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Handysucht, Schlafmangel, Burnout: Er fand einen Weg aus dem Startup-Chaos – und schaffte den Exit

"Irgendwann wurde es auch für meine Kinder zur Normalität, dass ihr Papa am Wochenende mit Geschäftspartnern und Investoren telefonierte." - Copyright: Tobias Schütt
"Irgendwann wurde es auch für meine Kinder zur Normalität, dass ihr Papa am Wochenende mit Geschäftspartnern und Investoren telefonierte." - Copyright: Tobias Schütt

„Mein letzter Sommer war eine Katastrophe“, erzählt Tobias Schütt im Gespräch mit Gründerszene. „Ich habe nur gearbeitet“. Bis in die totale Überforderung hinein. Ständig habe er am Handy gehangen. Die Arbeit habe ihm nachts sogar den Schlaf geraubt. Und das über Monate hinweg. Die Quittung kam prompt: ein Bandscheibenvorfall, die klassische Folge eines fortgeschrittenen Burnouts. „Danach war mir klar, dass ich eine Auszeit brauchte“, erzählt der zweifache Familienvater.

2011 gründete Schütt die Solarfirma Dz4. Ähnlich wie beim Energieunternehmen Enpal können Haushalte dort maßgeschneiderte Solaranlagen mieten und von Handwerkern auf ihr Dach bauen lassen. Das in Hamburg ansässige Startup übernimmt zudem die Versicherung, Fernwartung und Reparatur der Anlagen.

„Ich habe das Startup in einer Zeit gegründet, als nur wenige an den Erfolg eines Mietmodells für Photovoltaikanlagen glaubten“, erzählt er. Dennoch fand Schütt Investoren für seine Idee. Zehn Jahre später, also im November 2022, übernahm der baden-württembergische Energieversorger EnBw das Solar-Startup zu 100 Prozent. Dz4 soll weiterhin als eigenständige Marke erhalten bleiben soll. Ein Exit, den sich viele in der Szene auch irgendwann einmal wünschen.

„Die Firma hat mich krank gemacht“

Schütt ist allerdings nicht so sehr in Feierlaune. Die Monate vor seiner Auszeit sind in seinen Erinnerungen noch sehr präsent. „Die Firma hat mich krank gemacht“, erzählt er. Viele Freundschaften seien zugrunde gegangen. „Ich habe mich kaum noch mit Freunden getroffen.“ Und auch das Familienleben habe unter dem Stress gelitten, dem Schütt so gut wie jeden Tag ausgesetzt war, auch an Wochenenden. „Irgendwann wurde es auch für meine Kinder zur Normalität, dass ihr Papa am Wochenende mit Geschäftspartnern und Investoren telefonierte“, so Schütt. Die Lasten zwischen ihm und seiner Frau seien zudem ungleich verteilt gewesen. Sie schmiss den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder, als er wie verrückt arbeitete.

„Zurückblickend bin froh, dass ich nicht in Drogen oder Alkohol verfallen bin“, kommentiert Schütt. Der Gründer erzählt, wie sich die Situation zuspitzte, als sein CFO aufgrund eines Jobangebots kündigte. Nur wenige Monate, bevor die Übernahme des Energieanbieters EnBw bevorstand – und Strukturen und Prozesse neu gedacht werden mussten. „Ich war nicht mehr nur CEO, sondern auch CFO. Der Berg an Aufgaben wurde immer größer. Das hat mich komplett überfordert.“

Der Boom und ein Bandscheibenvorfall: Es musste sich etwas ändern

Der Markt um Ökostrom boomt. Die Klimakrise, der Krieg in der Ukraine, die Sorge um eine Energieknappheit sind maßgebliche Treiber dieser Energiewende. Zudem verstärken steigende Energiepreise den Druck, mehr Strom aus erneuerbare Energien zu gewinnen. Denn Ökostrom vom Dach ist günstiger als aus dem Netz, schreibt die Verbraucherzentrale.

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Zudem gehen Experten davon aus, dass die Nachfrage an günstigem Ökostrom durch die zunehmende Elektrifizierung wachsen werde. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Zahlen von Dz4 wider: Demnach verdoppelte sich der Umsatz des Startups im vorigen Jahr. Doch hinter den Kulissen war die Stimmung, zumindest für Schütt, wenig euphorisch. Der Gründer sei kurz davor gewesen, vor lauter Überforderung alles hinzuschmeißen. Bis ihn ein Bandscheibenvorfall, verbunden mit starken Rückenschmerzen, komplett ausknockte.

