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Grüne greifen nach der Macht: Darauf muss sich die Wirtschaft einstellen

Machtwille statt Lust an der Rebellion: Die Grünen verabschieden ihr neues Grundsatzprogramm. Eine Schlappe muss der Bundesvorstand dann aber noch einstecken.

Die beiden Parteivorsitzenden bekamen viel Zuspruch. Foto: dpa
Die beiden Parteivorsitzenden bekamen viel Zuspruch. Foto: dpa

Der eine brachte die Webcam mit einem Bügelbrett in Position, die andere behalf sich mit einer Trittleiter: Improvisation war gefragt auf dem digitalen Bundesparteitag der Grünen. Drei Tage lang diskutieren die Delegierten vor Bücherregalen und Zimmerpflanzen über Gentechnik, Marktwirtschaft und direkte Demokratie. Von unfreiwilliger Komik mancher Videoschalten, der ein oder anderen technischen Panne und einer massiven zeitlichen Verspätung einmal abgesehen, kann der Bundesvorstand zufrieden sein. Weitgehend zumindest.

Erst als es schon fast vorbei war, holte sich das Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck eine Schlappe ab: Der Parteitag votierte am Sonntagnachmittag dafür, einen Verweis auf das bedingungslose Grundeinkommen in die neuen Leitlinien der Partei aufzunehmen. Das wollte der Bundesvorstand eigentlich verhindern, er hatte sich für eine Garantiesicherung ausgesprochen, die an Bedingungen geknüpft ist. Dieses Konzept blieb aber auch Teil des Programms, insofern ist die Abstimmungsniederlage für die beiden Vorsitzenden zu verkraften.

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Gerade im Vergleich zu früheren Parteitagen, auf denen oft heftig gestritten wurde, zeigt sich: Bei den Grünen von heute sind Disziplin und Machtwille größer als die Lust an der Rebellion. In ihrem neuen Grundsatzprogramm unterstreichen die Grünen ihre Regierungsambitionen. Radikale Positionen wurden abgeschliffen. Pragmatismus ist Trumpf vor dem Superwahljahr 2021.

Transformation der Wirtschaft

Die Grünen sind momentan die kleinste Oppositionsfraktion im Bundestag, aber sie haben Großes vor. Erstmals, sagte Habeck, kämpfe eine dritte Partei ernsthaft um die Führung dieses Landes. „Ich weiß, es ist ein hoher Anspruch. Ein kühner, vielleicht ein frecher.“

Im Zentrum ihrer Ambitionen: das Wirtschaftssystem neu aufzustellen, was „keinen Umsturz bedeute“, sondern angesichts der Klimakrise „purer Selbstschutz“ sei, so Baerbock. Das einst verkrampfte Verhältnis der Grünen zur Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren entspannt. Die Partei bietet sich den Unternehmen als Partner bei der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie an.

Der Versuch einiger Delegierten, den Begriff der „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ im Grundsatzprogramm durch „sozial-ökologisches Wirtschaften“ zu ersetzen, scheiterte. Ebenso wenig wurde infrage gestellt, dass wirtschaftliches Wachstum nötig und erstrebenswert ist – auch, um die Klimaziele zu erreichen.

„Schrumpfen ist keine Lösung“, sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin, Katharina Dröge. Es gehe vielmehr um einen grundsätzlichen wirtschaftlichen Wandel. „Die Produktion muss klimaneutral werden.“ Und natürlich sei Wachstum erlaubt, sogar dringend erforderlich, etwa bei erneuerbaren Energien.

Die Partei sprach sich auch für eine aktive Industriepolitik aus. Die Wirtschaft, so Baerbock, brauche klare Verhältnisse. „Wenn die Stahlindustrie in Europa eine Zukunft haben soll, dann braucht sie Förderinstrumente für einen klimaneutralen Stahl, einen funktionierenden CO2-Preis und Perspektiven, in welchen Produkten zukünftig dieser grüne Stahl verpflichtend zum Einsatz kommt.“

Natürlich fehlten nicht einige rhetorische Streicheleinheiten für den linken Flügel: „Wir müssen endlich das Wohlergehen der Menschen in den Mittelpunkt unseres Wirtschaftssystems stellen statt die Gewinnmaximierung einzelner“, sagte Baerbock.

