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Geld verdienen mit dem Schuldenmachen

Die Niedrigzinspolitik und Wertpapierprogramme der Europäischen Zentralbank rütteln weiter an vermeintlichen Grundsätzen der Ökonomie. Schulden machen und dafür Geld bekommen – das ist jetzt auch für private Industrieunternehmen möglich.

Zwei Konzerne haben Anleihen auf den Weg gebracht, die vom Moment der Ausgabe mit einem negativen Zinssatz versehen sind. Der Waschmittel- und Konsumgüterkonzern Henkel beschafft sich unter anderem 500 Millionen Euro für zwei Jahre und hat diese Papiere mit einer Rendite von minus 0,05 Prozent platzieren können.

Investoren sind also bereit, dem Unternehmen Geld zu leihen und dafür zu bezahlen. Wer eine Million Euro zur Verfügung stellt, nimmt eine Einbuße von 500 Euro auf Jahressicht hin. Gleiches gelingt dem französischen Pharmakonzern Sanofi, der sich zu denselben Konditionen eine Milliarde Euro über drei Jahre leihen dürfte.

Trotz negativer Rendite kann eine Unternehmensanleihe mit negativer Rendite für Anleger attraktiv sein, da etwa Staatspapiere mit ähnlicher Laufzeit noch erheblich weniger abwerfen. Zweijährige deutsche Staatspapiere rentieren derzeit mit minus 0,69 Prozent. Bankeinlagen sind für Großinvestoren oft mit Strafzinsen belegt, da die Banken selbst überschüssige Einlagen bei der Europäischen Zentralbank nur zu einer Rendite von minus 0,4 Prozent parken können.

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Bislang haben nur Finanzinstitute und im Juli auch die Deutsche Bahn (minus 0,006 Prozent) Anleihen mit negativen Rendite begeben. Da die Bahn aber komplett dem deutschen Staat gehört, gelten ihre Papiere als Quasi-Staatsanleihen. Und auch der Bund konnte schon Anleihen erfolgreich mit negativem Zinssatz platzieren. Der Henkel-Rivale Unilever und der früher als GDF Suez firmierende französische Versorger Engie emittierten sogenannte Nullkupon-Titel mit einer Rendite von immerhin noch knapp über Null.


Profiteur der Geldpolitik

Henkel ist Profiteur der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die hat den Leitzins auf null Prozent gesenkt, den Einlagenzins auf minus 0,4 Prozent festgesetzt und ein 1,7 Billionen Euro schweres Kaufprogramm für Wertpapiere auf den Weg gebracht. Am Donnerstag tagt der -Rat und eine Erweiterung des Programms könnte dort beschlossen werden.

Seit dem Sommer kauft die EZB auch Unternehmensanleihen auf. Damit will sie – wie mit den anderen Werkzeugen auch – erreichen, dass die Preissteigerung in der Euro-Zone sich wieder dem Ziel von knapp unter zwei Prozent annähert. Zuletzt hatte die Inflation bei 0,2 Prozent gelegen. Die EZB wehrt sich gegen heftige Kritik etwa deutscher Banken an der lockeren Geldpolitik. Die Zentralbank argumentiert, dass ohne die weitreichenden Maßnahmen eine Spirale fallender Preise drohe, die eine scharfe Rezession auslösen könnte.

Während Banken mit den Auswirkungen der negativen Zinsen auf ihre Erträge kämpfen, sollen die günstigen Zinsen die Investitionstätigkeit der Unternehmen antreiben und so zu Wirtschaftswachstum, steigenden Löhnen und kletternden Preisen führen. Henkel führt seine Anleiheplatzierung zu den außergewöhnlichen Konditionen allerdings auf die „hohe Kreditwürdigkeit und unseren hervorragenden Zugang zu den Kapitalmärkten“ zurück, so Henkel-Finanzvorstand Carsten Knobel.

Neu ist, dass schon bei der Ausgabe negative Renditen bei einer Anleihe gefordert werden können. Ältere Anleihen mit positivem Zinskupon sind an den Märkten aber schon so im Kurs gestiegen, dass mittlerweile 27 Prozent aller Firmenanleihen – die wie Henkel mit dem Gütesiegel „Investment Grade“ ausgezeichnet sind – für Anleger bereits ein Verlustgeschäft sind.

Henkel begibt noch drei weitere Papiere: eines über 700 Millionen Euro und fünf Jahre Laufzeit zu 0,0 Prozent Rendite sowie eine Dollar-Anleihe (drei Jahre Laufzeit, 1,5 Prozent) und eine Pfund-Anleihe (sechs Jahre Laufzeit, 0,875 Prozent). Die Transaktionen brachten BNP Paribas, Deutsche Bank und JP Morgan als Konsortialführer auf den Markt.

Unternehmen außerhalb der Finanzbranche haben in diesem Jahr bereits Anleihen über fast 190 Milliarden Euro emittiert, mehr als jemals zu diesem Zeitpunkt im Jahr seit der Euro-Einführung im Jahr 1999, zeigen Daten des Finanzinformationsdienstes Bloomberg. Im gesamten Vorjahr war der Rekordwert von 230 Milliarden Euro erzielt worden, der dieses Jahr wohl mit Leichtigkeit übertrumpft werden dürfte.

KONTEXT

Das Prinzip festverzinslicher Wertpapiere

Zinsen und Rückzahlung

Festverzinsliche Anleihen haben einen fixen Zinskupon, der sich auf den Nominalbetrag von 100 Prozent, also zum Beispiel 1 000 Euro, bezieht. Zu diesem Betrag werden die Papiere am Ende der Laufzeit zurückbezahlt. Bei einem Kurs von 100 Prozent entspricht also die Rendite dem zugesicherten Zins.

