Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    17.917,28
    -171,42 (-0,95%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.939,01
    -50,87 (-1,02%)
     
  • Dow Jones 30

    37.915,43
    -545,49 (-1,42%)
     
  • Gold

    2.342,40
    +4,00 (+0,17%)
     
  • EUR/USD

    1,0722
    +0,0021 (+0,19%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.883,46
    -407,05 (-0,68%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.381,62
    -0,96 (-0,07%)
     
  • Öl (Brent)

    82,48
    -0,33 (-0,40%)
     
  • MDAX

    26.043,18
    -302,89 (-1,15%)
     
  • TecDAX

    3.266,76
    -32,84 (-1,00%)
     
  • SDAX

    13.995,77
    -211,86 (-1,49%)
     
  • Nikkei 225

    37.628,48
    -831,60 (-2,16%)
     
  • FTSE 100

    8.078,86
    +38,48 (+0,48%)
     
  • CAC 40

    8.016,65
    -75,21 (-0,93%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.489,98
    -222,77 (-1,42%)
     

GroKo weitet digitale Überwachung aus – BKA kündigt Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation an

Unter Union und SPD hat die digitale Überwachung deutlich zugenommen. Die Polizei spricht von notwendigen Maßnahmen. Doch Datenschützer sind alarmiert.

Die Große Koalition hat dem Staat in den vergangenen Jahren immer mehr und neue Zugriffsrechte zur digitalen Überwachung verschafft. Der Verfassungsschutz verschickte demnach im ersten Halbjahr 2018 etwas mehr als 103.000 sogenannte stille SMS zur Ortung von Handys – fast doppelt so viele wie vor vier Jahren. Das geht aus einer Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Handelsblatt vorliegt. Das Bundeskriminalamt setzt zudem verstärkt Funkzellenabfragen ein. Dabei wird eine Liste aller Handys angefordert, die in der Nähe eines Tatorts angeschaltet waren.

„Es kann nicht sein, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist. Wir müssen Bürger und Unternehmen schützen“, begründete BKA-Chef Holger Münch die Maßnahmen im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Dazu gehört, dass wir auch in der Lage sein müssen, in diesem Raum zu ermitteln.“ Und die Sicherheitsbehörden wollen noch mehr: Um auf verschlüsselte Kommunikation von beliebten Messengerdiensten wie WhatsApp zugreifen zu können, hat das BKA eine eigene Software, den „Staatstrojaner“, entwickelt.

Kritiker wie Rolf Gössner sehen den Überwachungsboom mit Sorge. Als einer von fünf Beschwerdeführern reicht der Rechtsanwalt und Publizist aus Bremen mit dem Datenschutzverein „Digitalcourage“ vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen den „Staatstrojaner“ ein.

Gössner weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, überwacht zu werden. Als Linksaktivist geriet er selbst ins Visier des Verfassungsschutzes, 38 Jahre lang wurde er beobachtet. Zu Unrecht, wie zuletzt das Oberverwaltungsgericht Münster urteilte.

WERBUNG

Der Fall Gössner ragt hervor, weil der Jurist sehr lange im Fokus der Sicherheitsbehörden stand. Gleichwohl wirft er ein Schlaglicht darauf, wie immer stärker von digitaler Überwachungstechnologie Gebrauch gemacht wird. Die Sicherheitsbehörden fürchten, vom technologischen Fortschritt abgehängt zu werden, und weiten ihre Befugnisse immer weiter aus.

Rasanter Anstieg der „stillen SMS“

Datenschützer sorgen sich hingegen über die schrittweise Aushöhlung von Grundrechten und den Aufbau eines Überwachungsstaates. Tatsächlich hat die digitale Überwachung unter der Großen Koalition deutlich zugenommen. Wie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken zeigt. Demnach hat besonders die Ortung von Handys zugenommen.

Mithilfe heimlich verschickter Kurznachrichten können Sicherheitsbehörden orten, wo sich Mobiltelefone befinden, und Bewegungsprofile erstellen. Die Nachrichten werden auf dem Display des Empfängers nicht angezeigt, das Telefon bestätigt jedoch unbemerkt den Eingang der SMS.

Auch das BKA nutzte das Mittel der „stillen SMS“ zuletzt immer öfter. Beim Bundeskriminalamt nahm die digitale Überwachung von knapp 24.000 heimlich verschickten SMS im ersten Halbjahr 2017 auf fast 31.000 im ersten Halbjahr 2018 zu. Seit August darf das BKA zudem im großen Umfang die Daten von Flugpassagieren sammeln, die von Deutschland aus ins Ausland fliegen, in Deutschland landen oder zwischenlanden.

