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Grüne 4.0: Das sind die neuen Leitlinien der Partei

Die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck legen ihren Entwurf für das neue Grundsatzprogramm vor. Darin werben sie auch für „neue Bündnisse“.

Annalena Baerbock und Robert Habeck kommen mit Mund-Nasenschutz zur Vorstellung des ersten Entwurfs zum neuen Grundsatzprogramm. Foto: dpa
Annalena Baerbock und Robert Habeck kommen mit Mund-Nasenschutz zur Vorstellung des ersten Entwurfs zum neuen Grundsatzprogramm. Foto: dpa

Die Grünen haben in ihrer Geschichte drei Grundsatzprogramme verabschiedet: 1980 zur Gründung der Partei, 1993 bei der Fusion von Bündnis 90 mit den Grünen und 2002 während der Regierungsbeteiligung im Bund. Das aktuelle Grundsatzprogramm ist also 18 Jahre alt. Jetzt wollen die Grünen erneut die programmatischen Weichen für die nächsten Jahre stellen – und empfehlen sich als Bündnispartner.

„Alleine schafft es niemand“, heißt es in dem Entwurf, den die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck an diesem Freitag in Berlin präsentierten. „Wir verstehen es als unsere Aufgabe, gemeinsam die Umbrüche zu gestalten, um Halt, praktische Orientierung und Zuversicht zu geben.“

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Auf 58 Seiten, in acht Kapiteln und 383 Paragraphen beschreiben die Grünen ihren künftigen Kurs, „getragen von dem Wunsch und im Bestreben, gesellschaftliche Mehrheiten herzustellen und in politische Handlungsfähigkeit zu übersetzen“.

Diese Formel sei als „Einladung für neue Bündnisse zu verstehen, die wir für die vor uns stehenden Veränderungen brauchen“. Ganz klar: Die Grünen erheben Anspruch auf Führung - anders als früher, als sie sich eher als Korrektiv verstanden haben. Parteichefin Annalena Baerbock stellte aber sogleich klar, dass der Führungsanspruch ein inhaltlicher sei. Farbenspiele dahingehend, ob sich die Grünen etwa für Schwarz-Grün bewerben würden, auch weil die Partei der CDU zum 75. Geburtstag einen Präsentkorb überreicht hatte, lehnte sie ab.

2020: Kraftzentrum für neue Perspektiven

Die Coronakrise sei ein „Schock für die Menschheit“, so das Grundsatzprogramm. Sie zeige „unsere zivilisatorische Verletzlichkeit“ und verändere „den Blick auf das, was vorher war, und was vor uns liegt“. Als Krisenjahr wollen die Grünen 2020 dennoch nicht sehen, sondern als „Kraftzentrum für neue Perspektiven“.

„Unser Anspruch ist, Dinge anders zu machen“, sagte Baerbock. „Und besser.“ Wenn die Grünen ganz bei sich blieben, sagte Co-Chef Robert Habeck, dann laufe es gut. Mit Corona habe eine Ausnahmezeit für die Politik begonnen, da sei es für die Grünen nicht darum gegangen, „um die lauteste Schlagzeile zu kämpfen.“ Jetzt seien die Grünen bei den Umfragen wieder da, wo sie vor der Europawahl vor gut zwei Jahren gestanden habe, es sei also „alles gut“. Die Union erklärte Habeck für „etwas überbewertet“. Umfragen sehen die Grünen bei derzeit 17 Prozent, die Union bei 37 Prozent.

Das neue Grundsatzprogramm der Grünen, das im November auf dem Bundesparteitag verabschiedet werden soll, steht nicht nur für eine neue Phase der Grünen. Es soll auch, so der Anspruch, für eine „neue Phase der Politik“ stehen, „für eine Politik einer neuen Epoche“. 2020 könne der Wendepunkt sein: „von hier an anders“.

Dafür müssten, so Baerbock und Habeck, einige grundlegende Dinge verändert werden. „Das Gesundheitssystem, die Daseinsvorsorge müssen sich bislang vor allem rechnen. Solange wir an solch einer rein am Profit orientierten Logik selbst bei den Gemeinwohlgütern festhalten, sind wir anfällig und verwundbar.“

Um die Gesellschaft krisenfest zu machen und für die Zukunft zu wappnen, müsse Sicherheit neu definiert und Vorsorge als Grundpfeiler der Sicherheit neu verankert werden.

