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Im Höhenrausch – Wie der SAP-Chef den Softwarekonzern auf Wachstum trimmt

Das Fairmont Orchid Hotel auf Hawaii liegt an der majestätischen Kohala-Küste und ist nicht nur bei Hochzeitspaaren beliebt, die sich hier direkt am weißsandigen Pazifikstrand trauen lassen. Im Februar war das luxuriöse 540-Zimmer-Hotel von einer Verkäufertruppe bevölkert, die sich zu den besten der Welt zählt: dem „Winner‘s Circle“ des deutschen Softwarekonzerns SAP.

Die „Winner“, das sind die besten SAP-Vertriebler, und die dürfen es hier zur Belohnung so richtig krachen lassen. Ganz so, als müsse man einmal im Jahr gemeinsam das angestammte SAP-Image (solide, aber unglamourös) gründlich Lügen strafen.

Neben dem Fairmont belegten die rund 2000 Winner mit ihren Familien noch weitere Hotels auf Hawaii, etwa das Mauna Kea Beach Hotel. Schon die Rockefellers ließen sich in dieser Anlage verwöhnen. Riesige, mit Steinen gelegte SAP-Logos waren auf den großen Wiesenflächen vor dem Hotel zu sehen. Brennende Eis-Skulpturen in Form des SAP-Schriftzugs schmolzen dahin.

Auf einer Wiese nahe dem Strand ließ SAP eine gewaltige Bühne für zwei Konzerte errichten: ein sehr exklusives mit Lana Del Rey für die absolut besten Verkäufer innerhalb des Winner‘s Circle – und das große Abschlusskonzert für alle mit Gwen Stefani.

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SAP-Vorstandschef Bill McDermott war in Begleitung seiner Frau Julie auf Hawaii, es ist beim Treffen des Winner‘s Circle ausdrücklich erwünscht, dass der Lebenspartner mitkommt. Nur die Flüge für die Kinder tragen die Teilnehmer selbst. Jeder Mitarbeiter bekam zudem ein Punktekonto zugewiesen. Die Punkte konnte man dann einsetzen, um gratis Massagen, Bootsausflüge oder auch geführte Vulkantouren und Hubschrauberrundflüge zu buchen – ein Konzern im Höhenrausch.

Am Dienstagabend dann der große Auftritt auf offener Bühne unter freiem Himmel: In seiner Rede berichtet McDermott, wie er sich vom Vertreter für Fotokopierer zum Konzernchef hocharbeitete. „Es ist Zeit, uns selbst zu fragen: Sind wir mutig?“, ruft er in dieser lauen Sommernacht seinen Leuten zu. „Werden wir kämpfen wie Underdogs?“

Hart feiern, hart anspornen: Das ist typisch für McDermott und mittlerweile auch für SAP. Der Softwarehersteller, einst berüchtigt für seine Betulichkeit, ist inzwischen der mit Abstand wertvollste Konzern im Dax. Mehr noch: SAP ist Deutschlands einziger echter Global Player in der digitalen Welt.

Dem Ausnahmemanager McDermott reicht das noch lange nicht. Er will den Börsenwert in den nächsten Jahren auf 300 Milliarden Euro verdreifachen und Wachstumsmärkte wie die Software für das Kundenmanagement erobern, wo derzeit Konkurrent Salesforce dominiert. „In ein paar Jahren werden wir mehr verkaufen als Salesforce,“ verspricht McDermott, „wir schalten jetzt ein paar Gänge hoch.“

SAP steigerte den Umsatz unter McDermott kontinuierlich. Betrug er 2010 rund 12,5 Milliarden Euro, lag er 2017 fast doppelt so hoch – dank einiger Zukäufe, aber auch einer starken Geschäftsentwicklung.

Allerdings litt in den vergangenen Jahren die Profitabilität: SAP investierte massiv ins neue Geschäft mit dem Cloud-Computing. Der Betriebsgewinn war im vergangenen Jahr auf dem Niveau von 2011. McDermott verspricht: Die Marge soll ab jetzt wieder steigen, erst langsam, dann deutlich.

Mit 300 Milliarden Euro wäre SAP endgültig einer der ganz Großen der globalen Wirtschaft, rund halb so viel Wert wie Amazon heute und doppelt so viel wie Coca-Cola. Börsenwert verdreifachen: In den USA klingt das nach dem ganz normalen Optimismus der Tech-Elite, weniger zu wollen wäre kleinmütig. In Europa klingt es nach Größenwahn. Was ziemlich genau das Spannungsfeld umreißt, in dem sich McDermott bei SAP bewegt.

Wer ist dieser Bill?

Wie eine freundliche Naturgewalt ist McDermott über den Softwarekonzern aus Walldorf gekommen. Er will SAP transformieren, will vergessen machen, dass der Firmenname unternehmensintern einst als „Sammelstelle arbeitsloser Physiker“ verballhornt wurde: klug, aber auch ein bisschen bequem.

McDermott will aus SAP eine Wachstums- und Vertriebsmaschine formen, die aggressiv ihre Botschaft zu den Kunden trägt: Wer als Unternehmen die Digitalisierung gestalten will, der kommt ohne SAP nicht weit.