Kretschmann: „Wir brauchen Verbündete in der Wirtschaft“

Doch das Bemühen, nicht als Wirtschaftsschreck wahrgenommen zu werden, ist bei den Grünen inzwischen klar zu erkennen: Die Unternehmen mitnehmen, die Menschen sowieso, einschließlich Kohlekumpel und Angestellter in der Autoindustrie, darum geht es ihnen. „Ja, wir kämpfen um mehr Fahrräder, aber wir verteufeln das Auto nicht, wir modernisieren es und machen es CO2-frei“, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter.

Winfried Kretschmann, einziger Ministerpräsident der Grünen, versprach Gesprächsbereitschaft. „Wir brauchen Verbündete in der Wirtschaft“, betonte Kretschmann. „Dafür müssen wir auch Kompromisse eingehen“, erklärte der Regierungschef von Baden-Württemberg. „Am Ende geht es um das, was wir bewirken können, nicht um das, was wir gern bewirken würden.“

Lange hing den Grünen der Ruf nach, technologiefeindlich zu sein. Doch die Partei versucht, das alte Image abzustreifen. Sogar beim Reizthema Gentechnik fand sich ein Kompromiss: Die Grünen verständigten sich darauf, dass auch in der Landwirtschaft die „Freiheit der Forschung“ gelten müsse.

Die Skepsis bei der Anwendung von Gentechnik bleibt freilich. Ziel müsse es sein, einerseits die Freiheit der Forschung zu gewährleisten und andererseits bei der Anwendung Gefahren für Mensch und Umwelt auszuschließen, heißt es im künftigen Grundsatzprogramm.

Der Antrag, Renditen in der Immobilienbranche zu verbieten, wurde ebenfalls abgebügelt. Auch hier ist der Ruf nach einem Wandel laut, aber nicht auf die brachiale Art: „Wir wollen regulieren und Leitplanken setzen, aber nichts abwürgen“, erklärte der wohnungspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Chris Kühn.

Dass sich „Unternehmen wie Amazon und Facebook noch immer der Steuer entziehen, obwohl sie von unserer öffentlichen Infrastruktur profitieren“, sei nicht länger hinnehmbar, sagte Parteichef Habeck. „Und ja, diejenigen, die sehr hohe Vermögen und Einkommen haben, werden sich etwas stärker als bisher an den Investitionen in unsere Zukunft beteiligen.“

Kritik aus der CDU

Die Transformation der Wirtschaft wird viel Geld kosten, das wissen die Grünen. Und das erklärt auch, warum die Partei ein Auge auf das Finanzministerium geworfen hat. Von dort aus könnte die Partei das 500-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm umsetzen, das sie für die kommenden zehn Jahre auflegen will.

Konzepte wie diese rufen den politischen Gegner auf den Plan. Thomas Bareiß, Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung, hält viele Punkte im Grünen-Programm für unbezahlbar. Das belaste die Wirtschaft und gefährde Arbeitsplätze, sagte der CDU-Politiker dem Handelsblatt. Gerade in der heutigen Zeit gehe das Programm an der Realität vorbei: „In den nächsten Jahren braucht es mehr denn je eine Politik, die unsere Wirtschaft und Industrie nicht zusätzlich belastet, sondern stark und wettbewerbsfähig macht.“

Bareiß sieht die Grünen auch weit vom Status einer Volkspartei entfernt. Eine Volkspartei müsse „die ganze Breite unseres Lebens aufgreifen“, sagte der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. „Davon sind die Grünen weit entfernt.“

Zum Abschluss des Bundesparteitags stehen ganz real nur Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dem Podium. Foto: dpa
Zum Abschluss des Bundesparteitags stehen ganz real nur Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dem Podium. Foto: dpa
Ein Parteitag unter besonderen Bedingungen: Einspielfilm mit Robert Habeck. Foto: dpa
Ein Parteitag unter besonderen Bedingungen: Einspielfilm mit Robert Habeck. Foto: dpa