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Wie ein Gründer aus Kiew wider Willen zum Terrorhelfer wurde

Manche Erfindungen, die das Leben leichter machen sollen, frustrieren ihren Entwickler. „Das war sehr stressig“, erinnert sich Alexander Schukow an die Tage nach dem Attentat im neuseeländischen Christchurch. Mitte März war ein rechtsradikaler Australier in zwei dortige Moscheen eingedrungen und erschoss 50 betende Moslems, viele weitere wurden verletzt. Der Täter streamte sein brutales Gemetzel 17 Minuten lang live bei Facebook. Und am Morgen wurde Schukow von Freunden gefragt, die das Video sahen, ob da nicht sein Logo zu erkennen gewesen sei.

„Die Gefahr, dass Irre deine Technologie nutzen, gibt es ja immer“, sagt Schukow und noch leiser fügt er hinzu: „Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell kommt.“ Bei dem System, das der islamfeindliche Mörder missbraucht hat, handelt es sich um Live4 – eine von Schukow entwickelte App, mit deren Hilfe Videos von GoPro-Kameras über das Handy live auf Facebook oder anderen Internet-Plattformen gestreamt werden können.

Auch Tage nach dem Attentat ist Schukow noch geknickt. Er habe Live4 entwickelt, da er mit einigen Freunden gerne zum Fallschirmspringen gehe, dabei Figuren in der Luft mache und wolle, dass seine Familie am Boden live sieht, was oben am Himmel geschieht. „Damit sie sehen, dass es nicht gefährlich ist, sondern richtig Spaß macht“, ergänzt der 1982 in Kiew geborene Programmierer.

Dabei lässt er seinen Blick aus dem Fenster schweifen auf Podil, den geschichtsträchtigen wie westlich-hippen Stadtteil Kiews, Geburtsstätte des Schriftstellers Michail Bulgakow. Dutzende hypermoderne Cafés, Galerien, Kunsthandwerksläden und Tattooshops haben hier ihre Läden zwischen edlen Restaurants, Büros von Immobilienmaklern und Friseuren, die üppige Hipsterbärte kürzen und wachsen wie in San Francisco.

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„Die Ukraine als geheimes Rückgrat des Silicon Valley“

Die Ukraine sei inzwischen schon zum geheimen Rückgrat des Silicon Valley geworden, ist Schukow überzeugt, der in einem auberginenfarbigen Hoody-Kapuzenpullover mit dem Emblem von Pixar Animation Studio bekleidet ist. Denn auch der Start up-Unternehmer Schukow hat Erfolg made in California: Seine Firma Video Gorillas sorgte unter Hollywood-Studios und Animationsfirmen für Aufmerksamkeit, seit Netflix den letzten (unvollendeten) Film von Orson Welles 33 Jahre nach dessen Tod bei einer Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig 2018 vorstellte – mit der Hilfe der Ideenschmiede aus Kiew.

Schukows 2009 in Los Angeles gegründete Firma Video Gorillas hat die teilweise seit den 1970er-Jahren vergilbten Filmschnipsel des großen Welles-Experiments mit Lilli Palmer, John Huston, Dennis Hopper im Auftrag von Netflix auf 4K-Videoqualität gebracht. Ein kinematografisches Ereignis, das die Fachwelt aufrüttelte – und Video Gorilla Geschäftskontakte mit fast allen Hollywood-Filmstudios brachte. 20th Century Fox und Apple waren die ersten Kunden.

Schukows Vorteil: Statt die etwa etwa zwei Billionen Bilder langwierig und teuer händisch umzuwandeln, wie Netflix-Mitarbeiter es zuvor monatelang getan hatten. setzte der Kiewer Tüftler seinen selbstentwickelten Algorithmus namens Big Foot.

„Der Computer mit unserer Software hat gerade einmal zweieinhalb Tage umgerechnet, Dann haben wir uns nochmal zwei Wochen das Resultat angeschaut, um genau zu checken, ob der Algorithmus perfekt ist. Denn wir wollten einen wirklich guten Eindruck hinterlassen“, betont Schukow.

Nur 3000 Dollar Startkapital

Dieser Technologiesprung und vor allem der Bedarf bei immer mehr Streaming-Diensten wie Netflix, Apple und Amazon beschert Video Gorillas immer mehr Aufträge. Genaue Zahlen: Geschäftsgeheimnis.

Schukows Eltern, Ingenieure, brachten ihm Englisch bei und wollten, dass er Jurist werde. Aber er arbeitete lieber mit dem von den Eltern geschenkten Computern: „Rechtsauslegung gefällt mir nicht, ich finde es mit Software einfacher – die läuft oder stürzt ab.“ So lernte er Mathematik und studierte Computerwissenschaften.

Mit 3.000 Dollar Startkapital „und dem starken Willen, neue Technologien zu entwickeln“ hatte Schukow, der seit dem achten Lebensjahr programmiert, seine Firma gegründet – in Los Angeles. Dort war er gerade für seine damalige Firma, die von Google übernommene ukrainische IT-Firma Viewdle unterwegs.

„Aber ich bin kein Verkäufer und kein CEO“, meint der Vater zweier Kinder aus der „Generation Minecraft“. Deshalb habe er die Rolle des Chief Technology Officers (CTO) übernommen. CEO von Video Gorillas ist Jason Brahms, zuvor Vice President bei Sony Pictures.

