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Glyphosat-Prozess in den USA hat begonnen – kommt eine Klagewelle gegen Bayer?

Dewayne Johnson war kerngesund, als er im Jahr 2012 den Job des Hausmeisters an einer kalifornischen Schule antrat. Der damals 42-Jährige musste sich unter anderem um die Pflege der Grünanlagen kümmern und sprühte sie dazu mit dem Unkrautvernichter Roundup ein. Ein Job, wie ihn viele Amerikaner machen. Zwei Jahre später erkrankte Johnson an Lymphdrüsen-Krebs, eine nur schwer therapierbare Krankheit, weil sie schnell den ganzen Körper erfasst.

Heute geben ihm die Ärzte nur noch wenige Monate zu leben. Johnson hofft, vor seinem Tod den Schuldigen an seiner Krebserkrankung stellen zu können. Das ist aus seiner Sicht der Hersteller von Roundup: der Agrochemiekonzern Monsanto, der bald in der Bayer AG aufgehen wird.

Am Montag begann in San Francisco der Prozess in Sachen Johnson gegen Monsanto. Zunächst ging es nur um Formalia, kommende Woche gibt es die Eingangsplädoyers. Das Verfahren hat Signalwirkung, denn es wird die mögliche Krebsgefahr von Glyphosat gerichtlich untersucht. Das ist der Hauptwirkstoff in Roundup, dem meistverkauften Herbizid. Monsanto hat Glyphosat erfunden, Bayer ist künftig Weltmarktführer bei diesem Produkt.

Der Prozess könnte – je nach Verlauf – eine weitere Klagewelle auslösen, deren mögliche Folgen künftig Bayer als neuer Besitzer von Monsanto tragen muss. Das Verfahren wird Indizien dafür liefern, welche zusätzlichen Rechtsrisiken sich die Leverkusener durch die 63,5 Milliarden Dollar schwere Übernahme eingekauft haben.

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Klageflut gegen Bayer

Klagen gegen ihre Produkte sind für Monsanto und Bayer nichts Außergewöhnliches. Gerade in der hochregulierten Pharma- und Agrarchemiebranche gehören Rechtsstreitigkeiten zum Tagesgeschäft. Meist geht es um die Frage, ob Nebenwirkungen kenntlich gemacht wurden und ob ausreichend vor ihnen gewarnt wird. Arzneihersteller sind Großkunden von Kanzleien und betreiben selbst große Rechtsabteilungen. Bayers Juristen-Team in den USA hat 180 Mitarbeiter, die Rechtsverfahren, aber auch Übernahmen begleiten.

Doch bei Bayer hat die Zahl der Rechtsstreitigkeiten ein Ausmaß erreicht, das nicht nur die Mitarbeiter besorgt. Mehr als 43.000 Klagen von Patienten sieht sich der Konzern aktuell gegenüber, in denen die Sicherheit mehrerer Bayer-Medikamente infrage gestellt wird – etwa die des Blutgerinnungshemmers Xarelto, des Gewinngaranten des Konzerns, sowie des Verhütungsmittels Essure. Das sind fast doppelt so viele wie Anfang 2017. Rund 258 Millionen Euro musste Bayer 2017 für Rechtsfälle ausgeben.

Bilanziell vorsorgen darf und muss der Konzern erst, wenn Belastungen etwa durch Vergleiche und Schadenersatzzahlungen konkret absehbar sind und der Versicherungsschutz nicht ausreicht. Bisher ist Bayer optimistisch: Die Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten lagen Ende 2017 bei 393 Millionen Euro und waren damit überschaubar.

Zu der wachsenden Zahl der bei Bayer eingehenden Klagen kommen nun die gegen Monsanto noch hinzu, wenn der US-Konzern in zwei Monaten integriert wird. Nach letzten Angaben von Oktober 2017 waren es in Sachen Glyphosat 3100, mittlerweile sind es mehr als 4000, schätzen Anwälte. Monsanto hat rund 254 Millionen Dollar für Rechtsfälle zurückgestellt.

Schlacht um Glyphosat

Beim ersten Glyphosat-Prozess in San Francisco wollen die Klägeranwälte eine hohe finanzielle Entschädigung erzielen und fordern zusätzlich Strafzahlungen. „Dafür müssen wir zeigen, dass Monsanto wusste, dass ihr Mittel krebserregend war und sie versucht haben, die Wissenschaft zu manipulieren“, erläutert Michael Baum von der Kanzlei Baum Hedlung Aristei Goldman.

Ob das gelingt ist offen. Sicher ist: Der Prozess wird einer Schlacht der Experten. Monsantos Verteidigung baut auf den zahlreichen Untersuchungen von Regulierungsbehörden weltweit auf. Die haben attestiert, dass von Glyphosat keine Krebsgefahr ausgeht. Die Kläger hingegen berufen sich auf ein Urteil der Weltgesundheitsorganisation WHO und deren Krebsforschungsagentur: Die stuft Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein.

