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Warum das Hanfgeschäft am deutschen Mittelstand vorbeigeht

Rein deutsche Mittelständler haben kaum Chancen auf eine Lizenz für den lukrativen Anbau von medizinischem Hanf – außer einem.

Das dürfte für einige Joints reichen: Über 1000 meterhohe Cannabispflanzen wachsen dicht an dicht, gut bewacht und mit einer Sondergenehmigung der Republik Österreich in einem Gewächshaus irgendwo am Stadtrand von Wien. Der bayrische Mittelständler Bionorica, bekannt für Erkältungsmittel wie Sinupret und Bronchipret, fertigt aus den Hanf-Grundstoffen sein Schmerzmittel Dronabinol.

Cannabis kann starke Schmerzen lindern und soll auch bei multipler Sklerose helfen. Kanada, Israel, die Niederlande und auch einige US-Bundesstaaten haben mit Medizinalhanf gute Erfahrungen gemacht. Deshalb will auch die Bundesregierung den Anbau von Cannabis fördern. Schwerkranken Patienten, denen nichts anderes mehr hilft, sollen die Krankenkassen nun die Hanftherapie bezahlen. Eine bundeseigene Cannabisagentur in Bonn soll Lizenzen vergeben, die erste Ernte mit staatlichem Segen 2019 eingefahren werden. Unternehmen, die im staatlichen Auftrag das Hanf anbauen wollen, können sich noch bis Anfang Juni bewerben.

Gemessen an den Erfahrungen in den bisherigen Anbauländern, könnten in Deutschland Hunderttausende Patienten von dem Medizinalhanf profitieren, zudem scheint sich hier ein lukrativer Geschäftszweig für Bauern und Pharmaunternehmen aufzutun. Scheint, denn allein bekommen deutsche Interessenten kaum eine Lizenz. In den Ausschreibungsunterlagen steht ganz klar, dass die Bewerber Erfahrungen beim Anbau von Cannabis vorweisen müssen – und die waren bislang in Deutschland auf legalem Weg nicht zu erwerben.

„Deutschland verpasst mal wieder einen Zukunftsmarkt“, sagt der hannoversche Rechtsanwalt Jürgen Scholz, der eine Gruppe berät, die sich um eine Anbaulizenz bewerben will, „bei der Ausschreibung werden vor allem ausländische Anbieter aus den bisherigen Anbauländern zum Zug kommen.“

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Laut den Ausschreibungsunterlagen der Cannabisagentur werden am Ende zwischen vier und zehn Anbieter einen Zuschlag erhalten. Mögliche Favoriten sind etwa Bedrocan aus den Niederlanden oder Tikun Olam aus Israel. „Deutsche Anbieter haben nur eine Chance, wenn sie mit den ausländischen Anbauspezialisten kooperieren“, sagt Scholz. „Es hätte auch gereicht, von den Interessenten nur allgemeine Erfahrungen beim Heilpflanzenanbau zu verlangen, dann wären die Chancen für heimische Anbieter besser gewesen.“

So sind es dann vor allem Investorengruppen aus Anwälten, Kaufleuten oder Cannabisaktivisten, die sich mit einem ausländischen Partner um eine Lizenz bewerben. So wie die Hanf AG aus Hamburg, in der sich ein Anwalt, ein Kaufmann, ein Steuerberater und ein Pharmazeut zusammengefunden haben. Anfangs waren auch Landwirte interessiert, die mit Hanf mehr verdienen können als mit Raps oder Roggen – doch es war schnell klar, dass die Bauern mangels Erfahrung kaum eine Chance haben.

Bionorica aus Neumarkt in der Oberpfalz ist das wohl einzige deutsche Unternehmen, das dank seiner Hanfplantage in Wien auf eigene Erfahrungen beim Anbau verweisen kann. „Wir haben Interesse daran, Medizinalhanf in pharmazeutischer Qualität in Deutschland anzubauen“, sagt Eigentümer und Geschäftsführer Michael Popp, ein konservativer Mittelständler, stets mit Einstecktuch, passend zum Anzug, dem man es sofort abnimmt, dass er mit der ganzen Kifferszene so gar nichts zu tun hat.


„An Cannabis ist noch keiner gestorben“

Bionorica stellt Medikamente vor allem aus Naturprodukten her. Das habe ihn schon immer fasziniert, sagt Popp. Dronabinol aus den Wiener Cannabispflanzen bereitet er seit Jahren zu, die Abgabe erfolgt unter strengen Auflagen. Das Schmerzmittel gibt es nur in chemisch aufbereiteter Reinform, als flüssiges Medikament. Ein Rausch ist damit ausgeschlossen. Hanfblüten zum Rauchen, im Prinzip auch für Kiffer attraktiv, will er nicht anbieten. Popp sagt, er finde es aus Prinzip falsch, zu rauchen, auch nicht aus medizinischen Gründen.