Schneller, direkter, hungriger soll die neue SAP sein. Die Voraussetzungen dafür will McDermott mit einer Umstrukturierung unter dem Namen „One SAP“ schaffen. Er strafft die Struktur, die vor allem durch die Übernahmen der vergangenen Jahre unübersichtlich geworden war, und reduziert die Zahl der Geschäftsfelder von 13 auf sieben. Software für die Unternehmenssteuerung, im Fachjargon als ERP bezeichnet, fasst er zum Beispiel im Bereich „Digital Core“ zusammen.

Gleiches gilt für die Tochterfirmen Ariba, Concur und Fieldglass, über deren Netzwerke Kunden Material, Reisen und Arbeitskräfte beschaffen können. Bislang agierten diese Einheiten relativ unabhängig. Von der Umstrukturierung sollen weltweit bis zu 9000 der gut 90.000 Mitarbeiter betroffen sein. Sie sollen umgeschult werden, Stellenstreichungen sind nicht geplant. Im Gegenteil: SAP sucht weiter dringend Mitarbeiter, denn es zählt Wachstum, Wachstum, Wachstum – mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Wird SAP dank McDermott aufschließen zu den Tech-Riesen aus dem Silicon Valley, den Googles und Facebooks? Wird Deutschland sich dank dieses Amerikaners zumindest einen Stammplatz in der digitalen Champions League sichern können? Oder gefährdet da jemand mit seiner Verkäufermentalität den über Jahrzehnte aufgebauten Erfolg von SAP, der ja immer auch auf urdeutschen Tugenden beruhte: Entwicklerfleiß, Verlässlichkeit, Langfristigkeit?

Außer SAP-Mitgründer und -Aufsichtsratschef Hasso Plattner dürfte 2010 kaum jemand geahnt haben, was für einen notorischen Ruhestörer sich SAP da an die Spitze holt. Damals, als Bill McDermott im Februar 2010 auf der Rückseite eines fensterlosen Betongebäudes stand und, von Scheinwerfern angestrahlt, in eine Kamera schaute.

Gerade hatte Chefaufseher Plattner der Belegschaft in Walldorf mitgeteilt, dass der glücklose Konzernchef Léo Apotheker gehen würde. Ihm nachfolgen sollten als Doppelspitze Jim Hagemann Snabe, Chef der Produktentwicklung – und Vertriebsleiter McDermott, der den Mitarbeitern per Fernschalte von Hawaii zugeschaltet war und versicherte, wie zuversichtlich er die Zukunft sehe. Und viele fragten sich: Wer ist dieser Bill?

Damals, vor gut acht Jahren, steckte SAP in einer strategischen Sackgasse. Gewiss, der Konzern setzte den Standard für die digitale Buchhaltung in Unternehmen. Was die Medici im 15. Jahrhundert mit der doppelten Buchführung eingeführt hatten und der Managementguru Alfred P. Sloan Anfang des 20. Jahrhunderts verfeinert hatte, überführten die SAP-Gründer um Dietmar Hopp und Hasso Plattner in den 1970er-Jahren ins Computerzeitalter: Die Firmen erhielten dank der Programme aus Walldorf umfassende Informationen über ihr Geschäft – und damit die Kontrolle.

Es war die Grundlage für eine globale Expansion. Die Kundendatei von SAP umfasste 95.000 Einträge, kaum ein internationaler Konzern verzichtete auf die ERP-Software aus Walldorf. Viele Zulieferer nutzten die Systeme mehr oder weniger notgedrungen, weil ihre Großkunden das verlangten. Die Wirtschaft lief im Takt von SAP.

IT-Experten und Börsenanalysten fragten sich jedoch, wie lange noch. Der Markt für Softwarelizenzen wuchs schon damals nur noch langsam, zumal die Unternehmen nach der Finanzkrise ihre IT-Budgets zusammenstrichen. SAP-Chef Apotheker verprellte mit seiner schroffen Art Kunden und verunsicherte Mitarbeiter. Und beim Trendthema Cloud-Computing hatte der Konzern wenig im Angebot.

Angesichts der niedrigen Börsenbewertung von SAP waberten immer wieder Spekulationen über eine feindliche Übernahme übers Börsenparkett. Der Konzern schien das Schicksal vieler alternder Tech-Konzerne zu teilen, von Microsoft über IBM bis Hewlett-Packard: Nach stürmischen Wachstumsjahren beginnen sie sich auf ihrer Kundenbasis und ihren satten Profiten auszuruhen – und werden angesichts des hohen Innovationstempos in der Branche irgendwann von flinken Newcomern überholt.

Techniker Snabe und Verkäufer McDermott hatten zuvor schon gut zusammengearbeitet. Sie sollten für SAP nun eine neue Strategie entwickeln – und den Mitarbeiten frischen Mut machen. Der eine, indem er neue Produkte entwickeln lässt, der andere, indem er sie verkauft und der Marke wieder zu Glanz verhilft.

Dass McDermott Schwung in einen lahmen Laden bringen kann, hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits bewiesen. Als er 2002 in den USA zu SAP stieß, war es um die amerikanische Landesgesellschaft schlecht bestellt. Fünf Chefs in sechs Jahren hatte sie verschlissen, das Geschäft schrumpfte und die Mitarbeiter waren demotiviert.

