Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • DAX

    17.737,36
    -100,04 (-0,56%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.918,09
    -18,48 (-0,37%)
     
  • Dow Jones 30

    37.986,40
    +211,02 (+0,56%)
     
  • Gold

    2.406,70
    +8,70 (+0,36%)
     
  • EUR/USD

    1,0661
    +0,0015 (+0,14%)
     
  • Bitcoin EUR

    60.357,24
    +800,44 (+1,34%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.334,09
    +21,46 (+1,64%)
     
  • Öl (Brent)

    83,24
    +0,51 (+0,62%)
     
  • MDAX

    25.989,86
    -199,58 (-0,76%)
     
  • TecDAX

    3.187,20
    -23,64 (-0,74%)
     
  • SDAX

    13.932,74
    -99,63 (-0,71%)
     
  • Nikkei 225

    37.068,35
    -1.011,35 (-2,66%)
     
  • FTSE 100

    7.895,85
    +18,80 (+0,24%)
     
  • CAC 40

    8.022,41
    -0,85 (-0,01%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.282,01
    -319,49 (-2,05%)
     

Gisela Sick und die Kunst des Loslassens

Sensorenhersteller Sick - Gisela Sick und die Kunst des Loslassens

Gisela Sick erlebt in ihrem Unternehmen in aller Regel nur die besten Seiten ihrer Mitarbeiter. Wenn sie in ihrer Firma erscheint etwa, säuseln Bürodamen und -herren in einem Ton, der einen Knicks oder Diener erwarten ließe, Freundlichkeiten entgegen. Hat die 94-Jährige bei einer Aufsichtsratssitzung wie üblich ihren Ehrenplatz eingenommen und spricht sich etwa dagegen aus, dass das Unternehmen seine Sensoren für die Rüstungsindustrie produziere, nicken die Vorstände und Aufsichtsräte brav. Das, da sind sie sich im Management des gleichnamigen Herstellers intelligenter Sensoren einig, gebührt eben der Respekt vor der Lebensleistung der Dame.

Formell müssen sich die Chefs im Tagesgeschäft dagegen nicht zwingend nach den Vorstellungen der Seniorin richten. Denn Gisela Sick ging, als sie vor 27 Jahren die Sick AG im badischen Waldkirch von ihrem verstorbenen Gatten erbte, einen seltenen Schritt in der deutschen Familienunternehmer-Landschaft: Sie verzichtete auf jede aktive operative Rolle für sich und ihre Familie. Stattdessen übt sich die zierliche Greisin, die noch immer bis zu zweimal die Woche am Steuer ihres BMW in die Firma fährt, in Zurückhaltung. Ihr reicht es, den Aufsichtratssitzungen beizuwohnen und als Ehrenvorsitzende das Wort ergreifen zu können. „Ich will keine Übermutter sein“, sagt sie.

Mit ihrer Selbstbeschränkung repräsentiert die Mittneunzigerin eine Sorte Familienunternehmer, die die Lenkung ihres Unternehmens konsequent und mit großem Erfolg auf Stammesfremde übertragen. Von Ehemann Erwin vor 70 Jahren in einer Nachkriegsbaracke bei München gegründet, ist Sick unter externer Leitung und Aufsicht aufgeblüht; eine verborgene Perle der deutschen Industrie, die es mit ihrem Namen bis auf den Prototyp des selbstfahrenden Autos von Google schaffte. Mit seiner Sensortechnik für Lichtsignale jeder Art gilt das Unternehmen heute weltweit als einer der führenden Produzenten in der Automatisierungstechnik und als Wegbereiter der Digitalisierung der Fertigung.

Der Umsatz der 7400-Mitarbeiter-Firma mit Dependancen etwa in Japan, den USA und Singapur hat sich seit dem Tod des Gründers 1988 auf fast 1,3 Milliarden Euro etwas mehr als verzehnfacht. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von durchschnittlich neun Prozent. Auf Messen sollen Chinesen schon angeboten haben, das Unternehmen „für jeden Preis“ zu übernehmen. Doch einen Verkauf, das steht für die Erbin unerschütterlich fest, den will und wollte nie jemand bei Sick – weder sie noch sonst einer ihrer Angehörigen, die inzwischen Miteigentümer des Unternehmens sind.

