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Reise ins Ungewisse: Tourismusbranche hofft nach Grenzöffnungen auf Neustart

Die Chancen auf Sommerurlaub im Ausland steigen: Die Kontrollen an den EU-Binnengrenzen werden gelockert. Die Reisebranche bereitet sich vor. Doch Unwägbarkeiten bleiben.

Airlines bereiten sich auf das Wiederhochfahren des Flugbetriebs vor. Foto: dpa
Airlines bereiten sich auf das Wiederhochfahren des Flugbetriebs vor. Foto: dpa

Sommerferien am Mittelmeer? Das schien im Coronajahr 2020 bislang aussichtslos. Aber jetzt schöpft Europas gesamte Tourismusindustrie neue Hoffnung. Die Bundesregierung plant, die Reisefreiheit im Schengenraum bis zum 15. Juni wiederherzustellen. Das kündigte Innenminister Horst Seehofer an.

Der Reisekonzern Tui, der trotz Staatshilfen angesichts der Krise mehr als jede zehnte Stelle streicht, sieht von Juli an zumindest auf den Balearen und in Griechenland die Chance auf einen Neustart. Vorstandschef Fritz Joussen sagte am Mittwoch, es gebe „keinen Grund, dass man dort nicht hinreisen könnte“, sofern die Corona-Infektionszahlen relativ gering blieben. Lufthansa und Ryanair haben für Juni und Juli ebenfalls eine Wiederaufnahme einiger Flugverbindungen angekündigt.

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Am Freitag soll die Grenze zu Luxemburg wieder geöffnet werden, kurz darauf soll die Grenze zu Dänemark folgen. An den Grenzübergängen zu Frankreich und Österreich wird vorerst weiter kontrolliert, allerdings nur noch stichprobenartig. Außerdem sollen die Ausnahmen ausgeweitet werden, die schon jetzt zu einem Grenzübertritt berechtigen.

Der Druck auf Seehofer, die Kontrollen aufzuheben, war zuletzt immer größer geworden – aus der Wirtschaft und aus dem Parlament. Selbst in seiner eigenen Partei, der CSU, wurden Forderungen nach einem Kurzwechsel laut. Seehofer musste reagieren, es war nicht länger zu erklären, warum überall im Land die Coronasperren gelockert werden – nur an der Grenze nicht.

Doch der Innenminister will dem Eindruck entgegentreten, er habe nachgegeben. „Wir müssen auch bereit sein, auf Verschlechterungen zu reagieren“, sagt er daher. Seine Aufgabe sei es, die deutsche Bevölkerung zu schützen. Die Grenzschließungen waren nötig, und er schließt nicht aus, dass sie wieder nötig werden können.

Jenseits der deutschen Grenze zu Frankreich etwa befinde sich ein „rotes Gebiet“, eine Gegend mit nach wie vor hohen Infektionszahlen. Daher sei Vorsicht geboten. Die Grenze zwischen Österreich und Italien bleibt wegen der dort höheren Corona-Ansteckungszahlen dann auch zunächst geschlossen – genau wie jene zwischen Frankreich und Spanien. Die deutschen Einreisesperren für Fluggäste aus Italien und Spanien bestehen ebenfalls erst einmal fort.

Doch eines ist klar: Die Phase der Lockerung, auf die die Reisebranche so lange gewartet hat, beginnt. Die Aussicht auf einen Sommerurlaub in den Bergen oder am Mittelmeer ist gestiegen, wenngleich nichts sicher ist in diesen Zeiten. „Reisefreiheit gehört zum Fundament des europäischen Projekts“, verkündet Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).

„In Coronazeiten muss Europa aber noch mehr gewährleisten: die Freiheit, sicher zu reisen.“ Die Bundesregierung habe deshalb in Brüssel „einen intensiven Beratungsprozess“ begonnen. Auch Seehofer betont, dass er mit seinen europäischen Amtskollegen im engen Kontakt steht.

Ein einigermaßen abgestimmtes Vorgehen – das streben die Regierungen an. Der Weg aus dem Lockdown soll weniger chaotisch ablaufen als der Weg hinein. Gerade in den Grenzregionen gab es wegen der strikten Einreisebeschränkungen böses Blut.

Die EU-Kommission versucht zu koordinieren: Die Nachbarländer sollen sich untereinander abstimmen und die Grenzen nur vorsichtig und Schritt für Schritt öffnen – angefangen in einzelnen Regionen mit vergleichbar niedrigen Infektionszahlen. Und auch nur dann, wenn die Krankenhäuser dort noch genügend freie Betten haben, die Behörden im großen Stil auf Infektionen testen und die Kontakte von Erkrankten nachvollziehen können.

Die Entscheidungsmacht liegt bei den Mitgliedstaaten. Die Kommission beschränkt sich darauf, sanften Druck auf die Regierungen auszuüben, die Freizügigkeit im Schengenraum nicht länger einzuschränken, als für die Eindämmung des Virus unbedingt nötig ist.

