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Wer nicht hören will, muss … Geld bekommen

Die Bundesregierung gibt sich Mühe, möglichst viele Menschen wieder los zu werden, die kurz zuvor noch willkommen schienen. Aber nicht nur sie hat sich verwandelt.

Im europäischen Superwahljahr 2017 werden die Deutschen Zeugen einer wahrhaftigen Metamorphose: Angela Merkel wandelt sich von der Willkommenskanzlerin zur Verabschiedungskanzlerin. Die Umstände dieser Metamorphose sind nicht viel weniger surreal als in der mythologischen Dichtung des Ovid.

In der Mythologie wird meist ein götterähnliches Wesen, das einen Frevel begangen hat oder einfach nur einer höheren Macht (vor allem dem Götter-Boss Jupiter) im Weg steht, durch dessen Willen in ein Tier oder gar in leblose Materie verwandelt. So muss zum Beispiel die Göttertochter Io zur Kuh werden, weil Jupiter seinen Seitensprung mit ihr vor seiner Göttergattin Juno verheimlichen will.

Im real existierenden Kanzlerinnen-Olymp von Berlin spielt die Kanzlerin beide Rollen selbst – Verwandlerin und Verwandelte. Außerdem schafft sie, was selbst Jupiter nie vermochte: Ihre Göttergenossen im Kabinett machen das Wechselspiel mit.

Allen voran Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Er tourte in dieser Woche eifrig zwischen Kabinettssitzung und Europäischem Polizeikongress hin und her, um seine Wandlung, beziehungsweise die seiner Chefin, zu verkünden: Menschen aus aller Welt, die noch vor eineinhalb Jahren willkommen zu sein schienen, sollen jetzt wieder verschwinden, zumindest möglichst viele von ihnen. Dass Abschiebungen unter den derzeitigen rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen nicht in einem Maße stattfinden können, das die neue Abschiedspolitik glaubwürdig erscheinen lässt, ist allerdings offensichtlich. Nicht mal jeder fünfte Ausreisepflichtige verlässt Deutschland. Grund: Vor jeder tatsächlich durchgeführten Abschiebung stehen unzählige juristische Hindernisse, die von einer florierenden Anwaltsbranche routiniert genutzt werden, öffentlich sekundiert von Organisationen wie „Pro Asyl“ und Politikern, vor allem von SPD und Grünen. „Es wäre mir lieber, wenn alle bleiben könnten“, sagte zum Beispiel in dieser Woche die Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation (JuSos) Johanna Uekermann.

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Da die Bundesregierung zwar europäische Verträge in einer einzigen Nacht in nichts auflösen kann, aber vor dem Bündnis von Asylrecht und öffentlichen Moralforderungen machtlos zu sein scheint, setzt de Maizière auf etwas anderes. Ein politisches Panacea scheint gefunden, das allen Alles recht macht: „Freiwillige Rückkehr von Geflüchteten“ heißt die Parole. Wobei man der Freiwilligkeit mit dem Zaubermittel Geld auf die Sprünge hilft. Vom Polizeikongress fuhr der Bundesinnenminister also noch am selben Tag in die Stadtmission nach Magdeburg, um – O-Ton des Mitteldeutschen Rundfunks – eine „Botschaft an Flüchtlinge“ auszusenden: „Wer freiwillig geht, profitiert davon.“

Dann präsentiert der MDR als Beispiel Hashem Gassin aus dem Sudan, der „nach hause zurück“ will. „In der Magdeburger Stadtmission holt er sich Rat, wie das zu organisieren wäre. Der Sudanese kam vor drei Monaten nach Deutschland, beantragte Asyl, das Verfahren ist noch offen.“ Nun wolle er schnell zurück zu seiner Mutter. Dass er dafür mit großzügiger finanzieller Hilfe des deutschen Staates planen kann, macht die Sozialarbeiterin Victoria Künnemann am Beispiel einer anderen Asylbewerberin aus Afrika deutlich: Die ist mit 3300 Euro nach Namibia zurückgekehrt, um dort ein deutsches Restaurant aufzumachen.


Entscheidende Fragen spielen keine Rolle

Wie kann man von „Geflüchteten“ sprechen, wenn sie freiwillig wieder dahin gehen, woher sie angeblich „geflohen“ sind, weil sie da nicht leben könnten? Und wie soll man ein Asylsystem ernst nehmen, wenn ein Bewerber, während sein Verfahren noch läuft, ganz offiziell Geld für seine Rückkehr beantragen kann? Das Asylverfahren von Hashem Gassin ist ganz offensichtlich eine Farce auf Kosten der Steuerzahler.

