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Händler hadern mit der Steuersenkung

Die niedrigere Mehrwertsteuer macht den Kaufleuten viel Arbeit. Dabei ist der Effekt ungewiss – sowohl für die Läden als auch für die Konsumenten.

Es ist ein Versprechen, das in diesen Tagen viele Händler machen: „Wir geben die Senkung der Mehrwertsteuer uneingeschränkt an unsere Kunden weiter“, sagt Günter Helm, Chef der Drogeriekette Müller. Aber er schränkt ein: „Am Regal bleiben die Preise aus organisatorischen Gründen unverändert, an der Kasse gibt es dann den vollen Rabatt.“ Die Konsumenten würden in den Filialen umfangreich informiert, etwa durch Plakate und Durchsagen.

So wie Müller halten es viele Einzelhändler. Sie scheuen den Aufwand, alle Artikel neu auszuzeichnen. Gleichzeitig aber versuchen sie, die Konsumenten mit niedrigeren Preisen anzulocken. Mit einer befristeten Steuersenkung will die Bundesregierung den Konsum ankurbeln. Der Steuersatz wird vom 1. Juli bis 31. Dezember von 19 auf 16 Prozent gesenkt, der ermäßigte Satz von sieben auf fünf Prozent.

Schon seit Tagen haben die Ketten ihre Werbung hochgefahren. Vor allem im Lebensmittelhandel ist die Konkurrenz so groß, dass die Händler lautstark angekündigt haben, die Preise zu senken. Einige Filialisten, beispielsweise Globus oder der Discounter Netto Nord, ziehen die Preissenkung bereits auf den 29. Juni vor.

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Lidl hat die Preise schon am 22. Juni angepasst. Aldi setzt sogar noch einen drauf: Die Supermarktkette nahm die Preise des gesamten Sortiments um drei Prozent zurück – und zwar unabhängig davon, ob der jeweilige .Artikel dem vollen oder dem reduzierten Mehrwertsteuersatz unterliegt.

Die Händler belauern sich geradezu gegenseitig. Wenn sich einer bewegt, zieht der andere nach. So hat jetzt auch Rossmann eine pauschalen Rabatt von drei Prozent für alle Artikel angekündigt.

Die Steuersenkung könne eine Preisschlacht auslösen, prognostiziert deshalb Michael Gerling, Geschäftsführer des Handelsforschungsinstituts EHI. „Bei Markenartikeln oder Waren, bei denen der Kunde den Preis gut kennt, wie Butter oder Milch, könnte die Preissenkung sogar höher ausfallen als die Steuersenkung.“ Netto Nord hat genau das bereits versprochen: Viele dieser sogenannten Eckartikel würden im Preis runtergesetzt.

Es sei jedoch ausgeschlossen, dass Händler „die Preise mit dem Rasenmäher senken“, so Gerling. Es werde sicher auch viele Produkte geben, bei denen der Preis nicht sinke. „Für den Händler bedeutet das einen hohen administrativen Aufwand“, erklärt der Handelsexperte, „er muss für jeden Artikel den Preis neu kalkulieren.“

„Die Händler werden die Steuersenkung weitergeben, weil sie das als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Kunden sehen“, meint dagegen Timo Renz von der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner. Die Preise nicht zu senken sei gefährlich. Dann könnten die Kaufleute als raffgierig wahrgenommen werden.

Eine der größten Herausforderungen: Da nur ein Bruchteil der Händler über elektronische Preisschilder verfügt, müssen die meisten jedes Preisschild austauschen. „Alle Preisetiketten an den Regalen zu ändern wäre ein enormer Aufwand gewesen, das hätten wir nicht wirtschaftlich darstellen können“, sagt Christoph Werner, Chef der Drogeriekette dm.

Deshalb hat dm den gleichen Weg gewählt wie Konkurrent Müller: Die Steuersenkung wird an der Kasse abgezogen. „Der Vorteil der Rabattlösung ist, dass der Vorteil für die Kunden transparent auf dem Kassenzettel ausgewiesen wird“, sagt Werner. Das Unternehmen wolle dadurch „ein klares Signal für den Kunden setzen“ – und belegen, dass die Mehrwertsteuersenkung nicht durch versteckte Preiserhöhungen durchkreuzt wird.