Es steht viel auf dem Spiel, es geht um Errungenschaften der europäischen Integration, und es geht auch um viel Geld. Die Wirtschaft kommt langsam wieder in Gang, unterbrochene Lieferketten müssen wieder zusammengefügt werden, sonst drohen Engpässe. Und auch der Tourismus ist ein Milliardengeschäft, knapp zehn Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung entfallen auf ihn.

In manchen Ländern ist es sogar der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Reiseveranstalter, Hotels und Restaurants verzeichneten wegen der pandemiebedingten Restriktionen zuletzt dramatische Buchungsrückgänge von 60 bis 90 Prozent zu den Vorjahren. „Millionen von kleinen Familienbetrieben stehen am Rande des Bankrotts“, warnt Industriekommissar Thierry Breton.

Die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amts besteht zwar fort. Aber Außenminister Maas stellt zumindest für Europa eine Aufhebung in Aussicht. Nur einen Zeitpunkt nennt er noch nicht. „Für Europa wird es sicher früher möglich sein, die Reisewarnung aufzuheben, als für andere Reiseziele – vorausgesetzt, dass sich der jetzige positive Trend in vielen Ländern verstetigt“, sagt Maas. Reisen in Zeiten von Corona ist ein Nervenspiel.

Denn ob der Sommerurlaub stattfinden kann, hängt nicht nur von den Entscheidungen der Bundesregierung, sondern auch von denen der Zielländer ab. Und vor allem natürlich: vom Verhalten eines immer noch wenig erforschten Virus.

Österreich

Mit der Grenzöffnung zu Deutschland ab 15. Juni geht für die schwarz-grüne Regierung in Österreich ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat in den vergangenen Wochen immer wieder auf eine schnelle Öffnung der Grenze, insbesondere zu Deutschland, gedrungen.

Österreich braucht in der Pandemie dringend die Touristen aus Deutschland. Das Land erwirtschaftet annähernd 16 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts mit dem Fremdenverkehr.

Nach Angaben des Bundeskanzleramtes in Wien will Österreich nach dem Vorbild des Modells mit Deutschland auch seine Grenzen zu den osteuropäischen Nachbarn Slowenien, Ungarn, Slowakei und Tschechien stufenweise durchlässiger machen.

Das gilt auch für die Schweiz und Liechtenstein. Voraussetzung sei, dass die Infektionen mit dem Coronavirus dort unter Kontrolle bleiben. Das Vorgehen erfolge nach dem Motto „So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie nötig“, hieß es.

Um das Tourismusgeschäft anzukurbeln, öffnen die Wirtshäuser, Restaurants und Kaffeehäuser in Österreich bereits an diesem Freitag täglich bis 23 Uhr. Vom 29. Mai an werden auch wieder die Hotels in Betrieb genommen. Erst in der vergangenen Woche hatte die Regierung in Wien ein Hilfspaket für die Gastronomie mit einer halben Milliarde Euro geschnürt.

Spanien

Aus Sicht der deutschen Urlauber mindestens genauso wichtig ist die Situation in Spanien. Dort hat die Regierung am Dienstag eine Quarantänepflicht für Einreisende eingeführt. Die Regierung hielt das für nötig, weil seit zehn Tagen sukzessive die strenge Ausgangssperre in Spanien gelockert wird.

Die Quarantäne gilt von diesem Freitag an und soll so lange gelten wie der Alarmzustand, der vorerst bis zum 24. Mai besteht. Die Regierung möchte ihn aber bis Ende Juni verlängern. Für ausländische Touristen bedeutet das de facto, dass nach heutigem Stand sie vor Juli besser nicht nach Spanien kommen.

Die Branche kritisiert die Entscheidung stark. „Wir wussten davon nichts und halten den Zeitpunkt für äußerst unglücklich“, sagt José Luis Zoreda, Vizechef des spanischen Tourismusverbands Exceltur, dem Handelsblatt. „Praktisch hat sie vielleicht nur minimale Folgen, wenn sie Ende Mai wieder endet. Aber es ist ein fatales Signal an ausländische Touristen, die gerade überlegen, wo sie ihren Urlaub verbringen sollen.“

Der Tourismusverband rechnet mit Verlusten von 92 Milliarden Euro für den günstigen Fall, dass von Juli oder August an wieder ausländische Besucher kommen und sich das Geschäft langsam erholt. Dann würde die Branche 60 Prozent weniger Umsatz erzielen als im Vorjahr.

Der Tourismus ist eine der wichtigsten Branchen in Spanien und macht gut zwölf Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Im vergangenen Jahr haben 84 Millionen Ausländer ihren Urlaub in Spanien verbracht, die meisten davon waren Deutsche und Briten.

Zoreda zufolge hat es in den vergangenen Tagen Gespräche zwischen der Regionalregierungschefin der Balearen, Francina Armengol, und ihren deutschen Kollegen gegeben, um Optionen für die Einreise deutscher Touristen auf die Inseln Mallorca, Menorca und Ibiza auszuloten.

