – hier entstehen jede Menge neue Jobs. Diese Chance müssen wir ergreifen.

Die OECD warnt, dass Deutschland viel weniger als andere Industrienationen in Bildung investiert …
Rocholl: Das ist leider schon länger so. Zusätzliche Mittel müssen aber auch sinnvoll eingesetzt werden. Zudem sind bei uns die privaten Investitionen für das Studium sehr gering. Das ist ein weitgehend ungenutztes Potenzial. Universitätsstiftungen mit attraktiven Anlagemöglichkeiten spielen eine überragende Rolle in den USA, in Deutschland fast keine. Man sollte zudem überlegen, zumindest von den vielen ausländischen Studenten, die glücklicherweise auch trotz Corona nach Deutschland kommen, Gebühren zu verlangen.

Wie sichern wir weltweit Talente?
Källenius: Daimler ist weltweit aktiv, aber die Forschung findet hauptsächlich in Deutschland statt. Ein Teil der internationalen Topleute ist unglaublich mobil. Für die ist gerade Berlin ein Magnet. Das hilft uns enorm im globalen Kampf um Talente. Deshalb unterstützen wir auch die ESMT. In unserer Berliner Software-Tochter „MBition“ arbeiten heute junge Talente aus mehr als 20 Nationen. Nicht nur aus Europa, auch aus China oder dem indischen Bangalore. Es kommen sogar Nordamerikaner. Israel hat sich außerdem zu einem zweiten Silicon Valley entwickelt.
Noch immer sind ein Fünftel der Schüler Bildungsverlierer – zum Schaden des Innovationsstandorts.

Rocholl: Bundesweit verlassen gut sechs Prozent die Schule ohne Abschluss, in Berlin sogar knapp zehn. Da müssen wir weit mehr Ressourcen in die Kitas und Grundschulen stecken, um vor allem den Kleinsten aus nicht-deutscher Herkunft sehr früh die Sprache beizubringen. Wie es schon Nobelpreisträger James Heckman empfohlen hat: Frühkindliche Bildung verringert Ungleichheit und verbessert die Aufstiegschancen für Kinder aus weniger privilegierten Familien. Da müssen die Länder gewaltig nachlegen.

Die Welt beneidet uns um die Berufsausbildung. Viele Konzerne – auch Daimler – haben in den letzten Jahren ihre Azubi-Quote aber deutlich gesenkt. Das hat sogar Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer gerügt. Müssen Konzerne nicht mit gutem Beispiel vorangehen?
Källenius: Perspektivisch brauchen wir in traditionellen Berufen, zum Beispiel im Verbrenner-Bereich, weniger Leute. Und noch gibt es leider keine Ausbildungsplätze für Softwareprogrammierer. Das sollte in meinen Augen dringend geändert werden. Daneben haben wir die duale Ausbildung selbst exportiert – etwa in die USA. In diesem Jahr sind außerdem rund 1.800 neue Auszubildende und dual Studierende bei Daimler ins Berufsleben gestartet.

Rocholl: Wichtig ist aber auch im Studium die stärkere Vernetzung mit der Praxis, also über frühere und längere Praktika. Davon profitieren gerade auch IT-Spezialisten, wenn sie früh lernen, praktische Fragen zu lösen. Wir kooperieren mit vielen Unternehmen etwa zu Cybersicherheit, Erfolgsfaktoren für Hidden Champions, nachhaltige Finanzberichterstattung. Also Themen, die sich so dynamisch entwickeln, dass man nicht aus Lehrbüchern lernen kann, sondern nur im direkten Kontakt mit Unternehmen. Das duale System muss breiter gedacht werden, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen – nicht nur für Akademiker.

In Deutschland herrscht mitunter Misstrauen gegen Kommerzialisierung von Wissenschaft, etwa wenn Unternehmen Lehrstühle finanzieren. Wie kann man gegensteuern?
Rocholl: Es ist viel zu wenig bekannt, dass etwa der Wissenschaftsrat sehr genau darauf achtet, dass Unternehmen nicht in die Freiheit von Lehre und Forschung eingreifen. In den Hochschulsatzungen ist fest verankert, dass die inhaltliche Ausrichtung allein der Verantwortung der Hochschule obliegt. Zudem würden Hochschulen ihre Reputation gefährden, wenn sie sich missbrauchen ließen.

Källenius: Ich sehe da kein Problem, im Gegenteil: Unternehmen und Private unterstützen durch ihre Beiträge die akademische Welt.

Wie kann man erreichen, dass die Hochschulen mehr zur Innovationskraft beitragen, indem sie ihren Weiterbildungsauftrag erfüllen?
Rocholl: Die ESMT steht im Weiterbildungsranking der „Financial Times" weltweit auf Platz 10. Da gibt es eine große Nachfrage. Die privaten Hochschulen füllen eine Lücke, auch weil sie flexibler auf den Bedarf der Unternehmen reagieren. Einzelne staatliche holen aber auf, das belebt das Geschäft, der Markt ist groß genug.

