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Genetisch veränderte Menschen: Forschung fürchtet sich vor „Frankenstein“-Moment

Wenn auf einem der Panels bei der Digitalkonferenz South by Southwest (SXSW) im texanischen Austin das Schlagwort Crispr angekündigt wird, dann ist der Saal bis auf den letzten Platz besetzt, und viele Interessierte warten vor den Türen vergeblich auf Einlass. Die molekulare Maschine Crispr spürt bestimmte Abschnitte im menschlichen Genom auf und „schneidet“ sie heraus. So können Fehler im DNA-Code im Prinzip so einfach korrigiert werden wie der Tippfehler in einem Textdokument.

Schwere genetisch bedingte Erkrankungen wie einige Krebsarten oder Sichelzellenanämie könnten bald der Vergangenheit angehören, hofft Fyodor Urnov, einer der führenden Crispr-Wissenschaftler weltweit. Er leitet die Forschung des Innovative Genomics Institute (IGI) der Universität Berkeley. „Die Ära von Crispr ist das Ende der genetischen Krankheiten“, prophezeit Urnov.

Die Hoffnungen sind groß, ebenso groß wie die Furcht vor Missbrauch der neuen Technik: Soll der Mensch in die Evolution eingreifen? Wer bestimmt, was im genetischen Code verändert werden darf? Und was passiert, wenn die ganze Entwicklung mithilfe von Künstlicher Intelligenz noch einmal beschleunigt wird? Diese Fragen treiben die Besucher in Austin um. Jedes Jahr diskutieren hier Forscher, Unternehmer und Visionäre, wie digitale Technologien die Gesellschaft verändern werden.

Die Medizin erlebt einen Durchbruch

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Das große Thema dieses Jahres ist, wie eng Medizin, Gentechnik und Künstliche Intelligenz schon zusammengewachsen sind – und welche Folgen das hat.

Klar ist: Die Medizin erlebt einen Durchbruch, der mit der Erfindung des Penizillins vergleichbar ist: 2012 entdeckte die kalifornische Biowissenschaftlerin Jennifer Doudna die Gen-Schere Crispr, die günstige und schnelle Methode, Gene zu verändern. Schon wenige Jahre später testen Wissenschaftler die ersten Krebstherapien auf Basis der Technik in klinischen Studien.

„Und die sind erst eine bloße Vorahnung dessen, was in Zukunft möglich sein wird“, sagt Rachel Haurwitz, CEO von Caribou Biosciences, die selbst Krebstherapien auf Basis von Crispr entwickelt auf der SXSW.

Bislang gibt es zwei Wege, Patienten per Gen-Editor zu behandeln: Ein Genexperte entnimmt Zellen, verändert sie mit Crispr genetisch und injiziert sie wieder in den Körper. Wissenschaftler der Washington University School of Medicine in St. Louis etwa setzten mit Crispr modifizierte Immunzellen zur Behandlung von Leukämie ein.

„Das Immunsystem erhält sozusagen seine eigene Waffe“, sagt Forscher Urnov. Es sei ebenfalls denkbar, den Gen-Editor selbst direkt ins Blut zu injizieren. Das Verfahren sei zwar günstiger, allerdings sei die Wirkung kaum kontrollierbar.

Selbstlernende Algorithmen helfen Forschern

Die Technik entwickelt sich in einer Geschwindigkeit, die selbst Experten vor einigen Jahren noch nicht für möglich hielten. Grund dafür ist auch die schnelle Entwicklung von Künstlicher Intelligenz. Selbstlernende Algorithmen helfen Forschern, die komplexen genetischen Daten viel schneller, preiswerter und präziser auszuwerten.

