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Er gilt als chinesischer Tesla: Ich habe in der autonomen Oberklasse ET7 von Nio Platz genommen und mich gefühlt wie in einer Flugzeugkanzel

Redakteur Elias Holdenried hatte im bayrischen Nio-Designstudio bereits Gelegenheit den ET7 näher zu inspizieren.
Redakteur Elias Holdenried hatte im bayrischen Nio-Designstudio bereits Gelegenheit den ET7 näher zu inspizieren.

Die chinesische Autoindustrie wurde hierzulande lange Zeit belächelt. Und dies lag nicht nur an der teils unterirdischen Fertigungsqualität und dem Hang einiger Hersteller, sich Design-technisch bei beliebten europäischen Modellen zu bedienen.

Doch die Zeiten haben sich geändert. China ist innerhalb weniger Jahre zu einer der führenden Autonationen aufgestiegen. Die Autobauer aus dem Reich der Mitte haben mittlerweile nämlich nicht nur eine eigene Designlinie gefunden, sondern auch technologisch große Sprünge gemacht. Sie profitieren dabei vom Wandel hin zum E-Auto, das in China schon seit Jahren staatlich gefördert wird und deshalb einen großen Anteil an den jährlichen Neuzulassungen hat.

Nio ist Chinas vielversprechendster Autobauer

Nachdem sich Great Wall Motors, Aiways & Co. auf ihrem Heimatmarkt, dem mit Abstand größten der Welt, etablieren konnten, wagen sie aktuell den Sprung nach Europa. Das größte Potenzial wird dabei Nio zugesprochen. Das 2014 in Shanghai gegründete Startup wird aufgrund seiner Innovationskraft als das Tesla Chinas gehandelt und hat dort bereits über 100.000 Autos produziert. Tesla-Chef Elon Musk höchstpersönlich hat dem Hersteller auf Twitter zum Erreichen dieses Meilensteins gratuliert.

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Die Chinesen sind nach eigener Aussage nicht nur bei der Entwicklung der revolutionären Feststoffbatterie deutlich weiter als die Konkurrenz, auch beim autonomen Fahren nimmt die Marke eine führende Rolle ein. Nio sieht sich selbst aber nicht als Tesla-Konkurrenten, sondern hat vor allem die qualitativ hochwertigeren Marken Mercedes, Audi und BMW im Visier.

Die LED-Scheinwerfer des ET7 sitzen in der Frontschürze, während die Tagfahrleuchten weiter oben angebracht sind.
Die LED-Scheinwerfer des ET7 sitzen in der Frontschürze, während die Tagfahrleuchten weiter oben angebracht sind.

Der ET7 soll unter anderem gegen BMW i5 antreten

Da scheint es kein Zufall zu sein, dass die Marke ihren Europa-Sitz und eines seiner beiden Designzentren in München hat. Nio-Gründer und Chef William Li erwartet in Europa eine große Nachfrage nach seinen Autos. Deutschland sieht er als einen der Schlüsselmärkte an. Wenn sich die Absatzzahlen gut entwickeln, schließt er auch eine Fertigung in der EU nicht aus.

Für den Marktstart in Deutschland hat die Marke das vierte Quartal 2022 anvisiert. Während die meisten chinesischen Hersteller versuchen, hierzulande mit im Trend liegenden SUV-Modellen Fuß zu fassen, setzt Nio auf seine neue Elektro-Limousine ET7. Die Hochsitze ES8, ES6 und EC6 dürften später folgen. Business Insider hatte bereits Gelegenheit, in dem kommenden Oberklasse-Modell Platz zu nehmen und sich mit Nios Vize-Designchef Kris Tomasson über die Linienführung zu unterhalten.

Der ET7 kommt serienmäßig mit einer verstellbaren und kameragesteuerten Luftfederung.
Der ET7 kommt serienmäßig mit einer verstellbaren und kameragesteuerten Luftfederung.

Kleine Heckklappe trotz Fließheck

Tomasson war vor seiner Anstellung bei dem chinesischen Autobauer unter anderem für Coca-Cola und BMW tätig, wo er auch an der Gestaltung der elektrischen i-Modelle beteiligt war. Zudem designte der Amerikaner während seiner bisherigen Karriere bereits Privatjets, was auch an dem clean und schnörkellos gezeichneten ET7 bemerkbar ist. Die Fließhecklimousine hat einen guten cW-Wert von 0,23. In Sachen Aerodynamik wird er jedoch vom Weltmeister Mercedes EQS (0,20) und dem Tesla Model S (0,208) überflügelt.