Das Sortiment ist entscheidend

Herausforderungen sind die kurze Vorlaufzeit und die Tatsache, dass die Änderung nach sechs Monaten wieder rückgängig gemacht werden muss. „Wir haben mit der Rabattregelung den vorsichtigen Weg gewählt“, räumt der dm-Chef ein. Das Unternehmen habe auch geprüft, die Kassensoftware entsprechend zu verändern. „Aber das Risiko war uns zu groß.“

Ob die Mehrwertsteuersenkung am Ende zu mehr Umsatz führt, ist fraglich – und dürfte stark vom Sortiment abhängen. „Das Kundenverhalten ist sehr schwer zu prognostizieren. Ob die Kunden wegen der Mehrwertsteuersenkung wirklich mehr kaufen, können wir heute noch nicht sagen“, sagt der dm-Chef. „Wir gehen aber bei unserem Sortiment eher nicht davon aus, dass der Umsatz dadurch steigt, der Rabatt ist bei den Preisen ja überschaubar.“

Skeptisch ist auch Berater Werner. Ob einzelne Händler von der niedrigeren Steuer profitieren würden, hänge nicht zuletzt von der Werbung ab. „Gefragt sind jetzt vor allem clevere Ideen der Marketingabteilungen.“ Schließlich würden die Konsumenten bei Alltagsgütern kaum etwas sparen. Bei teuren Anschaffungen wie Autos oder Möbeln hingegen würden ohnehin mitunter Rabatte von 20 oder 30 Prozent gewährt.

Der Verbraucherzentrale-Bundesverband glaubt, dass die Konsumenten nur zum Teil profitieren werden. Die Verbraucherschützer fürchten, dass Unternehmen vieler Branchen die Maßnahme als „finanzielle Entlastung“ nutzen könnten. Sie kritisieren, dass die Käufer „auf den guten Willen der Unternehmen angewiesen sind“.

Martin Kerner vom Outdoor-Geschäft Basislager in Karlsruhe hofft geradezu auf ein Zeichen der Solidarität der Kunden. Wie viele Läden vor Ort ist auch das Basislager in einer schwierigen Lage nach der wochenlangen Schließung. „Wir favorisieren gerade die Variante, dass wir es dem Kunden überlassen, ob er seine drei Prozent – eigentlich sind es ja nur 2,52 Prozent – haben möchte oder nicht“, sagt der Kaufmann. „Auszeichnen werden wir nichts, wir ziehen das dann direkt an der Kasse ab.“ Es solle sich aber kein Konsument schlecht fühlen, wenn ihm die kleine Steuerermäßigung wichtig sei.

Im Januar wird's kritisch

Auch Tobias Schonebeck will pauschal drei Prozent Rabatt geben. „Das ist sehr viel einfacher und auch transparenter als eine verschwommene Preisdarstellung oder Mischkalkulation“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter des Traditionshauses Schäffer in Osnabrück. „Da die drei Prozent nicht wirklich geeignet sind, um den Konsum anzukurbeln, werden wir punktuell besondere Aktionen einschieben und für bestimmte Zeiträume auf bestimmte Produkte, Marken oder Warenbereiche den Konjunkturbonus verdoppeln.“ Schonebeck hat sich auf edles Geschirr und Gläser, auf Küchenutensilien und Spielzeug spezialisiert.

Allerdings sei es gar nicht so einfach mit dem Pauschalrabatt an der Kasse. „Uns machen die ersten Lieferanten einen Strich durch die Rechnung und geben zum 1. Juli neue Preislisten mit gesenkter unverbindlicher Preisempfehlung raus“, klagt der Kaufmann. Das würde dann zu doppelten und dreifachen Steuergeschenken führen.

Eines der größten Probleme der lokalen Händler wird mit der Steuersenkung nicht gelöst: Die vielen Beschränkungen wegen der Coronapandemie. Berater Renz: „Das Einkaufserlebnis geht mit den Masken gerade verloren.“ Unbeschwert shoppen wie früher, das geht momentan nicht.

Dazu kommt: Die Aussichten sind mau. „Sollte die Steuer im Januar wieder steigen, wird das ein furchtbarer Monat“, sagt Renz voraus.