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Grundeinkommen in Italien: Die Geschichte eines Flops

Das Grundeinkommen der gescheiterten Populistenregierung funktioniert nicht: Es bringt keinen Anreiz, eine Stelle zu suchen – und es häufen sich Betrugsfälle.

Das Grundeinkommen wurde von Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführt. Foto: dpa/picture alliance
Das Grundeinkommen wurde von Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführt. Foto: dpa/picture alliance

Mit seinem Porsche Macan kurvte Paolo N. durch die Straßen von Siracusa auf Sizilien und geriet in eine Kontrolle der Finanzpolizei. Diese fand Kokain und 600 Euro Bargeld im Auto und durchsuchte daraufhin die Wohnung des 41-Jährigen. Dort fand sie noch mehr Drogen und 1000 Euro Bargeld. Paolo N. landete im Gefängnis.

Die Geschichte des Dealers wurde Anfang des Monats in allen Medien in Italien verbreitet, mit Foto und Klarnamen, denn Paolo N. ist ein Bezieher des Grundeinkommens, das die Populistenregierung von Lega und Fünf Sternen 2018 eingeführt hatte. Für das Nationalinstitut für Soziale Fürsorge (Inps), das für die Verwaltung zuständig ist, war Paolo N. bedürftig. Er bekam deshalb 500 Euro im Monat vom Staat.

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Es ist bei Weitem nicht der einzige Betrugsfall. Erst am Freitag flog ein 70-Jähriger Mann in Rimini auf, der Besitzer eines ehemaligen Hotels war und auch das Grundeinkommen bezog. Er hatte „vergessen“, beim Antrag den Besitz der Immobilie anzugeben und vorsorglich auch noch eine falsche Adresse angegeben. Doch die Finanzpolizei fand ihn, und das Staatsgeld wurde gestrichen. Das bisher erhaltene Geld muss er zurückzahlen.

Das „Reddito di cittadinanza“, das an Bedingungen gekoppelte Grundeinkommen, war eines der beiden Wahlgeschenke der Regierung von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung, die in diesem August nach 15 Monaten scheiterte.

Das andere ist die Aufhebung der Rentenreform und damit das Kippen des späteren Renteneintrittsalters, das die Lega wollte – zwei für den Staatshaushalt kostspielige Maßnahmen, die die neue Regierung im Haushaltsentwurf nicht angerührt hat. Die Vorgänger hatten 17 Milliarden Euro für das Grundeinkommen eingepreist, allein dieses Jahr 6,1 Milliarden.

Grundeinkommen ist zu hoch für den Süden

Ökonomen halten das Grundeinkommen für einen Flop. Denn es gibt nicht nur Betrug, sondern die Maßnahme hat nicht den Effekt, der beabsichtigt war: Es bringt die Bezieher nicht in Arbeit, im Gegenteil. „Das Grundeinkommen ist eher ein Problem als eine Lösung“, meint die Ökonomin Giovanna Labartino vom Researchinstitut des Industriellenverbands Confindustria, „denn der großzügige Transfer von Geldern bietet keinen Anreiz zur Arbeitssuche“. Und ein zweiter Aspekt käme hinzu: „Es begünstigt die Schwarzarbeit.“

Sie macht eine einfache Rechnung auf: 780 Euro netto erhält ein Single, zum Beispiel in Neapel, wo besonders viele Anträge gestellt wurden. Bekommt er nun ein Arbeitsangebot für 300 Euro, würde ihm das abgezogen, also bekäme er noch 480 Euro Grundeinkommen. Warum sollte er also arbeiten? Vor allem in einer Stadt, in der es kaum Jobs gibt.

Unternehmer bringen die Kritik auf den Punkt. „Ich finde wegen des ‚Fünf-Sterne-Bürgereinkommens‘ keine Arbeitskräfte mehr“, sagte der Unternehmer Bachisio Ledda in einer TV-Talkshow. Heute verdiene ein Angestellter bei ihm rund 700 Euro im Monat, so der Chef von Mail Express Group, einem Post-Auslieferdienst. „Mit dem Staatsgeld bleibt er vielleicht lieber zu Hause und macht ein bisschen Schwarzarbeit nebenher.“

Confindustria warnt, dass das Grundeinkommen von 780 Euro zu hoch sei im Vergleich zu den Gehältern der unter 30-Jährigen im Süden, wo eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Europa zu verzeichnen ist. Nach Confindustria-Schätzungen betrage der Durchschnittslohn 740 Euro im Monat, also nur 40 Euro weniger als die Staatshilfe.