WERBUNG


Hausfrau, Mutter - Unternehmerin

Gisela Sick verließ einst die Rolle der Hausfrau und Mutter nur zögerlich. Erst als ihr Gatte sich zunehmend in seinen Tüfteleien verkroch, löste sie sich langsam von Haus und Herd. Nicht ihr Mann, sondern sie war es, die in die USA und nach Japan reiste, um die Gründung von Tochterunternehmen vorzubereiten. Deswegen wäre die Gründergattin aber nie auf die Idee gekommen, für sich oder ihre Töchter eine operative Stellung in der Firma anzustreben. „Bei uns hat niemand den Anspruch, dass Familienmitglieder im Unternehmen etwas werden“, sagt sie.

Die Zurückhaltung hat jedoch nichts zu tun mit mangelndem Führungswillen: Um Kampfabstimmungen unter den Aktionären zu verhindern, hat die ursprüngliche Alleinerbin durchgesetzt, dass die 95 Prozent der Aktien am Unternehmen, die insgesamt einer Handvoll Familienmitgliedern gehört, gepoolt sind. Die Familie kann also in der Hauptversammlung nur mit einer Stimme reden. Zudem sind wechselnde Mehrheiten unter den Anteilseignern ausgeschlossen, weil die meisten Aktien, 52,6 Prozent, in einer Dachgesellschaft liegen, der Sick Holding GmbH in Freiburg. Das sorgt für Stabilität.

Gesellschafter dieser Holding sind Renate Sick-Glaser, mit 68 Jahren die älteste Tochter der Gründergattin, und deren Sohn Sebastian Glaser, 38. Aber auch Sick-Glaser, die ursprünglich als Krankengymnastin arbeitete, hatte nie größere Ambitionen im Unternehmen. Seit zehn Jahren sitzt sie als einfaches Mitglied im Aufsichtsrat und empfindet sich vor allem als eine, „die bei Sick die Fäden zusammenhält und dazu beitragen will, dass es der Sick AG gut geht“.

Das eigentliche Sagen bei Sick überlassen die Endsechzigerin und ihre betagte Mutter schon seit Jahren einer Gruppe Hochkaräter. Zum Chefaufseher haben sie Klaus Bukenberger gemacht, einen der wenigen Berufsaufsichtsräte in Deutschland. Der Wirtschaftsingenieur kapriziert sich von Stuttgart aus auf den gehobenen deutschen Mittelstand mit 200 Millionen bis zwei Milliarden Euro Umsatz und technologischer Ausrichtung, darunter der Messtechniker Mahr in Göttingen und der Verpackungsspezialist Tricor im bayrischen Bad Wörishofen.

Die Trennung von Kompetenz und Eigentum bei Sick sei vorbildlich, sagt Bukenberger. Von der Unternehmensverfassung des Familienunternehmens könnten sich „so manche börsennotierten Konzerne eine Scheibe abschneiden“. Ebenfalls zu den Großkalibern im Aufsichtsrat gehört der Stuttgarter Rechtsanwalt Mark Binz. Der gebürtige Hesse gilt als hartgesottener Vertreter all jener Familiengesellschafter in Deutschland, die zum Äußersten bereit sind, um ihre Interessen als Miteigentümer zu wahren. Bei Sick vertritt der 67-Jährige vor allem die Interessen der zweiten Tochter des Gründers, Dorothea Sick-Thies, von Beruf ebenfalls Krankengymnastin und nebenbei Umweltaktivistin.

