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"Ich habe das Gefühl, dass wir noch nie so einsam und verblödet waren, wie heute"

Zum Start der zweiten Staffel der BR-Serie "Servus Baby" findet Hauptdarstellerin Genija Rykova klare Worte: Wie denkt die 34-Jährige über die moderne Partnersuche via App? Welche Bedeutung hat die Frauenquote in Film und Fernsehen? Und wie geht die gebürtige Sibirierin eigentlich mit Klischeerollen um?

Liebe, Männer und Kinderwünsche - das sind die drei zentralen Themen der Serie "Servus Baby", deren zweite Staffel am Dienstag, 8. September, um 20.15 Uhr, im BR-Fernsehen ausgestrahlt wird. Eine Woche früher, am 1. September, stehen die vier Folgen bereits in der BR Mediathek zum Abruf bereit. Wie denkt Hauptdarstellerin Genija Rykova über ihre Rolle der Mel? Kann sie deren Probleme mit der Männerwelt verstehen? Die 34-jährige gebürtige Sibirierin spricht im Interview über Klischeerollen, einseitige Besetzung von Frauen im Fernsehen sowie den Sinn und Unsinn der Frauenquote.

teleschau: Ein Sommer ohne "Filmfest München" - Wie schlimm war das für Sie?

Genija Rykova: Natürlich waren wir wahnsinnig traurig, als es zunächst hieß, das Filmfest müsse ersatzlos abgesagt werden. Es ist eine tolle Kontaktbörse und jedes Jahr ein absolutes Highlight, auf das sich die ganze Filmbranche freut! Ich erlebe München zu dieser Zeit von einer sehr lebendigen und erfrischenden Seite - man stolpert oft spontan in Filmvorführungen, die man vorab gar nicht auf dem Schirm hatte, die einen aber nachhaltig persönlich und auch beruflich prägen, aufrütteln oder einfach verzaubern. Umso größer war dann natürlich die Freude über das "Filmfest München Pop-Up" als Open-Air-Variante, das ja unheimlich schnell ins Leben gerufen wurde.

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teleschau: Was macht das Filmfest so besonders?

Rykova: Es ist immer schön, dass man die unmittelbare Reaktion vom Publikum mitbekommt: Wie reagieren die Leute? Haben sie eine gute Zeit? Hat der Film sie bewegt oder berührt? Wie sind die Reaktionen danach? Machen wir uns nichts vor - natürlich sagen nach einer Premiere erst mal alle: "Es war toll!" Man findet sich ja meist in einer euphorischen Premierenstimmung wieder und will feiern. Aber man trifft auch auf Leute, die ehrlich sind und direktes und manchmal auch schonungsloses Feedback geben. Diese spontanen Reaktionen, egal, wie sie ausfallen, sind unheimlich wertvoll!

Über ihre Rolle und über Frauen-Cliquen

teleschau: In "Servus Baby" spielen Sie Mel, die fast genauso alt ist wie Sie. Wo genau sehen Sie Ihre Anknüpfungspunkte an diese Rolle?

Rykova: Am Anfang war mir die Figur eher fremd. Ich fand sie kantig und hart. Aber umso mehr ich mich mit ihrer Person und ihrer Biografie beschäftigt habe, desto mehr konnte ich ihre Art nachvollziehen, sie ist mir richtig ans Herz gewachsten. Mel ist eine Frau, die alles alleine stemmen muss, sie stellt hohe Ansprüche an sich. Diese Seite kenne ich schon auch an mir. Grundsätzlich ist Mel eine sehr einsame Figur, und deshalb ist es um so schöner, dass sie so tolerante und geduldige Freundinnen hat!

teleschau: Kennen Sie ein so inniges Cliquen-Dasein, wie es Mel und ihre drei Freundinnen pflegen?

Rykova: Nein, ich hatte nie eine richtige Clique. Das ist mir aber tatsächlich erst durch die Dreharbeiten mit den Kolleginnen aufgefallen! Wir sehen uns natürlich nicht so oft, da wir teilweise in unterschiedlichen Städten wohnen und berufsbedingt viel unterwegs sind, aber wenn wir gemeinsam arbeiten oder uns privat treffen, fühlt es sich immer ein bisschen so an, wie die Mädels Clique, die ich nie hatte.

Über die Schwierigkeiten der Partnersuche

teleschau: Auf der Suche nach dem richtigen Mann steht sich Mel immer wieder selbst im Weg. Kennen Sie dieses Gefühl?