Von heute auf morgen verschwand der Gründer von der Bildfläche

Schütts Leiden sei nicht unbemerkt an seinen Investoren vorbeigegangen. Sie waren es, die ihm eine Auszeit vorgeschlagen haben, so Schütt. Erst drei Monate lang. Der Gründer bat später um eine zweimonatige Verlängerung.

Schütt verlässt die Firma, verzichtet komplett auf Handy und Computer. Dafür habe er sich viel ausgeruht und geschlafen. Und Dinge gemacht, die er jahrelang vernachlässigt habe wie Sport, Spaziergänge oder Kinderbetreuung. „Ich habe seit Jahren mal wieder ein Buch gelesen“, führt er als weiteres Beispiel an. Als CEO habe er nie die Ruhe dafür gehabt.

Den Tränen nahe

Zweimal sei er allein in den Kletterurlaub nach Frankreich gefahren. „Das erste Mal habe ich fast eine komplette Woche lang kein einziges Wort gesprochen.“ Für Schütt ein prägendes Erlebnis. „Auf der Rückfahrt hätte ich weinen können, weil mich das emotional so berührt hat“, erzählt er. „Ich habe mir in meinem Leben noch nie so viel Zeit genommen, um zu entspannen.“

Die Auszeit hat der Gründer auch dafür genutzt, um zur Therapie zu gehen und sich dort neu zu sortieren. In dem Zusammenhang überlegte sich Schütt auch, ob er überhaupt zurück in die Firma möchte. „Schnell kam die Erkenntnis, dass ich weiter bei Dz4 arbeiten möchte. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich ein paar Dinge ändern.“

Schütt bleibt in seiner Firma – gibt aber seinen CEO-Posten ab

Schütt kam also wieder, aber nicht als CEO der Firma. Und ohne operative Verantwortung und Sitz in der Geschäftsführung. „Ich mache jetzt nur noch die Dinge, die mir auch wirklich Spaß machen“, sagt er. Als Leiter der Strategie- und Kommunikationsabteilung verantwortet er in Teilzeit daher die Unternehmensentwicklung und Außendarstellung seiner Firma.

Seinen Leidensweg teilte er in einem Beitrag auf Linkedin. „Ich war ziemlich plötzlich von der Bildfläche verschwunden und habe mich vor der Auszeit bei kaum einer Person verabschiedet.“ Damit sein berufliches Netzwerk nicht schlecht über ihn denkt, teilte er seine Geschichte mit der Öffentlichkeit.

Die WHO warnt vor Stress als Gesundheitsgefahr

Schütts Message: Der Job als Gründer und die "Work hard - Play hard"-Mentalität werde zu sehr zelebriert und die nicht so tollen Seiten eines Gründerlebens, wie der Verlust von Freundschaften oder das Spiel mit der eigenen Gesundheit, fänden zu selten Gehör. „Gründen ist nicht immer so schön, wie man es sich vorstellt.“

Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft Stress als eine der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts ein. Häufig gehe Stress mit Symptomen wie Schlaflosigkeit oder Kopfschmerzen – und einem Gefühlt der Überforderung einher. Dann fällt es Betroffenen schwer, banale Aufgaben zu erledigen – wie beispielsweise das Öffnen des E-Mail-Postfaches. „Ich merkte schnell, dass ich auf vieles gar keine Lust mehr hatte“, beschreibt Schütt dieses Gefühl.

Warum Gründer der besonderen Gefahr ausgesetzt sind, an Burnout zu leiden

Gründer seien besonders gefährdet, an Burnout zu erkranken, wie Leadership-Experting Heidi Hauer in einem Gründerszene-Beitrag erzählt. Das sei dem besonders hohen Druck geschuldet, auf finanzielle Unterstützung von außen angewiesen zu sein.

Auch Schütt litt unter Druck, der ihm wenige Monate vor seiner Auszeit dieses Jahres zu viel wurde. Das Wohlergeben der Firma habe neben privatem Stress eine wesentliche Rolle gespielt. Was die Finanzen betrifft, habe Dz4 jahrelang zwar hohe Umsätze erzielt. Profitabel sei die Firma jedoch noch nicht gewesen. „Bei einem Geschäftsmodell wie unserem, wo wir Solaranlagen vorfinanzieren, ist der Weg dahin einfach ein längerer“, erklärt der Gründer.

Um Druck und Stress auf Dauer erfolgreich überwinden zu können, helfe es der Leadership-Expertin Hauer zufolge, ein Leben neben der Arbeit – mit Freunden und Hobbys, beizubehalten. Das habe Schütt nach seinem Burnout nun auch verinnerlicht.

Dieser Artikel erschien zuerst im November 2022.