„Die Trägheit trieb mich fast zur Verzweiflung“, schreibt der Amerikaner in seiner Autobiografie über seine ersten Wochen bei SAP. McDermott motivierte die eigene Truppe, mischte aber auch selbst kräftig mit, übernahm etwa wichtige Kundentermine. „Dort, wo Bill für SAP war, brauchte Oracle nicht mehr hinzugehen“, erinnert sich ein Beobachter. Er setzte kühne Ziele – und lobte eine rauschende Party für die Verkäufer aus, die am meisten dazu beitragen.

Mit Erfolg: 2005 übertraf der SAP-Umsatz in den USA das ambitionierte Ziel von drei Milliarden Dollar. Der Erfolg auf dem Schlüsselmarkt USA machte auch in Deutschland Eindruck, 2008 beförderte SAP McDermott zum globalen Vertriebschef.

Sein Start in Walldorf im Jahr 2010 als Co-Chef gerät allerdings schwierig. Statt Aufbruchstimmung folgte zunächst einmal der Clash der Kulturen. Wo McDermott Begeisterung entfachen wollte, stieß er auf Skepsis. Nach seiner Ernennung hält der Amerikaner beim „all-hands meeting“ in der Zentrale in Walldorf eine engagierte Rede über die großartige Zukunft des Konzerns.

Die Mitarbeiter, viele von ihnen Programmierer, denen der Überschwang nicht in den Genen steckt, applaudieren höchstens pflichtbewusst. „Viele fragten sich damals: Ist der echt?“, erinnert sich einer, der damals dabei war.

McDermott merkt, dass sein Publikum fremdelt. Ganz der Vertriebsprofi, stellt er sich rasch auf die deutsche Mentalität ein. So schreibt er einige Jahre später in der „Harvard Business Review“: Ein amerikanisches Publikum wolle er von vornherein begeistern, ein deutsches dagegen überzeugen. Die SAPler wiederum wissen inzwischen, was sie an ihrem Chef haben. Wenn der mal wieder rhetorisch über die Stränge schlägt, heißt es lapidar: „Das ist halt der Bill.“

SAP-Vorstand Michael Kleinemeier analysiert es so: „Die Kulturen in Europa und den USA sind unterschiedlich. In Europa ist das ‚Ja, aber‘ üblich.“ Bill McDermott habe ambitionierte Ziele gesetzt, die viele anfangs für unrealistisch gehalten hätten. „Letztendlich haben wir aber nach Möglichkeiten gesucht, diese Ziele zu erreichen“, so Kleinemeier. „Dadurch hat er sehr stark etwas bewegt, ganz anders, als Europäer es machen.“

Zumal McDermott in kleiner Runde sympathisch und gewinnend ist. Wie sehr, zeigt sich nahezu exemplarisch am 21. Mai 2014. Kurz vor Beginn der Hauptversammlung in der SAP-Arena in Mannheim. Es ist das letzte Aktionärstreffen für Hagemann Snabe als Co-Chef. Der Däne wechselt in den SAP-Aufsichtsrat. McDermott habe seinen Rivalen weggebissen, interpretieren viele in der IT-Branche.

Doch als McDermott und Hagemann Snabe an diesem Morgen um acht Uhr in der Früh gemeinsam auftreten, ist davon nichts zu spüren. Symbolträchtig verabschiedet sich McDermott von seinem Kollegen per Handschlag und zieht diesen zu sich heran. Der nunmehr alleinige Vorstandschef sagt: „Ich könnte nicht stolzer sein, ich habe einen großen Freund im Aufsichtsrat, der die Strategie bestens versteht.“

Weil McDermott um die Sorgen der Mitarbeiter weiß, dass SAP künftig aus den Vereinigten Staaten heraus geführt werden könnte, schwärmt er vom Campus in Walldorf und der nahe gelegenen Stadt Heidelberg. Dort wohnt er in einer Villa mit Blick aufs Schloss, seine beiden Kinder sind mittlerweile erwachsen.

„Manchmal muss man seinen Horizont erweitern“, sagt McDermott mit einem Augenzwinkern und fügt hinzu: „Ich werde der CEO von SAP bleiben, auch wenn jemand mit einem großen Scheck kommt. Wir werden gewinnen, daran gibt es keine Zweifel.“

Einige Wochen später lädt McDermott dann sogar zum Grillabend in sein neues Domizil in Heidelberg ein. Stolz präsentiert er seine Villa, Ehefrau Julie strahlt neben ihm. Es ist eine ungewöhnliche Offenheit, die McDermott da bietet. Da ist einer auf Werbetour, für sich selbst, für die eigene Glaubwürdigkeit, für SAP.

Der Amerikaner setzt bis heute wie kein anderer Vorstandsvorsitzender in Deutschland auf Emotionen, das Wort „Empathie“ kommt in vielen seiner Reden vor, ebenso „Leidenschaft“ oder sogar „Liebe“. Man könnte fast vergessen, dass es um Software für Geschäftsprozesse geht. Um seine Ziele zu erreichen, ist McDermott keine Analogie zu groß.