Sich auf andere zu verlassen mussten die Gründergattin und ihre Töchter schon in den letzten Lebensjahren des Gründers lernen. Weil ihn alles Kaufmännische anwiderte, wie er einmal bemerkte, hatte er sich zwei Geschäftsführer zur Seite gestellt. Die kümmerten sich um die Betriebswirtschaft. Er selbst vergrub sich in seinen Erfindungen oder verrannte sich in aussichtslose Projekte, zuletzt in eine Solaranlage zur Entsalzung von Meerwasser auf Fuerteventura. Als er 1988 im Alter von 79 Jahren auf der Kanareninsel wegen Überarbeitung an einem Herzinfarkt starb, eröffneten die beiden Geschäftsführer den Erbinnen: Sick war ein Sanierungsfall.


Ganz ohne Gründer geht es nicht

Die Erfolge der Familienfremden seitdem gaben der alten Dame und ihren Töchtern recht, sich auf den Sachverstand erlesener Externer zu verlassen. Mit Robert Bauer etwa hievten die Experten im Aufsichtsrat 2000 einen promovierten Elektrotechnik-Ingenieur und Fachmann auf dem Gebiet der Halbleiter-Optoelektronik in den Vorstand und 2006 an die Unternehmensspitze.

Der heute 56-Jährige erwies sich als Glücksgriff. Er steigerte die Einnahmen in den vergangenen neun Jahren um fast 80 Prozent. Allein in den zurückliegenden fünf Jahren erhöhte er das Jahresergebnis um rund 75 Prozent auf knapp 91 Millionen Euro 2015. Davon schütteten sich die Eigentümer zum 70-jährigen Firmenjubiläum 1,40 Euro pro Aktie aus, rund 35 Millionen Euro, doppelt so viel wie in gewöhnlichen Jahren.

Ein vollständiges Eigenleben ohne die Eigentümer führen Vorstand und Aufsichtsrat bei Sick dennoch nicht. „Die Eigentümerrechte sind nicht verdünnt“, sagt Kontrolleur Horst Wildemann, Betriebswirtschaftsprofessor aus München und Spezialist für flexible Fertigung. An der Gründergattin sowie ihren Töchtern im Aufsichtsrat führe praktisch kein Weg vorbei.

Deren Einfluss sei durchaus stark, meint Hermann Spieß, IG Metaller und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Dieser konzentriere sich allerdings nicht auf das Tagesgeschäft, sondern auf die Unternehmenskultur. Die zeichne sich durch ein außergewöhnliches Miteinander aus.

Um ins Unternehmen hineinzuwirken, gehen Mutter und Töchter verschiedene Wege. Erbin Sick-Thies etwa studiert gern bis ins Detail die Lebensläufe von Bewerbern. Einmal fiel ihr auf, dass ein Kandidat für einen Topjob unter anderem an der Entwicklung von Streubomben mitgearbeitet hatte. Daraufhin intervenierte sie beim Sick-Vorstand, weil ihr Vater nach dem Krieg jedwede Produktion für die Rüstung für immer ausgeschlossen hatte. Der Bewerber blieb außen vor.

Die Gattin des Gründers hat ihren Einfluss rechtlich abgesichert. Wer im Amtsgericht Freiburg Einblick nimmt in den Gesellschaftervertrag der Sick Holding, stößt auf einen interessanten Passus. Danach hat die Gründergattin 2009 für 25 Euro einen Sonderrechtsanteil an der Holding gezeichnet. Der erlaubt ihr, alles, was ihre ältere Tochter und deren Sohn als Mehrheitsaktionäre bei Sick durchdrücken könnten, mit einem Veto zu stoppen und das, bis dass der Tod sie scheidet.

KONTEXT

Die innovativsten deutschen Mittelständler

Platz 15

Lamilux

Hauptsitz: Rehau (BY)

Produkt: Lichttechnologie

Umsatz: 187 Mio Euro

Innovationsscore: 169

Platz 14

Windmöller Holding

Hauptsitz: Augustdorf (NRW)

Produkt: Bodenbeläge

Umsatz: 120 Mio Euro

Innovationsscore: 170

Platz 13

Maja-Maschinenfabrik

Hauptsitz: Kehl (BW)

Produkt: Lebensmittelverarbeitung

Umsatz: 23 Mio Euro

Innovationsscore: 171

Platz 12

Mekra Lang

Hauptsitz: Ergersheim (BY)