15 Mitarbeiter hat Video Gorillas inzwischen ¬ bis auf den CEO alle in Kiew. Die Firmenzentrale ist in den USA, weil die dortigen Kunden in Dollar und innerhalb Amerikas zahlen wollten. Die Mitarbeiter sind alle Einzelunternehmer, keine Angestellten. Denn Kleinunternehmer zahlen in der Ukraine sehr niedrige Steuern: fünf Prozent vom Umsatz.

„Das machen alle so“, berichtet Schukow über die IT-Industrie seiner Heimat. Und die erlebt einen echten Boom. Viele Ukrainer kämen inzwischen auch aus dem Silicon Valley zurück, denn Lebenshaltungskosten, Steuern und „inzwischen sehr konkurrenzfähige Gehälter in der IT-Branche“ machten das Land wieder attraktiv.

Prominente ukrainische Gründer bei Apple, WhatsApp & Co

Dort stehen hinter prominenten Firmen Gründer aus der Ukraine: WhatsApp-Gründer Jan Koum war 1992 mit seiner Mutter aus der Ukraine in die USA ausgewandert. Paypal-Mitgründer. Max Levchin war bereits ein Jahr eher, ebenfalls mit 16 Jahren, aus Kiew ausgewandert nach Übersee.

Multi-Gründer Alexander Galitsky, Mitentwickler der WLAN-Technologie und inzwischen mit holländischem Pass ausgestattet, wurde 1955 in der Ukraine geboren. Und Apple-Mitbegründer Steve Wozniak sagte kürzlich bei einem Besuch, er wisse sehr wohl, dass sein Name von den Vorfahren aus der Ukraine komme.

Doch auch heute ist die Ukraine im IT-Sektor gut aufgestellt: Im Embarcadero Business Center im Herzen von San Francisco hat Grammarly sein Hauptquartier. Das von drei Ukrainern gegründete Start-up zur Grammatikprüfung ist eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen im Silicon Valley mit zwei Milliarden potenziellen Kunden.

Gitlab, die 2011 vom Ukrainer Dmitri Saparoschez mitgegründete Firma für Webanwendung zur Versionsverwaltung für Softwareprojekte, ist das erste ukrainische Einhorn – also Unternehmen mit einer Bewertung von über eine Milliarde Dollar.

Lookersy, ein Unternehmen für Mobile Imaging und AR, wurde 2015 für 150 Millionen Dollar an Snapchat verkauft. Den Analysesoftware-Entwickler Viewdle, für den Alexander Schukow einst arbeitete. schnappte sich Google.

Epam, einer der Weltmarktführer für Softwareentwicklungs-Outsourcing, das von zwei Weißrussen in den USA gegründete wurde und an der New Yorker Börse notiert, arbeitet mit fast ausschließlich ukrainischen Entwicklern. Mit Rozetka.ua gibt es bisher nur einen großen ukrainischen Internethändler, der angeblich vor einer Übernahme durch Amazon steht.

Netflix gegen Netflix

Upwork, die weltweit führende Online-Freelancer-Plattform, bewertet die Ukraine als drittbesten Platz der Welt, um Leute mit fortgeschrittenen technischen und IT-Kenntnissen zu finden. 185.000 IT-Spezialisten stehen im Land zur Verfügung, jedes Jahr kommen 16.000 Absolventen hinzu.

Die Unternehmensberatung PwC sieht das Land auf Platz fünf der 25 führenden Staaten der globalen Service-Industrien. Das Fachmagazin „Business New Europe“ kürte den ukrainischen E-Commerce-Sektor zum „am schnellsten wachsenden in Europa“.

Software- und IT-Dienstleistungsexporte sind bereits auf 4,5 Milliarden Dollar gestiegen und wachsen jährlich um etwa 20 Prozent. Sie machen schon jetzt nach Agrarausfuhren, Stahllieferungen und den Rücküberweisungen der Millionen ukrainischen Gastarbeitern im Ausland den viertwichtigsten Einnahmeposten des größten Flächenstaats Europas aus.

Inzwischen haben mit Samsung, Microsoft, Huawei, Siemens, Ericsson und Oracle sowie viele andere haben Entwicklungszentren in der Ukraine gegründet. Über 100 der „Fortune-500“ größten Unternehmen der Welt nutzen ukrainische IT-Dienstleistungen.

Netflix-Helfer Schukow ist indes gar nicht so angetan von einem Netflix-Star aus der Heimat: Der TV-Comedian Wolodimir Selenski geht als Favorit in die Stichwahl um den ukrainischen Präsidenten am 21. April. „Niemand weiß wofür Selenski wirklich steht. Und er weiß ja selbst nicht einmal was er will“, fasst der junge Unternehmer seine Meinung zusammen.

Populisten gewännen, weil die meisten Wähler nicht nachdächten, schüttelt Schukow den Kopf: „Wir hatten gerade etwas Stabilität, es begann uns besser zu gehen. Wir wollten uns nicht weiter verstecken und unsere Firma hier registrieren.“ Nun ist dieses Vorhaben erst einmal gestoppt bis mindestens zum Wahlausgang.