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Spahn verknüpft Lockdown-Lockerungen mit Impfungen bei Senioren über 70

Die anvisierte Verlängerung des Lockdowns wird die wirtschaftliche Erholung verzögern. Die Belastung der Kliniken dürfte aber sinken, wenn die besonders Gefährdeten geimpft sind.

04.01.2021, Berlin: Eine Frau im Rollstuhl steht vor dem Impfzentrum in der Treptow Arena für die Impfung gegen das Corona-Virus an. Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: dpa
04.01.2021, Berlin: Eine Frau im Rollstuhl steht vor dem Impfzentrum in der Treptow Arena für die Impfung gegen das Corona-Virus an. Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: dpa

Der Corona-Lockdown in Deutschland soll bis Ende Januar verlängert werden. Nach Angaben aus Verhandlungskreisen verständigten sich Bund und ein Großteil der Länder auf diese Linie, die endgültige Entscheidung treffen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten am morgigen Dienstag.

Die verschärften Kontaktregeln würden damit weiter gelten, der Einzelhandel würde weitgehend geschlossen bleiben. In der Diskussion ist noch, ob Schulen und Kindergärten teilweise früher öffnen.

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Die Verlängerung des Lockdowns werde die wirtschaftliche Erholung verzögern, sagte Ifo-Chef Clemens Fuest. Ob Deutschland erneut in eine Rezession rutsche, hänge stark davon ab, ob die bislang intakte Erholung des Industriesektors weitergehe: „Eine längere Schließung großer Teile des Einzelhandels wird sich irgendwann auch auf die Nachfrage nach Industriegütern auswirken.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält größere Öffnungsschritte offenbar dann für möglich, wenn die besonders gefährdete Altersgruppe der über 70-Jährigen geimpft ist. Nach diesem „entscheidenden Zwischenetappenziel“ werde die Belastung im Gesundheitssystem eine andere sein, sagte er nach Informationen des Handelsblatts an diesem Montag bei einer nicht öffentlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Dieser Punkt werde „deutlich vor dem Sommer“ erreicht sein.

Die Bundesregierung steht unter politischem Druck, die Impfungen zu beschleunigen. Experten diskutieren derzeit verschiedene Optionen, um dieses Ziel zu erreichen.

Überlastung der Krankhäuser als Grund für Einschränkungen

Fast neun von zehn Menschen, die in Deutschland an oder mit dem Coronavirus gestorben sind, waren 70 Jahre oder älter. Der Altersmedian liegt laut Robert Koch-Institut (RKI) bei 84 Jahren. Ein großer Teil der bislang etwa 35.000 Corona-Toten wohnte in Pflegeheimen. Spahn hatte in seiner Impfverordnung festgelegt, dass zuerst die über 80-Jährigen sowie die Bewohner von Pflegeheimen einen Schutz bekommen sollen. In einer zweiten Gruppe mit hoher Impfpriorität sind Senioren über 70 Jahre.

Auch in der Regierungskoalition wird mittlerweile die Frage gestellt, wie viel Lockdown denn noch vertretbar sein wird, wenn die Bevölkerung mit dem größten Risiko geimpft ist.

Bislang gilt als Leitplanke der deutschen Pandemiepolitik die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen, sie soll zumindest wieder unter den Wert von 50 pro 100.000 Einwohner sinken. Unklar ist, wie lange es dauert, den Wert unter diese Schwelle zu drücken – und ob das in der kalten Jahreszeit überhaupt möglich sein wird.

„In der Debatte um die richtige Strategie kommt zu kurz, welche Auswirkungen die Impfung der Risikogruppen auf die Einschränkung der Freiheitsrechte und die einschränkenden Maßnahmen hat“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitiker Michael Hennrich dem Handelsblatt.

„Wenn in den Pflegeeinrichtungen die Bewohner und die Mitarbeiter geimpft sind, und wenn wir auch mit der Impfung des medizinischen Personals in den Krankenhäusern vorankommen, bedeutet das natürlich auch, dass sich die Zahl der schweren Verläufe und die damit verbundenen intensivmedizinischen Behandlungen in den Krankenhäusern reduziert.“

Genau mit der Überlastung der Krankenhäuser würden aber die Einschränkungen begründet. Zwar müssten Abstandsregeln und das Tragen von Alltagsmasken sicher noch „bis weit in den Sommer“ gelten, auch große Publikumsveranstaltungen würden weiter schwierig bleiben. „Wenn wir mit der Impfung der Gruppe über 70 Jahre durch sind, halte ich eine Schließung von Hotels, Gaststätten, Einzelhandel und ähnlichen Einrichtungen in großem Stil aber nicht mehr für gerechtfertigt“, so Hennrich.

Wann es so weit sein könnte, ist schwer vorauszusehen. Spahn hatte kürzlich zwar gesagt, dass alle Bewohner von Pflegeheimen bis Ende Januar geimpft werden sollen. Viele Senioren leben aber in den eigenen vier Wänden.

Nach Angaben der Ständigen Impfkommission beim RKI müssten 5,4 Millionen über 80-Jährige und noch einmal 7,7 Millionen Menschen zwischen 70 und 80 Jahren geimpft werden. Entscheidend ist dabei auch, wie schnell weitere Impfstoffe in der Europäischen Union zugelassen werden und ob Deutschland die Zahl der verfügbaren Impfdosen erhöhen kann.

