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Warum eine Gruppe von US-Millionären mehr Steuern für Reiche fordert

Die Patriotic Millionaires vereinen mehr als 100 Multimillionäre – und wollen mehr Steuern zahlen. Warum, erklärt der Chairman der Gruppe im Interview.

Morris Pearl hat seine Millionen an der Wall Street gemacht, zuletzt als Managing Director des größten Vermögensverwalters der Welt, Blackrock. Im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt er, warum er als Chairman der Patriotic Millionaires höhere Steuern für sich und seine Millionärsfreunde fordert, warum Ungleichheit eine Gefahr für die Gesellschaft und die Wirtschaft ist und warum Philanthropie nicht die Lösung sein kann.

Herr Pearl, wie geht es Ihnen finanziell?
Ich bin 2014 bei Blackrock in Rente gegangen. Seitdem lebe ich von dem Geld, das ich mit meinen Investments mache. Meine Steuerquote liegt bei weniger als 20 Prozent. Das ist weniger, als die meisten arbeitenden Amerikaner zahlen. Das liegt daran, dass die Menschen, die Geld mit dem Handel von Aktien machen, eine niedrigere Steuerquote haben als jene, die arbeiten, um zu leben.

Die Patriotic Millionaires wollen mehr Steuern zahlen. Das ist gegen ihre eigenen Interessen. Warum?
Es ist nicht so, dass ich persönlich mehr Steuern zahlen will. Was ich will, ist ein System, in dem reiche Menschen mehr Steuern zahlen als jene, die arbeiten, um zu leben, und nicht umgekehrt. Ich sehe um mich herum, wie die Ungleichheit zunimmt. Und ich habe den Eindruck, dass die Menschen das nicht mehr so hinnehmen.

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Wieso?
Wir sehen bereits Proteste in diesem Land. Und das liegt nicht nur daran, dass in Minneapolis eine Person ermordet wurde. Das liegt daran, dass Millionen Menschen das Gefühl haben, sie werden als Bürger zweiter Klasse behandelt. Und sie haben damit recht. Hier in den USA zahlen die arbeitenden Menschen viel mehr Steuern als die Reichen. Das bedeutet, dass die Reichen reicher und reicher werden. Und alle anderen bleiben am Rande liegen.

Was hat sich unter dem Präsidenten Donald Trump geändert?
Unter Trump ist die Steuerquote für die höchsten Einkommen deutlich gesunken. Das hat die Ungleichheit noch mehr verstärkt in diesem Land, weil die Reichen reicher und reicher wurden. Die anderen sind arbeitslos und nicht in der Lage, Dinge zu kaufen. Und das ist für niemanden gut: nicht für die Arbeitslosen und auch nicht für die Geschäftsleute und die Investoren.

Warum ist das ein Problem für die Unternehmen und Investoren?
Als Geschäftsperson oder Investor verdienen Sie kein Geld in einem Ort mit vielen armen Leuten. Sie verdienen Geld an einem Ort, wo es Menschen gibt, die sich Dinge leisten können. Unsere Mitglieder der Patriotic Millionaires haben ihr Geld damit verdient, teure biologische Lebensmittel zu verkaufen oder teure Schuhe oder teure Eiscreme. Wir wollen Unternehmen dort aufbauen, wo die Menschen ihre Miete und ihre iPhone-Rechnungen zahlen und all die anderen Dinge, die uns helfen, reich zu werden.

Sind niedrige Steuern etwa nicht gut für Unternehmen?
In den USA entstehen neue Unternehmen hier in New York und in Kalifornien. Das sind Orte mit vielen gut verdienenden Menschen, die höhere Steuern zahlen. Keiner sagt: „Oh, lasst uns ein Unternehmen in Kansas gründen, weil dort die Steuern niedrig sind." Das liegt daran, dass die meisten Menschen nicht in Kansas leben wollen: Die Steuern sind zwar niedrig. Aber sie haben keine guten Schulen und Krankenhäuser, wie wir sie hier in New York haben. Deshalb wollen wir, dass unsere Regierungen genug Geld haben.

