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Haltung verbindet

Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat ein Buch geschrieben. Bei der Präsentation zeigt sich Kanzlerin Angela Merkel in bester Laune und erklärt, was sie mit der ehemaligen Justizministerin verbindet.

Schon zu Bonner Zeiten saßen Angela Merkel und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gemeinsam im Kabinett von Helmut Kohl. Als der CDU-Kanzler einst während einer Sitzung die Umweltministerin Merkel in den Senkel stellte, soll es die FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gewesen sein, die ihrer Kollegin zur Seite sprang. Merkel hat es ihr, so wird berichtet, nie vergessen.

Diese Anekdote würde erklären, warum ausgerechnet Angela Merkel sich Zeit dafür nimmt, das neue Buch von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorzustellen. Morgens sprach die Kanzlerin noch das Grußwort zur Veranstaltung „Africa meets business“, abends bedient sie die Konservative Seite der CDU, indem sie sich beim Jahresempfang der Vertriebenen blicken lässt.

„Haltung ist Stärke“ heißt das Werk von Leutheusser-Schnarrenberger. Ein Titel, der ebenso gut zur aktuellen Situation der Kanzlerin passen würde. Sie ließ sich weder vom Schulz-Hype noch von der CSU dazu treiben, aggressiver in den Wahlkampf einzusteigen. Merkel behielt mit ihrem unaufgeregten Regierungsstil Recht, die Landtagswahl im Saarland hat die Machtverhältnisse vorerst wieder zurechtgerückt.

Dementsprechend entspannt zeigte sich die Kanzlerin bei der Buchvorstellung im Berliner Haus der Familienunternehmen. Als sie sich dort zunächst neben dem streitlustigen FDP-Politker Gerhart Baum setzt und stattdessen weiter nach links gebeten wird, scherzt sie: „Oh ja, bloß nicht zu nah an Herrn Baum.“ Und als sie in ihrer Buchvorstellung davon spricht, dass Leutheusser-Schnarrenberger einst Mitglied bei den Mindener Stichlingen war, und diese das älteste Amateurkabinett statt -kabarett nennt, lacht sich herzhaft über ihren Versprecher.

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Die kritischen Töne, die Leutheusser-Schnarrenberger in ihrem Buch auch gegenüber Merkel anschlägt, stören jene nicht. Merkel sagt scherzhaft, sie habe von der ehemaligen Justizministerin nichts anderes erwartet. Leutheusser-Schnarrenberger schreibt in ihrem Buch, dass sie für die humanitäre Entscheidung zur vorübergehenden Aufnahme von Flüchtlingen Sympathie habe, benennt aber auch Fehler der Bundesregierung. „Es gab kein umfassendes Konzept zur Aufnahme der Flüchtlinge, zur Bewältigung der Asyl- und Aufenthaltsverfahren, zur Unterstützung der Kommunen und zu den vielen Aspekten der Integration“, schreibt die FDP-Politikerin.

Der unnachgiebige Streit mit der CSU nach der Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge sei ein weiteres Problem. Wobei sich Merkels Ausführungen zu politischen Haltungen dahingehend interpretieren lässt, dass es mit ihr weiterhin keine Flüchtlings-Obergrenze geben werde: „Wenn ich zu der Überzeugung komme, dass meine Persönlichkeit etwas verliert, das mir wichtig ist, dann lohnt es immer sich dafür einzusetzen.“


Was Merkel imponiert

Diese Überzeugung, sich für das einzusetzen, was einem wichtig ist, eint Merkel und Leutheusser-Schnarrenberger – nicht die politische Agenda. Dass die FDP-Politikerin etwa 1996 als Justizministerin zurücktrat, weil sie den „Großen Lauschangriff“ ablehnte – er hätte die sogenannte akustische Wohnraumüberwachung für die Strafverfolgung ermöglicht – imponiert Merkel bis heute: „Ich habe Achtung davor, dass man mit solcher Konsequenz sagt, dass geht mir jetzt in meinem Kernanliegen zu weit und gebe dem nicht nach.“ Inhaltlich sei sie allerdings zu einem anderem Ergebnis gekommen. Dass Leutheusser-Schnarrenberger es 13 Jahre später noch einmal auf den Posten der Justizministerin schaffte, sei wiederum ein Zeichen für die unendlichen Möglichkeiten, die die Demokratie biete.