Wie einen heiligen Gral hatte der Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio im Februar in einer Glasglocke die simple gelbe Scheckkarte präsentiert, mit der die Bezieher des Grundeinkommens Geld am Automaten oder bei der Post abheben oder direkt im Supermarkt einkaufen können. Damit sollte der Konsum angekurbelt werden. „Wir helfen dem schwachen und unsichtbaren Italien“, twitterte Di Maio zufrieden. Rund fünf Millionen Menschen leben in Italien unter der Armutsgrenze. Die Regierung sprach damals davon, 3,5 Millionen Italiener zu erreichen.

Transparenz beim Antragsteller

Um das Staatsgeld zu bekommen, das für eine vierköpfige Familie 1280 Euro beträgt, wird die finanzielle Situation abgefragt: Sparguthaben, Familienvermögen, Grundbesitz. Die Unterstützung wird zunächst 18 Monate gezahlt, und die Empfänger müssen sich verpflichten, Jobangebote anzunehmen, die ihnen in den Arbeitsvermittlungszentren angeboten werden sollen. Lehnen sie dreimal ab, wird das Grundeinkommen gestrichen.

Aber die Arbeitsvermittlung klappt nicht. Es gibt zu wenig Jobcenter, und es gibt einfach keine Stellenangebote. Die sogenannten „Navigatoren“, die die Arbeitsangebote vermitteln sollen und die umständlich im Sommer landesweit per Wettbewerb ausgesucht wurden, fangen gerade erst mit ihrer Arbeit an. Oder auch nicht: In der Region Kampanien rund um Neapel streiten sich die Behörden, wer den Vertrag der 471 Navigatoren dort aufsetzt und wer sie bezahlt.

Mittlerweile sind die ersten Statistiken da. Zum Stichtag 7. November gab es laut Inps 1,579 Millionen Anträge, von denen 1,021 Millionen angenommen wurden, 130.409 in Bearbeitung waren und 427.572 abgelehnt wurden. Eingeschlossen sind 2,230 Millionen Familienmitglieder. Die Nachfrage blieb also unter den Erwartungen der damaligen Regierung.

Und, keine Überraschung, die meisten Anträge kamen aus dem Süden, wo die Arbeitslosenrate der Jugendlichen und der Frauen weit über Landes- und EU-Durchschnitt liegt. Die Regionen Kampanien, Kalabrien und Sizilien liegen an erster Stelle. Bei den Städten liegt Neapel an der Spitze mit 100.416 Beziehern, dann folgen Rom mit 54.000, Palermo mit 46.500, Catania mit 35.000, Turin mit 30.000 und Mailand mit 29.500.

„Statt die arbeitssuchenden Menschen anzusprechen, geschieht durch das Grundeinkommen das Gegenteil: Sie werden vom Arbeitsmarkt ferngehalten“, ist das Fazit des gerade veröffentlichten Jahresberichts von Svimez, einem Forschungsinstitut für die Förderung der Industrie im italienischen Mezzogiorno. Der Süden gerate dieses Jahr in die Rezession, heißt es da, und habe seit 2008 bereits 295.000 Arbeitsplätze verloren. Es fehlten Investitionen.

Soziales Experiment

Drastischer ist das Urteil der Medien. „Heute ist diese größte jemals angedachte soziale Revolution der Welt zu einer Art Trinkgeld geworden“, schreibt ironisch ein Leitartikler der Zeitung „Il Giorno“. „400 Millionen Euro im Monat werden weggeschmissen für ein soziales Experiment, das bereits gescheitert ist. Das ist viel in einem Land, wo es schwer ist, 100 Millionen zu finden, damit Alitalia noch ein paar Monate fliegt.“

Premier Giuseppe Conte, der zum zweiten Mal Regierungschef an der Spitze einer neuen Koalition ist, verteidigt die Maßnahme: „Das Grundeinkommen kann man nicht nach so kurzer Zeit beurteilen, das muss man auf lange Sicht hin sehen.“ Doch Oppositionspolitiker kritisieren, das Grundeinkommen sei bloß eine Kampagne der Fünf-Sterne-Bewegung gewesen, um Stimmen zu fangen. Und im Gegensatz zur Lega ist sie weiterhin in der Regierungskoalition.

Der Ökonom Tito Boeri, der bis zum Start der Populistenregierung im Juni 2018 Inps-Präsident war, macht auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: Einwanderer aus Nicht-EU-Länder, die mehr als zehn Jahre in Italien leben, haben theoretisch Anrecht auf das Grundeinkommen. Sie würden aber praktisch ausgeschlossen, so Boeri, da sie beim Antrag Dokumente aus ihren Herkunftsländern präsentieren müssten, die sie unmöglich bekommen könnten. Presseberichte sprechen von bewusster Schikane. Einwanderer bilden eine von vier armen Familien in Italien. „Da tickt eine Zeitbombe“, sagt Boeri.