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„Es haftet die Airline, nicht der Hersteller Boeing“

Nach zwei Abstürzen von Boeing Jets vom Typ 737 Max 8 innerhalb von fünf Monaten steht auf den US-Konzern Boeing vor einer Klagewelle. Immer mehr Kanzleien klagen gegen den Flugzeughersteller wegen der beiden Abstürze, bei denen insgesamt 346 Menschen ums Leben kamen. Fluggesellschaften wie die polnische Lot, deren Maschinen wegen des Flugstopps am Boden stehen, wollen ebenso klagen wie die Familien der Opfer. Aber auch die Fluggesellschaften der Unglücksflüge, die indonesische Lion Air und die äthiopische Ethiopian Airlines, stellen sich auf Klagen von Hinterbliebenen der Opfer ein.

Wie viel Angst die Unternehmen vor Klagen haben, zeigt die Tatsache, dass Mitarbeiter der Fluggesellschaft Lion Air nach dem Absturz in Indonesien Druck auf die Angehörigen der Opfer ausgeübt haben, eine relativ niedrige Summe von umgerechnet weniger als 100.000 Dollar als Schadensersatz zu akzeptieren. Im Gegenzug verzichteten sie auf alle Rechte, gegen Lion Air, Boeing oder Zulieferer zu prozessieren, berichtete die „New York Times“.

Rechtsanwalt Ulrich von Jeinsen, der Angehörige von Flugzeugabsturz-Opfern vertritt, erklärt, welche rechtlichen Möglichkeiten Betroffene haben, Schadenersatz einzuklagen – sei es mit einer Klage gegen den Flugzeughersteller oder aber gegen die jeweilige Airline, deren Flugzeug abgestürzt ist.

Nach dem Absturz der Boeing 737 Max gibt es erste Klagen gegen den Hersteller Boeing in den USA. Vieles deutet auf einen Konstruktionsfehler hin. Unter welchen Umständen müsste Boeing Schadensersatz leisten?
Wenn sich herausstellt, dass Boeing eine Pflicht bei Design, Herstellung oder Fehlerbeobachtung bereits früher hergestellter B 737-8 Max verletzt hat, haftet das Unternehmen auf Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Produkthaftung. Allerdings müssen die Kläger Kausalität und Verschulden beweisen. Daher bringt ein solches Verfahren außer medialer Aufmerksamkeit nichts.

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Denn nach dem hier anzuwendenden Montrealer Abkommen haftet die Airline ohnehin vollständig unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung. Das bedeutet: Den Familien der Opfer steht der volle Schadensersatz zu, ohne dass sie einen Kausalitäts- und/oder Verschuldensnachweis erbringen müssen.

Auf die Entlastungsvorschrift des Artikel 21 Abs. 2 des Montrealer Abkommens hat sich meines Wissens noch nie ein Luftfrachtführer berufen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass das im Falle des Absturzes der Ethiopian Airlines Maschine geschieht.

Das US-Recht sieht für derartige Fälle hohe Schmerzensgeld-Zahlungen vor. Was ist in den USA üblich?
Das können hohe, sehr hohe Summen sein, auch so genannte punitive damages, also Schadensersatz mit Bestrafungscharakter. Diese Höhe und Struktur hat viel mit dem amerikanischen Sozial- und Spendensystem zu tun.

Es gibt dort beispielsweise nicht den Versicherungsschutz, den deutsche Sozialversicherungsträger, etwa die Berufsgenossenschaften, gewähren. Begünstigt sind aber insoweit nur Amerikaner. Für Ausländer gilt nach dem amerikanischen internationalen Privatrecht ebenfalls deren nationales Recht. Punitive damages können in Deutschland nicht vollstreckt werden.

An Bord waren Passagiere vieler Nationalitäten. Auf welcher Grundlage können Angehörige Ansprüche geltend machen?
Dem Grunde nach gegen die Airline nach dem Montrealer Abkommen, der Höhe nach entsprechend dem jeweiligen nationalen Recht, also dem Recht des Landes, in dem der Schaden entstanden ist. Das ist, insbesondere in Fällen eines Unterhaltsausfallschadens, das Recht des Landes, in dem die Hinterbliebenen wohnen. Das gilt auch für die Angehörigen deutscher Passagiere.

Ihr Berliner Kollege Elmar Giemulla sieht das offenbar anders. Er geht davon aus, dass die Angehörigen aller 346 Opfer in den USA anspruchsberechtigt sein könnten. Weckt er falsche Hoffnungen?
Es ist sehr medienwirksam, Millionenbeträge oder gar einen „maximalen Schadensersatz“ in Aussicht zu stellen. Das lesen auch manche Angehörige, die in ihrer rechtlichen Unkenntnis die Qualität eines Anwaltes nach dem Prinzip „schneller, höher, weiter“ einschätzen. Der Kundige merkt die Absicht und ist verstimmt.

Auch im Fall des Germanwings-Absturzes vor vier Jahren in Frankreich haben manche Kollegen juristische Schritte in den USA eingeleitet. War das erfolgreich?
Nein, jedenfalls bisher nicht. Die Kollegen haben die Lufthansa Flugschule in Arizona verklagt. Das amerikanische Gericht hat die Klagen aber nicht zur Entscheidung angenommen: es ist das unter der Bezeichnung „forum non conveniens“ bekannte amerikanische zivilprozessuale Prinzip, dass die US-Gerichte nur für Amerikaner zuständig sind, die auch in den USA leben.

Daher ist auch die Klage gegen Air France aufgrund des Unfalls AF447 vom 30. Mai 2009 in Fällen abgewiesen worden, in denen es um Amerikaner mit Aufenthalt in Brasilien ging. Die Anwendung dieses Prinzips war bei Germanwings auch so eindeutig, dass die Kollegen kein Rechtsmittel eingelegt haben. Das US-Gericht hat die Germanwings-Klagen nach Deutschland verwiesen.

Wie ist der Stand?
Das Verfahren stockt aus mir unbekannten und unverständlichen Gründen. Welche Schadensersatzhöhen ein deutsches Gericht ausurteilen würde, habe ich vorstehend dargelegt. Aber die große Frage ist, ob in Deutschland für eine Klage überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht: die Versicherer von Germanwings haben in allen Fällen die unbeschränkte Haftung – natürlich nach deutschem Recht – anerkannt. Wo ist dann der Schaden, der separat eingeklagt werden muss? Das alles sieht mir nach „Viel Lärm um nichts“ aus. Die Leidtragenden sind die Familien.

Herr von Jeinsen, vielen Dank für das Interview.