Dazu gehören etwa Namen und Adressen der Passagiere und die Information, mit wie viel Gepäck jemand gereist ist. Diese Daten darf das BKA dann bis zu fünf Jahre speichern. Diese Beispiele zeigen: Unter Union und SPD hat sich der deutsche Staat immer mehr Zugriffsrechte im Digitalen verschafft.

Doch der Überwachungseifer wird immer wieder vor Gerichten angegriffen, wie nicht nur die Debatte um den Staatstrojaner, sondern auch der vorläufige Stopp der Vorratsdatenspeicherung belegt. Im April hatte das Verwaltungsgericht Köln geurteilt, dass das erst 2015 neu aufgelegte deutsche Gesetz zur Speicherung von Verbindungsdaten nicht mit europäischem Recht vereinbar ist.

BKA-Chef Münch hat dafür kein Verständnis. „Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung“, sagte er. „So haben wir im vergangenen Jahr rund 8.400 Verdachtsfälle von Kinderpornografie einstellen müssen, weil die nicht mehr gespeicherte IP-Adresse der einzige Ermittlungsansatz war.“

Doch den Sicherheitsbehörden sind die Bedenken der Bevölkerung bewusst. BKA-Chef Münch betont daher, dass der Staatstrojaner nur sporadisch eingesetzt werden soll. „Wir leben im Zeitalter verschlüsselter Kommunikation“, sagte er. „Bei besonders schweren Straftaten muss es im Einzelfall und auf Grundlage einer richterlichen Anordnung möglich sein, sie zu überwachen.“

Kritik von Datenschützern

Wegen der Verbreitung von Verschlüsselungstechnologien sei es von großer Bedeutung, dass Ermittler auch auf diese Weise auf geschützte Daten zugreifen könnten. Klar sei aber auch, so Münch: „Solche Instrumente müssen höchste Sicherheitsstandards erfüllen, damit deren Ergebnisse vor Gericht als Beweismittel zugelassen werden.“

Kritiker dürfte das kaum beruhigen. Die zunehmende Nutzung digitaler Überwachungstechniken folge einem langfristigen Trend, dessen Ende nicht absehbar sei, sagt der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar. „Unter dem Aspekt des Schutzes von digitalen Grundrechten und Bürgerrechten ist diese Entwicklung bedrohlich.“

So gesehen ist es auch wenig überraschend, dass die „Funkzellenabfragen“ der Behörden stark zugenommen haben. Dabei fordern die Ermittler, wenn sie einem Verdächtigen nicht auf die Spur kommen, eine Liste aller Handys an, die in der Nähe des Tatorts eingeschaltet waren.

Das Bundeskriminalamt setzte in der ersten Jahreshälfte 2018 insgesamt 20 Funkzellenabfragen ein, vier Jahre zuvor waren es drei. Die Bundespolizei machte 64-mal von dem Fahndungsinstrument Gebrauch und damit auch mehr als vor vier Jahren (unter 50). Das Problem: Bei der Abfrage gehen nicht nur die Daten der Verdächtigen ins Netz, sondern als Beifang auch die von Unbeteiligten.

Der Linksfraktionsabgeordnete Andrej Hunko, der die Zahlen abgefragt hat, spricht von einem „regelrechten elektronischen Spitzelapparat“, der sich oft in einer rechtlichen Grauzone bewege und auch parlamentarisch nur schwer zu kontrollieren sei.

Dagegen verteidigt der Geheimdienstexperte der Unions-Bundestagsfraktion, Patrick Sensburg (CDU), das rege Überwachungsinteresse mit der zunehmenden Terrorbedrohung. Es gebe mehr Personen, die wegen der Gefahr, Anschläge zu begehen, überwacht werden müssen, sagte Sensburg dem Handelsblatt. „Wir müssen von unseren Polizeibehörden erwarten können, dass sie wissen, wo Gefährder sich aufhalten.“

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, trat zugleich dem Eindruck entgegen, die digitale Überwachung könnte einer „gläsernen Gesellschaft“ Vorschub leisten. „Die Polizei muss immer konkrete Tatsachen für eine Gefahr oder Straftat haben, um überhaupt ermitteln zu können“, betonte er. Zudem müsse ein Gericht diesen Maßnahmen zustimmen.