Den wissenschaftlichen Beweis der Krebsgefahr werden die Anwälte nicht vorlegen können. Sie werden aber versuchen, die Untersuchungen zu Glyphosat in Zweifel zu ziehen. Im Prozess sind Dokumente zugelassen, die beweisen sollen, dass Monsanto Druck auf Mitarbeiter von Behörden ausgeübt hat – etwa bei der US-Umweltbehörde EPA.

Experten rechnen Monsanto dennoch gute Chancen zu. „Die Kläger haben nicht viel wissenschaftliche Beweise dafür, dass es einen Zusammenhang zwischen Roundup und Krebserkrankungen gibt“, sagt Analyst Jonas Oxgaard vom Investmenthaus Bernstein. Bayers Agrochemievorstand Liam Condon gibt sich überzeugt, dass die Gerichte zu dem Schluss kommen werden, dass Glyphosat nicht gesundheitsgefährdend ist, wenn es vorschriftsmäßig angewendet wird.

Andere warnen Bayer davor, die Glyphosat-Verfahren auf die leichte Schulter zu nehmen. Steven Tapia, der lange in Rechtsabteilungen von Unternehmen gearbeitet hat und heute an der Seattle University of Law lehrt, sagt. „Bei so vielen Klagen ist es unwahrscheinlich, dass Monsanto sie alle gewinnt.“ Oft lassen sich die Unternehmen am Ende auf Vergleiche ohne Schuldanerkenntnis ein, deren Summe durchaus Milliardenhöhe erreichen kann.

Bayer kennt das: Im Fall der Verhütungspille Yasmin, die für Thrombose verantwortlich gemacht wird, hat der Konzern 10.600 Vergleiche im Volumen von 2,1 Milliarden Dollar geschlossen. Richtig teuer wird es, wenn von den Richtern Sammelklagen zugelassen werden. Die sind in den USA allerdings nicht mehr so einfach durchzusetzen.

Heute wird in ausgewählten Verfahren zunächst in mehreren Bundesstaaten getestet, wie die Jurys urteilen. Bayer durchläuft diese sogenannte MDL (Multi-District-Litigation) derzeit mit seinem Medikament Xarelto. Dem Gerinnungshemmer werden schwere Nebenwirkungen vorgeworfen.

Mehr als 23.000 Patienten haben Klagen eingereicht. Bisher haben die Leverkusener alle Vorverfahren für sich entscheiden können. Eine Sammelklage bei Xarelto gilt derzeit als unwahrscheinlich. Das Ergebnis des ersten Prozesses um Roundup/Glyphosat wird für die weiteren zwar nicht bindend sein, aber eine Richtung vorgeben. Dann wird sich auch zeigen, ob es zu einer Sammelklage kommt.

Klägerfreundliches Kalifornien

Roundup ist aber nicht das einzige Produkt von Monsanto, das Bayer Ärger bringen wird. Auch um Dicamba gibt es Streit. Der Unkrautvernichter verflüchtigt sich leicht, wenn er gespritzt wird, und weht so auch auf Felder anderer Farmer. Wenn dort keine gentechnisch veränderten Pflanzen von Monsanto wachsen, die gegen Dicamba resistent sind, wird durch die Verwehung die Ernte zerstört. Hunderte Beschwerden gegen Dicamba liegen vor, zahlreiche Farmer fordern Schadensersatz.

Absehbar sind zudem Klagen gegen Monsanto in Argentinien in Sachen Glyphosat sowie in Brasilien über Patente für genmodifiziertes Saatgut. Für Analyst Oxgaard ist klar: „Das Rechtsrisiko von Bayer ist mit der Übernahme von Monsanto gestiegen.“ Die finanziellen Folgen, so bestätigt Bayer im Geschäftsbericht, sind nicht absehbar und können zu erheblichen Belastungen führen.

Beim Bayer-Produkt Essure deutet sich dies bereits an. Das Mittel zur dauerhaften Schwangerschaftsverhütung wird für Nebenwirkungen wie Depressionen und Blutungen verantwortlich gemacht. Gegen Essure rollt eine regelrechte Klagewelle: Anfang April lagen Bayer 16.800 Klagen amerikanischer Frauen vor. Die bilanziellen Vorsorge für die Essure-Rechtsfälle übersteige bereits den Versicherungsschutz, bestätigt Bayer.

Auch im Fall Glyphosat wird die Zahl der Klagen rapide steigen, wenn die Jury in San Francisco zu einem Urteil im Sinne von Kläger Johnson kommt. Das Gericht im amerikanischen Sonnenstaat haben die Klägeranwälte bewusst gewählt: Kalifornische Jurys urteilen meist sehr verbraucherfreundlich.