Rykova: Durch den Verlust ihrer ersten großen Liebe, lässt sie Männer auf der emotionalen Ebene aus Schutzgründen kaum an sich ran. Ich denke aber, da können viele Menschen anknüpfen, oder? Wir sind doch alle bei unserer Partnersuche und in unseren Beziehungsmustern in gewisser Weise geprägt: durch Erfahrungen, Eltern, Kindheit. Man bekommt eine Art Gefühl oder Einstellung zu menschlichen Beziehungen und Bindungen mit auf den Weg, und das sucht man sich immer wieder. Verlässt zum Beispiel ein Elternteil früh die Familie, dann fühlt sich das Kind vielleicht in schmerzhaften Beziehungen eher zu Hause, auch wenn es nicht das Richtige ist. Aber es ist eben ein vertrautes Gefühl, und was man kennt, gibt einem immer mehr Sicherheit als das Unbekannte oder Ungewohnte. Und dann stolpert vielleicht der oder die Richtige in unser Leben, passt aber erst mal überhaupt nicht in das eigene Schema. Ganz schön kompliziert, diese Beziehungskiste ...

teleschau: Denken Sie, es ist heute allgemein schwieriger, sich auf einen Partner einzulassen?

Rykova: Wir können uns heutzutage mit einem Klick einen Partner aussuchen, ohne das Haus zu verlassen, und wir haben immer und überall Zugang zu Wissen. Aber ich habe das Gefühl, dass wir noch nie so einsam und verblödet waren, wie heute.

Diversität und Frauenrollen

teleschau: "Servus Baby" stellt vier Frauen ins Zentrum, die Männer spielen eher Nebenrollen. Welche Chancen haben Frauen im Fernsehen allgemein im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen?

Rykova: Ohne die männlichen Nebenrollen in "Servus Baby" wäre das Leben der vier Frauen langweilig, es gäbe an vielen Stellen gar keinen zündenden Stoff für die Serie - Männer und Frauen braucht es also gleichermaßen, egal ob in Haupt- oder Nebenrollen. Was mir aber sehr aufstößt: Schauspieler werden im Alter "interessanter"; Schauspielerinnen einfach "alt". Zu alt um noch als Liebhaberin durchzugehen, aber zu jung um schon die Oma zu geben. Sehr oft werden 30-jährige Frauen als die 40-jährigen Mütter von zwei Kindern besetzt. Ich habe mal mit 19 Jahren eine Mutter von zwei Kindern (neun und elf Jahre) gespielt. Mit 19! Da wird ein total falsches Bild suggeriert.

teleschau: Warum?

Rykova: Naja, man denkt sich: "Ach, guck mal, die sieht mit 40 und mit zwei Kindern noch so top aus." Es ist als Frau ein regelrechter Kampf, sich diesem Druck nicht auszusetzen. Deshalb wünsche ich mir im Fernsehen mehr Frauenfiguren, die näher an der Realität dran sind. Und wenn wir schon von "Realitätsnähe" sprechen: genauso ist es mit dem aktuell viel diskutierten Thema "Diversität". Ich möchte im Fernsehen mehr Anwältinnen, Polizistinnen, Politikerinnen usw. mit Migrationshintergrund sehen, und zwar ohne Kommentar oder Erklärung. Einfach nur, weil es unsere Gesellschaft widerspiegelt. Das Fernsehen und somit auch wir Schauspieler haben da eine Art Bildungsauftrag, welchen wir leisten sollten. Zurück zum Thema Frauen: Ich habe wie gesagt den Eindruck, dass immer mehr Frauen die Chance bekommen, ihre Geschichten zu erzählen und zu zeigen, dass sie einen verdammt guten Job machen können.

teleschau: Woran machen Sie das fest?

Rykova: Seit knapp einem Jahr lese ich viel öfter Berichte über Regisseurinnen und ihre Theater- oder Filmprojekte. Das ist schön! Ob sie die gleiche Gage wie ihre männlichen Kollegen bekommen, weiß ich nicht. Doch, weiß ich schon. Wissen wir alle. Viele Frauen sagen: "Ich will einen Job nicht nur bekommen, weil die Frauenquote das verlangt, sondern weil ich mit meiner Qualität überzeuge." Das habe ich auch lange gesagt. Das Problem ist nur, wenn es die Quote nicht gibt, bekommen viele Frauen in den unterschiedlichsten Berufen gar nicht erst die Chance, zu zeigen, dass sie gut oder sogar besser sein können. Deswegen hat die Quote absolut ihren Sinn.

"Mir macht das russische Klischee total Spaß"

teleschau: Gerade haben Sie über Klischeerollen gesprochen. Im Krimi "Schwarzach 23 - Und das mörderische Ich", der am Montag, 31. August, im ZDF zu sehen ist, spielen Sie eine Russin im Pelzmantel!

Rykova: Ich finde Klischees erst mal gar nicht schlimm. Sie haben immer dann eine Berechtigung, wenn man sie als liebevolle Annäherung an eine Kultur verwendet. Aber sobald man sie stigmatisiert, anfängt, deshalb zu beurteilen oder zu diskriminieren, ist es nicht mehr okay. Mir macht das russische Klischee total Spaß. Ich nehme es mit Humor. Was ich nicht so lustig finde ist, wenn man als Schauspielerin aufgrund seines Aussehens immer wieder in einen bestimmten Rollentypus gesteckt wird. Nach der Schauspielschule kamen erst mal nur Anfragen für "die Liebhaberin", "die eiskalte Blonde" oder "das Naivchen". Weil ich groß, schlank und blond bin? Da schlafen mir echt die Füße ein, denn da gibt es noch so viel dazwischen, was ich viel lieber und besser spielen kann. Warum habe ich denn den Beruf gewählt? Weil ich Spaß an der Veränderung und Verwandlung habe.

teleschau: Wie sind Sie damit umgegangen?