Schon in fünf Jahren könnten die ersten medizinischen Gen-Editoren für seltene Erbkrankheiten wie Sichelzellenanämie, die lebensbedrohliche Durchblutungsstörungen auslösen kann, und vererbte Blindheit in den USA zugelassen werden, schätzt Urnov. Und bereits 2021 sollen medizinische KI-Systeme weltweit einen Umsatz von 6,7 Milliarden Dollar machen, schätzt die Beratungsfirma Frost & Sullivan – 2014 waren es nur etwas über 600 Millionen Dollar.

Eine Untersuchung von Global Markets Insights schätzt, dass der globale Markt mit Gen-Editing 2024 ein Volumen von 7,5 Milliarden Dollar übersteigen wird.

Das werde allerdings nicht ohne die Hilfe der Digitalindustrie klappen, sagt Forscher Urnov. „Wir werden in Zukunft sehr viele wichtige Allianzen zwischen großen Pharmaunternehmen wie Novartis oder Pfizer, Universitäten wie unserer und Tech-Firmen wie Google sehen.“ Die Technologiefirmen haben das Geschäft mit medizinischen Daten ohnehin längst entdeckt. Nach Ansicht von Microsoft-Chef Satya Nadella ist das Gesundheitswesen die vielleicht „dringlichste Anwendung für KI“.

Zusammen mit Microsoft haben US-Forscher eine Künstliche-Intelligenz-Anwendung entwickelt, die Genveränderungen mit dem Crispr-System effektiver macht, weil sie Forschern präzise zeigen kann, welchen Teil der DNA sie entfernen müssen. Das verringert zeitraubende Fehler.

Alphabet startet Biowissenschaftsfirma

Die Google-Mutter Alphabet wiederum startete mit Verily Life Sciences eine eigene Biowissenschaftsfirma. Die medizinische Expertise des Suchmaschinenriesen ist zwar begrenzt, doch das Sammeln und Auswerten großer Datenmengen zählt zu den Kernkompetenzen in Mountain View. Afia Asamoah, Politikberaterin bei Verily, sieht enormes Potenzial in der Gesundheitsindustrie: „Big Data erlaubt es uns, mehr Daten über die Menschen zu sammeln und das Entstehen schwerer Krankheiten zu verhindern.“

Mit „Project Baseline“ arbeitet Alphabet an einem Datenmodell des gesunden Menschen. Verily will herausfinden, was Menschen gesund hält und wie sie länger gesund bleiben. In den nächsten Jahren werde es digitale Technologien geben, die in der Lage seien, „die Kosten des Gesundheitssystems zu senken, die Qualität zu erhöhen – und das Leben der Patienten zu verbessern“, erklärte der Chef von Google Health, David Feinberg auf der SXSW.

Mediziner sind für Kooperationen mit den Tech-Riesen aufgeschlossen. Bobbie Rimel, Direktor für gynäkologische Onkologie am Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles, setzte zum Beispiel die Fitness-Tracker von Fitbit ein. Sie wolle besser verstehen, wie Patienten auf Chemotherapie reagieren. Vielfach spielten diese die negativen Seiteneffekte der Behandlung herunter, sagt die Medizinerin auf der SXSW.

Durch die Wearables konnte sie jedoch feststellen, wie viel Zeit die Patienten erschöpft im Bett oder auf dem Sofa verbringen. „Wir nutzen die Daten der Wearables, um die Therapie besser anpassen zu können.“

Große Hoffnungen setzt Rimel auch in die Analyse unstrukturierter Daten mithilfe von Künstlicher Intelligenz, die digitale Patientenakten auf bestimmte für die Diagnose wichtige Schlagworte hin analysiert. „Wir hoffen, dass wir so Erkrankungen besser erkennen.“

Mithilfe von Künstlicher Intelligenz können Forscher Datenmengen auswerten, die selbst große Forscherteams niemals überblicken könnten. „Mit herkömmlichen Instrumenten können wir nur einzelne Genmutationen Krankheiten zuordnen“, sagt Caribous-CEO Rachel Haurwitz . „Die meisten Krankheiten werden aber von verschiedenen Genen beeinflusst. Diese Zusammenhänge finden wir mit Unterstützung der Künstlichen Intelligenz viel schneller.“