Laut Nio wurde das Exterieurdesign der rund 5,10 Meter langen und Limousine von den klaren Silhouetten der Siebzigerjahre inspiriert. Und tatsächlich erinnern vor allem die Dachlinie und die C-Säule an den Citroën CX oder den Rover SD1. Obwohl es sich beim ET7 um eine Fließhecklimousine handelt, haben die Designer ihm einen klassischen Kofferraumdeckel verpasst.

"Wir haben auf eine große Heckklappe verzichtet, weil wir das Platzangebot im Innenraum optimieren wollten. Gleichzeitig wollten wir aber auch keine herkömmliche Drei-Box-Limousine entwerfen, da dies nicht zum neuartigen Charakter des ET7 gepasst hätte", begründet Tomasson diese Entscheidung auf Nachfrage von Business Insider. Auf einen Frank muss das Modell ebenso verzichten. Das hintere Gepäckabteil erschien auf den ersten Blick aber ziemlich groß.

Hinten gibt es wie bei den meisten Konkurrenten ein durchgehendes Leuchtband. Die Felgen sind zwischen 19 und 21 Zoll groß.
Hinten gibt es wie bei den meisten Konkurrenten ein durchgehendes Leuchtband. Die Felgen sind zwischen 19 und 21 Zoll groß.

Rekordverdächtige Beinfreiheit im Fond

Laut dem Projektleiter Tomasson diente die hauseigene Studie Eve aus dem Jahr 2017 als Ausgangspunkt des Designprozesses. Auf den ersten Blick mag es kaum optische Parallelen zu dem extrem futuristisch wirkenden und komplett autonomen Concept Car geben. Letzteres ist als Lounge auf Rädern konzipiert worden, verzichtet sogar auf eine Fahrertür und setzt auf Sitzecken und Liegen statt klassischer Sitze.

Laut dem verantwortlichen Designer wurden jedoch die Proportionen bei dem Serienmodell übernommen. Der ET7 wirkt mit seinen 3,07 Metern Radstand nämlich ähnlich gestreckt wie die Studie. Er soll zusammen mit den kurz gehaltenen Überhängen für viel Platz im Interieur sorgen.

Laut dem zuständigen Designer Kris Tomasson wurde auch die Grundstruktur der Front von der Studie auf den ET7 übertragen.
Laut dem zuständigen Designer Kris Tomasson wurde auch die Grundstruktur der Front von der Studie auf den ET7 übertragen.

Bei meiner ersten Sitzprobe habe ich festgestellt, dass Nio diesbezüglich nicht gelogen hat. Meine Beine hatten ungewohnt viel Platz und ich konnte sie fast komplett ausstrecken. Laut dem Hersteller soll der ET7 in dieser Kategorie sogar Klassenbester sein. Sehr angenehm waren zudem die Ellbogenablage, die jeweils hinter den Türen angebracht ist, sowie die Kopfstützen, die nach innen gewölbt und so an die Kopfform angepasst sind.

Dank des riesigen Panoramadachs, welches sich bis fast ganz hinten zieht, wirkt der Fond lichtdurchflutet. Einen Kritikpunkt gibt es jedoch: Die Kopffreiheit lässt aufgrund der steil abfallenden Dachform zu wünschen übrig. Ich bin mit meinen knapp 1,85 Metern an der Decke angestoßen. Großgewachsene müssen sich auf der Rückbank wohl krümmen.

Die Kopffreiheit ist hinten leider eingeschränkt. Dafür haben die Beine sehr viel Platz.
Die Kopffreiheit ist hinten leider eingeschränkt. Dafür haben die Beine sehr viel Platz.

Nachhaltiges Holz statt Plastik im Cockpit

Hinter dem Steuer habe ich mich wie in einer Flugzeugkanzel gefühlt. Neben mir baut sich eine hohe schwebende Mittelkonsole auf, vor mir sitzt ein einzelnes und quer liegendes Display für die Digitalanzeigen, während das Infotainmentsystem über einen oben auf der Mittelkonsole angebrachten und 12,8 Zoll großen Touchscreen bedient wird. Doch es gibt noch eine weitere, deutlich modernere Möglichkeit: Nio hat selbst den digitalen Assistenten NOMI entwickelt, der auf die künstliche Intelligenz setzt und bei der neueste Version der Qualcomm Snapdragon-Prozessoren verwendet wird.