Rykova: Ich habe mich im Theater ausgetobt. Hier wird man weniger in Schubladen gesteckt, weil man mit Kostüm und Maske sehr viel optische und auch körperliche Veränderungen herstellen kann. Ich finde, auch beim Film gibt es so tolle Masken- und Kostümbildner, die einen tollen Job machen könnten, aber dann heißt es bei Rollenabsagen zum Beispiel: "Es gibt schon eine blonde Frau in deinem Alter in dem Film. Nicht, dass der Zuschauer euch zwei dann verwechselt. Da frage ich mich dann: "Echt jetzt?" Absurd.

Die sibirische Kultur, Corona und die Zukunft

teleschau: Sie sind in Deutschland aufgewachsen. Ihre Eltern stammen aber aus Sibirien. Wie nah ist Ihnen die sibirische Kultur?

Rykova: Als Kind habe ich von meinen Eltern jeden Tag eine Stunde lang russischen Unterricht bekommen. Daher kann ich auch heute noch Kyrillisch lesen und schreiben, wenn auch nicht so flüssig wie im Deutschen. Durch die russische Gesellschaft, in der meine Eltern sich bewegt haben, habe ich auch hier in Deutschland die russische Kultur und Mentalität erleben können: die ausgeprägte Gastfreundschaft, die Essensorgien, die - fast schon - Sucht nach einem geselligen Miteinander, die Melancholie, das gemeinsame Singen - das kenne ich alles, da fühle ich mich sehr zu Hause.

teleschau: Neben Ihrer Schauspielkarriere singen Sie auch.

Rykova: In Russland muss jedes Kind mindestens ein Instrument und eine Sportart beherrschen. Auf Olympia-Niveau versteht sich. Ich habe als Kind Klavier gespielt, aber irgendwann aufgehört. Leider. Mit neun Jahren habe ich dann eine Platte von Chet Baker gefunden, die ich anschließend rauf und runter gehört habe. Und irgendwie hat dieser Jazz etwas in mir ausgelöst. Aber ich kann es gar nicht erklären. Vielleicht hat er einfach das Bedürfnis aktiviert, zu singen.

teleschau: Und weiter?

Rykova: Nach meinem Schauspiel- und Gesangsstudium habe ich mir dann überlegt: "Wäre es nicht interessant, alte russische Volkslieder zu verjazzen?" Durch eine Theaterproduktion habe ich zwei Musiker kennengelernt, denen ich meine Idee vorgestellt habe. Erst waren sie gar nicht begeistert und dachten: "Oh, nee. Schon wieder eine Schauspielerin, die singen will!" Dann haben sie mich aber in einen Jazzclub mitgenommen und zum Vorsingen aufgefordert. Ich war so aufgeregt! Aber ich konnte sie überzeugen, und so hat sich das entwickelt. Mittlerweile toure ich mit zwei Jazzprogrammen durch Deutschland: das russische heißt "Genija Rykova und die Klischewetzkis". Daneben gibt es noch "A Woman's World", in welchem ich die Biografien bedeutender Jazz-Sängerinnen behandle.

teleschau: Aktuell leiden Ihre Musiker aber vermutlich auch unter den Corona-Beschränkungen, oder?

Rykova: Absolut! Ja, wobei sich meine Musiker noch glücklich schätzen, weil sie teilweise in festen Anstellungen sind oder unterrichten können. Aber es gibt sehr viele Musiker, die wirklich nur von Auftritten leben und sonst nichts. Neben der finanziellen Belastung kommt ja noch die emotionale dazu! Wenn man einfach nicht spielen darf. Wenn man das, was man liebt, nicht mehr machen kann. Ich habe Sorge, wohin sich das alles noch entwickeln wird und welche Konsequenzen da noch auf uns zukommen.

teleschau: Immerhin Theater läuft halbwegs wieder ...

Rykova: Ich freue mich wahnsinnig auf die neue Spielzeit, weil ich endlich nach Berlin ziehe. Ich wollte schon zum Schauspielstudium dorthin, hab aber die Aufnahmeprüfungen nicht bestanden. Auch nach meinem Studium in München wollte ich wieder nach Berlin, bin dann aber am "Residenztheater" und den "Münchner Kammerspielen" gelandet. Im September ziehe ich nun endlich um und gehe an die "Schaubühne". Das ist ein sehr interessantes Haus, und ich freue mich, einfach mal wieder arbeiten zu können - wenn Corona uns nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht! Also erst mal abwarten und ... Wodka trinken!