Wie hat sich die Ungleichheit durch Corona verändert?
Die Ungleichheit ist definitiv schlimmer geworden mit Corona. Die sehr Reichen sind reicher und reicher. Auch Menschen wie ich: Ich besitze Amazon-Aktien. Ich bin heute wohlhabender als bei meinem Renteneintritt. Und ich habe in der Zwischenzeit ziemlich viel Geld ausgegeben! Die Wohlhabendsten unter uns – Menschen wie Herr Bezos oder Herr Gates oder Herr Zuckerberg – sind heute viel wohlhabender als zu dem Zeitpunkt, als die Coronakrise begonnen hat. Gleichzeitig sind aber Millionen Menschen überall im Land arbeitslos. Menschen, die in Nagelstudios, in Restaurants oder im Theater oder bei Sportveranstaltungen gearbeitet haben. Denen geht es viel schlechter.

Trump argumentiert, dass alle Amerikaner durch ihre Pensionspläne vom Boom an den Aktienmärkten profitieren. Stimmt das nicht?
Es stimmt für fast die Hälfte des Landes. Aber es stimmt nicht für die andere Hälfte. Hier in den USA hat die Mehrheit der Menschen überhaupt keine Aktien; sie haben nichts davon, wenn die Börsen boomen. Außerdem hält die große Mehrheit jener, die an den Börsen investiert sind, nur einen geringen Anteil der Aktien. Der Großteil der Aktien gehört den Wohlhabendsten im Land.

Ungleichheit war in den USA auch lange eine Motivation und ein gewisser Erfolgsfaktor, weil viele Millionär werden wollten. Ist das immer noch so?
Ich glaube, das ist ein Bild, das ein paar wenige Reiche gerne zeichnen für unser Land. Es gibt natürlich viele Menschen, die Millionär werden wollen. Aber das trifft auch für Großbritannien oder Deutschland zu. Aber das ist nicht der Grund dafür, dass Menschen tatsächlich vermögend werden. Wenn Sie sich anschauen, wer extrem wohlhabend wird, dann sind das mehrheitlich Menschen, die einfach große Vermögen von ihren Eltern und Großeltern erben, oder Hedgefonds-Manager in der Finanzwelt.

Und die Gründer?
Die Menschen, die in den USA erfolgreich Unternehmen gründen, sind alles Menschen, die etwas im Rücken haben, falls sie fallen. Mister Gates, Mister Zuckerberg und Mister Bezos waren alles Menschen, die Hunderttausende Dollar von ihren Eltern als Starthilfe bekommen haben, als sie ihre Unternehmen gegründet haben. Es ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich für eine Durchschnittsperson in den USA, so ein Unternehmen zu gründen. Das Risiko ist enorm, falls sie scheitern. Es ist einfacher in Ländern wie Deutschland oder in Skandinavien, wo es ein Sicherheitsnetz gibt, das einen auffängt, falls man scheitert.

Der Gini-Index für soziale Ungleichheit ist in den USA weiter gestiegen. Wann wird das gefährlich?
Es ist heute schon gefährlich. Die Ungleichheit ist der Grund für die jüngsten Proteste und Ausschreitungen. Wir haben steigende Ungleichheit in anderen Ländern beobachtet: Südafrika in den 70ern und 80ern, wo sie institutionalisierte Ungleichheit hatten. Das ist nicht gut ausgegangen für die Reichen.

Die Black-Lives-Matter-Proteste sind also eine Reaktion auf die Ungleichheit und nicht nur auf den Rassismus der Polizei?
Hier in den USA basiert ein Teil unserer Ungleichheit auf Rasse. Ja, es ist ein großes Problem, dass einige Menschen sogar ermordet wurden. Aber das größere Problem ist, dass einige Menschen als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Wir hatten hier in den USA lange legalisierten Rassismus, auch als ich ein Kind war. Es gab Gesetze, die Schwarze und Weiße trennten. Auch auf mein Leben hat das einen Einfluss.

