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Die große Entfremdung: Wie Trump das deutsch-amerikanische Verhältnis nachhaltig schädigt

Die transatlantischen Beziehungen haben sich unter Trump massiv verschlechtert. Sollte Joe Biden die Wahlen gewinnen, würde sich zwar der Tonfall ändern – doch Konflikte bleiben.

Der erste Gruß, den das Weiße Haus nach Donald Trumps Entlassung aus der Klinik verschickte, ging an Deutschland. Der US-Präsident gratulierte zum „German-American-Day“ am 6. Oktober, der die 45 Millionen US-Bürger mit deutschem Einwanderungshintergrund würdigt. Trump ist einer von ihnen, stammt doch sein Großvater Fred aus der Pfalz.

Doch die freundliche Geste kann über die transatlantische Entfremdung nicht hinwegtäuschen. Seit zweieinhalb Jahren war Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr in Washington. Der spärliche Kontakt ist nicht nur mit der Corona-Pandemie zu erklären, denn die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA haben sich unter Trump rapide verschlechtert.

Die Transatlantikexpertin Constanze Stelzenmüller von der Washingtoner Denkfabrik Brookings spricht von einem „sehr persönlich grundierten Animus“, den der Präsident gegen Deutschland hegt. Auch Trumps Ex-Sicherheitsberater John Bolton beschreibt eine „negative Obsession des US-Präsidenten mit Deutschland“.

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Die Ablehnung hat tiefe Spuren hinterlassen, die auch die Zeit nach den Präsidentschaftswahlen in Washington prägen dürften. Dokumentiert sind unzählige Auslassungen, auf Twitter oder Wahlkampfbühnen, gegen deutsche Exporte, das Verteidigungsbudget, die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 oder Merkels Flüchtlingspolitik. „Die Zukunft gehört nicht den Globalisten, sondern den Patrioten“, bekräftigte Trump im vergangenen Jahr vor den Vereinten Nationen. Merkel hörte von den hinteren Reihen im Saal zu.

In diesem Jahr fand die Vollversammlung nur virtuell statt, doch die ideologischen Gräben sind geblieben. Außenpolitisch fallen die USA als treibende Kraft für Kompromisse aus. Und der Durchlauf im diplomatischen Apparat macht selbst simple Absprachen schwer.

Der Bruch zwischen den USA und Deutschland

„Es gab Personen an wichtigen Schaltstellen, die traf man einmal, und beim nächsten Meeting waren sie schon wieder weg“, sagt Peter Beyer, Transatlantikkoordinator der Bundesregierung und CDU-Bundestagsabgeordneter. „Ein viel größeres Problem aber war das fehlende Feingefühl im Miteinander an oberster Stelle, seitens des Präsidenten oder auch des Ex-Botschafters Richard Grenell“, so Beyer.

Trumps Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen und dem Iran-Atomdeal waren erste, frühe Affronts seiner Amtszeit. Danach wurde es schlimmer. Seit Verteidigungsminister James Mattis zurücktrat, gibt es keinen prominenten Transatlantiker mehr in der US-Regierung. In seinem Abschiedsbrief legte Mattis nahe, er habe einen „respektvollen Umgang mit Verbündeten“ vermisst.

Im Rückblick kann man 2018 als Jahr des Bruchs bezeichnen. Die damals neue Botschafterin in Washington, Emily Haber, saß im Studio von CNN-Moderator Wolf Blitzer, der eine Trump-Beleidigung gegen Deutschland nach der anderen vorlas. „Wir sollten die Lage danach bewerten, was am Ende herauskommt“, sagte Haber nüchtern. Doch Washington zeigte immer weniger Interesse an einer Verständigung.

Im Herbst griff Trump Deutschland wegen Nord Stream 2 auf dem UN-Gipfel in New York an. Einmal bezeichnete Trump die EU als einen Feind der USA. „Da war für mich eine Grenze überschritten“, erinnert sich Beyer. „Dass der wichtigste Politiker der Welt so verantwortungslos mit Sprache umgeht, hat mich schockiert.“ Die Signale aus Washington wurden immer irritierender. „Was ist verlässlich, worauf gehen wir ein?“

Der Handelskrieg verdeutlicht die Probleme

Mit dem Handelskrieg überrumpelte der Präsident auch seine eigenen Leute, jeder Versuch einer diplomatischen Strategie war so unmöglich. Dass die Strafzölle mit dem Schutz der nationalen Sicherheit begründet wurden, war ein Paradigmenwechsel – und eine Kampfansage an jahrzehntelange Allianzen.

Für eine Weile schien man das in Berlin nicht wahrhaben zu wollen. Als Wirtschaftsminister Peter Altmaier im März 2018 in die USA reiste, verbreitete er gute Stimmung und schwärmte von einem Frühstück mit Trumps Handelsminister Wilbur Ross.

Man habe sich „keine Konfitüre-Döschen an den Kopf geworfen“, scherzte er und betonte: „Ich halte eine Lösung für erreichbar.“ Merkel flog im April nach Washington, sie hatte die Initiative für einen Arbeitsbesuch ergriffen. „Unterschiedliche Blickwinkel“ hätten die USA und Deutschland zuweilen, sagte sie bei einem Auftritt mit Trump, doch die Beziehungen seien „von existenzieller Wichtigkeit“.

Wenige Wochen später verhängten die USA Strafzölle auf Stahl und Aluminium, die EU reagierte mit Vergeltungszöllen. Zwei Nationen, die einst durch Marshallplan und Mauerfall verbunden waren, tauschten von nun an Listen mit Zöllen auf Rohre, Backöfen und Orangensaft aus. Deutsche Wirtschaftsbosse, die Trump noch zu Beginn wegen seiner Steuerpolitik gefeiert hatten, waren entsetzt. „Ein lausiger Ansatz für fairen Handel“, twitterte Siemens-Chef Joe Kaeser.