Bionoricas Mitbewerber teilen diese Bedenken nicht, sie setzen vor allem auf Hanfblüten, die Patienten bisher nur mit einer Sondergenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte aus Holland beziehen konnten. Pierre Debs etwa hat sich mit einer Handvoll Mitarbeitern in einem Gewerbegebiet in St. Leon-Rot bei Heidelberg eingerichtet, zwischen einem Reifenhandel und einem Hersteller von CNC-Präzisionsmaschinen. Im Büro der von Debs gegründeten Spektrum Cannabis fehlt von Kifferatmosphäre jede Spur. Zwei Angestellte diskutieren über so triste Themen wie Retouren und Sendungsverfolgung.

Nur ein Exemplar von „Brave New Weed“ auf dem Sideboard, einem Kompendium der Cannabisgeschichte, gibt einen Hinweis auf den Geschäftszweck.

„An Cannabis ist noch keiner gestorben“, legt Debs gleich los, „auch Alkohol und Schokolade sind schädlich.“ Der Amerikaner, seit 1999 in Deutschland, stieß vor Jahren auf die Heilwirkung von Cannabis; ein naher Verwandter litt damals nach einer Operation unter starken Schmerzen. Am Uniklinikum Frankfurt, wo der Stammzellbiologe arbeitete, wollte jedoch niemand etwas von Medizinalhanf wissen. Debs blieb dran, gründete eine Firma und baute einen Vertrieb für Hanfblüten auf. Seine Chancen, auf eine Lizenz stehen gut – vor einigen Monaten wurde seine Spektrum Cannabis vom börsennotierten kanadischen Hanfspezialisten Canopy Growth übernommen.

Canopy zahlte einen attraktiven Preis, die Kanadier bringen rund eine Milliarde Dollar Börsenwert auf die Waage. „Vor einigen Jahren wollten Investoren noch nichts von uns wissen“, sagt Debs, „jetzt interessieren sie sich für uns.“

Dirk Rehahn hat seine Bewerbung noch nicht abgegeben. Der Berliner, früher Sozialarbeiter und Mitgründer des Deutschen Hanfverbands, der die Legalisierung von Cannabis fordert, handelt mit allem, was es für den Anbau von Pflanzen, inklusive Cannabis, braucht. Über seinen Großhandel, den er aus einem Altbau in Friedrichshain aus betreibt, können Händler und gewerbliche Anwender Meß- und Regeltechnik und Beleuchtung beziehen. Expertise kann Rehahn niemand absprechen. In seinem Büro züchtet er aber nur Avocados und Thymian.

Rehahn verhandelt mit einem ausländischen Anbauer und einem deutschen Naturarzneiproduzenten. Die Finanzierung steht noch nicht. Allein die Bewerbung dürfte eine sechsstellige Summe kosten, für Schriftsätze, Gutachten, Schulungen, sagt Rehahn. Bewerber müssen etwa nachweisen, dass ihr Personal qualifiziert und die Cannabisplantagen vor klauenden Kiffern sicher sind.

Ein Risiko ist zudem, dass längst nicht alle Ärzte an den medizinischen Segen von Cannabis glauben, auch manche Krankenkasse sperrt sich. Und doch, sagt Rehahn, lohnt sich der Einsatz: „Erst ist es Planwirtschaft, dann wird sich der Markt dynamisch entwickeln.“ Wer davon profitiert, muss sich aber noch zeigen.

KONTEXT

Wie Cannabis konsumiert wird

Der Wirkstoff

Tetrahydrocannabinol (THC). Je höher der THC-Gehalt, desto heftiger die Wirkung.

Marihuana (Gras)

Getrocknete Blütenstände und Blätter. Wird als Joint oder in der Pfeife geraucht, meist zusammen mit Tabak.

THC-Gehalt: 14/20

Verbreitung: hoch

Haschisch (Hasch, Shit, Chocolate)

Harz der Blütenstände, meist zu Platten („Pieces“) gepresst. Wird als Joint und in der Pfeife geraucht oder vermischt mit Lebensmitteln: etwa verbacken als Keks.

THC-Gehalt: 10/30

Verbreitung: mittel

Haschischöl

Dickflüssiges Extrakt aus Cannabisharz. Wird geraucht als Joint und in der Pfeife oder vermischt mit Lebensmitteln.

THC-Gehalt: 20/50

Verbreitung: niedrig

Quelle: eigene Recherche, LKA Düsseldorf