In acht Kapiteln formulieren die Grünen ihre neuen politischen Grundsätze. Die wichtigsten Inhalte:

Lebensgrundlagen schützen

Nachhaltigkeit soll Leitprinzip werden. Politische Entscheidungen müssten daran gemessen werden, ob ihre Folgen den Planeten schädigen. Einen Fokus wollen die Grünen auf sozialen Ausgleich legen.

Das beginnt beim Zugang zu essenziellen Gütern wie Wasser und Strom und reicht bis zu einer CO2-Bepreisung, bei der die Einnahmen aus ökologisch lenkenden Instrumenten an die Bürger zurückfließen.

In die Zukunft wirtschaften

Die Partei bekennt sich zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft, will aber eine aktivere Wirtschaft- und Industriepolitik. Wirtschaftspolitisch müsse der Staat mehr tun als nur einen Rahmen zu setzen. Die Grünen wollen eine Politik, die neuen Technologien zum Durchbruch verhilft, gerade da, wo der Markt das Risiko scheut. Sie muss außerdem Wettbewerbsnachteile ausgleichen, in Forschung investieren und Arbeitsplätze sichern.

„Unternehmer dürfen nicht gezwungen werden, sich zwischen einem wirtschaftlich erfolgreichen Weg oder einer sozialen und ökologischen Ausrichtung des Unternehmens zu entscheiden“, heißt es. Wirtschaftliche Aktivität müsse sich an langfristigen Zielen und gesamtgesellschaftlichem Wohlstand ausrichten.

Die Finanzberichterstattung soll mit Langfristzielen ergänzt werden sowie mit Indikatoren, die die sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen messen. Grundstoffe wie Stahl, Aluminium, Chemikalien sind nach Ansicht der Grünen weiter in Europa zu produzieren. Damit Europa unabhängiger wird, soll es eigene Produktionskapazitäten für systemrelevante Produkte wie medizinische Präparate geben.

Fortschritt gestalten

Keine technologische Möglichkeit soll angesichts der vielfältigen Krisen von vornherein ausgeschlossen werden. Die Grünen plädieren für mehr und strukturell gut ausfinanzierte Grundlagenforschung. Technologischer Fortschritt sei aber nicht über jeden Zweifel erhaben, sondern unterliege ethischen Prinzipien wie dem Vorsorgeprinzip.

Zusammen leben

Die Grünen plädieren für eine Politik des Ausgleichs zwischen ländlichen Räumen und Städten, mit neuer Daseinsvorsorge. Die Gesundheitsversorgung soll krisenfester werden und nicht dem Zweck dienen, hohe Renditen zu erzielen. Die Krankenhausfinanzierung sei neu zu denken. Kliniken sollen nicht nach erbrachter Leistung, sondern nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden.

Demokratie stärken und schützen

Rechtsextremismus und Rassismus halten die Grünen für die größte Gefahr für die liberale Demokratie und die Sicherheit in Deutschland, beides soll deshalb prioritär bekämpft werden. Polizei und Sicherheitsorgane bräuchten als Garanten der Sicherheit im Innern eine gute Ausstattung und ausreichend Personal und sie verdienten Vertrauen aller Bürger, heißt es im Programm.

Solidarität sichern

Die Grünen rufen nach einem neuen, sozialen Sicherheitsversprechen. Dazu gehören für sie ein starkes Arbeitsrecht, faire Löhne, ein armutsfester Mindestlohn und Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern bei gleicher Arbeit.

In Bildung investieren

Ein starkes Bildungssystem bezeichnen die Grünen als „zentral für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands“. In keiner Klassen sollten mehr als 20 Kinder unterrichtet werden, fordern sie. Die Lernmittel an Schulen sollen frei sein, einschließlich digitaler Endgeräte. Bund und Länder sollen deshalb die höhere Besteuerung von Vermögen beziehungsweise Erbschaften zur besseren finanziellen Ausstattung des Bildungssystems nutzen.

International verantwortlich handeln

Ziel der Grünen ist, die Europäische Union zu einer Föderalen Europäischen Republik auszubauen und eine gemeinsame außenpolitischen Strategie gegenüber nationalen Einzelinteressen der Mitgliedstaaten zu stärken.

Notwendig sei eine parlamentarisch kontrollierte Sicherheitsunion: Anstatt immer mehr Geld in nationale militärische Parallelstrukturen zu leiten, soll die Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern ausgebaut werden.

Jetzt ist wieder die Partei gefragt: bis zum 31. Juli können die inzwischen mehr als 100.000 Parteimitglieder ihre Anmerkungen digital einreichen. Bis Ende August wird dann der Bundesvorstand den Entwurf zum Grundsatzprogramm überarbeiten und als Leitantrag zum Parteitag veröffentlichen.