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Graf Lambsdorff: „Die Briten sind mühsam“

Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europaparlaments, sprach im zweiten Teil des FundResearch-Interviews über einen möglichen „Brexit“, die Probleme mit Ungarn und die deutsche Rolle in Europa.

FundResearch: 2017 werden die Briten über den Verbleib des Königreichs in der EU abstimmen. Ist ein solcher „Brexit“ gefährlich für Europa oder wäre das EU-Leben ohne die Briten vielleicht sogar einfacher?

Graf Lambsdorff: Als Freier Demokrat schlagen da zwei Herzen in meiner Brust. Für einen Liberalen ist Großbritannien als marktwirtschaftlich orientiertes Land mit einer toleranten Gesellschaft, einer exzellent funktionierenden Demokratie und einer großen Offenheit gegenüber Freihandel ein Paradies. Als Europapolitiker sage ich aber ganz ehrlich: Die Briten sind – diplomatisch ausgedrückt – mühsam. Überall da, wo andere voranschreiten wollen, stehen die Briten wegen rechtlicher oder politischer Bedenken auf der Bremse - selbst in Bereichen, in denen mehr Europa sinnvoll und richtig wäre, beispielsweise bei der Finanzmarktregulierung, der Steuerung der Zuwanderung oder in der Außenpolitik.

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FundResearch: Ist es gut, dass die Briten jetzt über den Verbleib abstimmen können?

Graf Lambsdorff: Ich glaube, das britische Referendum ist Segen und Fluch zugleich. Ein Segen, weil in der Öffentlichkeit endlich eine europapolitische Debatte geführt wird. Dann müssen wir auch über das Kernproblem der EU reden, nämlich die dramatische Machtverschiebung zu Gunsten Deutschlands und zu Lasten Frankreichs, das sich durch sozialistische Wirtschaftspolitik immer weiter schwächt. Diese Entwicklung ist nicht gesund, denn Europa braucht ein starkes Frankreich. Ein Fluch ist das Referendum, weil manche Ideen der britischen Politik nur darauf hinauslaufen, noch mehr Sand ins Getriebe zu streuen. Aufgrund von Frustration über die eine oder andere EU-Entscheidung findet das dann gelegentlich auch Anklang auf dem Kontinent. Wenn beispielsweise jedes nationale Parlament mit einem Veto Gesetzgebungsvorschläge der EU verhindern könnte, dann kann man Europa auch gleich dicht machen.

FundResearch: In den vergangenen Jahren ist Ungarn durch viele durchaus fragwürdige politische Entscheidungen aufgefallen. Wie geht die EU mit diesem Land um?

Graf Lambsdorff: Ungarn ist ein ganz heikler Fall. Dort geht es nicht um messbare Faktoren wie bei den finanziellen Problemen Griechenlands, sondern um europäische Werte wie die Unabhängigkeit der Justiz, die durch die Regierungspartei eingeschränkt wurde. Ein Ungar hat keinen gesetzlichen Richter, sondern die Richter werden durch ein parteipolitisch kontrolliertes Gremium willkürlich zugewiesen. Oder nehmen wir die Pressefreiheit: Es gibt eine staatliche Nachrichtenagentur, die obendrein anfangs von einem Vertreter der rechtsextremistischen Jobbik-Partei geführt wurde. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind verpflichtet worden, Produkte dieser Nachrichtenagentur abzunehmen. Das (Shenzhen: 002421.SZ - Nachrichten) ist mit der Pressefreiheit nicht vereinbar. Das sind alles Themen, die in meinen Augen kritisch sind und bei denen wir als EU keine guten Instrumente für eine angemessene Reaktion haben.

FundResearch: Das heißt?

Graf Lambsdorff: Es gibt das normale Vertragsverletzungsverfahren. Das ist aber sehr technisch und detailliert. Oder das Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages, mit dem einem Land das Stimmrecht entzogen werden kann. Das eine ist quasi der „Zahnstocher“, das andere die "Atombombe". Wir brauchen aber etwas dazwischen. Als Liberale meinen wir, dass rechtsstaatliche Maßstäbe von der Grundrechteagentur in Wien überwacht werden sollten - ein Vorschlag, der große Unterstützung erfahren hat, aber schwierig umzusetzen ist. Da stehen wir vor der großen Hürde einer Vertragsänderung, an die sich im Moment niemand herantraut. Daher sind wir zurzeit in einem Dilemma was Ungarn angeht. Man will das Land nicht rausschmeißen, aber man muss es kritisieren.

FundResearch: Könnte man Ungarn denn rausschmeißen?