Källenius: Daimler nutzt das sehr gezielt für talentierte junge Leute, etwa um Ingenieuren noch Betriebswirtschaft beizubringen. Das lohnt sich: Unsere Mitarbeiter erhalten dadurch eine komplett neue Perspektive.

Herr Källenius, Sie haben von Dieter Zetsche den Kuratoriums-Vorsitz der ESMT übernommen. Was wird sich ändern?
Källenius: Die Dax-Konzerne haben die ESMT 2002 gegründet, weil wir eine Top-Businessschool mit technischer Perspektive wollten. Sie ist in wenigen Jahren sehr weit gekommen. Das muss jetzt ausgebaut werden, in der Lehre und in der Weiterbildung. Wir müssen hungrig bleiben. Und wir brauchen kreative Ideen für die Finanzierung.

Rocholl: Inhaltlich werden wir uns breiter aufstellen, indem wir Themen wie Analytics, KI, Nachhaltigkeit und innovatives Unternehmertum ausbauen. Wir wollen über eine neue Plattform für Blended Learning noch mehr Studierende weltweit erreichen. Der Standort Berlin hilft dabei sehr mit der Integration von Wirtschaft und Technologie und als Hotspot für Innovation und Entrepreneurship.

Der frühere Kuratoriumschef, Ex-Allianzchef Michael Dieckmann, hat die Parole ausgegeben, die ESMT sollte das Niveau von Harvard anstreben. Da sind Sie noch nicht ...
Rocholl: So hat er das nicht gesagt, das Emblem „Harvard an der Spree“ hat uns jemand von außen verpasst. Das ist natürlich vermessen, die Harvard Business School besteht seit mehr als 100 Jahren und hat ein Stiftungskapital von fast vier Milliarden Dollar – bei uns sind es 120 Millionen Euro.

Reicht das Engagement der Konzerne für die ESMT aus?
Rocholl: Es ist hervorragend, neben Telekom-Chef Timotheus Höttges konnten wir nun auch Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing und Roland Busch, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Mitglied des Vorstands von Siemens, gewinnen. Damit wurde das Kuratorium der ESMT um weitere Top-Manager der deutschen Wirtschaft erweitert.

Deutschen Unternehmen wird – etwa aus den USA – oft vorgeworfen, dass sie an der Spitze noch immer zu wenig divers aufgestellt sind.
Källenius: Daimler hat sich 2006 das freiwillige Ziel gesetzt, den Anteil der weiblichen Führungskräfte bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen. Das schaffen wir – und dann setzen wir uns ein höheres Ziel. Im Vorstand haben wir sechs Männer und zwei Frauen. Da hat sich also einiges bewegt, und das stärkt das Unternehmen.

Rocholl: Die 150 Studierenden in unserem jüngsten Masterstudiengang kommen aus mehr als 70 Nationen. Und wir haben mittlerweile rund 40 Prozent Frauen. Viele unserer Stifter-Unternehmen, darunter auch Daimler, haben Programme mit uns aufgelegt, um gezielt Studentinnen und weibliche Führungskräfte zu unterstützen. Diversität von Nationalität, Geschlecht und anderen Merkmalen ist ein zentrales Thema an der ESMT.

Braucht das digitale Zeitalter andere Führungskräfte?
Källenius: Führungsstil und Teamkultur haben sich in den letzten 10, 20 Jahren drastisch verändert. Agiler, weniger hierarchisch, direkter. Wir müssen uns schon deshalb anders organisieren, weil der technologische Wandel so schnell ist.

Rocholl: Die heutigen Studierenden gehen deshalb so gern in Start-ups, weil sie dort agile und internationale Teams finden. Die etablierten Unternehmen müssen daher ähnlich attraktiv sein. Absolventen wollen in Organisationen arbeiten, die ein klares Ziel haben und in denen sie Einfluss nehmen können.

Trifft es auch Daimler, dass junge Leute sagen: Sorry, ihr seid zwar Weltkonzern, aber ich gehe doch lieber in ein cooles Start-up?
Källenius: Daimler war das erste Start-up der Autoindustrie. Das ist nun schon 134 Jahre her. Heute ist die Szene viel größer. Vor 20 Jahren gab es nur das Silicon Valley. Das schadet uns nicht, denn die jungen Leute kommen oft später auch zu uns. Zudem arbeiten wir ja direkt mit Start-ups zusammen, etwa mit „Start-up-Autobahn“ in Stuttgart. Wir erfinden das Auto neu: digital und CO2-frei. Dabei helfen sie uns. Es gibt kaum ein spannenderes Projekt für junge Leute. Das Automobil ist in. Auf der Tech-Messe CES nutzen heute sogar Tech-Unternehmen Autos, um ihre Innovationen zu präsentieren.

Automobilindustrie in? Trotz sinkender Aktienkurse, Autos, die auf Halde stehen, und Städtern, die schon keine Autos mehr wollen?
Källenius: Bei Daimler stehen keine Autos auf Halde, weil wir schnell auf Corona reagiert haben. Jetzt steigt der Absatz wieder, und auch die Kurse sind fast wieder auf Vor-Covid-Niveau. Aber sie haben recht (lacht): Da ist noch Luft nach oben.