Der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Trump besiegelten per Handschlag einen Kompromiss. Doch die Gespräche wurden nie offiziell aufgenommen, das Weiße Haus drohte mit Autozöllen. Im Dezember reiste eine Gruppe deutscher Autobosse in einer ungewöhnlichen Aktion nach Washington, um mit dem Präsidenten direkt zu verhandeln. Dass die Autozölle bislang nicht verhängt wurden, gilt als rarer Erfolg im Handelskonflikt.

Eklat auf dem G7-Gipfel

Auch außenpolitisch war 2018 das Jahr, in dem die Spaltung des Westens offen hervortrat. Trump ersetzte US-Außenminister Rex Tillerson mit dem Hardliner Mike Pompeo und seinen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster mit dem „Falken“ Bolton. Vergeblich bemühten sich Macron und Merkel um eine Rettung des Iran-Atomabkommens. Auf dem G7-Gipfel in Kanada hielt es der US-Präsident keine 24 Stunden aus und prangerte an: „Wir sind das Sparschwein, das alle ausrauben können.“

Eine Bildaufnahme des Hamburger Fotografen Jesco Denzel ging damals um die Welt. Mit beiden Händen stützt sich Kanzlerin Merkel auf einem schmalen Tisch ab, hinter dem sich Trump auf einem Stuhl verschanzt hat, die Arme verschränkt und mit fast teilnahmslosem Blick.

Dicht um Merkel gedrängt stehen die anderen Staats- und Regierungschefs, ratlos und erschöpft. Der inzwischen verstorbene republikanische Senator John McCain twitterte nach dem Gipfel: „Amerika steht an eurer Seite, auch wenn es unser Präsident nicht tut.“ Der US-Kongress sollte ein Jahr später Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einladen, als Signal des Schulterschlusses.

Doch die Feindseligkeiten überwogen, Deutschland musste sich mit den neuen Realitäten arrangieren. Als Merkel 2019 die Eliteuni Harvard besuchte, drängte sie vor Tausenden Studenten darauf, „global statt national“ zu denken. Den Umweg über Washington sparte sie sich. Und als die USA in der Irankrise um eine internationale Kooperation gegen Tankerüberfälle im Persischen Golf warben, hielt sich Deutschland raus. Merkel startete einen Versuch der Vermittlung beim UN-Gipfel 2019 in New York, doch zeitgleich rollte ein Impeachmentverfahren auf Trump zu. Einige Wochen später beschloss der US-Kongress Sanktionen gegen Nord Stream 2.

Im US-Wahljahr 2020 sind die Drähte abgekühlt. Vom geplanten Truppenabzug aus Deutschland erfuhr Berlin aus der Presse. Auch in der Pandemie arbeiten beide Seiten nur sporadisch zusammen. Der transatlantische Reisebann, der das Coronavirus eindämmen soll, wurde in Alleingängen verhängt.

Beyer ist „pessimistisch, dass Reisen über den Atlantik bald wieder möglich sein werden“. Die Pandemie wütet in den USA besonders stark, was auch Investitionen gefährdet. Tausende Fach- und Führungskräfte aus Deutschland können wegen der von Washington erlassenen Visasperren nicht in die USA fliegen.

Hoffnung auf den Neustart

Noch heute gibt es Regierungsvertreter, die Trumps Wahl als „Stunde null“ bezeichnen. Daraus spricht die Enttäuschung, dass man so viele Krisen überstanden hat – den Irakkrieg, die Spähaffäre, Deutschlands Enthaltung beim Libyeneinsatz –, aber inzwischen kaum noch etwas ist, wie es war.

Kann aus dieser Situation heraus ein Neustart gelingen, mit oder ohne Trump? „Ich hatte anfangs den Eindruck: Berlin nimmt den Orkan nicht ernst genug, der da auf uns zurollt“, sagt Stelzenmüller von Brookings.

„Die sanfte Ungerührtheit, die die Kanzlerin dann im Umgang mit Trump entwickelt hat, fand ich genau richtig.“ Ihre Sorge ist aber, dass die Deutschen „in bockigem Trotz erstarren. Trump ist ja auch ein Symptom für etwas, auf das wir noch keine adäquate Antwort haben.“

Die Expertin appelliert, Deutschland müsse „im aufgeklärten Eigeninteresse selbst verschuldete Verwundbarkeiten bereinigen“. Denn bei Konflikten um Nord Stream 2, das Verteidigungsbudget und Handelsüberschüsse habe Trump durchaus Punkte. Auch Beyer räumt ein: „Nicht alles an Trumps Kritik war und ist falsch.“ Bei den Verteidigungsausgaben habe Deutschland „mehr geredet als gehandelt, unser Verhältnis zu China müssen wir klar definieren“.

Sollte der Demokrat Joe Biden im November die Wahlen gewinnen, rechnen beide Experten mit Entspannung, auch wenn sich viele Streitthemen nicht auflösen werden. „Ich kenne niemanden, der sagt: Wenn Biden im Weißen Haus sitzt, brechen goldene Zeiten im transatlantischen Verhältnis an. Aber ich würde von ihm mehr Transparenz, bessere Kommunikation und weniger Fragezeichen erwarten“, sagt Beyer.

Stelzenmüller plädiert für mehr Selbstbewusstsein, denn Europa habe vieles zu bieten, wovon die USA profitieren: sichere Militärstützpunkte, Handelskraft, eine starke internationale Rechtssetzung. „Es ist im Interesse Amerikas, die EU an ihrer Seite zu haben. Daran können wir eine mögliche Regierung Biden ruhig erinnern.“