Die neue Verabschiedungspolitik entzaubert das zuvor zur Begründung der Willkommenspolitik bemühte Flüchtlingsnarrativ. Die Parole der „Freiwilligen Rückkehr von Geflüchteten“ offenbart schon sprachlich den absurden Widerspruch: zwischen der pauschalen Etikettierung aller Zuwandernden als Opfer, die aufzunehmen eine moralische Pflicht sei, und der vielschichtigen Zuwanderungswirklichkeit. Zu dieser gehören ganz offensichtlich sehr viele Menschen, die weniger vor etwas fliehen, sondern vielmehr von deutschen oder europäischen Reizen angezogen werden.

Eine verantwortungsvolle und langfristig angelegte Rückführungspolitik müsste sich daher vor allem diese Frage stellen: Was werden Hashem Gassin und die nach Namibia zurückgekehrte künftige Restaurantbetreiberin zuhause über diesen seltsamen Staat Deutschland erzählen? Vermutlich werden sie in ihren Ländern durch ihr Beispiel die Botschaft verbreiten, dass es sich für jeden lohnt, nach Deutschland zu „fliehen“ – auch für die, die gar nicht für immer dort leben wollen, sondern nur ein paar Tausend Euro brauchen, um sich in der Heimat eine Existenz aufzubauen.

Offenbar stellt sich in der Bundesregierung auch nach den Kommunikationskatastrophen des Jahres 2015 noch immer niemand diese entscheidende Frage nach der Sogwirkung deutscher Politik auf Migrationswillige in aller Welt. Wäre es nicht humanitärer und sinnvoller, Migranten dort finanzielle Rückkehranreize zu bieten, wo sie noch nicht europäischen Boden und möglichst auch noch kein seeuntaugliches Schlauchboot betreten haben? Sollte nicht das Ziel einer verantwortungsvollen Einwanderungspolitik – die vernünftigerweise immer begrenzend sein muss – die Vermeidung falscher Anreize sein, um die Mühen, Kosten und Enttäuschungen bei allen Beteiligten zu vermeiden?

Dafür, dass solche eigentlich naheliegenden Fragen in der akuten deutschen Politik keine große Rolle zu spielen scheinen, könnte eine noch grundlegendere Metamorphose mitverantwortlich sein. Sie vollzieht sich schon seit vielen Jahren mehr oder weniger unbemerkt: die Verwandlung des gesamten Staates von einem Gewaltmonopolisten, der als solcher Recht und Ordnung im Gemeinwesen nach innen und außen notfalls mit Gewalt schützt, hin zu einer willfährigen Geldverteilungsmaschinerie. Aus Thomas Hobbes’ allmächtigem Leviathan ist eine Milchkuh geworden, die sich gutmütig melken lässt, und völlig vergessen hat, wozu ihre Hörner da sind.

KONTEXT

Asylanträge nach Bundesländern 2016

Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg wurden 2016 bisher 20.518 Asylanträge gestellt.

Hinweis: Alle Daten beziehen sich auf Erst- und Folgeanträge in den Monaten Januar und Februar 2016.

Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Statista

Stand: März 2016

Bayern

16.691 Menschen haben in den ersten beiden Monaten des Jahres 2016 in Bayern einen Asylantrag gestellt.

Berlin

In Berlin wurden Anfang 2016 14.317 Anträge auf Asyl gestellt.

Brandenburg

Asyl in Brandenburg beantragten zu Beginn des Jahres 2016 5.178 Menschen.

Bremen

In Bremen beantragten im Januar und Februar 1.744 Menschen Asyl.

Hamburg

In Hamburg stellten im Januar und Februar 2016 3.371 Menschen einen Asylantrag.

Hessen

In Hessen stellten in den ersten zwei Monaten 2016 4.203 Bewerber einen Asylantrag.

Mecklenburg-Vorpommern

In Mecklenburg-Vorpommern stellten 3.682 Menschen einen Asylantrag (Januar und Februar 2016).

Niedersachsen

In Niedersachsen stellten 9.522 Menschen im Januar und Februar einen Antrag auf Asyl.

Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen wurden im Januar und Februar 2016 17.641 Asylanträge gestellt.

Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz stellten Anfang 2016 3.449 Menschen einen Asylantrag.

Saarland

Anfang 2016 stellten im Saarland 3.646 Menschen einen Asylantrag.

Sachsen

Anfang 2016 stellten 6.103 Menschen einen Asylantrag in Sachsen.

Sachsen-Anhalt

Einen Asylantrag in Sachsen-Anhalt stellten im Januar und Februar 2016 2.361 Menschen.

Schleswig-Holstein

3.960 Asylanträge verzeichnet Schleswig-Holstein für die ersten beiden Monate 2016.

Thüringen

In Thüringen wurden in den Monaten Januar und Februar 2016 4.232 Asylanträge gestellt.

Unbekannt

Bei 24 Asylanträgen von Anfang 2016 ist das Bundesland, in dem der Antrag gestellt wurde, anscheinend unbekannt.