Graf Lambsdorff: Nein, nach gegenwärtiger Rechtslage wäre das schärfste Mittel der Entzug des Stimmrechts. Ein richtiger Rausschmiss wäre nur politisch möglich, wenn der EU-Vertrag ohne Ungarn neu aufgesetzt würde. Nach Ansicht von Kommissionspräsident Junker erfüllen die Spekulationen, die Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sehr bewusst zur Wiedereinführung der Todesstrafe angestoßen hat, die Voraussetzungen für den Stimmrechtsentzug. Aber hier spielt auch Parteipolitik eine große Rolle. Die Europäische Volkspartei, also die Parteifamilien von CDU/CSU, steht wie eine Wagenburg um Orbán und schützt ihn. In meinen Augen sind das aber Dinge, die über dem parteipolitischen Streit stehen sollten. Eine Diskussion um die Todesstrafe ist einfach nicht vereinbar mit den demokratischen europäischen Werten. Da müssen wir Druck machen und zur Not vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

FundResearch: Deutschland hat die Finanzkrise gut überstanden. Aber was muss hier jetzt passieren? Was muss Deutschland machen, um den Platz an der Sonne nicht zu verlieren, aber gleichzeitig Europa mitzunehmen und nicht abzuhängen?

Graf Lambsdorff: Die Grundlage unserer derzeit starken Position hat mehrere Wurzeln, wobei ich zwei hervorheben möchte. Die eine ist, dass wir zum ersten Mal in unserer Geschichte nur von Freunden umgeben sind. Dieser Standortfaktor ist wichtiger als alle anderen und maßgeblich der europäischen Einigung zu verdanken. Zum anderen haben wir eine hohe Wettbewerbsfähigkeit, weil wir mit der „Agenda 2010“ für eine Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an die demografische Entwicklung gesorgt haben. Diese Wettbewerbsfähigkeit verspielt die Große Koalition allerdings jetzt wieder.

FundResearch: Wieso?

Graf Lambsdorff: Es gibt so eine Art „Happy Hour“. In Deutschland läuft es gerade gut, also lässt es die 'GroKo' mal laufen. Es werden soziale Wohltaten verteilt, die auf absehbare Zeit nicht nachhaltig finanziert sind. Gleichzeitig wird bürokratischer Unsinn wie Paternoster-Verbote und die Mindesttemperatur in der Abstellkammer von Betriebsstätten erlassen. Das ist Bevormundungstheater, das dem berühmten Glühbirnenverbot in nichts nachsteht.

FundResearch: Was muss stattdessen passieren?

Graf Lambsdorff: Weniger Bürokratie, nicht mehr. Wir haben als Freie Demokraten vorgeschlagen, Gründer im ersten Jahr von bürokratischen Belastungen freizustellen. Ein einziger staatlicher 'One-stop-shop' soll sie unterstützen, über den alle staatlichen Anforderungen kompakt und einfach abgewickelt werden können. Außerdem brauchen wir eine Anerkennungs- und Ermutigungskultur für Gründer statt Neid und Missgunst. Jemand, der sich selbständig macht und auf die Nase fällt, muss eine zweite Chance bekommen. Damit darf kein soziales Stigma verbunden sein. Und wir brauchen viel mehr Mut zur Digitalisierung. Alle großen Unternehmen in diesem Bereich kommen aus den USA, allen voran Amazon, Ebay (Xetra: 916529 - Nachrichten) , Google (Xetra: A0B7FY - Nachrichten) , Apple (NasdaqGS: AAPL - Nachrichten) . Um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, brauchen wir endlichen einen echten digitalen Binnenmarkt in Europa. Darüber hinaus haben wir einen dramatischen Fachkräftemangel in den Betrieben. Das heißt, wir müssen Zuwanderung aktiv gestalten. Die Flüchtlingskrise ist gleichzeitig auch eine Zuwanderungschance. Diese Chance muss ergriffen werden, auch wenn es manchmal schwierig ist. Denn Mittelständler suchen nach wie vor händeringend nach Mitarbeitern und finden sie nicht.

FundResearch: Fehlt Deutschland auch die FDP? Und kommt sie wieder?

Graf Lambsdorff: Wir Freien Demokraten haben eine sehr gründliche Fehleranalyse über unser Ausscheiden aus dem Bundestag betrieben und grundlegende Konsequenzen gezogen. Hamburg und Bremen waren danach erste schöne Wahlerfolge, aber noch sind wir nicht über den Berg. Doch es gibt immer mehr Menschen, die sagen: Deutschland braucht eine liberale Stimme. Bei der Wirtschaftspolitik ganz besonders, aber auch beim Datenschutz oder bei der Debatte über die Sterbehilfe. Für uns steht der selbstbestimmte Mensch im Mittelpunkt - als Unternehmer, als Berufsanfänger, der etwas aus sich machen will, als Mensch, der in der Lebensmitte vielleicht neue Prioritäten setzt. Aber eben nicht nur im Erwerbsleben, sondern von Anfang bis zum Ende wollen wir Selbstbestimmung ermöglichen. Das schließt das Recht auf einen selbstbestimmten würdigen Tod mit ein. Eine liberale Partei tut Deutschland gut. Wenn wir ein glaubwürdiges Angebot machen, dann kommen wir auch wieder. Unser Ziel ist der Wiedereinzug in den Bundestag, damit liberale Ideen wieder gehört und debattiert werden, wo es darauf ankommt.

Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews.

(PD/TL)