Lernen von der Nasa

Wenn die Analogien besonders wild sprießen, dann sieht es schon mal so aus, als hätte die amerikanische Weltraumbehörde Nasa eine Niederlassung in der deutschen Provinz eröffnet. „Mission Control Center“ steht in großen Lettern auf den Holzpaneelen, eine kleine Rakete ziert den Schriftzug.

Einen Flug ins All begleiten die 15 Männer allerdings nicht, die sich hier über ihre Notebooks beugen. Auf einem großen Monitor an der Wand ist eine schlichte Tabelle zu sehen. „Multiple Failure in Data Transfer“ steht dort beispielsweise, dazu der Vermerk „In Process“. Diese Fehlermeldung scheint jedoch niemanden in Aufregung zu versetzen, leise tippen die Mitarbeiter auf ihren Tastaturen oder sprechen mit gedämpfter Stimme ins Headset.

In diesem Bürokomplex in St. Leon-Rot nahe Walldorf betreut SAP wichtige Systeme von Kunden, ob Produktionsanlagen oder Onlineshops. Fallen sie aus, liegt das Geschäft des Kunden danieder. „Wir haben hier eine Schaltzentrale für komplexe und kritische Kundenanfragen“, sagt Junis Sufi, der für den Geschäftsbereich global verantwortlich ist. Wie bei einer Weltraummission gilt: Scheitern ist keine Option.

Der Kontrollraum ist Teil eines Netzwerks. Fünf solcher Zentren hat SAP weltweit aufgebaut, dazu jeweils mehrere Außenstellen. Das Konzept, das sich bewusst an die Kontrollzentren der Nasa anlehnt, steht für den Wandel des Softwarekonzerns: Mit der Digitalisierung haben die IT-Systeme für Firmen eine so wichtige Bedeutung, dass viele Probleme keinen Aufschub dulden.

Ähnlich massiv, wie die Digitalisierung die Geschäftsmodelle vieler SAP-Kunden durchschüttelt, wandelt sich derzeit auch das Geschäft von SAP selbst. Der Konzern erwirtschaftet bislang einen Großteil des Umsatzes mit dem Lizenzgeschäft: Kunden kaufen die Software und führen sie in aufwendigen Projekten im Unternehmen ein. Doch das Wachstum kommt inzwischen aus dem Cloud-Computing. Hier nutzen Firmen Programme, Rechenleistung und Speicherplatz aus dem Datenzentrum eines IT-Anbieters wie Amazon, Microsoft oder SAP. Im besten Fall ist die IT per Mausklick verfügbar.

Für diesen Paradigmenwechsel war SAP lange nicht gerüstet. „Unser einträgliches Geschäftsmodell zeigte Alterungserscheinungen, und unsere Abwehrkräfte waren geschwächt“, notierte McDermott in seiner Autobiografie. „Wir mussten etwas tun.“ Ab 2010 übernahm SAP mehrere Firmen, die aufs Cloud-Computing spezialisiert waren: Success Factors mit Software für die Personalverwaltung zum Beispiel, Ariba für die Beschaffung von Material oder Concur für Geschäftsreisen.

Hinzu kam Sybase als Spezialist für mobile Anwendungen – noch ein Megatrend. Es ging bei dieser Übernahmewelle nicht nur um die Unternehmen mit ihren Kunden, sondern auch um Technik und Köpfe. Denn fürs Cloud-Computing braucht es eine andere Denke: Es gilt, neue Ideen schnell einzuführen. Die Entwicklung muss agiler werden, denn wenn der Kunde nicht zufrieden ist, wählt er schneller einen anderen Anbieter als bei einer fest installierten ERP-Software.

Wenn es brenzlig wird, übernimmt im Mission Control Center deswegen ein sogenannter Deeskalationsarchitekt, der sich mit den technischen Tricks des Troubleshootings auskennt und zudem für die Krisenkommunikation geschult ist. „Wenn die Produktion stillsteht, kochen bei Kunden auch einmal die Emotionen hoch“, weiß Constanze Jansen, die das Center in St. Leon-Rot leitet.

Das Beispiel der Mission Control Center zeigt, wie sehr sich bei McDermott verkäuferische und strategische Denke mischen. Natürlich ist die ganze großspurige Nasa-Analogie auch ein Marketingtrick. Doch zugleich steht dahinter ein Konzept: Im Zeitalter des Cloud-Computings müssen die Kunden bei Laune gehalten werden, denn sie können sich leichter zur Konkurrenz verabschieden als früher.

So mahnt McDermott selbst in euphorischer Stimmung auf Hawaii: „Es geht darum, bescheiden zu bleiben und die Versprechen an unsere Kunden immer einzuhalten.“ Kein ganz einfach zu beherzigender Satz, wenn nebenan der warme Pazifik rauscht und gleich Gwen Stefani für einen singt.

Die Transformation unter McDermotts Ägide wäre nicht denkbar gewesen, wenn er nicht den eigentlich starken Mann bei SAP hinter sich gehabt hätte: Hasso Plattner, den größten Einzelaktionär und Aufsichtsratsvorsitzenden des Konzerns. Beide bilden seit acht Jahren ein kongeniales und zugleich komplementäres Duo.