Digitale Revolution im Gesundheitswesen löst Unbehagen aus

Doch die digitale Revolution im Gesundheitswesen löst auch Unbehagen aus: „Big Data kann große medizinische Durchbrüche ermöglichen“, sagt Brooke Grindlinger von der New York Academy of Sciences während einer Diskussion auf der SXSW. „Wenn Tech-Firmen immer schneller zu Gesundheitsfirmen werden, stellt sich aber die Frage, was mit den Daten passiert.“

Schon heute erheben Technologiekonzerne indirekt Gesundheitsdaten. Soziale Netzwerke registrieren, ob ihre Mitglieder depressiv sind, Smartwatches messen rund um die Uhr den Herzschlag ihrer Besitzer, und Google ahnt die Krankheiten seiner Nutzer, wenn sie nach bestimmten Symptomen suchen. All diese Daten landen auf den Servern der Tech-Konzerne.

Das wird umso heikler, „wenn künftig auch genetische Informationen von Menschen gespeichert werden“, sagt Amy Webb, Zukunftsforscherin von der Stern School of Business der New York University nach ihrem völlig überbuchten Vortrag im größten Saal bei der SXSW. Völlig zu Recht fürchten Menschen, dass Krankenkassen diese Daten gegen sie verwenden könnten, wenn sie digital vorliegen. „Hier entstehen große Fragen für die Regulierer in aller Welt“, sagt Webb.

Gleichzeitig stellen sich ganz grundsätzliche ethische Fragen: Wenn Wissenschaftler und Ärzte die Gene von Menschen verändern, verändern sie gleichzeitig die genetische Basis künftiger Generationen. „Hier brauchen wir internationale Vereinbarungen“, sagt Webb.

Wissenschaftler wie Urnov fürchten sogar, dass die Gesellschaft ohne eine strenge Regulierung der Technologie auf eine düstere Zukunft wie im Kinofilm „Gattaca“ zusteuern könnte, in der sich Menschen in der Petrischale fortpflanzen und den Nachwuchs manipulieren.

Missbrauch kaum zu verhindern

Dass solche Szenarien mehr als verrückte Science-Fiction ist, zeigte sich erst vor vier Monaten, als der chinesische Wissenschaftler He Jiankui die Welt schockte. Es sei „absolut möglich, dass eines Tages auch reiche Menschen mit Zugang zu den neuen Technologien ihre Kinder zu optimieren versuchen, damit sie zum Beispiel ein besseres Immunsystem haben“, sagt Zukunftsforscherin Webb.

Für Gentechnik-Forscher Umov sind die Regeln klar: Es sollte immer darum gehen, Patienten zu behandeln, nicht gesunde Menschen. Missbrauch sei jedoch kaum zu verhindern. Urnov glaubt, dass die Chance, dass es in zehn Jahren in China eine Klinik gibt, „wo Menschen mit zu viel Geld Millionen Dollar dafür zahlen, dass Wissenschaftler so etwas tun, bei 100 Prozent liegt“.

Jennifer Miller, Bioethikerin der Yale University School of Medicine befürchtet, dass große Teile der Menschen von den Vorteilen der neuen Therapien ausgeschlossen werden könnten. „80 Prozent aller Gen-Daten stammen von weißen Männern, wir können nicht sicher sein, dass alle von den neuen Verfahren profitieren“, sagt sie. Pro Person kostet eine Crispr-Therapie heute etwa zwei Millionen Dollar.

All das sind Probleme für eine breite gesellschaftliche Debatte, warnen Forscher wie Urnov, der sich schon seit 20 Jahren mit der Frage beschäftigt, wie Menschen ethisch genetisch verändert werden können. Er sagt: „Es liegt an uns, dass 2019 nicht als das Jahr in die Medizingeschichte eingeht, in dem die Wissenschaft ihren Frankenstein-Moment hatte.“