Die Lufthansa fliegt im Juni wieder nach Mallorca, und auch die Reiseveranstalter Tui und FTI wollen die Insel in ihren Sommerplan aufnehmen. Spanien ist zwar nach den USA und Russland das Land mit den weltweit höchsten nachgewiesenen Infektionszahlen. Die Inseln sind aber deutlich weniger stark betroffen.

Italien

Ein weiteres Sehnsuchtsland der Deutschen ist Italien. Das Land lockt mit 7600 Kilometer Küstenlänge und Weltkulturstätten. In normalen Zeiten jedenfalls. Wegen des strengen Lockdowns und der Schließung der Grenzen seit dem 10. März gab es im Frühjahr einen Einbruch: 81 Millionen Touristen insgesamt weniger, so der Verband Coldiretti. Pro Jahr kommen 128 Millionen Touristen nach Italien, 12,2 Millionen aus Deutschland.

Ohne Touristen keine Einnahmen: 9,4 Milliarden Euro hätten die ausländischen Besucher nach Angaben des Statistikamts Istat allein in diesem Frühjahr in Italien ausgegeben. Je nachdem, wie lange die Pandemie andauert, werden der Branche zwischen 32 bis 73 Milliarden Euro fehlen.

Der Ruf des Landes als sicheres Reiseziel hat durch die Pandemie stark gelitten. 221.000 Infizierte zählt Italien, 30.900 Menschen sind gestorben. Nach wie vor sind die Grenzen geschlossen, und man darf auch innerhalb Italiens nicht die eigene Region verlassen. Frühestens von kommendem Montag an kann es Erleichterungen geben, wenn Geschäfte und Restaurants wieder öffnen.

Wie der Strandurlaub in Italien in diesem Jahr aussehen wird, hat Inail, das staatliche italienische Versicherungsinstitut für Arbeitsunfälle, am Mittwoch auf 20 Seiten einer technischen Expertise detailliert festgehalten: Darin steht unter anderem, dass die Sonnenschirme auf Abstand von 4,5 Metern stehen müssen, mit zwei Metern zwischen den Liegen.

Einen Sonderweg geht Südtirol: Die Region, die zu 70 Prozent vom ausländischen Tourismus abhängt, hat schon zu Beginn der Woche wieder geöffnet. Und die Insel Sardinien arbeitet an einem Plan, an den Flughäfen und Fährstationen einen „Gesundheitspass“ der Ankommenden zu verlangen, ein Testat des Hausarztes, dass man nicht infiziert ist. Außerdem sollen Schnelltests gemacht und die Temperatur soll gemessen werden.

Griechenland

Auch in Griechenland bangen die Wirte und die Hoteliers. Die Regierung dringt auf eine schnelle Öffnung der Grenzen, „wo immer möglich“, wie es in einem Positionspapier heißt, das Tourismusminister Charis Theocharis der EU-Kommission vorgelegt hat.

Von Montag an öffnen die archäologischen Stätten wieder, spätestens Ende Mai dürfen auch Cafés und Restaurants wieder Gäste bewirten, vorerst allerdings nur im Freien und mit Abstandsregeln. Zum 1. Juli werde man das Land für den Auslandstourismus öffnen, kündigt Staatsminister Giorgos Gerapetritis an.

Die Lufthansa fliegt nächsten Montag wieder Athen an, Ende Mai sind auch wieder Flüge nach Heraklion auf Kreta geplant. Die Griechen fühlen sich gut vorbereitet. Dank schon im Februar eingeführter Beschränkungen hat die Regierung die Pandemie bisher gut gemeistert.

Kein anderer EU-Staat, ausgenommen Zypern, ist in so hohem Maß vom Tourismus abhängig wie Griechenland. Er trägt direkt 21 Prozent, mittelbar sogar 30 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Jeder fünfte Job hängt am Fremdenverkehr. Wie tief Griechenland durch die Corona-Pandemie in die Rezession zurückfällt, hängt deshalb vor allem davon ab, wie schnell der Tourismus wieder auf die Beine kommt.

Sollte eine europäische Regelung zu lange auf sich warten lassen, erwägt Griechenland bilaterale Vereinbarungen über „Korridore“ mit Ländern wie Österreich, Israel, Zypern und Bulgarien, die ebenfalls wenige Coronafälle haben.

Reisen ins außereuropäische Ausland werden in diesem Sommer noch komplizierter sein. Doch zumindest die Türkei macht sich Hoffnung. Die türkische Regierung arbeitet daran, so schnell wie möglich Touristen ins Land zu holen. Dazu gehört ein Zertifizierungsplan für Urlaubsregionen sowie Flughäfen und Hotels und deren Angestellte.

Schon jetzt können Reisende aus Deutschland Flüge mit Turkish Airlines an die türkische Riviera buchen, etwa von Berlin nach Antalya – trotz der Reisewarnung des Auswärtigen Amts.