Ein ungleiches Paar

McDermott, 56, ist ein smarter Verkäufer, der gegenüber einem Kunden nie „Nein“ sagen würde. Plattner, 74, ein genialer Techniker, der auch gern mal öffentlich poltert, wenn er sich über überbordende Bürokratie und unübersichtliche Benutzeroberflächen aufregt. Beiden gemein ist aber eine Unruhe, immer weiterzumachen. Und beide verkörpern das wachstumsorientierte Unternehmertum amerikanischer Prägung.

Nach außen treten sie geschlossen auf. Plattner verteidigt vehement den Rekordverdienst für McDermott von 21,8 Millionen Euro im Jahr 2017 inklusive der Bonizahlungen für vergangene Geschäftsjahre, indem der Aufsichtsratschef auf die Erfolge verweist, die der Amerikaner fürs Unternehmen vorzuweisen habe. Und McDermott vergisst nie, Plattner als Visionär zu würdigen.

So hat Plattner nach der Jahrtausendwende, als seine Mitgründer schon nicht mehr aktiv waren, gemeinsam mit Doktoranden das Konzept der Datenbanktechnologie Hana entwickelt. Sie ist heute Grundlage aller SAP-Anwendungen. Die Idee entstand im geschützten Raum des Hasso-Plattner-Instituts. Einer IT-Hochschule in Potsdam, die der SAP-Mitgründer mit seinem Vermögen finanziert. Bis heute wirkt Plattner dort als Dozent. Erst später übernahm SAP die Technologie. Und mit dem Design-Thinking fördert Plattner eine Methode, die der Konzern heute in fast jedem Workshop nutzt.

Für den Ex-Topmanager und heutigen innovationspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Thomas Sattelberger verkörpert Plattner den Prototyp des disruptiven Unternehmers, der seinen Konzern „bei aller Größe, allem Ruhm, aller Bedeutung und Erhabenheit nie zur Ruhe kommen“ ließ.

Und so haben Plattner und McDermott eines gemeinsam: Sie wollen, dass der Konzern SAP auch 45 Jahre nach seiner Gründung in möglichst vielen Bereichen wieder wie ein Start-up tickt, wenn auch wie eines mit Weltanspruch. Und das ist auch dringend nötig. Denn SAP steht vor gewaltigen Herausforderungen.

Kundenbindung wie Flüssigbeton

Für die neue IT-Welt, in der SAP bestehen muss, stehen Buzzwords wie Big Data und Cloud-Computing, Internet der Dinge und künstliche Intelligenz. Bill McDermott und sein Management müssen immer mehr Themen im Blick behalten, die Entwickler müssen immer mehr Lösungen programmieren und aktuell halten.

Die Vertriebs- und Servicemannschaft ist inzwischen 24 Stunden an sieben Tagen die Woche im Einsatz. Vorbei die Zeiten, in denen man sich auf den Expertenspott verlassen konnte, der SAP-Systemen eine ähnlich lange Kundenbindung zubilligte wie Flüssigbeton: einmal im Unternehmen ausgegossen, nie mehr wegzukriegen.

„Die zwei großen Herausforderungen für SAP sind Geschwindigkeit und Integration“, sagt Holger Mueller. Das Wort des Deutsch-Amerikaners hat in der IT-Branche Gewicht, kaum einer kennt die Trends der Geschäftssoftware so gut wie er. Viele Jahre arbeitete er für SAP – als persönlicher Assistent der Vorstandsvorsitzenden Hasso Plattner und Henning Kagermann, die um die Jahrtausendwende den Konzern leiteten, später als „Chief Application Architect“, also eine Art Softwarearchitekt, der den Aufbau von Systemen plant und die Programmierung überwacht. Nun berät er mit Constellation Research Kunden, welche Software die richtige für sie ist.

Die heutige Situation von SAP erinnert Mueller an die Dotcom-Revolution um die Jahrtausendwende: Viele kleine und agile Unternehmen fordern die Riesen heraus – und bekommen für diesen Versuch von den Investoren massig Kapital. Salesforce legt beim Kundenmanagement ein enormes Tempo vor, Workday konkurriert um Aufträge für Personalsoftware und Finanzverwaltung, Tableau hat sich mit der Datenanalyse einen Namen gemacht. Quartal für Quartal enthalten ihre Cloud-Angebote Neuerungen.

Demgegenüber wirkt vieles bei SAP in Walldorf sehr traditionell. In dem kleinen Städtchen zwischen Mannheim und Karlsruhe liegen die Anfänge, und hier entscheidet sich auch ein wichtiger Teil der Zukunft des Konzerns.

„Alle Richtungen: SAP“ steht auf dem Straßenschild. In Walldorf führt kein Weg an dem Softwarekonzern vorbei. Auf den Spargelfeldern in der badischen Provinz bauten die SAP-Gründer 1980 das erste Gebäude – viele weitere folgten. Heute gibt es einen Campus mit verstreuten, durchnummerierten Gebäuden: in WDF 21 sitzt die deutsche Landesgesellschaft. In WDF1 der Vorstand.