Diese Demokratie wollen Merkel und Leutheusser-Schnarrenberger gegen Populismus von den extremen Rändern schützen. Bürger wie Politiker müssten für sie kämpfen. „Man muss aufpassen, das nicht alles selbstverständlich wird“, sagt Merkel. „Ich weiß nicht, ob (Ernst-Wolfgang) Böckenförde diesen Satz als erstes gesagt hat: 'Wir leben von den Voraussetzzungen, die wir selbst nicht geschaffen haben.' Wir müssen uns wieder um diese Voraussetzungen kümmern. Das wird nur gelingen, wenn es dazu eine große gemeinsame Bewegung gibt.“

Wobei die Grundwerte der Demokratie mitunter auch gegeneinander aufgewogen werden müssen: Freiheit und Sicherheit beispielsweise zu Zeiten des internationalen Terrorismus. „Angesichts von Terroranschlägen wie zuletzt in London erwarten die Bürger zu Recht, dass der Staat ihre Sicherheit in Freiheit bestmöglich gewährleistet“, sagt Merkel. „Dabei sollten wir stets beachten: Weder gibt es Freiheit ohne Sicherheit, noch Sicherheit ohne Freiheit. Es geht immer darum, die Balance zu finden, diese beiden großen Werte nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu bestimmen.“

Insofern ist es mitunter schwierig, Haltung zu zeigen. Leutheusser-Schnarrenberger weiß das, sie gab deshalb einst ihren Ministerposten auf. Als Merkel gefragt wird, ob sie auch schon mal in einer Situation gewesen sei und über einen Rücktritt nachgedacht habe, antwortet sie: „Ich lasse es jetzt mal einfach bei dem Befund, dass ich bislang nicht zurückgetreten bin.“

KONTEXT

Merkel und die CDU - Zahlen und Fakten

Parteivorsitz

Die in der DDR aufgewachsene Politikerin wurde im April 2000 in Essen nach CDU-Angaben mit 95,94 Prozent der Delegiertenstimmen zum ersten Mal zur CDU-Vorsitzenden gewählt. Seitdem wurde sie sieben Mal in dem Amt bestätigt. Am schlechtesten schnitt sie 2004 auf dem Parteitag in Düsseldorf mit 88,41 Prozent ab, am besten 2012 in Hannover mit 97,94 Prozent.

Mitgliederentwicklung

Die Mitgliederzahlen gehen bei der CDU ebenso wie bei der anderen großen Partei SPD seit Jahren zurück. Der Mitgliederstand der SPD fiel 2008 unter den der CDU. Seitdem hat mal die eine, mal die andere Partei die Nase vorn - wobei die Schwesterparteien CDU und CSU zusammen stets vor der SPD liegen. Derzeit hat die CDU etwa 435.000 Mitglieder, bei den Sozialdemokraten sind es rund 445.000.

Bundestagswahlen

Merkel stand seit 2002 an der Spitze der CDU/CSU-Fraktion, die unter ihrer Führung nach der Bundestagswahl 2005 erstmals seit 1998 wieder stärkste Fraktion wurde. Bei der Wahl 2013 verpasste die Union nur knapp die absolute Mehrheit der Sitze im Bundestag.

Kanzlerin

Am 22. November 2005 wurde Merkel zur ersten deutschen Bundeskanzlerin ernannt. Sie führte zunächst eine Koalition von Union und SPD, dann von 2009 bis 2013 ein schwarz-gelbes Bündnis und seitdem wieder eine schwarz-rote Regierung.

Bundespräsidenten

Zweimal gaben während Merkels Amtszeit von ihr mit ausgesuchte Bundespräsidenten vorzeitig auf: 2010 Horst Köhler und 2012 nach knapp 20 Monaten sein Nachfolger Christian Wulff. Den nun scheidenden Präsidenten Joachim Gauck brachten zuerst SPD und Grüne ins Gespräch, bevor sich Merkel anschloss. Den nun von der großen Koalition nominierten Nachfolgekandidaten, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, hat die SPD durchgesetzt.