Kurse und Renditen

Während der Laufzeit werden Anleihen gehandelt, deshalb schwanken die Kurse, die in Prozent angegeben werden. Der Rückzahlungswert bleibt unverändert bei 100 Prozent. Die Zinskupons, die sich auf den Nominalwert beziehen, verändern sich ebenfalls nicht. Weil Zinszahlungen und Tilgungen gleichbleiben, sinkt die Rendite für Neueinsteiger, wenn die Kurse steigen. Umgekehrt ist es genauso: Wenn die Kurse fallen, dann steigen die Renditen für Investoren, die neu zugreifen und bis zur Fälligkeit halten.

Renditeentwicklung

Entwicklung - Die Kurse vieler Anleihen - vor allem die von Staatsanleihen im Euro-Raum und in Japan - sind so stark über 100 Prozent gestiegen, dass Anleger trotz der Zinsen weniger Geld wiederbekommen, als sie angelegt haben. Somit sind die Renditen für Neueinsteiger sogar negativ. Das geht umso schneller, weil die Kupons stetig sinken. So haben zweijährige Bundesschatzanweisungen in Deutschland seit dem 20. August 2014 einen Kupon von null Prozent, seit dem 21. Januar 2015 gilt das auch für fünfjährige Bundesobligationen und seit dem 13. Juli 2016 auch für die neue zehnjährige Bundesanleihe.

KONTEXT

Kaufkriterien der EZB für Firmenbonds

Welche Firmen werden gekauft

Grundsätzlich kann die EZB alle auf Euro lautenden Unternehmensanleihen kaufen, die ein Investment-Grade von einer der Ratingagenturen Standard & Poor's (S&P), Moody's, Fitch oder DBRS haben. Ausgeschlossen sind dabei Banken. Damit fallen auch die Anleihen von direkten Autobanken wie zum Beispiel der französischen RCI Banque weg. Möglich ist aber der Kauf von Anleihen der Autohersteller, wenn die Emission von einer Konzerntochter begeben wird, die nicht selbst eine Bank ist. Auch die Anleihen von Versicherern können gekauft werden.

Rating-Differenzierungen

Maßgeblich ist die beste Ratingeinstufung. Damit kann die EZB auch Anleihen von Unternehmen kaufen, die mehrere Ratingagenturen als Ramsch-Niveau für schwächere Schuldner einstufen. Ein für solche sogenannten "Crossover"-Bewertungen ist die Telecom Italia, die sich bereits im Portfolio der EZB befindet. Die Bonität der Telecom Italia bewerten die S&P und Moody's mit "BB+" beziehungsweise "Ba1" entsprechend schwächerer Bonität. Nur Fitch vergibt ein "BB+" und sieht die Kreditwürdigkeit damit auf der untersten Stufe des Investment-Grade. Andere Beispiele für "Crossover-Kandiaten"-Unternehmen im Portfolio der EZB sind die Deutsche Lufthansa, Energias de Portugal und K+S.

Struktur der Anleihen

Die EZB beziehungsweise genauer die nationalen Notenbanken im Auftrag der EZB dürfen nur Anleihen erwerben, welche die Notenbank als Sicherheit akzeptiert. Dies sind herkömmliche Bonds. Nachrangige Anleihen von Unternehmen gehören nicht dazu, sind also damit auch für die Käufe tabu.

Sitz der Emittenten

Der Schuldner, der die Anleihen begibt muss einen Sitz in der Euro-Zone haben. Damit können auch Tochter-Unternehmen von Konzernen außerhalb Euro-Lands in den Genuss der EZB-Käufe kommen. Gekauft wurden so bereits Anleihen von zum Beispiel Nestlé und ABB aus der Schweiz, Shell und Unilever aus Großbritannien oder Schlumberger und Bunge aus den USA.

Laufzeit, Volumina und Renditen

Möglich sind Käufe von Firmenbonds mit Laufzeiten von sechs Monaten bis 31 Jahren. Bei Staatsanleihen beträgt die kürzeste Laufzeit zwei Jahre. Die Firmenbonds brauchen keine Mindestvolumina. Kaufen können die Notenbanken bis zu 70 Prozent einer einzelnen Anleihe. Bei staatlich dominierten Unternehmen liegt diese Grenze bei 50 Prozent. Die Rendite darf nicht unter minus 0,4 Prozent liegen, also dem Strafzins, den die EZB den Banken berechnet, wenn sie kurzfristig Geld bei der Notenbank parken.

Wo gekauft wird

Die nationalen Notenbanken können die Unternehmensanleihen im Handel erwerben oder sich auch an Neu-Emissionen im sogenannten Primärmarkt beteiligen. Nur bei Unternehmen, die vorwiegend in Staatsbesitz sind, ist der Primärmarkt - wie bei Staatsanleihen - für die Notenbanken tabu.

Wer kauft genau

Die EZB hat sechs Zentralbanken mit den Käufen beauftragt. Dabei kaufen die Deutsche Bundesbank, die Banque de France, die Banca d'Italia und die Banco d'Espana jeweils nur Anleihen von Unternehmen mit Hauptsitz in ihren jeweiligen Ländern. Die belgische und die finnische Zentralbank sind zudem für Käufe von allen anderen Ländern der Euro-Zone sowie für die Käufe der Bonds von Unternehmen mit ihrem Hauptsitz außerhalb der Euro-Zone zuständig.