Auf verspielte Elemente wie das Dinosaurierskelett und den Volleyballplatz, die man auf dem Google-Gelände in Mountain View findet, verzichtet SAP, ebenso auf thematisch gestaltete Räume und bunte Zeichnungen: Alles hier ist nüchterner, pragmatischer als im Silicon Valley. Statt Leihfahrrad aus dem Firmenpool wie bei Google fährt man bei SAP bevorzugt Dienstwagen. Dafür sind das Essen in der Kantine und die Heißgetränke in den Kaffee-Ecken ebenfalls kostenlos.

McDermott ist oft auf Reisen

Das Büro von Bill McDermott schmücken Fotos von Sportstätten wie der SAP-Arena in Mannheim und dem Yankee-Stadion in seiner Heimatstadt New York. Meist ist McDermott auf Reisen. Doch egal, wo er gerade weilt, ein Thema beschäftigt ihn derzeit ständig: „End to end“, von einem Ende zum anderen. Bill McDermott wiederholt diesen Slogan immer wieder.

Er meint damit: Unternehmen sollen mit den SAP-Systemen Geschäftsprozesse von Anfang bis Ende abwickeln, ohne Verzögerungen oder Datenpannen. Von der Bestellung im Onlineshop über die Abwicklung im Lager bis zum Versand der Rechnung.

Oder von der Fertigung eines Autos über die Auslieferung an den Kunden bis zum Wartungstermin in der Werkstatt. „Ein integriertes Programmpaket gibt SAP einen riesigen Wettbewerbsvorteil – wir sind die Einzigen, die das bieten können“, sagt McDermott. Das Unternehmen habe früher ein „hochintegriertes System zur Firmensteuerung“ geboten, dann kamen die ganzen Zukäufe hinzu. „Nun integrieren wir das alles wieder.“

Wenn SAP im Juni zur Entwicklerkonferenz Sapphire nach Orlando lädt, wird oft vom „Intelligent Enterprise“ die Rede sein. Die Software soll vorhersagen, welche Produkte die Kunden kaufen wollen. Wann eine Maschine auszufallen droht, weil ein Teil bald kaputtgeht. Möglich ist das nur, wenn die Daten zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen, aber auch zwischen Zulieferern und Kunden frei fließen können. Und das geht nur mit möglichst nahtloser Integration.

Mit seiner Strategie des Wandels verlangt McDermott seinen Leuten viel ab. Seiner Beliebtheit hat das bisher keinen Abbruch getan. In Walldorf und anderswo kursieren zahlreiche Geschichten über seine offene und positive Art. Als zwei Mitarbeiter einen Raum blockierten, den McDermott nutzen wollte, blieb er einige Zeit, hörte zu – und ließ den beiden anschließend zwei iPads zukommen für die gute Arbeit.

Sechsstelliges Durchschnittsgehalt

Dass die meisten Mitarbeiter SAP für einen guten Arbeitgeber halten, belegen einige Zahlen. Die Fluktuation ist mit acht Prozent pro Jahr vergleichsweise niedrig, Werte wie das Vertrauen in die Führungskräfte und das Mitarbeiterengagement sind vergleichsweise hoch und steigen seit mehreren Jahren.

Auch außerhalb des Konzerns genießt SAP einen guten Ruf, wie Umfragen zur Attraktivität von Arbeitgebern zeigen. Nicht zuletzt stimmt die Bezahlung: Das durchschnittliche Gehalt beträgt mehr als 100.000 Euro, hinzu kommt ein großzügiges Programm für Mitarbeiteraktien – wenn McDermott seine Verdreifachung des Börsenkurses wahr macht, profitieren auch die Belegschaftsaktionäre.

„Bill ist kein Alleinentscheider, er holt Rat ein“, sagt einer, der ihn kennt – auch wenn er manchmal nachher anders entscheide. Im Laufe der Jahre hat der Amerikaner ein Führungsteam um sich herumgeschart, das seinesgleichen sucht in der Bundesrepublik. Von neun Vorständen stammen nur fünf aus Deutschland, drei sind US-Amerikaner wie McDermott, eine Irin. Es gibt zwei Frauen im Vorstand. Das Durchschnittsalter liegt bei vergleichsweise jungen 51 Jahren.

McDermotts Umtriebigkeit, sein Optimismus und sein unerschöpfliches Selbstbewusstsein tragen inzwischen zur Legendenbildung im Unternehmen bei. So zirkuliert unter Mitarbeitern die Geschichte über seinen Krankenhausaufenthalt nach seinem tragischen Unfall: 2015 stürzte er die Treppe hinunter und fiel so unglücklich in ein Glas, das er in er Hand hielt, dass er dabei ein Auge einbüßte. Seitdem muss er aus medizinischen Gründen jene Sonnenbrille tragen, die inzwischen zum Markenzeichen des Managers geworden ist.

Manch anderer hätte nach einem solchen Schicksalsschlag mit seinem Leben gehadert und sich zumindest eine längere Pause der Selbstreflexion gegönnt. Nicht so Bill: Nach ein paar Tagen in der Klinik sei er von den trägen Arbeitsabläufen derart angeödet gewesen, dass er gleich begann, die Prozesse im Krankenhaus zu optimieren. So zumindest erzählen es sich SAP-Mitarbeiter. An seiner Lebensplanung lässt McDermott keine Zweifel aufkommen: „Ich werde auf jeden Fall niemals zu Hause nur auf dem Sofa sitzen. Je größer die Firma ist, für die ich arbeite, desto glücklicher bin ich.“

McDermotts ganzer Lebensweg ist, zumindest wenn man seiner Autobiografie glaubt, geprägt von einer geradezu übernatürlichen Geradlinigkeit.