Inwiefern?
Ein Grund dafür, dass es mir so gut geht, ist, dass meine Eltern mich unterstützt haben. Und ein Grund, dass sie das tun konnten, ist, dass sie in den 50er-Jahren staatliche Unterstützung für ihren Hauskredit bekamen. Und das war damals per Gesetz nur in rein weißen Vierteln möglich. Das war bis in die 60er-Jahre so. Und heute, 50 Jahre später, geht es den Kindern dieser Weißen viel besser als den Kindern der Schwarzen. Viele Menschen, die protestieren, merken das. Sie wissen vielleicht nicht genau, warum. Aber sie merken, dass es den Weißen viel besser geht als den Schwarzen.

Die größten Gefahren sind also gewaltsame Proteste und die fehlende Kaufkraft der Armen?
Ja, aber es ist auch eine Frage der Gesellschaft. Ich möchte nicht leben wie in einem Dritte-Welt-Land, wo Menschen hinter hohen Mauern mit Stacheldraht leben und gepanzerte Autos fahren. Ich war an diesen Orten. Dort will ich nicht meine Kinder oder jetzt mein Enkelkind aufwachsen lassen.

Welcher der beiden Kandidaten hat das bessere Programm?
Wir glauben, dass die Demokraten mit Abstand das bessere Programm haben, um die Ungleichheit zu reduzieren. Biden wird die Steuern für die Reichen erhöhen – Menschen, die mehr als 400.000 Dollar im Jahr verdienen. Das ist ein Start, Ungleichheit zu reduzieren. Außerdem will er die Steuern auf Gehalt und die Steuern auf Investmenteinkommen angleichen. Das wird einen großen Unterschied machen.

Ärmere Menschen werden also unter Biden besser fahren?
Ich glaube, langfristig werden auch die Reichen besser unter ihm fahren. Das derzeitige System ist nicht nachhaltig. Das derzeitige System ist daher weder für Arme noch für Reiche gut.

Weil auch Reiche Menschen brauchen, die Produkte kaufen können?
Ja, genau. Ich sage nicht, dass ich in einem Jahr reicher bin, wenn Herr Biden Präsident wird. Aber meine Kinder und Enkel werden in einem besseren Land leben, wenn sie in einem Land leben, in dem Herr Biden Präsident wird.

Viele Millionäre in den USA wie Bill Gates und Warren Buffett spenden ihr Geld. Ist das keine Lösung? Sie zahlen wenig Steuern, geben ihr Geld aber dann doch für die Armen aus?
Nein. Erstens ist die Menge des Geldes nur ein Bruchteil dessen, was sie an Steuern zahlen würden. Außerdem kann man ein Land nicht regieren, indem jede Person selbst entscheidet, wofür er oder sie Geld ausgibt. Es ist sehr einfach, Geld für eine neue Konzerthalle einzusammeln. Aber es ist nicht so einfach, Geld für Schulen in armen Gegenden einzusammeln oder für eine Kläranlage – Dinge, die nicht so aufregend sind. Wir müssen die Entscheidungen gemeinsam treffen. Das nennt sich Demokratie. Philanthropie kann den Staat nicht ersetzen.

Halten Ihre Wall-Street-Kollegen Sie für verrückt, weil Sie sich bei den Patriotic Millionaires engagieren?
Nein. Die meisten denken so wie ich. Sie realisieren, dass das System instabil ist, und sie sorgen sich, in welche Richtung das Ganze geht. Immer mehr Menschen diskutieren progressive Vorschläge, wie etwa Elizabeth Warren und Bernie Sanders sie vorgelegt haben. Als Warren in New York war, sind Tausende gekommen, um sie zu hören. Sie wollte ein paar Minuten sprechen und blieb fünf Stunden. Die Leute standen Schlange, um sich mit ihr fotografieren zu lassen. Ideen, die einst als Randgruppen-Ideen galten, sind mittlerweile Teil des Mainstreams geworden in unseren Gesprächen.