In den nächsten Wochen wird die Republik jedenfalls in vielen Bereichen weiter stillstehen. An einer Verlängerung der Mitte Dezember verschärften Maßnahmen über den 10. Januar hinaus bestanden angesichts der noch immer hohen Infektionszahlen schon seit Tagen keine Zweifel.

Das neue vorläufige Enddatum für den Lockdown, auf das sich Merkel und die Ministerpräsidenten am Dienstag aller Wahrscheinlichkeit nach festlegen werden, ist der 31. Januar. „Wir haben leider noch nicht die Zahlen, die wir brauchen“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD).

Nach den Feiertagen zu Weihnachten und zum Jahreswechsel gebe es zurzeit wenig Klarheit zur Entwicklung der Infektionszahlen. Dreyer: „Wir können im Moment eigentlich nicht richtig abschätzen, wie die Situation ist, auch weil weniger getestet worden ist.“

Rückfall in die Rezession

Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte angesichts der sich abzeichnenden Verlängerung des Lockdowns Nachbesserungen bei den staatlichen Finanzhilfen für die Branche. „Die Händler brauchen jetzt dringend passgenaue und schnelle staatliche Hilfen, um diese schwere Zeit überstehen zu können“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth dem Handelsblatt.

Der Handel erhalte nicht dieselbe Unterstützung wie die Gastronomie. „Da muss nachgesteuert werden, nicht unbedingt im Volumen, aber ganz sicher in der Zielgenauigkeit“, mahnte Genth. „Die Obergrenzen bei den Umsätzen schließen Handelsunternehmen von wirkungsvollen Hilfen aus, die dringend Unterstützung brauchen.“

Die Lage sei für viele Einzelhändler, insbesondere im Modehandel, schon jetzt dramatisch. „Viele stehen vor den Trümmern ihrer Existenz“, sagte Genth. Die Coronakrise mit zwei Lockdowns und in vielen Innenstädten enorm sinkenden Kundenzahlen könnte für bis zu 50.000 Geschäfte mit rund 250.000 Beschäftigten das Aus bedeuten.

Auch Verdi hält die derzeit vorgesehenen Überbrückungshilfen im Einzelhandel für nicht ausreichend. Zwar sei die Fortsetzung der Corona-Maßnahmen angesichts der angespannten Lage im Gesundheitswesen unvermeidlich, sagte Gewerkschaftschef Frank Werneke dem Handelsblatt. „Mit den Folgen dürfen jedoch Hunderttausende Beschäftigte im Einzelhandel und die Unternehmen der Branche nicht allein gelassen werden.“

Angesichts zu erwartender Umsatzausfälle von bis zu 14 Milliarden Euro im Januar in den betroffenen Bereichen des Einzelhandels gehe insbesondere die Deckelung der Zuschüsse für einzelne Unternehmen auf maximal 500.000 Euro völlig an den Realitäten vorbei.

DIW: Deutschland in erneuter Rezession

Dramatisch stellt sich aus Sicht der Branchengewerkschaft NGG die Lage im Gastgewerbe dar – und die Verzweiflung wachse mit jedem Tag im Lockdown. Für die Arbeitgeber würden zu Recht Rettungsschirme gespannt, aber Hunderttausende Arbeitnehmer stünden seit Monaten im Regen, sagte NGG-Chef Guido Zeitler dem Handelsblatt: „Ihre Löhne sind ohnehin oft viel zu niedrig – das noch geringere Kurzarbeitergeld reicht also hinten und vorne nicht.“

Die Gewerkschaft fordert eine Corona-Sofortnothilfe für Gastgewerbe-Beschäftigte in Kurzarbeit von einmalig 1000 Euro und die Prüfung eines Mindestkurzarbeitergeldes von 1200 Euro. Außerdem sollen Corona-Wirtschaftshilfen nur an Unternehmen fließen, die keine Kündigungen aussprechen, sondern Kurzarbeitergeld beantragen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet wegen der Härte der zweiten Infektionswelle für dieses Jahr nicht mehr 5,2 Prozent Wachstum, sondern nur noch 3,5 Prozent. Für DIW-Chef Marcel Fratzscher befindet sich die deutsche Wirtschaft schon in einer erneuten Rezession: „Nach einem schrumpfenden vierten Quartal erwarten wir einen wirtschaftlichen Einbruch von mehr als zwei Prozent jetzt im ersten Quartal 2021.“

Die Hoffnung eines wirtschaftlichen Neustarts liege dann auf dem zweiten Quartal. Dies werde aber nur gelingen, wenn die Infektionswelle bis Februar abebbe und die Einschränkungen dann zum größten Teil aufgehoben werden könnten. Fratzscher: „Wenn dies nicht gelingt, dann könnte die Wirtschaft in Deutschland noch länger leiden und die Gefahr von Unternehmensinsolvenzen und Arbeitslosigkeit deutlich zunehmen.“

Auch Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), sieht die deutsche Volkswirtschaft „technisch gesehen“ bereits in einer Rezession. Solange die Industrieproduktion und das Baugewerbe sich weiter positiv entwickeln, werde der Einbruch aber nicht annähernd an jenen vom Frühjahr 2020 heranreichen. Für den weiteren Jahresverlauf rechne das IfW noch mit einem positiven Wirtschaftswachstum – „bei weiterhin enormer Unsicherheit“.

So falle es bei den aktuell noch sehr hohen Infektionszahlen in vielen Regionen Deutschlands schwer, an umfangreiche Lockerungen im Februar zu glauben. „Bestenfalls ist mit teilweisen Lockerungen, beispielsweise im Einzelhandel, zu rechnen.“

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