1972, im Gründungsjahr von SAP, ist McDermott elf Jahre jung und besucht in New York die High School. Gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern lebt er in einfachen, aber behüteten Verhältnissen. Sein Vater ist Elektriker beim Stromversorger ConEdison. Der kleine Bill zeigt sich schon früh geschäftstüchtig. Als Teenager übernimmt er im New Yorker Stadtteil Long Island einen kleinen Supermarkt. Für die Jugendlichen stellt er Computerspiele auf, den älteren Kunden lässt er die Einkäufe nach Hause bringen – und etabliert sich so trotz der Konkurrenz in der Straße. Die Einnahmen finanzieren ihm das Studium.

Nach dem Abschluss in Betriebswirtschaftslehre startet McDermott als Vertreter bei Xerox. Im Schweiße seines Angesichts schleppt er Kopierer durch New York. McDermotts Chefs erkennen schon bald sein Talent, nicht nur Kunden zu überzeugen, sondern auch Kollegen. Und so übernimmt McDermott mit 31 Jahren die Xerox-Niederlassung in Puerto Rico. Gemeinsam mit seiner jungen Familie zieht er auf die Karibikinsel. Es ist die Zweigstelle mit den schlechtesten Vertriebsergebnissen im gesamten Konzern.

Große Gesten und simple Tricks

Mit großen Gesten und simplen Tricks schafft er es, Puerto Rico vom Schluss an die Spitze des Xerox-internen Vertriebsrankings zu führen. So verspricht er den Mitarbeitern, den beliebtesten Salsa-Star des Landes für die Weihnachtsfeier zu organisieren – wenn sie die ambitionierten Ziele erreichen. Die Mitarbeiter liefern, die Salsa-Party steigt. McDermotts Managementerfolg ist auch eine Erinnerung daran, wie schlicht gestrickt Menschen sind, egal, für wie rational sie sich halten mögen.

17 Jahre bleibt McDermott bei Xerox. Anschließend wird er Präsident des Marktforschungsunternehmens Gartner und danach Vertriebschef beim Softwarehersteller Siebel Systems. 2002 schließlich wird Bill McDermott mit 41 Jahren Chef von SAP America.

Und noch immer weiß McDermott, Menschen mitzureißen. Zum Beispiel auf der Kundenveranstaltung SAP Select im Hotel Ritz-Carlton in Berlin. Im Veranstaltungssaal tänzelt Bill McDermott wie ein Boxansager auf die Bühne. Er grüßt ins Publikum, dann holt er seine Vorstandskollegen auf die Bühne. Das Publikum fordert er auf, ihre Namen laut zu rufen – wie bei einem Wettkampf: „Beeeeernd ... Leukert!“ Oben klatscht der CEO seine Co-Vorstände ab, High Five statt Handschlag – Deutschland AG geht anders.

Angesichts von McDermotts Showmanship mutet es unglaublich an, dass SAP einst glaubte, ganz auf einen Vertrieb verzichten zu können. Die Vorteile der Software würden sich unter den Kunden schon von alleine herumsprechen. Erst in den 1980er-Jahren begann SAP, den Verkauf professionell aufzuziehen.

Heute ruht der Erfolg von SAP auf zwei gleichberechtigten Säulen: den Produkten und dem Verkauf. Ende 2017 waren mehr als 23.000 der rund 90.000 Mitarbeiter Vertrieb und Marketing zugerechnet – nur in Forschung und Entwicklung sind noch mehr tätig. Weniger als ein Viertel der SAP-Belegschaft arbeitet mittlerweile in Deutschland. Doch noch immer hat der Konzern hier einmal im Jahr ein Heimspiel zu absolvieren.

Die neuen Gesetze des Vertriebs

Auf der Hannover Messe erstreckt sich der SAP-Stand über die gesamte Breite der Messehalle. Auf der einen Seite rollen automatische Transportfahrzeuge mit Werkzeug und Teilen, auf der anderen Seite sitzen Anzugträger auf Hockerwürfeln und hören sich Vorträge über 3D-Druck, Industrie 4.0 und „agile Architektur“ an. In der Mitte drängen sich die Besucher vor einer Kaffeebar. Überall leuchtet das blaue Logo.