Produkt: Spiegel für Nutzfahrzeuge

Umsatz: 260 Mio Euro

Innovationsscore: 172

Platz 11

Brandt Zwieback

Hauptsitz: Hagen (NRW)

Produkt: Zwieback

Umsatz: 189 Mio Euro

Innovationsscore: 175

Platz 10

Edelmann

Hauptsitz: Heidenheim (BW)

Produkt: Verpackungslösungen

Umsatz: 235 Mio Euro

Innovationsscore: 177

Platz 9

Insiders Technologies

Hauptsitz: Kaiserslautern (RP)

Produkt: Software

Umsatz: 18 Mio Euro

Innovationsscore: 178

Platz 8

Arburg

Hauptsitz: Loßburg (BW)

Produkt: Spritzgießmaschinen

Umsatz: 548 Mio Euro

Innovationsscore: 181

Platz 6

Fischerwerke

Hauptsitz: Waldachtal (BW)

Produkt: Befestigungssysteme

Umsatz: 625 Mio Euro

Innovationsscore: 185

Platz 7

Aquatherm

Hauptsitz: Attendorn (NRW)

Produkt: Rohrleitungssysteme

Umsatz: 91 Mio Euro

Innovationsscore: 182

Platz 5

C. Josef Lamy

Hauptsitz: Heidelberg (BW)

Produkt: Schreibgeräte

Umsatz: 71 Mio Euro

Innovationsscore: 186

Platz 4

Leica Camera

Hauptsitz: Wetzlar (HE)

Produkt: Kameras

Umsatz: 276 Mio Euro

Innovationsscore: 189

Platz 3

Gebr. Kemper

Hauptsitz: Olpe (NRW)

Produkt: Gebäudetechnik

Umsatz: 270 Mio Euro

Innovationsscore: 190

Platz 2

Bahlsen

Hauptsitz: Hannover (NI)

Produkt: Süßgebäck

Umsatz: 515 Mio. Euro

Innovationsscore: 194

Platz 1

Rimowa

Hauptsitz: Köln (NRW)

Produkt: Koffer

Umsatz: 273 Mio. Euro

Innovationsscore: 197

Ranking: Die Krönung der Champions

Wer zu Deutschlands innovativsten Mittelständlern gehören will, muss ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen. Die Münchner Unternehmensberatung Munich Strategy Group (MSG) wertete im Auftrag der WirtschaftsWoche zunächst die Daten von 3500 deutschen Unternehmen aus, die zwischen zehn Millionen und einer Milliarde Euro Umsatz erwirtschaften: Sie analysierten Jahresabschlüsse und Präsentationen, sprachen mit Kunden, Branchenexperten, Geschäftsführern, Inhabern und Beiräten. Danach nahm MSG 400 Unternehmen in die engere Wahl. Für jedes einzelne errechneten die Berater einen eigenen Innovationsscore. „Dabei achten wir darauf, dass sich das Unternehmen durch ständige Neuerungen auszeichnet, von Wettbewerbern als innovativ angesehen wird und eine ideenfördernde Kultur etabliert hat“, erklärt MSG-Gründer und Studienleiter Sebastian Theopold die Kriterien. Zudem flossen auch wirtschaftliche Indikatoren wie Umsatzwachstum und Ertragskraft in die Bewertung ein. Theopolds Fazit: „Wer innovativ ist, wächst auch schneller und erzielt nachhaltigere Erträge.“ Die MSG-Berater analysierten bereits um dritten Mal für die WirtschaftsWoche die Innovationskraft deutscher Mittelständler (Heft 15/2014 und Heft 42/2015). Während beim ersten Ranking noch Maschinenbauer dominierten, sind nun mehr Konsumgüterhersteller unter den Siegern. Die meisten innovativen Unternehmen kommen aus Baden-Württemberg. Den ersten Platz belegt der Kölner Kofferhersteller Rimowa. Rang zwei nimmt der Keksbäcker Bahlsen ein. „Die beiden Vertreter der ,Old Economy’ sind Vorreiter bei der Digitalisierung“, sagt Studienleiter Theopold.