Verblüfft hat mich die Liebe zum Detail, die ich in einem chinesischen Auto nicht erwartet hätte. Zum Beispiel sind die bei anderen Herstellern oft standardisierten Bedienelemente für die Fensterheber nicht aus schnödem Plastik, sondern aus Metall und formschön gestaltet worden. Auch der Wählhebel für die Fahrstufen wurde individuell gestaltet, während die Lüftungsschlitze sehr dünn geraten sind.

Anstatt das Auto mit schnöden Plastik auszukleiden, setzt Nio im Interieur des ET7 konsequent auf einen leichteren und angeblich deutlich nachhaltigeren Werkstoff, den die Chinesen zusammen mit dem deutschen Unternehmen "Out of space" entwickelt haben. "Karuun" besteht hauptsächlich aus Rattan, einem in Indonesien wachsenden Palmengewächs, das bisher hauptsächlich in der Möbelbranche eingesetzt wurde und in der Limousine schwarz gemasert ist. Durch einige Verfeinerungsprozesse soll das nachwachsende Material so Widerstandsfest wie Kunststoff werden.

Der digitale Assistent Nomi sitzt oben auf dem Armaturenbrett und reagiert unter anderem auf Sprachbefehle.
Der digitale Assistent Nomi sitzt oben auf dem Armaturenbrett und reagiert unter anderem auf Sprachbefehle.

Für das autonome Fahren vorbereitet

Ein Sprecher von Nio betont im Laufe des Gesprächs mehrfach, dass der ET7 "ready for the future" sei. Und das sieht man dem Auto auch äußerlich an. Auf dem Dach, sowie in der Frontmaske und an allen Seiten sind eine Vielzahl an Sensoren, Kameras, sowie ein Lidar angebracht. Die Limousine ist also schon jetzt für das autonome Fahren vorbereitet. Wenn es auf den verschiedenen Märkten rechtlich möglich sein wird, müssen die Systeme nur aktiviert werden. Um welche Autonomiestufe es sich konkret handelt, kommuniziert der Autobauer jedoch noch nicht.

Innerhalb der Branche wird dessen Kompetenz auf diesem Gebiet jedoch hoch eingeschätzt. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, möchte der Autovermieter Sixt nächstes Jahr gemeinsam mit dem Intel-Tochterunternehmen Mobileye in München eine autonome Taxiflotte in Betrieb nehmen. Die Bayern haben für dieses Pilotprojekt nicht umsonst das Nio-SUV ES8 gewählt.

Wechselbatterien und bis zu 1.000 Kilometer Reichweite

Doch das ist noch nicht alles: Der Hersteller aus Shanghai ist auch bei der Entwicklung einer weiteren zukunftsentscheidenden Technologie ganz vorne mit dabei. Während die europäischen und amerikanischen Hersteller frühestens zur Mitte des Jahrzehnts mit der Serienreife der Technologie rechnen, möchte Nio den 480 kW-starken ET7 in China schon ab dem vierten Quartal 2022, also zeitgleich zum Marktstart in Deutschland, mit einer Feststoffbatterie ausliefern. Letztere ist nicht nur leichter und kompakter, sondern bietet auch einen höheren Energiegehalt. Später sollen auch die europäischen Kunden in den Genuss der Technologie kommen.

Nio rechnet mit einer Kapazität von 150 kWh, was für eine Reichweite von beeindruckenden 1.000 Kilometern reichen soll. Da Nio auch bei seiner Oberklasse-Limousine auf das Konzept der Wechselbatterie setzt und der ET7 mit allen hauseigenen Stromspeichern kompatibel sein soll, können auch bereits ausgelieferte Exemplare nachträglich mit der innovativen Batterie ausgestattet werden. In China betreibt das Unternehmen bereits 400 dieser Stationen, in denen die Akkus innerhalb kürzester Zeit getauscht werden können.

Auf lange Sicht soll auch in Deutschland ein solches Netz entstehen. Es ist also nicht nur das Auto an sich, dass den etablierten Premium-Herstellern womöglich Angst machen sollte. Ob Nio ihnen in Europa und den USA tatsächlich den Rang ablaufen kann, wird auf lange Sicht wohl davon abhängen, ob die chinesischen Autobauer ihr Billig-Image ablegen können. Mit durchdachten und ansprechenden Modellen wie dem ET7 dürfte dies jedoch recht schnell gelingen.

Die Batterien der Elektro-Limousine können natürlich nicht nur gewechselt, sondern auch per Stecker geladen werden.
Die Batterien der Elektro-Limousine können natürlich nicht nur gewechselt, sondern auch per Stecker geladen werden.