Eva Glaser ist „Senior Account Manager“ im SAP-Vertrieb, sie betreut mehrere Automobilzulieferer. An diesem Morgen fragt sie ihre Gäste nach dem Rundgang um die Fabriksimulation: „Können wir Ihnen noch Argumentationshilfe geben?“ Die IT-Spezialisten müssen noch ihren Vorstand davon überzeugen, die SAP-Software zu nehmen, anstatt selbst ein neues System programmieren zu lassen. Glaser bietet prompt an: „Wir können einen Termin in Walldorf aufsetzen, um Ihrem Management das System zu zeigen.“

Im Nachgang erklärt Glaser den Reiz ihrer Arbeit: Es gehe um eine Lösung, die für beide Seiten gut sei. Das fordere auch Bill McDermott: „Er predigt, dass wir uns immer in den Kunden hineinversetzen sollen – nur das hilft, erfolgreich zu sein.“

Glasers Verkaufsmaxime spiegelt den Wandel der Softwarebranche wider. Matthias Winkler, Partner bei der Strategieberatung McKinsey und Leiter des Sektors IT, Telekom und Medien, sagt: „Der Vertrieb von Software hat sich international fundamental verändert. Früher wurde Software einmal an die IT-Abteilung verkauft und fertig. Heute ist Software in allen Unternehmen ein strategisches Thema.“ Sie werde deshalb direkt an die Konzernleitung verkauft. Aus dem einmaligen Verkaufsakt sei ein ganzheitlicher Prozess geworden.

SAP als unentbehrlicher Helfer für die Digitalisierung und McDermott als Wachstumsprophet, das ist eine Story, die den Aktionären gefällt. Nicht ohne Grund ist SAP heute der mit Abstand wertvollste Konzern im Dax. Doch ist das Ziel realistisch, den Börsenwert zu verdreifachen, wie der Amerikaner im März im Interview mit dem Handelsblatt ankündigte? Oder ist das die Hybris eines Mannes, der irgendwo zwischen Party auf Hawaii und Mission Control Center in St. Leon-Rot den Bezug zur Realität verloren hat?

Dass die SAP-Aktie Potenzial hat, ist unter Analysten Konsens. Die überwiegende Mehrzahl empfiehlt das Papier zum Kauf, das durchschnittliche Kursziel liegt bei 104 Euro – das ist immer noch ein deutliches Plus. Doch der Amerikaner verspricht Zuwächse, die weit darüber hinausgehen. So werde das Cloud-Geschäft 2020 rund 8,5 Milliarden Dollar erwirtschaften. Lege man die gleichen Bewertungsfaktoren zugrunde wie bei der Konkurrenz, sei es 100 Milliarden Dollar wert. Für das Geschäft mit Lizenzsoftware setzt er dieselbe Summe an – und Produkte wie CRM oder die Datenbank Hana sind da noch nicht eingerechnet.

Mirko Maier, Analyst bei der LBBW, empfiehlt die Aktie zum Kauf. McDermotts Rechnung sieht er jedoch mit Skepsis: „Cloud-Anbieter wie Salesforce wachsen schnell – wenn sie nicht mehr so viel ins Marketing investieren, explodiert die Marge.“ Daher sei das Vertrauen der Aktionäre und Analysten groß, dass bei diesen jungen Unternehmen in absehbarer Zeit ein ordentlicher Gewinn herausspringe. Das sei beim Geschäft mit Softwarelizenzen, das immer noch einen beträchtlichen Teil zum SAP-Umsatz beisteuert, jedoch anders: „Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Lizenzerlöse zurückgehen.“

Ein spannendes kulturelles Experiment

Eine weitere Frage für Maier: „Wie bleibt SAP am Ball, wenn sich die Kunden in den vielen verschiedenen Nischen weiterentwickeln?“ SAP bediene nicht nur den betriebswirtschaftlichen Kern, sondern auch viele andere Bereiche wie die Datenerfassung in der Fabrik oder den Verkauf im Onlineshop. Maier: „Die Bandbreite ist so groß, dass sich selbst SAP schwertut, sie abzudecken.“

Mit Cloud-Geschäft, Internet der Dinge und Industrie 4.0 steigen zudem die Risiken für die IT-Sicherheit. Je dichter das Netz des Datenaustauschs zwischen Zulieferern, Herstellern und Kunden geknüpft ist, desto größer die Zahl der Knotenpunkte, an denen Hacker ansetzen können.

Jenseits solcher Herausforderungen ist Bill McDermott das vielleicht spannendste kulturelle Experiment, das je ein deutscher Konzern erlebt hat. Dem amerikanischen Vertriebsprofi McDermott ist es gelungen, das deutsche Technologieunternehmen aus seinem Schönheitsschlaf zu rütteln. Mit Mitte 40, also im klassischen Alter der Midlife-Crisis, hat sich SAP nach anfänglichem Zögern auf eine Amour fou mit dem charmanten Verführer McDermott eingelassen. Und im Moment sieht es sogar ganz danach aus, als könnte eine glückliche interkulturelle Ehe daraus erwachsen.

McDermott hat der SAP-Truppe den Wachstumshunger zurückgegeben mit der ältesten Managementmethode der Welt: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Und am Ende kommt es wahrscheinlich gar nicht darauf an, seine ehrgeizigen Zahlen punktgenau zu erreichen – sondern es zunächst einmal zu versuchen.

McDermotts Vorstandskollege Michael Kleinemeier ist seit 30 Jahren bei SAP, er hat Höhen und Tiefen erlebt. Der ehemalige Deutschlandchef neigt nicht zur Hybris. Er sagt: „Bill ist sehr gut darin, ambitionierte Ziele zu setzen.“ Jetzt stelle sich nur die Frage, wie man diese erreiche.

Mitarbeit: Jens Münchrath