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Geox-Chef: „Politik und Wirtschaft sind in Italien zwei Welten“

Der italienische Familienunternehmer kämpft mit Pandemie und Regierungskrise in seiner Heimat. Er steuert mit neuen Technologien dagegen.

Wer im Moment an Italien denkt, der denkt vor allem an die Regierungskrise, eine hohe Verschuldung und ein Land, das immer noch unter Schockstarre der Pandemie steht. Wie kommt ein Unternehmer mit den Widrigkeiten zurecht?

„Wirtschaft und Politik sind zwei völlig verschiedene Welten in Italien“, sagt Mario Moretti Polegato. Der 68-jährige Familienunternehmer in der dritten Generation steuert als Chairman die Geschicke der Geox Group, des italienischen Schuh- und Modekonzerns.

Natürlich mache die aktuelle Regierungskrise in Rom den Unternehmen große Sorgen, sagt Polegato und spricht dabei auch für den Industrieverband Confindustria. „Wir brauchen dringend wieder stabilere Verhältnisse.“

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Darüber hinaus erhofft sich der Firmenchef, dass der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der Coronakrise auch einen Modernisierungsschub auslösen wird. Geox mache etwa 70 Prozent seines Umsatzes im Ausland und sei deshalb weniger als andere von der momentanen Unsicherheit im eigenen Land betroffen, sagt Polegato.

Begonnen hat seine Familie ihr Unternehmertum mit dem Anbau von Wein. Inzwischen gehören ihr sieben Weingüter, ein internationales Portfolio von Immobilien und die Sportartikelmarke Diadora. Polegato konzentriert sich weitgehend auf die Modemarke Geox.

Der Kunstname verbindet das griechische Wort für Erde mit dem Symbol „X“ für technischen Fortschritt. Die Begeisterung für neue Technologien ist dem Unternehmen also mit in die Wiege gelegt worden.

Atmende Schuhe unter der Sonne von Reno

Auf die Idee der „atmenden“ Schuhe kam der Polegato vor rund 25 Jahren, als er nach einem Marsch unter sengender Sonne durch die US-Stadt Reno mit einem Schweizer Messer Löcher in seine Schuhe bohrte, um die Füße zu kühlen. Als niemand seine Geschäftsidee umsetzen wollte, machte er es einfach selbst und startete mit fünf Mitarbeitern. Heute arbeiten bei Geox rund 5200 Beschäftigte, das Unternehmen beliefert weltweit fast 1000 Verkaufsfilialen.

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind auch an Geox nicht spurlos vorübergegangen. Vergangenes Jahr ist der Umsatz um ein Drittel auf 535 Millionen Euro eingebrochen. Der Konzern, der es 2019 noch auf Erlöse von 800 Millionen Euro brachte, schrieb rote Zahlen.

Polegato hat allerdings früh gegengesteuert: „In viele Regionen mussten unsere Einzelhandelsgeschäfte wegen der Pandemie schließen. Wir haben deshalb unseren E-Commerce sehr schnell ausgebaut und dort Umsatzsteigerungen von mehr als 40 Prozent erzielt“, berichtet er. Außerdem habe Geox intensiv die sozialen Medien genutzt, um direkt mit seinen Kunden zu kommunizieren. Vor allem der Verkauf von Kinderschuhen laufe im Internet prima, sagt Polegato.

Die Digitalisierung seiner Branche ist für den Spross der Unternehmerfamilie aus der Nähe von Treviso nördlich von Venedig das Schlüsselthema auch über die aktuelle Krise hinaus. „Von meinen Gesprächen auf dem digitalen Weltwirtschaftsforum weiß ich, dass viele Unternehmen ihre Digitalisierung während der Pandemie beschleunigt haben“, sagt Polegato. „Genau das haben wir auch getan.“

So habe man nicht nur den digitalen Vertrieb ausgebaut, sondern auch viel in neue Technologien investiert, um das „Smart Working“ von unterwegs oder Zuhause möglich zu machen. Die eigenen Mitarbeiter versucht Geox zudem durch regelmäßige Corona-Tests zu schützen. Alles lässt sich in seinem Gewerbe nämlich noch nicht digitalisieren: „Die Produktion von Schuhen beinhaltet immer noch viel Handarbeit.“

Italien braucht einen Technologieschub

Von der Regierung in Rom, die gerade über den Streit über den wirtschaftlichen Wiederaufbau zerbrochen ist, wünscht sich der Unternehmer einen klaren Fokus auf eine technologische Erneuerung. „In Italien brauchen wir vor allem Investitionen in neue Technologien wie den Mobilfunkstandard 5G“, fordert er. Darüber hinaus müsse das gesamte Bildungssystem reformiert werden: „Die Menschen müssen neue Fertigkeiten für die digitale Wirtschaft lernen.“

Der Wiederaufbau nach der Coronakrise sollte nach Meinung von Polegato zugleich genutzt werden, um das Wirtschaften in Italien nachhaltiger zu machen. Der Kapitalismus, der früher rein auf finanzielle Ziele ausgerichtet gewesen sei, habe sich weltweit längst zu einem Wirtschaftssystem gewandelt, das mehrere Ziele verfolge. „Italien gehört bislang nicht zu den Vorreitern, wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht“, räumt der Geox-Chef ein.

Die Modernisierung werde allerdings Härten mit sich bringen. „Die Welt wird nach der Pandemie anders aussehen“, prophezeit Polegato. Die Einführung neuer Technologien und die Ausrichtung der Unternehmen auf nachhaltiges Wirtschaften erfordere neue Fertigkeiten. „Einige Menschen verfügen schon darüber, andere müssen sich weiterbilden, und ein hoffentlich möglichst kleiner Teil wird Probleme bekommen“, sagt er voraus.

Politik und Wirtschaft müssten darauf achten, dass dies nicht zu sozialer Ausgrenzung der „Verlierer“ führe. „Gelingen kann uns das nur, wenn private Unternehmen mit dem Staat in einer Public-Private-Partnership zusammenarbeiten und das lebenslange Lernen zu einer gemeinsamen Aufgabe machen“, betont der Italiener.

Globalisierung wurde durch die Pandemie nur gebremst

Geox selbst sieht Polegato trotz der Pandemie auf einem guten Weg. Ob er den Kurs angesichts der stark gestiegenen Risiken für Lieferketten und Auslandsmärkte nicht ändern müsse? „Die Pandemie hat die Globalisierung nur gebremst, aber nicht zum Entgleisen gebracht“, zitiert er sinngemäß die Einschätzung seiner „guten Freundin“, EZB-Chefin Christine Lagarde.

„Wir werden deshalb unseren Kurs als ein multinationales Unternehmen aus Italien nicht ändern und unseren Vertrieb weltweit ausbauen.“ Deshalb sei es so wichtig, dass die Welthandelsorganisation WTO wieder gestärkt werde, um für globale Spielregeln im internationalen Handel zu sorgen. Das reiche jedoch nicht aus. Als global tätiger Unternehmer brauche er darüber hinaus auch einheitliche Standards für Soziales und Umwelt.

Die Chancen dafür seien nach dem Machtwechsel in den USA besser geworden, glaubt Polegato. „Aus Sicht eines Unternehmers ist es zu begrüßen, dass die USA einen neuen Präsidenten haben.“ Die Spannungen im Handel mit Amerika würden zwar nicht verschwinden, aber es gebe jetzt eine Chance für einen besseren Dialog zwischen Europa und den USA.